Unterschiedliche Wahrnehmung (Hyperfokus, Leistungsfähigkeit)

Hallo,

ich habe heute mit meinem Vater telefoniert und bin froh, dass er langsam etwas mehr Verständnis entwickelt und mir auch hilft, Lücken aus der Kindheit zu füllen (meine Mama ist leider gestorben, als ich 17 war). Aber mich verletzt etwas, dass er Dinge teils zu relativieren (?) versucht, also zB habe ich in meiner Hobby-Liste 3x das Hobby “Tanzen” stehen, weil es in 3 unterschiedlichen Lebensphasen und nur phasenweise sehr spannend für mich war und weil es ein Mal Karneval, ein Mal HipHop und ein Mal Ballett war und ich mich jeweils nur darauf fokussiert hatte (nur zum Spaß geht ja nicht - ich übertreibe da leider immer sehr und verliere das Interesse, sobald was nicht so gut klappt oder nicht nach Plan läuft usw.) Er meint jedoch, ich soll es nur ein Mal in die Liste schreiben, weil es ja normal ist, dass es sich immer mal ändert im Leben. Dazwischen lagen aber Jahre, und in der Zwischenzeit kamen immer andere phasenweise Hobbys … Nun bin ich unsicher, ob er da recht hat oder ob ich die Liste so lassen sollte, wie sie ist?

Was mir aber noch mehr zu schaffen macht: dass er nicht so recht sehen will, dass ich mich eher durch die Schule gemogelt habe (Spickzettel, Improvisation oder eben auf den letzten Drücker die wichtigsten Eckdaten von Freundin zusammenfassen lassen und dann nur das so gut es geht lernen und sofort nach dem Test wieder vergessen).

Das jüngste Beispiel:
Ich habe vor einem Jahr mein Abi in einer Fremdsprache gemacht, um mir hier im Land die Tür für ein evtl. Studium zu öffnen. Das ging nur ein Jahr und war quasi wie das Abi im Fach Deutsch, also nur ein Fach und zum Glück komplett online.

Meine Realität/“Strategie”:

  • im ersten Monat hochmotiviert, alle Texte gelesen, alle Aufgaben erledigt, auch wenn ich ewig dafür gebraucht habe (Perfektionismus & Probleme, zu entscheiden, welche Details nun wirklich relevant sind)
  • Die restlichen Monate: keinen Text mehr gelesen oder nur manche Texte teilweise; Zusammenfassungen online gesucht oder ChatGPT dafür genutzt. Um Fristverschiebungen gebeten und lauter Ausreden gesucht (Lügen). Auf den letzten Drücker oder erst nach der ohnehin schon verschobenen Frist abgegeben (teils unter Tränen erledigt, weil ich nicht sicher war, ob ich die Aufgaben richtig verstanden habe); kleine Flüchtigkeitsfehler und oft etwas am Thema vorbei geschrieben oder nicht auf den Punkt gekommen, teils bei Quiz-Aufgaben nur geraten oder die Antworten gegoogelt
  • Schriftliche Prüfung: alle Notizen aus dem Unterricht waren zugelassen, und man sollte einen Text über ein vorgegebenes Thema schreiben und verschiedene vorgegebene Quellen einbeziehen. Ich hatte sehr große Probleme, weil mehrere Leute in dem Raum waren, war extrem angespannt und habe die erste Stunde zwar irgendwie verschiedene Infos aus den Quellen zu einem Gerüst zusammengestellt, aber war dann erst mal wie gelähmt und kam ewig nicht weiter. Bin in letzter Minute noch fertig geworden, finde aber bis heute beim Lesen der Aufgabe, dass mein Text an sich zwar ganz gut, aber recht unstrukturiert und am Thema vorbei ist.
  • Mündliche Prüfung: erst 4-5 Tage vorher damit auseinandergesetzt, aber auch hier durften wir alles aus den Notizen benutzen. Daher habe ich mir ALLES mit den wichtigsten Eckdaten (ChatGPT) in einem bestimmten System notiert, hatte dann richtig großes Glück mit dem Thema (ernsthaft, das war das einzige über das ich tatsächlich ein bisschen was wusste). Ich habe die Fragen der Prüfer mehrfach missverstanden, aber sie haben mir sehr geholfen und das Gespräch in die gewünschte Richtung gelenkt.

Beide Prüfungen habe ich mit Bestnote bestanden und bin danach erst mal völlig zusammengebrochen, weil ich mich wie eine Betrügerin gefühlt habe und gleichzeitig wahnsinnig erleichtert war. Hinzu kommt aber, dass beide Prüfer wussten, dass ich die einzige Ausländerin in der Klasse war und mein Sprachniveau beeindruckend fanden (die Sprache habe ich durch Hyperfokus in Rekordzeit gelernt und bin darauf auch selbst stolz) - aber daher vielleicht auch nicht ganz so streng wie bei den anderen bewertet haben.

