Suchend, hungrig, unruhig - obwohl ich eigentlich zufrieden sein könnte

Hallo zusammen,

Diese Woche war sehr schön. Mit meinen Mitarbeitern hatte ich gute Gespräche und sie sind voll motiviert und eigenständig. Dienstag und Mittwoch war ich mit einem Geschäftsfreund in Hamburg. Dort habe ich herzliche und kompetente Menschen kennen gelernt und wir haben über eine mögliche Kooperation gesprochen. Gestern Morgen hatte ich dann einen wichtigen Kundentermin, über den ich mich riesig gefreut habe: ich bin stolz auf meine Leistung, der Kunde ist zufrieden und finanziell war es sehr lohnend.
Wenn ich so unter Strom stehe, merke ich mein ADS fast gar nicht.

Aber gestern Nachmittag hatte ich ruhige Schreibtischzeit und Abends hatte ich sogar 2h Zuhause Ruhe weil meine Frau mit den Kindern bei der Musikschule war.
Statt zufrieden zu sein bin ich dann aber vollkommen unruhig. Ich suche ständig etwas zu Essen. Am Schreibtisch konnte ich nur die mögliche Kooperation weiter ausarbeiten, - Sachbearbeitung, Mails bearbeiten ist unmöglich.
Ich habe mir leckere Sachen vom Bäcker geholt, gesurft, …
Abends habe ich eine Whisky-Cola getrunken (habe ich mir ja verdient), Schokolade gegessen, …
Nichts konnte diese innere Unausgefülltheit füllen. Pünktlich den Abendbrottisch zu decken und die Küche aufzuräumen ging nur noch soeben mit Comedy von Badesalz auf den Ohren, was mich etwas abgelenkt hat.

Kennt ihr dieses ständige Suchen, hungrig sein und nichts kann den Hunger stillen?
Ist das ADS Unruhe oder hat das nichts mit ADS zu tun?

Ich habe gelesen, dass ADS-ler nicht gut Erfolge genießen können, weil die Trauer darüber, das der Thrill vorbei ist größer ist als die Freude über das Erreichte. Das kann ich gut nachvollziehen. Aber es ist echt doof.

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Glückwunsch von Herzen zu den schönen Erfolgen.

Jedenfalls kenne ich sie auch, und mit MPH ist es deutlich erträglicher. Nahrung ist auch nicht mehr die effizienteste Selbstmedikation.

Andererseits: Dass bei mir Nahrung in der unbehandelten Zeit recht effektiv „angeschlagen hat“, sehe ich aktuell auch nicht nur negativ. Andere haben das Glück nicht und greifen zu anderen Mitteln. Kokain zB wäre wohl sozialschädlicher gewesen, und das Gewicht lässt sich leichter in den Griff kriegen als man eine Nasenscheidewand rekonstruieren kann.

Wenn es bei einer Whisky-Cola und Schokolade bleibt, hast Du vielleicht auch solches Glück. Oder es ist sogar noch einfacher und Du brauchtest Energienachschub.

Und hey: Du hast sogar an der Kooperation weiter gearbeitet.

Siehe Erledigungsblockade: Ich rede nicht schön, wenn Sachbearbeitung und Mails liegenbleiben. Ich kenne die Folgen zu gut. Man kann mit dem Arsch wieder einreißen, was man mit schönen Kooperationen aufbaut. Und das wäre dann wieder bitter. Keine Frage.

Aber gerade scheinst Du mir Problemfässer aufzumachen, obwohl Du Dich eigentlich sanft feiern könntest für viele Schritte vorwärts. Denn dann wäre vielleicht morgen noch etwas mehr im Tank für Sachbearbeitung (oder deren Delegation). Aber das ist vielleicht auch ADHS… Wenn kein Problem da ist, lieber schnell eins finden. Transmittergewitter statt Sonnenschein.

Was mir zunehmend auch hilft, ist die schnöde Einsicht, dass etwas, das hochfährt, auch wieder runterkommt. Und in dem Fall ist es vielleicht das Nervensystem, das viele Energien mobilisiert hat. In Deiner Schilderung: über Tage und schon aus einer schwierigen Phase kommend.

Vielleicht war da sogar mehr Energie mobilisiert, als selbst in den anspruchsvollen Situationen gebraucht wurde.

Also gestern morgen riesige Freude - und dann haben wir ernsthaft die Erwartung, wie mit einem An-Aus-Schalter am Nachmittag wieder auf der Schnur balancieren zu können? Die Restenergie wegtuppern und einfrieren zu können, während wir den Tisch zu Zen-Ruhe decken?

Vielleicht hilft auch Dir das Bild der Wippe so wie mir, sofern im anderen Thread noch nicht gesehen:

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PS:

Was nach meiner aktuellen Erfahrung noch am nächsten an einen An-Aus-Schalter rankommt in Sachen Selbstregulation: der Vagus-Nerv mit praktischen Übungen, hier z.B. eine Sammlung: https://www.monkeyfit.de/vagusnerv-stimulieren

U.a. wird da empfohlen: Nahrungspausen. Wenn das System stark hochfährt, wird die Verdauung abgeschaltet.

