Vater eines 12-jährigen sucht Infos

Hallo Peter, ich kann deine Verzweiflung gut verstehen. Unbekanntes kann einen manchmal ganz schön machtlos fühlen lassen. Aber vllt hilft dir meine Perspektive, davon ausgehend, dass er neurodivergent ist:

Ich wurde erst mit 40 diagnostiziert, mein Sohn mit 20. Ich „kenne“ also quasi die Zukunft, wenn dein Sohn ohne Diagnose weiter so tut, als wäre er neurotypisch (also als hätte er zb. kein ADHS).
Er entwickelt immer mehr Maskierungsstrategien und weiß irgendwann nicht mehr, ob er selbst gewisse Dinge fühlt oder ob es die Gefühle seines neurotypischen Avatars sind. Ständige Paralysen, Burnout, Selbstzweifel, weil man sich selbst gaslighted, Depressionen etc. Denn wenn man nicht weiß, dass das eigene Gehirn anders funktioniert als das der anderen, tut man so, als wäre man wie die anderen…Das kann natürlich nicht funktionieren.
Was auch immer der „Mainstream“ für Vorurteile haben mag, es ändert nichts an der Tatsache, dass man neurodiverse ist. Genauso wenig wie es etwas daran ändern würde, wenn man nicht laufen kann. Es zu verstecken hilft nicht, damit umzugehen und zu akzeptieren und zu lieben, wer man ist. Wie in meinem Beispiel mit dem Laufen. Wenn man nie geübt hat, mit anderen Fortbewegungsmitteln von A nach B zu kommen, wird es mit 40 viel schwieriger sein.

Ein ADHS Hirn ist strukturell, funktionell und neurochemisch anders, im Vergleich zum neueotypischen Hirn. Zu verstehen, was für tolle Aspekte es auch hat und auch welche Schwierigkeiten man in bestimmten Situationen haben kann und zu entdecken, wie man dennoch zb Prioritäten setzen kann, oder unliebsame Dinge schafft zu erledigen, ist elementar in meinen Augen.
Man ist, wer man ist. Ein Buchstabenfoge auf einem Zettel ändert nichts an seinem, sehr sicher, tollen Wesen. Aber wenn ihr alle wisst, wie sein Hirn funktioniert, könnt ihr seine Umgebung entsprechend gestalten, statt es zu kaschieren. Ich glaube so kannst du dich sicher auch wieder machtvoller fühlen, denn in meinen Augen lähmt nur die Ungewissheit. Es gibt so viele erfolgreiche ADHS‘ler und wenn man sich mehr in dieser Bubble aufhält, merkt man nicht mehr, dass es auch die Quatscher gibt :slight_smile:

Es gibt ADHS Verbände wo du Kinderärzte findest, die Diagnosen erstellen. Ich empfehle, die Bewertungen zu lesen, vllt findet man Hinweise darauf, dass die Praxis von neurodivergenten Ärzten geführt wird. Ich für meinen Teil finde es befremdlich, mit neurotypischen Therapeuten über ADHS zu sprechen. Und für mich ist die Wahrscheinlichkeit einer Fehldiagnose geringer. Aber das ist meine sehr persönliche Meinung und ist sicher streitbar.

Ergo-Therapie kann ich zu 100% empfehlen. Gerade wenn er noch jung ist.

Liebe Grüße und euch viel Erfolg

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Ihr lieben Menschen alle,

ich möchte mich erstmal für all Eure Antworten bedanken und mich entschuldigen, dass ich mich noch nicht früher zurückgemeldet habe. In meinem Kopf rattert es praktisch unaufhörlich Tag und Nacht. Ich habe nun so viele Dinge über die Krankheit erfahren, die mir vorher überhaupt nicht bewusst waren und das muss ich erstmal alles verarbeiten.

Vieles davon hilft mir, das alles besser zu verstehen, einiges macht aber auch Angst. Obwohl es so naheliegend ist, habe ich mir zum Beispiel erst jetzt bewusst gemacht, dass ADHS keine „punktgenaue“ Erkrankung zu sein scheint, sondern eher einem Spektrum der Neurodiversität angehört. Und Tagträumereien, Konzentrationsschwäche und leichte Ablenkbarkeit können selbst dann zu diesem Spektrum zählen, wenn weitere Symptome wie Wutausbrüche oder Hyperaktivität fehlen. Ohne diese Erkenntnis ist man (wie auch ich) leicht geneigt, die Auffälligkeiten anders zu deuten, schlimmstenfalls so, dass das Ganze sich mit etwas „Anstrengung“ schon „rauswachsen“ wird.

Inzwischen glaube ich, dass die Vorteile einer sorgfältigen Abklärung selbst dann überwiegen, wenn die Diagnose „positiv“ ausfällt. Besonders denke ich, dass er andernfalls „ungebremst“ in weitere Probleme rennt, wenn erstmal die Pubertät in vollem Gange ist.