Mein Vater meint jedoch, dass ich es nicht so gut bestanden hätte, wenn all das stimmen würde mit meinem Verhalten, und dass da ja schon etwas mehr dazugehört. Geht es jemandem hier ähnlich, also dass ihr euch da einfach nicht gesehen fühlt? Habe ich evtl. nur eine verzerrte Wahrnehmung?

Edit: Ich mag noch dazu sagen, dass ich sehr gut schreiben kann und das schon immer etwas war, was ich wirklich unglaublich gerne mache (war auch über Jahre mein Job), aber wie ihr selbst seht, komme ich nur schwer auf den Punkt, und obendrein halte ich mich sehr an Details auf, formuliere oft Sätze noch mal um usw., daher ist das dennoch meist eine Hass-Liebe gewesen mit dem Schreiben).

1 „Gefällt mir“

Hm, vielleicht so ein Vater - Tochter - Ding
:adxs_gruebel:
Du wirfst, in seinen Augen, ein schlechtes Licht auf Dich und das gefällt ihm nicht, er sieht Dich makellos, mit allem, was du erreicht hast.

Wie es dazu gekommen ist, ist für ihn nicht relevant, nur so ein Gedanke.

Denn sonst würde/müsste er sich vielleicht Gedanken machen, was hat er übersehen, wo hätte er eingreifen müssen etc.pp

Ohje, wieviele gescheite Leute tummeln sich hier…

Nur der Weg dahin, der wird selten gesehen.

Dieses Paradebeispiel mit dem Termin am Nachmittag
:adxs_scary:
mit viel Glück, bin ich vielleicht sogar pünktlich, aber was es mich gekostet hat, sieht ja niemand
:adxs_white_flag:

Ich gucke ja gerade von der anderen Seite, als Mutter auf mein Kind und von dieser Warte aus, ist es wirklich schmerzhaft, mir Fehler einzugestehen, Sachen nicht bemerkt zu haben, nicht da gewesen zu sein…

4 „Gefällt mir“

Jein. [Und „nur“ ist gut. Das ist schon fast so schlimm, wie einfach.]
Hast du hier schon zu Beiträgen nach Imposter Syndrom gesucht? Ich lese zu einem guten Teil von dem was du über dein Abi schreibst als deine eigene Leistung (trotz Hilfsmitteln, die ja erlaubte Werkzeuge sind), aber ich verstehe, dass du haderst, das so anzuerkennen.
Ich tue mich auch immer schwer damit eigene Leistungen von mir auch mal zu würdigen. Ich muss mich regelrecht daran erinnern, dass ich gar nicht so dumm sein kann mit Abitur und einem Staatsexamen, halte mich aber trotzdem meist nicht für die hellste Kerze auf der Torte.
Meine Hausaufgaben habe ich oft um 5 Uhr morgens in Blitzeseile gemacht, habe alles ewig aufgeschoben um es im letzten Moment irgendwie notfallmäßig zu wuppen und bin 100 mal an meinem Perfektionismus verzweifelt bei Projekten/Hausarbeiten. Du siehst, du bist da nicht allein.
Und: andere Leute sehen immer nur das äußere Ergebnis, nicht den struggle den es kostet oder dein „mogeln“. Daher ist klar, dass dein Vater das anders sieht als du.

Ab und zu etwas Glück ist auch erlaubt, wenn du es dir selbst erlaubst (also einfach freuen, dass du mit dem Thema Glück hattest, kommt schneller noch mal anders, als dir lieb sein wird).

Laut Russell Barklay stimmt das, was ADHSler über sich selbst erzählen erst ab dem 30. Lebensjahr langsam mit dem überein was andere über sie sagen. Gibt es Freunde (oder andere Vertraute), denen du ein ehrliches Urteil über dich zutraust, was du annehmen kannst?

Beim Disput um das Tanzen würde ich deine Liste so lassen, wie sie ist. Es ist DEINE Empfindung und DEINE Liste. Da gibt es kein richtig oder falsch, sondern das was für dich zählt.

Das könntest du im Bullshit-Bingo-Thread posten (große Lese-Empfehlung, solltest du den noch nicht gefunden haben, das ist mein Lieblingsthread :grin:). Das ist klar relativierend, genau richtig erkannt.
Lass dich da nicht verunsichern, wenn du es so richtig findest. :grinning_face:

Ich habe für diesen Post jetzt sicher eine halbe Stunde gebraucht, um deinen und meinen Text noch zig mal zu lesen und meinen noch ewig oft zu ergänzen oder umzuschreiben. :sweat_smile:

Fühl ich!

