Stille ertragen, Medienkonsum

Hallo,

ich bin neu hier und möchte mich kurz vorstellen. Mein Name ist Claudia und ich bin Anfang 40. Schon lange habe ich psychische Probleme, aber mein Leben hatte ich immer weitestgehend im Griff inklusive Familie und Arbeit.

Seit ca. 3 Jahren ist allerdings der Druck im Job so groß geworden, dass ich immer mehr das Gefühl hatte mein Hirn brennt durch und ich schaffe es nicht mehr. Nun bin ich krankgeschrieben und wir suchen noch nach der richtigen Diagnose. Es ging in Richtung manisch depressiv, das wurde aber verworfen. Jetzt hat der Arzt die Verdachtsdiagnose ADHS gestellt, das wird gerade abgeklärt. Somit habe ich mich neben dem Fragebogen für den Arzt auch etwas mit dem Thema beschäftigt. Zu meinem Entsetzen passen die Symptome hervorragend und begleiten mich schon seit meinen Zwanzigern nur da konnte ich das unbewusst kompensieren. Jetzt komme ich an meine Grenzen, habe Konzentrationsprobleme und bin entweder aufgedreht oder völlig erschöpft oder beides. Insgesamt ist das Leben einfach nur anstrengend.

Zu meiner Frage zum Thema Reizüberflutung: ist es ungewöhnlich oder evtl. auch gar nicht mit ADHS vereinbar, dass ich Stille schlecht aushalte? Das führt dazu, dass ich permanent Medien anhabe wie Radio oder Fernsehen oder Hörbücher außerhalb der Arbeitszeit. Gern daneben noch das Handy. Das tut mir natürlich nicht gut, aber Stille ist unangenehm für mich. Das kriege ich mit ADHS nicht zusammen, da man dabei ja sowieso eigentlich schon reizüberflutet ist.

Über Eure Gedanken dazu würde ich mich sehr freuen.

Viele Grüße Claudia

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Also ich kann dies bestätigen, ohne Medikamente bin ich völlig aufgedreht, impulsiv und hyperaktiv. Dadurch entsteht bei mir die Reizüberflutung.

Mit dem Medikenet kann ich das sehr gut ins Gleichgewicht setzen. Aber ich kann dich gut verstehen.

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Vielleicht findest Du hier einen Ansatz: https://www.youtube.com/watch?v=aEfkx3DsXjs

Anna Lembke, deren Kernbotschaft in dem Video dargestellt wird, geht davon aus, dass hinter so einem Drang nach „immer mehr Medienkonsum“ ein aus dem Gleichgewicht geratener Dopamin-Spiegel steht und empfiehlt grds., 4 Wochen auf die Medien der Wahl zu verzichten, damit die „Dopamin-Baseline“ sich wieder einrenkt. Wie schwer das aber gerade mit ADHS und einem ohnehin herausgeforderten Dopamin-Spiegel ist, werden hier viele aus eigener Erfahrung wissen. Ich hadere auch damit, immer noch und wieder.

Sie beschreibt das aber im Ansatz ganz anschaulich wie eine Wippe. Hier schon mal zusammengefasst:

Vermutlich wirst Du hier im Forum entdecken, dass viele in genau diesem Alter vor dieser Situation standen, dass die Kompensationskräfte auszugehen scheinen. Was dabei von was kommt und was Huhn und was Ei ist, habe ich noch nirgendwo bahnbrechend überzeugend dargestellt gefunden. Manchmal befürchte ich auch, die Suche nach der Lösung wird selbst zum Problem und zur Problemtrance.

Wenn ich zum Ergebnis komme, dass mir Dopamin-Detox wahnsinnig viel weiterhilft nach der harten Zeit, sage ich nochmal Bescheid und nominiere mich für den alternativen ADHS-Nobelpreis.

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Nein, das ist absolut typisch für ADHS. Wir ADHS-ler müssen immer was nebenher zu laufen haben, Ruhe halten wir ganz schlecht aus.

Ja, das tut nicht gut, eigentlich sollten wir uns Ruhe gönnen, aber das funktioniert ohne ADHS-Behandlung meist nicht.

