Topaktuelle Fan-Fiction Zeitschrift aus Seligenburg!

Paul starrte noch eine Weile auf die Anrufliste. Sie hatten anscheinend alle kurz nacheinander angerufen: Niklas, Rike, Leni - und dann noch eine unterdrückte Nummer. Wer das wohl gewesen war?

Müde und zugleich etwas panisch schüttelte er den Kopf. Er könnte nicht schon wieder spontan die Praxis schließen und zum Feuerlöschen nach Seligenburg fahren. Frau Meyerling würde dann sicher wieder kündigen. Und die Patienten…

Erst als er Lenis Textnachricht zu Ende las, beruhigte sich sein hochgefahrenes Alarmsystem.

Es geht wieder los.“ stand auch auf dem Foto, das sie ihm geschickt hatte. Ein Aushang am See, der die Seligenburger zum ersten Training des Jahres einlud: Vorbereitung auf den traditionellen Weihnachtsbraten-Verdauungslauf am 25.12. Wie immer gesponsort durch die Metzgerei Bratbecker. „Wintersportler werden im Sommer gemacht. Wir treffen uns ab jetzt wieder jeden zweiten Sonntag um 14 Uhr am Steg. Anfänger sind anfänglich willkommen.“ hieß es dort weiter, unerträglich munter.

Dazu hatte Leni geschrieben: „Weißt Du schon, ob Du Weihnachten wieder mit uns feierst? Noch 217 Tage! Soll ich uns vielleicht beide zu dem Lauf anmelden? Motivation für das Training mit Gustav, Effektstärke, usw.“ Dazu ein Herz-Emoji, die anatomische Variante, natürlich. :anatomical_heart:

Paul wollte noch darüber nachdenken. Aber wenn Leni schon (oder noch) Weihnachtsplanungen machte, würde die Welt in Seligenburg wohl doch nicht heute untergehen. Er konnte also den Rückruf wagen.

Der Reihe nach. Zuerst stand Niklas’ Nummer auf der Anrufliste.

„Hat Mama Dir gesagt, Du sollst mit mir reden?“ Niklas sparte sich Begrüßungsfloskeln, als er ranging.

„Hätte sie denn Grund dazu?“

„Nein, ich bin doch nicht der Patient hier. Sie ist wieder gegen einen Baum gefahren. Und dann hat sie…“

„Was? Ist sie verletzt? Wo ist sie jetzt?“ Hatte Paul sich getäuscht? War die Lage doch viel dramatischer?

„Halb so wild. Diesmal mit dem Auto. Nur die linke Hintertür ist im Arsch. Geht aber mit diesem Vollkasko. Naja, ich habe spontan die Känguru-Chroniken zitiert: ‚Es gibt zwei Dinge, die man vom Mond aus sehen kann:‘“

Paul beendete das Zitat: „… die chinesische Mauer und diese Eiche.“

Niklas war angemessen beeindruckt: „Genau! Jeden wahren Literaturliebhaber hätte das doch getröstet. Aber unsere Autorin fand es nicht witzig. Ich solle mal besser in ein Baumkunde-Buch gucken statt den ganzen Tag ‚mit dieser blöden KI zu spielen‘. Dann wäre ich empathischer und könnte auch eine Eiche von einer Linde unterscheiden, sagt sie. Sie ist total auf dem Anti-KI-Trip und behauptet, die hätten auch ihre Bücher als Trainingsdaten eingelesen.“

„Und nur weil Du dann ChatGPT ausgiebig nach Unterschieden zwischen Eiche und Linde befragt hast, liegt Deine Screentime heute schon wieder bei 7 Stunden und 13 Minuten? Mobil noch nicht eingerechnet?“

Niklas war kurz sprachlos und empörte sich dann: „Diese Ratte! Habt Ihr Spyware bei mir installiert? Das ist illegal!“

„Du bist gerade auf den ältesten Vernehmungstrick unseres Detektiv-Clubs reingefallen.“ entgegnete Paul.

„Jaja, 1952 hat angerufen und will seine Ermittlungsmethoden zurück. Jetzt ist es mir wieder eingefallen: Ich hatte Dich ja selbst vorhin angerufen. Wollte fragen, was ich mit dem MPH beachten muss, wenn ich Kira im August bei ihrem Schüleraustausch in Texas besuche.“

„Ich bin gerührt, dass man mich doch noch braucht. Das weiß Chat GPT also noch nicht?“

„Hast Du 'n Defekt? Ich gebe doch da nicht meine Krankheiten ein. Dann lassen sie mich gar nicht erst einreisen, weil Sam Altman die Daten an Donald weitergibt. Oder dieser Kennedy sperrt mich als Versuchsratte in sein Detox-Lager. Hast Du gelesen, dass Open AI im Moment nicht mehr löschen darf, was die Nutzer selbst löschen wollen? Egal. Wenn Mama so weitermacht, reicht unsere Kohle wahrscheinlich sowieso nicht für die Reise.“

„Wenn sie wie weitermacht?“

„Das ganze Gästezimmer hängt an den Wänden voll Packpapier mit Strichmännchen und Linien dazwischen. Wenn sie nicht die ganze Wolle zu Glückswürmchen gehäkelt hätte, würde sie wohl noch Fäden spannen. Sie plant da jetzt irgendein Roman-Großprojekt und will die Erfahrungen aus der Reha und aus ihrer ADHS-Online-Selbsthilfegruppe zu einem neurodiversen Zauberberg verarbeiten oder so.“

„Aber 100 Jahre Zauberberg war doch schon letztes Jahr - mit ungefähr 100 neuen Veröffentlichungen dazu?“

„Das kann doch einen Hyperfokus nicht erschüttern.“

„Ich rufe sie mal an. Und ich schick Dir ein paar Links wegen der Einreiseformalitäten. Man kommt leichter in die USA als auf die Schweizer Alm.“

Paul hatte eine Idee: „Für die Reisekasse findet der Detektiv-Club auch eine Lösung. Vielleicht brauche ich tatsächlich Hilfe bei einem KI-Projekt. Hoffentlich bist Du fit in Vibe Coding.“

„Wir bauen KI Agenten für den Detektiv-Club! Bin dabei!“ rief Niklas, bevor er auflegte.

Als nächstes musste Paul wohl Rike anrufen. Es geht tatsächlich wieder los, dachte er.

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