3 „Gefällt mir“

Gänsefüsschen genau, sonst wecken wir Simplimus @Elementary

Imposter genau, da war doch was…
:adxs_zwinker:

1 „Gefällt mir“

Ja mein Respekt vor dem Emoji mit Keule ist groß. :grin:

2 „Gefällt mir“

Dein Leben.

Deine Liste.

2 „Gefällt mir“

Lass es so wie es ist , dass ist deine Realität und eine Tatsache. Du hast das Hobby Tanzen ja wegen der neuen Tanzform aufgenommen und das ist wie ein neues Hobby. Würde man bei einem Musikinstrument ja auch so sehen. Z.B. erst Geige, dann Schlagzeug, dann…. Etc…ppp

Mein Psychotherapeut der mich diagnostiziert hat war gar verwirrt das ich schon über dreißig Jahre ein und dem selben Verein zugehöre , dass passte so gar nicht ins Konzept der 1000 Hobbys….. aber die hatte ich ja trotzdem :sweat_smile:

5 „Gefällt mir“

Ist die Liste für irgendwas relevant?
Z. B. in einem Lebenslauf würde ich auch nicht 3x Tanzen bei den Hobbies aufführen.
Um deinem Vater einen Gefallen zu tun und trotzdem das zu unterscheiden kannst du in der Liste ja auch „Tanzen“ durch „Gardetanz“, „Hiphop“ und „Ballett“ ersetzen.

Musst du natürlich nicht, wie andere schon geschrieben haben, es ist deine Liste.

1 „Gefällt mir“

Mit reichlich Verspätung noch vielen Dank für eure Antworten :folded_hands:

Mein Vater macht sich mittlerweile tatsächlich ziemliche Vorwürfe, dass er in meiner Kindheit nicht mehr zu Hause war (er war viel arbeiten), auch wenn ich ihm gesagt habe, dass er sich nicht solche Gedanken machen soll. Mir ist auch beim gemeinsamen Ausfüllen des DIVA-Bogens mit ihm aufgefallen, dass er manche Dinge gar nicht mehr weiß, daher weiß ich nicht, inwieweit ich seinen Einschätzungen vertrauen kann, denn bei manchen Dingen sagt er zB, dass ich nicht auffälliger als andere Kinder war, wo mein Bruder aber das Gegenteil behauptet. Mein Vater kann sich zB auch nicht daran erinnern, dass ich als Kind viel auf dem Treppengeländer rumgeturnt bin, bis es irgendwann mal schief ging und ich danach ein Loch im Kopf hatte. Mein Bruder und ich wissen das noch (auch, dass unsere Mutter mir aus Schock direkt eine Ohrfeige gegeben hat, bevor sie den Arzt angerufen hat), aber mein Vater meint nicht, dass ich je so eine Verletzung hatte. Nun bin ich sehr unsicher, ob der Bogen überhaupt korrekt ausgefüllt ist, denn mein Vater bestätigt zwar, dass ich schon als Kind oft Interessen gewechselt und mich in Dinge reingesteigert habe und relativ „laut und immer voll dabei“ war, meint jedoch, dass das ja normal sei im Kindesalter, auch wenn im Kindergarten laut ihm mal darauf hingewiesen wurde, dass ich ADHS haben könnte - aber davon wollte meine Mutter nichts hören, daher wurde das nie untersucht.

Ja, vom Imposter-Syndrom habe ich gehört und denke, das könnte schon auch teils auf mich zutreffen, aber es gibt auch Fälle, wo mir zB vom Lehrer bestätigt wurde, dass ich etwas am Thema vorbeigeschrieben habe, aber der Text sehr gut war und ich daher eine gute Note bekommen habe. Ganz daneben liege ich daher glaube ich nicht mit meiner Wahrnehmung - und falls das stimmt, dass sich die eigene Wahrnehmung erst ab 30 langsam mit der Wahrnehmung des Umfelds deckt: Ich bin 35.