„Nahrungspausen oder Kalorienreduktion wiederum sorgen dafür, dass wir ruhiger werden. Unser parasympathisches Nervensystem wird aktiver und unsere Herzfrequenzvariabilität steigt. Da wir gleichzeitig nichts zu verdauen brauchen, steht Energie für andere Prozesse – wie Denken oder Heilen – zur Verfügung.“

Daher nimmt man sich das Zeug vom Bäcker also vielleicht auch übel, weil es eben nur sehr kurzfristig die innere Lücke stopft und sich kurz darauf alles schlechter anfühlt als vorher, bedingt durch die Wippe.
Wenn das nicht so wäre oder ist, gibt es ja erst recht keinen Grund, sich den gestrigen Nachmittag nicht einfach „zu gönnen“…

Aber vielleicht gibt es eben aus dem Vagus-Repertoire Übungen, die in Zukunft viel effektiver - und ohne Kater - helfen, sich zu regulieren. Kann aber sein, dass ein Rückgriff auf bessere Regulationsansätze erst möglich wird, wenn die innere Unruhe mit Medikation auf ein Maß reduziert ist, das sich handeln lässt.

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Servus Bieber,

vieles von dem was du schilderst kommt mir sehr bekannt vor.

Bei beruflichen Aktivitäten war der Reiz nicht oder nur zum Teil durch das Geld begründet, dass dann später auf dem Konto eingeht. Vielmehr Herausforderungen, dass sich was bewegt, es voran geht, auch Risiken und Nervenkitzel dabei sind (funktioniert es, werden meine Bedingungen akzeptiert oder habe ich zu hoch gepokert), das Diskutieren, Argumentieren, Überzeugen etc.
Und das Ansehen welches einem entgegengebracht wird.

Der Höhepunkt ist dann meistens der Moment, an dem eine Zusage / Unterschrift, Abschluß etc. erfolgt.

Die administrative Arbeit danach, die Schreibarbeit, Dokumentation, Eingabe etc. etc. welche nach dem Abschluß immer erledigt werden muss und sogar das Schreiben der Rechnung ist lästig und nervt. Da ist keinerlei Reiz, also kein Lockmittel es zu tun, dabei. Den Reiz des Geldverdienens hat man im Kopf schon vorher ausgekostet. Da ist dann der Eingang nicht mehr so wichtig. Man weiß ja das man es verdient hat und es kommt.

Das mit dem Essen und dem Hunger kenne ich in dem Zusammenhang von mir und einem anderen ADHSler nicht.

Aber wenn man statt dem Essen einen anderen Reiz oder eine Ablenkung setzt, passt es wieder. Die administrative Arbeit nach dem Erfolg gibt keinen Reiz, ist lästig und unangenehm. Da macht man doch lieber was Angenehmes, am besten irgendwas mit einem Reiz drin. Und der kann Essen sein. Bei anderen ist dann halt Einkaufen, Spielen, Autofahren, Motorradfahren, Sex etc. etc.

F.

Hallo @Elementary ,

Vielen Dank für deine Antwort. Ich komme erst jetzt zum Antworten weil wir als Familie das Wochenende wirklich zum ausspannen genutzt haben u und ich auch noch so viel am Handy sein wollte.

Das Bild von der Waage ist wirklich hilfreich, danke. Nach vielen Jahren Kampf gegen Windmühlen war mir an dem Nachmittag ja auch schon klar, dass Sachbearbeitung unmöglich ist und ich bin auch stolz auf mich dann eben an der Kooperation gearbeitet zu haben.

Was die Erledigungsblockarden angeht: die alten unerledigten Dinge habe ich immer noch nicht angepackt. Aber es gibt gerade so viele neue und aktuelle Dinge die mich voll ausfüllen und wo ich auf einmal wieder mega produktiv bin. Es tut gut sich selbst auch wieder so zu erleben. Die Fokussierung auf die unerledigten Dinge, am besten mit dem Vorschlaghammer - Glaubenssatz „Erst die Pflicht dann das Vergnügen/ bevor die alten Dinge nicht aufgeräumt sind fängst du nichts neues an!“, kann sehr hinderlich sein. Ich hoffe das sich einige Punkte mit den verbesserten Selbstbewusstsein wieder en passant erledigen.

:joy: Den Spruch merke ich mir.

Das ich keine Drogen nehme und ich auch gut drei Wochen ohne Alkohol leben kann empfinde ich auch als Geschenk, manchmal wundert es mich auch. Vielen Dank für das Bewußt-machen. Mein Laster Essen wirkt als Beruhigung bei mir sehr zuverlässig, die 130 kg sind halt die Kehrseite.

Aber meine Hauptfrage ist wirklich ob dieses nicht zufrieden sein können, dieses immer weiter suchen müssen, dieser ständige innere Hunger etwas mit ADS zu tun hat?
Andererseits bin ich auch froh darüber. Als ich depressiv war hatte ich das fast gar nicht mehr. So fühle ich mich viel lebendiger.

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Hallo @Faultier

Ja, ich glaube du hast den Antrieb gut auf den Punkt gebracht:
Auf diesen Berufs Ethos bin ich auch ein wenig stolz und die Probleme mit der Abarbeitung haben ja auch viele.

Aber kennst du das nie wirklich zufrieden zu sein?