Am Eindrucksvollsten war es für uns bei unserem damals 5-jährigen, heute 28-jährigen Sohn, als er zum allerersten Mal eine kleine Menge Ritalin bekam. Endlich konnte er mal am Tisch sitzen bleiben, uns verständig zuhören, malen oder ein Puzzle legen. Denn sonst war er ständig in Bewegung, von 7:00 bis 22:00, ohne Übertreibung. Meine Frau sagte damals, ich habe meinen lieben kleinen Jungen wieder. Wie schlimm das für ihn gewesen sein muss, pausenlos so aufgezogen zu sein.

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Hallo,

ganz herzlichen Dank für Eure ausführlichen Antworten, das hilft mir wirklich weiter. Es ist richtig toll, dass Ihr das so macht.

Tatsächlich habe ich gar nicht so dringend nach einer Diagnose gesucht, aber ich muss irgendetwas tun, sonst schaffe ich mein Leben so nicht mehr. Da ich an meiner Arbeit sehr hänge, möchte ich ungern deutlich weniger arbeiten, aber wenn sich nichts ändert läuft es darauf hinaus denn ich muss ja auch für meine Familie da sein. Aber ich möchte unbedingt weiter arbeiten und kämpfe dafür.

Viele Grüße

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Vielen Dank auch für den Videolink, das hat gut die Zusammenhänge erklärt.

Schwierige Phase. Ich kenne das auch, was Du beschrieben hast, mit dem Rückblick auf das Leben und „auf einmal scheint alles erklärbar“.

Ja, aber genauso kann man auch auf das Leben zurückblicken und sehen, was alles geklappt hat. Hängt von der Brille ab, die man aufsetzt.

Die sicherste ist wahrscheinlich, zwischen beiden Brillen regelmäßig zu wechseln, wenn das noch geht, damit man sich nicht verrennt.

Gutes Durchhalten.

Ja das ist ein Dilemma… wenn Du die Diagnose bekommst und die Medikamente nimmst, könnte vieles besser werden.

Aber man muss sehr aufpassen, grade auch in dem Alter, nicht seine Energien dank Medikation nur noch mehr herauszuhauen.

Nutze die Medikamente als Hilfe, alles klarer zu sehen. Aber mach trotzdem viele Pausen und versuche, die Reize zu reduzieren.

Eventuell kann es trotzdem sehr wichtig sein, eine Reduktion der Arbeitszeit zu überdenken.

Wie alt sind denn deine Kinder? Gehen sie schon zur Schule?

Sind sie evtl auch etwas auffällig, oder sehr verträumt?

Durch die Vererblichkeit von ADHS kommt oft mit dem Schuleintritt heraus, dass ein Kind oder mehrere auch ADHS haben und dann wird das für die Eltern und oft besonders für die Mutter der Supergau. In dem Fall, dass ein oder mehrere Kinder betroffen sind, würde ich dringend dazu raten, die Arbeitszeit rechtzeitig zu reduzieren.

OK, es kann vielleicht auch mit ADHS Kind klappen voll zu arbeiten… Es kommt natürlich sehr auf die Konstellation an.

Es kann sein, dass die Medikation sofort passt und allles andere auch glücklich passt.

Aber nimm es nicht als persönliches Versagen, wenn Du das nicht alles nebenher gewuppt bekomnst.

Die Kinder und oder man selber hat phasenweise ja auch Therapietermine zu den merkwürdigsten Zeiten… vielleicht muss man öfter mal in die Schule, um die Lehrer ins Boot zu bekommen…

Danke für die Antwort. Die Kinder sind 7 und 14 Jahre alt. Das ältere davon könnte evtl. betroffen sein, aber bei der Vorstellung in der Kinderpsychiatrie wegen Lernschwierigkeiten hat man das ausgeschlossen und jetzt läuft es ganz gut. Nur der Umgang ist schwierig und ich dachte, dass das an Temperament und Charakter hängt, bin aber nicht mehr so sicher.

Ich habe ja auch noch keine abschließende Diagnose, wir sind gerade dabei aber nachdem der Arzt das vermutet habe ich mich informiert und leider passt es eben.

Nun haben wir mit Ritalin adult 10 mg angefangen und es beruhigt mich, was ja erst mal für die Diagnose spräche. Nach der ersten Einnahme war die Wirkung super, ich war klar und ruhiger, einfach toll. Nach jetzt 3 Tagen ist das leider nicht mehr so deutlich, aber ich habe gerade auch irgendwie eine schlechte Phase.

