Starke negative Veränderung durch Ritalin?

Hallo ihr Lieben,

Ich beobachte bei meinem 7-jährigen einen zunehmenden negativen Wandel, seit er Medikamente bekommt. Ich schildere euch mal den Verlauf, damit es etwas übersichtlich wird.

Der Junge konnte mit 9 Monaten richtig gut frei laufen, fing sehr früh an zu sprechen und hatte mit 2,5 Jahren eine wahnsinnig gute Grammatik, Riesen Wortschatz und kann sich super gewählt und wortgewandt ausdrücken. Er ist vielseitig interessiert und ein Macher. Immer viel draußen und natürlich immer wirklich viel in Bewegung. Er hatte eine schier endlose Energie, großen Wissensdurst und hat sehr viel immer gut umsetzen oder in Zusammenhang bringen können. Er war fast immer gut gelaunt, hat viel gelacht und oft erstaunlich reflektiert. Außerdem war er immer tatkräftig dabei, wenn es darum ging zu Hause mitzuhelfen. Und für sein Alter sehr verantwortungsbewusst. Außerdem war er sehr immer sehr herzlich, charmant und witzig.
Ein tolles Kind, den man wirklich beneiden konnte :sweat_smile:
Natürlich auch sehr fordernd. Er hat eigentlich immer Beschäftigung und Input gebraucht und konnte sich seltenst alleine beschäftigen.

Allerdings ist der meist durchdachte Tatendrang vor ca. 2 Jahren (da war er 5) in sprunghaft beginnende, ziellose Handlungen übergegangen. Ist schusselig geworden. Er hat immer sehr laut und viel gesprochen, war beim toben draußen sehr laut, scheller - weiter - höher und ist stellenweise sehr übermütig geworden. Es sind immer öfter Dinge runtergefallen, er hatte kleine Unfälle oder es sind tatsächlich Sachen kaputt gegangen. Er hat deswegen oft Ärger von seinem Papa bekommen, der durch die Arbeit deutlich überlastet war und auch sehr wütend war. Allerdings geben sich die beiden in ihrer Wut nicht viel.
Die beiden haben auch kein sonderlich gutes Verhältnis zueinander. Unsere Partnerschaft haben wir (leider sehr dramatisch) im September beendet, wohnen aber im gleichen Haus und versuchen so klar zu kommen.

Nachdem er zunehmend seinen großen Bruder (ADS, langer Leidensweg) arglos drangsalierte und gegen mich und seinen Papa tobte, bin ich mit ihm kurz vor seinem 6. Geburtstag zur Psychiaterin gegangen. Sie hat ihm recht schnell ein „hyperkinetisches Syndrom mit Störung des Sozialverhaltens“ diagnostiziert.

Sie wollte ihm Risperidon verschreiben, das war mir allerdings nicht so geheuer. Er bekam dann erstmal Methylphenidat. Mit 2,5-2,5 war er sehr ruhig, weinerlich und ausgenockt. Mit 5-5 war es deutlich besser, fast schon perfekt. Im KABC2, der dann erfolgte, hat er ein deutlich überdurchschnittliches Ergebnis, die Untertests haben im Ergebnis breit gestreut (Prozentrang 49 bis 99). Außerdem war erkennbar, dass die Konzentration sehr stark variiert und er noch viel Ablenkbar ist.
Die Psychologin die ihn testete, riet mir dazu, ihn zur Hochbegabtenförderung anzumelden. Allerdings haben wir keinen Platz bekommen, weil es davon einfach viel zu wenige gibt. Sie sagte noch ganz lapidar, sie gebe ihm ein halbes Jahr an der Regelschule und das Beste, was uns passieren kann ist, wenn er es schafft den Schulalltag einfach schadlos abzusitzen und seine freie Zeit für den Input zu nutzen.
Ich glaubte ihr leider nicht so richtig.

Da er noch ganztags in die Kita ging, von dort auch fast nie Beschwerden kamen sind wir mit der Dosierung nicht höher gegangen, aber zum Ritalin LA gewechselt. Die Erzieher meldeten mir zurück, dass ihnen der „andere“ Jonas besser gefallen hat. Denn er weint bei Konflikten oder Zurückweisungen jetzt oft, anstatt sauer zu werden.
Das ist mit der Zeit ein klein wenig besser geworden, hier zu Hause war es oft richtig gut mit dieser Dosierung. Wutausbrüche und Regelverstoße gab es trotzdem oft.