Was mir nach wie vor Kopfzerbrechen bereitet, ist der Hinweis von vielen hier, dass nach Eurer Erfahrung mehr oder weniger ausnahmslos auch mindestens ein Elternteil betroffen sein dürfte. Da denke ich momentan viel drüber nach. Bei meiner Frau würde ich das gefühlsmäßig und tendenziell eher ausschließen, weiß es aber natürlich nicht genau und wir werden da sicherlich in Kürze mal drüber sprechen. Anders sieht es da vielleicht schon bei mir selbst aus. Da sehe ich einige Dinge in meiner Biographie, die in die Richtung deuten könnten. Andererseits suche ich in meiner Erinnerung nun tendenziell nach Anhaltspunkten, die FÜR die Erkrankung sprechen, als dass ich diese insgesamt analysiere. Das ist mir klar geworden, nur weiß ich nicht, wie ich das testen lassen soll, bzw. ob mir das überhaupt etwas bringen würde. Ich bin 52 und habe einen akademischen Weg eingeschlagen. Ein Großteil dieses Weges war - beginnend mit der frühen Schulzeit - von einem schwachen Selbstbewusstsein geprägt. Ein richtig guter Schüler war ich nie, aber auch keine Katastrophe. Immer so mittelmäßig und die Lehrer meinten ständig, ich stünde mir selbst im Weg und könnte viel mehr liefern, wenn ich nur wollte und dass ich mich da mehr anstrengen müsse. Die 10. Klasse musste ich dann wiederholen, wobei danach alles deutlich besser lief.

Ich wollte einen Selbsttest machen, doch scheine ich entweder noch nicht die richtigen gefunden zu haben, oder der Test wird nicht funktionieren. Die standardisierten Verfahren beleuchten insbesondere das Alter zwischen 6 und 10 Jahren und fragen danach, ob und welche Auffälligkeiten es da gab. Diese Fragen kann ich nicht beantworten, weil ich da praktisch keine zuverlässigen Erinnerungen habe. Ich werde mich also mal schlau machen, ob es brauchbare Testverfahren auch für Erwachsene gibt, die an die maßgebliche Zeit im Kindesalter keine Erinnerung haben. Wobei das natürlich auch daran liegen kann, dass damals Auffälligkeiten nicht thematisiert wurden, weil sie nicht vorlagen.

Nun ja, jetzt will ich mich erstmal um einen Termin bei einer Ärztin für unseren Sohn kümmern. Danke nochmal an Euch alle und habt eine angenehme Woche.

Herzliche Grüße

Peter

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Hallo @PeterS

Schön, dass dir unsere Inputs geholfen haben! Den Test für Erwachsene findest du hier:

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Hi @PeterS

Schön, dass Du Dich nochmal gemeldet hast :adxs_friends:

Du hast ja auch einen Haufen Informationen bekommen. Lass das ruhig erst mal sacken. Wenn Du noch Fragen hast oder unsicher bist, dann frage ruhig hier!

Ja, ADHS hat eine genetische Komponente und fällt meist nicht vom Himmel.
Ich glaube, ihr seid gerade am Anfang einer längeren, aber durchaus auch interessanten Familien-Reise. :adxs_zwinker:

Hier sind einige, die ihre Diagnose in Deinem Alter oder noch älter bekommen haben - ich war 51 und bin erst in die Diagnostik, als mir die Probleme über den Kopf wuchsen. Rückblickend hätte ich es viel eher machen sollen - und mir evl. einige Probleme der letzten Jahre ersparen können.

Termine für die Erwachsenendiagnostik sind zudem Mangelware. Noch schlimmer als bei Kindern. Wenn man endlich jemanden gefunden hat, dann wartet man noch sehr viele Monate auf den Termin. Oder man zahlt selbst. Aber auch da werfen sie einem die Termine nicht hinterher.

Was die Symptome in der Kindheit angeht, schau ruhig mal in Deine Zeugnisse. Die Noten sind unwichtig - die Texte sind meist interessant. Falls du das ADHS=Schulversager-Bild im Kopf hast, schmeiß es raus. Auch Akademiker können ADHS haben.

Das zu lesen, tut mir schon fast körperlich weh. Steht nämlich auch in meinen Zeugnissen. :adxs_jamma:
Habe es lange genug selbst geglaubt. Heute weiß ich es besser und sehe meine Schul- und Studienzeit mit anderen Augen, bin viel nachsichtiger mit mir selbst. Schon dafür hat sich die Diagnostik gelohnt.

Genau. Einen Schritt nach dem anderen.

Ich wünsche Euch viel Erfolg und kompetente DiagnostikerInnen! :four_leaf_clover:

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