Ich kämpfe sehr mit Unruhe und Hyperfokussierung (wusste vorher gar nicht, dass es das ist was mich immer wieder mal an ein Thema fesselt und mich nicht mehr los lässt, bis es eben vorbei ist, das ist extrem nervig für alle und unglaublich anstrengend für mich). Bis es nachlässt habe ich keine Chance mich wirklich länger zu entspannen (PMS funktioniert kurzzeitig recht gut) und dann ist es als wenn das Hirn durchbrennt. Hinterher bin ich mehrere Tage völlig erschöpft. All diese Dinge waren schon immer da, aber mir gar nicht bewusst, dachte das geht allen mal so. Sorry für die langen Texte.

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Also ich sehne mich nach Ruhe und wünsche mich manchmal in die Wüste. Mich nervt es langsam wahnsinnig, dass man scheinbar nirgendwo mehr wirkliche Ruhe finden kann.
Momentan pflege ich meine blinde Tante, die ununterbrochen Radio oder Hörbücher hort. Es macht mich langsam wahnsinnig, dass nicht mal in der Nacht absolute Stille in der Wohnung herrscht.

Momentan brauche ich um mich herum nur eine Geräuschkulisse, um die Nebengeräusche zu canceln. Aber wenn es möglich wäre, würde ich mir absolute Stille wünschen. (M)EIN TRAUM!

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Das, was du schreibst deckt sich 100% mit meinem eigenen Verhalten.
Das, was die beiden @Feuerreiter und @Falschparker dir antworten, bestätigt mir, dass ich hier richtig bin.
Vielen Dank für deinen Beitrag.

Geht mir auch so. Ich muss immer 2-3 Sachen gleichzeitig machen. Selbst beim Zähneputzen oder Duschen muss ich nebenbei etwas lesen / hören / ansehen.

Vielen Dank für Eure Antworten. Es macht es irgendwie besser, dass ich damit nicht alleine bin. Und ich höre oder sehe auch immer irgendetwas nebenbei beim Zähneputzen oder Baden oder Putzen oder oder oder……Von Zeit zu Zeit versuche ich es aktiv einzuschränken und das geht dann ein paar Tage recht gut und dann fängt es langsam wieder an bzw. die Unterdrückung erfordert zu viel Willen….

Jetzt weiß ich, warum mein Sohn permanent was vor der Nase hat.
Ich frage mich, soll ich ihn lassen oder versuchen zu unterbinden (was nur für sehr kurze Zeit klappt)

Ja deshalb gibt es ja auch im englischsprachigen Raum die Fidgeting Toys…

Es gibt eine riesige Auswahl online zu bestellen…

Dann muss man auch nicht unbedingt mit etwas herumfummeln, das evtl. auch noch Geräusche macht.

Es gibt sogar Gummi-Kettenanhänger zum drauf herumbeißen… und was weiß ich…

Bei Autisten nennt sich das auch „Stimming“… und dann man das auch anderen erklären.

Mein autistischer Sohn, kann auch besser zuhören, wenn er wegschaut und mit den Fingern an irgendwas herumspielt.

Hallo Flause,

herzlich willkommen im Forum. :slight_smile:

Ich kann das Buch „Digital Minimalism“ von Cal Newport empfehlen. Hier gibt er selbst (auf Englisch) eine Einführung dazu (das Buch gibt es auch in deutscher Übersetzung):

Das Besondere an seinem Ansatz ist, dass man erstens dafür sorgen muss, Ersatz für den Medienkonsum (vor allem Handy) zu finden, bevor man loslegt, so dass man nicht in ein Loch fällt. Und zweitens nennt er das Ganze bewusst nicht Detox, sondern Minimalismus, weil man gezielt reflektieren soll, wofür man Medien nutzen möchte - und das dann auch dauerhaft einführt, den überflüssigen Rest möglichst weglässt.

Vielleicht bist du einfach jemand, der Hintergrundrauschen braucht. Aber ich kann mir vorstellen, dass es auch da „gutes Rauschen“ und „schlechtes Rauschen“ gibt. Ich selbst kann zum Beispiel viel besser arbeiten mit Musik oder diffusen Hintergrundgeräuschen wie z.B. im Café (ohne direkte Tischnachbarn, die ein irre interessantes Gespräch führen), während mir Social Media oder permanent Podcasts anhaben nicht gut tut.

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