Er kam dann letztes Jahr in die Schule und ab da wurde es zunehmend richtig schlimm. Bereits nach zwei Wochen rief die Lehrerin an, er rempelt Kinder an und schlägt oft. Im Unterricht war aber alles gut und Hausaufgaben erledigte er ordentlich, sauber und schnell. Nachdem das sozialverhalten immer schlechter wurde, sind wir kurz vor den Herbstferien auf 20 mg Ritalin LA gegangen. Mittags bekam er nochmal 5 und abends 2,5. Er läuft mir sonst im Bett die Wände hoch. Die Lehrerin meldete zurück, dass er ja jetzt mega entspannt ist und sein Verhalten sich bessert.
Allerdings hat er nun keine Lust mehr, zu toben und wild zu spielen. Sitzt rum, ist träge und desinteressiert. Schlecht gelaunt und mittlerweile zum Teil richtig Aggressiv. Die Betreuung hat ihn letzte Woche abholen lassen, weil er einer Betreuerin die Flasche ins Gesicht schlagen wollte, nachdem er nicht damit durchgekommen ist, vorzutäuschen er hätte keine Hausaufgaben auf. Er wird mittlerweile bei sehr vielen kleinen Sachen handgreiflich, fühlt sich aber auch sehr schnell zurückgewiesen und ungerecht behandelt.
Hier zu Hause hält er sich mittlerweile meistens nicht mehr an Routinen und Regeln und ich schaffe es tatsächlich nicht, ihn den ganzen Tag „an der Hand“ zu nehmen und durch den „Alltag“ zu führen. Er bekommt leider schon früh am Tag Ärger, weil ich einfach runter bin mit den Nerven. Und ich bin mir auch leider durchaus bewusst, dass die Art, wie er von mir Ärger bekommt, nicht sonderlich förderlich ist.
Seine Schulsachen erledigt er widerwillig, schimpft nur über die Schule und die Lehrerin.
Hat jetzt schon seit Monaten Ärger mit seinem besten Freund, der natürlich schon in der Kita rausgefunden hat wie man meinen Sohn richtig gut reizen kann und das mit einem Riesen Spaß tut. Außerdem hetzt er gemeinsame Freunde gegen ihn auf.
Die Sache mit dem Freund habe ich angesprochen, da wird jetzt drauf geachtet.
Ansonsten meldete die Lehrerin mir tatsächlich zurück, dass er ein unauffälliger, aufmerksamer Schüler ist, der sich gute Leistungen erzielt. Aber eine Begabung könne sie beim Besten Willen nicht sehen. Die Leistungen wären ja aber gut und wir sollten alle froh sein, dass er nicht besser ist. Also ein „Traum“ sozusagen.

Ich habe aber tatsächlich das Gefühl, dass er, was seine kognitiven Fähigkeiten angeht, deutliche Einbußen und sogar Rückschritte hat. Viel weiß er nicht mehr, an vieles erinnert er sich nicht, merken kann er sich kaum noch was. Er vergisst plötzlich einfach wahnsinnig viel und ist mega pampig. Er erledigt seine Sachen schludrig, ist total ungenau, so als wolle er halt auch einfach nichts mehr machen. Er bockt viel, macht dicht. Ist wütend, genervt, gereizt, angespannt. Außerdem hat er einen Tic entwickelt (der mich leider total triggert :roll_eyes:), sein Bruder hat auch Tics.
Er ist absolut nicht geerdet und es erscheint mir, als wäre er und wir alle gerade, in einem absoluten Negativstrudel gefangen.

Ich war nun bei seiner Psychiaterin. Wir sind jetzt auf Medikinet ret. (zukünftig nur 15 mg) gewechselt und haben gestern mit Atomoxetin gestartet. Außerdem darf er bald zur Heilpädagogin.
Sein Konzentrationstest war extrem überdurchschnittlich.

Ich bin ratlos, hilflos und heillos überfordert im Moment. Ich habe natürlich einige Ansätze, woran dieser Wandel liegen könnte. Komme da gedanklich aber nicht sonderlich weit.
Ich wurde übrigens selbst mit 21 diagnostiziert (ADS, IQ 134) habe aber zumindest das ADS erstmal bis vor 1,5 Jahren geleugnet.
Mein Mann lässt sich im April diagnostizieren, vermutlich auch ADS. Der Große ist ebenfalls vor 2 Jahren diagnostiziert worden.

Ich hoffe, einige von euch haben bis hierher durchhalten können. Ich brauche eure Erfahrungen, Ratschläge, Ideen.
Gibt es solche kognitiven Einbußen mit Stimulanzien? Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht? Was schlagt ihr vor, was können wir machen, damit sich die Situation für ihn (und uns) bessert? Was kommt euch in den Kopf, wenn ihr das lest?

Vielen, vielen Dank schonmal euch allen - ich bin mega gespannt auf eure Beiträge! Haut alles raus, was euch dazu einfällt.

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Beiträge können wohl nur einmal editiert werden. Jetzt, nachdem ich das alles aufgeschrieben und im Hirn nochmal gewälzt habe:
Der Kerl schien in seiner Energie früher immer unendlich. Er hat auch sehr früh schon Wutanfälle gehabt. Er sagte immer:“ Das sind wie Gewitterwolken, die immer größer werden.“

Liebes @Zitronenbrausebonbon,

herzlich willkommen. Berichte mal, was die Kombination mit Atomoxetin bringt. Ich hätte eher mal ein Wechsel des Wirkstoffes, also Amfetamin (=Attentin oder Elvanse), ausprobiert. Unser Sohn hatte eine ähnliche Nebenwirkung mit Methylphenidat, er wurde teilnahmslos und ängstlich, mit Attentin ging es besser.

Sein großer Bruder und ich hatten/haben mit Methylphenidat ausschließlich gute Erfahrungen gemacht, so verschieden ist das.

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Vielen Dank für Deinen Bericht.

Vielleicht ist das hier eine Informationsquelle an der Schnittstelle: Hochbegabte/Angehörige - Können macht Spaß

Kennst Du als Suchwort schon „twice exceptional“ für die Doppeldiagnose HB/ADHS? Ich finde die Wechselwirkungen sehr schlüssig. Daher gibt es bestimmt Lösungen. Ich wünsche Dir viel Kraft und - das schlimme G-Wort - Geduld.

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Hallo,

mein Sohn bekommt auch Atomoxetin.
Ich kann nur empfehlen möglichst langsam aufzudosieren.
Die erste Woche war hier extrem emotional und anstrengend, so dass ich schon abbrechen wollte. Nach einer Woche wurde es dann besser und wir haben die ersten kleinen positiven Veränderungen gesehen.