Termine: Ich bin oft pünktlich oder überpünktlich, aber ja, was es mich kostet … puha…

Auch ist es so, dass sich vieles gravierend geändert hat im Laufe der Zeit. Mein Vater und auch mein bester Freund würden mich als recht dominant, laut, Plappertante usw bezeichnen, und ich unterbreche da auch oft im Gespräch, weil ich nicht warten kann, bis ich dran bin. Das war, wenn ich mich recht erinnere, auch früher so, in meiner Kindheit - und zwar bei nahezu allen Personen. Da habe ich auch beim Spielen mit anderen Kids immer vorgegeben, was und wie gespielt wird, und hatte keine Probleme damit, neue Kontakte zu knüpfen, hatte. immer was zu plaudern usw. ABER: Nun ist es eher so, dass ich nur bei wenigen Personen so bin, also wenn ich mich sicher fühle, schätze ich. Bin ich mit Leuten zusammen, die ich nicht oder kaum kenne oder die ich sympathisch finde und daher Angst vor Ablehnung habe (möchte ja gerne dazugehören), dann bin ich „merkwürdig“. Ich erlebe mich dann als extrem still oder aber teile viele private Dinge viel zu schnell. Ich kann gar nicht mal genau sagen, wann ich mich wie verhalte. Aber ganz aktuelles Beispiel: Gestern wollte ich eine Bekannte in einer Bar auf Arbeit besuchen, habe mit ihr auch normal geredet. Dann kamen mehr Leute in die Bar und dann war ich dort weitere zwei Stunden eher schweigend, und habe auch nur leise und wenig geantwortet, wenn ich direkt angesprochen wurde. Ich kann dann von jetzt auf gleich extrem unsicher werden, weiß nicht, was ich sagen, wie ich sitzen/stehen und wie ich schauen soll etc. Und so war das definitiv nicht immer, das kam erst mit der Zeit und eher schleichend, meine ich. Meine Unsicherheit nehmen andere aber eher nicht wahr, sondern denken einfach, dass ich sehr ruhig sei. Und da ich Gespräche mit neuen Personen nicht immer aufrechterhalten kann und es dann teils zu Schweigen kommt, ziehen viele dann weiter, was mir natürlich das Gefühl gibt, zu langweilig oder unangenehm zu sein. Ich habe auch irgendwie nicht wirklich Freunde, also im Sinne von Menschen, die ich regelmäßig sehe oder mit denen ich regelmäßig Kontakt habe. Auch mit meinem besten Freund ist es so, dass wir zwar über alles reden können, aber nur alle paar Monate mal telefonieren und gelegentlich schreiben (treffen ist hier schwierig, weil ich im Ausland wohne). Und ich glaube, dass viele Menschen mich als zu viel empfinden, weil ich teils zu oversharing neige, oft die Themen wechsele, vergesse, nach meinem Gegenüber zu fragen, manches sicherlich übertrieben formuliere und eben recht intensiv fühle und mich auch extrem an Themen aufhängen kann (die Menschen, mit denen ich über meine Trennung gesprochen habe, wollen dazu schon gar nichts mehr hören, weil ich so viel analysiere und über das Verhalten meines Partners nachdenke, statt mich auf mich und meine Zukunft zu konzentrieren und die Dinge nun einfach so zu akzeptieren, wie sie sind).
Aber es schwankt eben immer zwischen den beiden Extremen: entweder bin ich total ruhig und beobachte viel und reagiere zwar auf Nachfragen oder lache, wenn etwas lustiges gesagt wird, aber bringe mich nicht wirklich in Gespräche ein - oder aber das krasse Gegenteil. Es gibt nicht wirklich was dazwischen bei mir.

Was mir auch aufgefallen ist, sich aber tatsächlich auch mit der Wahrnehmung anderer deckt: Ich habe Phasen, wo ich extrem aktiv auf social media bin und mich auch sehr aktiv bei Menschen melde und zügig auf Nachrichten reagiere. Und dann habe ich Phasen, wo ich monatelang kein social media nutze oder es nur nutze, um ein bisschen zu scrollen, und wo auch wirklich niemand (außer mein Vater oder manchmal noch eine andere Person) was von mir hört/liest. Oft kommen dann auch mal Nachrichten, dass ich mich bitte melden soll, weil sich jemand Sorgen macht, und dann kann ich teils erst recht nicht reagieren, weil mich das irgendwie stresst. Geht es euch auch manchmal so..?

Den Bullshit-Bingo-Thread muss ich mal suchen, das klingt großartig :grinning_face_with_smiling_eyes:

Die Liste ist nicht wirklich super wichtig, ich habe sie eher aus Neugier angelegt und damit ich Beispiele für die Diagnostik habe, weil ich eben Angst habe, dass man mir nicht glaubt (Anfang Juli habe ich den Termin beim Psychiater). Ich sehe und empfinde es so, wie Nelumba_Nucifera es schreibt: Ist ja wirklich wie mit Musikinstrumenten, daher stufe ich es auch als verschiedene Hobbys ein, denn als ich zB mit Ballett angefangen habe, wollte ich mit HipHop rein gar nichts mehr zu tun haben, sondern professionelle Balletttänzerin werden usw. :see_no_evil_monkey:

1 „Gefällt mir“