Vor der Diagnose: Welche Besonderheiten/ Strategien/Erklärungen habt ihr entwickelt?

Hallo ihr Lieben!

Ich gehöre ja mit 42 zu den Spätdiagnostizierten.

Da frage ich mich schon, wie ich bisher doch verhältnismäßig gut durch‘s Leben gekommen bin und versuche Verhaltensweisen und auch Erklärungen, die ich so entwickelt habe, einzuordnen.

Ich fände einen Austausch sehr spannend. :smiling_face:

Spontan ist mir vorhin eingefallen, dass ich früh angefangen habe, Dinge SOFORT zu erledigen. Rechnungen bezahlen, Briefe beantworten usw. Das ist natürlich nicht immer richtig praktisch und hat auch eine Menge Stress erzeugt. Getrieben wurde es immer von der Angst, es zu vergessen, am Ende nicht genug Zeit zu haben usw. Habe aber den Grund für diese Ängste nicht verstanden.

Klappt dies mal nicht, geistern gefühlt 100 Mini-Dinge in meinem Kopf rum und nerven. Schreibe ich sie auf, ist es deutlich weniger und umfangreicher, als die gefühlte Belastung. Also absoluter To Do Listen Junkie.

Andere Dinge, die nicht terminiert sind, schiebe ich vor mir her, bis es gefühlt der richtige Zeitpunkt ist. Dann klappt es auch. Aber außerhalb dieses Fensters no Chance. Das habe ich jetzt so akzeptiert.
Meine Mutter, mit der ich mir Haus und Garten teile, habe ich gebeten, mir die Dinge, die ich erledigen soll, aufzuschreiben. Dann kann ich diese nach meinem Gusto erledigen, vergesse sie aber nicht. Jetzt gleich und Fremdbestimmung ist nämlich ein echt rotes Tuch. Gleiches sage ich auch meinen Kindern.

Meine konsequente Abwesenheit aller Nichtpflicht-Veranstaltungen an der Uni habe ich mir durch meinen Nebenjob erklärt.

Meine fehlende Energie versucht durch Literatur zum Thema anzugehen. Soll heißen, schon mit Anfang/Mitte 20 habe ich Bücher zum Thema Entspannung, Ernährung und Erschöpfung gelesen. Das kam dann als Selbstoptimierung rüber. Genau wie mein Faible für Ordnungssysteme aller Art. Habe ich bei Pinterest eine ganze Kategorie.

Im Studium bin ich häufig über Büchern eingeschlafen. Tageslichtlampe. Oder einfach die Zusammenfassung besorgt. Lesen hätte ich vieles einfach nicht können. Ging nicht. Habe ich nicht verstanden.

Ich bin gespannt, was ihr berichtet.

Viele Grüße
Mareeza

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Wow, da bist du aber wirklich sehr gut aufgestellt. Ich (47) fühle das sehr nach, was du beschreibst, aber mir ist es mein Leben lang bisher nicht gelungen, es so wie du umzusetzen, obwohl ich es mir immer wieder vorgenommen habe (und Ratgeber habe ich gelesen, die zwei komplette Billy Regale ausfüllen jetzt) Und das hat meinem Selbstwert sehr geschadet. Darf ich fragen, ob deine Eltern dir in der Kindheit viel Struktur gegeben haben? Oder hast du das alles aus dir selbst heraus entwickelt? Ich finde das sehr, sehr interessant zu erfahren, wie es anderen Betroffenen ergangen ist und ergeht.

Wie war deine Schulzeit?

Und hat deine Mutterrolle irgendwas verändert, verschlimmert, oder bekommst du die notwendige Struktur gut hin?

Hast du deiner Mutter von der Diagnose erzählt? War sie offen für die Fremdanamnese?

Liebe Grüße

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Liebe Anni,

Ich war bis zur weiterführenden Schule täglich bei meinen Großeltern. Da gab es sehr viel Struktur. Und ich wollte meine Hausaufgaben immer hinter mich bringen.
Ich musste recht wenig lernen- und wenn doch, z.B. Französisch, bin ich langsam von 1 auf 5. Habe einfach nicht gelernt. Mathematisch bin ich nicht gut aufgestellt. Das ging einfach meist nicht in meinen Kopf. Gut, dass man das damals nur belegen musste, keine Prüfung schreiben.
Laberfächer waren mein Ding. :ok_hand:

Erst war es super- also mit Kind 1. Das habe ich sehr genossen. Aber Geduld war da nicht direkt meine Stärke.
Kind 2, Schreikind, hat mich Ultra an meine Grenzen gebracht. Und dieses Chaos. Das überträgt sich direkt auf mich. Und eben an Sachen danken. Da mein Mann noch viel schlimmer war, bin ich da schnell in der Überkompensation gelandet. Immer ein Kampf.
Ab Kind 3 hatte ich eine Haushaltshilfe. Inklusive Wäsche.
Und dann jahrelange Erschöpfung. Viele Selbstzweifel. Viel Widerwillen. Viel Unverständnis.

Ja, sie war da offen. Ist auch echt selbst eher im Spektrum. Natürlich gab es auch so Sätze wie „Sei doch nicht so faul!“. „Sei doch nicht so huschihuschi!“ oder „Langsam, sei doch nicht so hektisch.“ :see_no_evil:

Liebe Grüße

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Hallo .

Ich bin 63 und habe die Verdachtsdiagnose ADHS.
Nach einem Selbstversuch, der sehr erfolgreich war, wurde mir Ritalin 10 mg in 6x verschrieben.
Damit geht es mir schon gewaltig besser.

Habe soeben einen Test machen dürfen und melde mich wenn alles geklärt ist gerne hier um meine Kompensationsmechanismen darzustellen.

Auf bald

elmoro

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Moin @Mareeza

Ich hatte vor meiner Diagnose massiv mit Sport kompensiert um irgendwie ansatzweise zu funktionieren.

Immer mehr, immer schneller, immer riskanter…

Hauptsache Dopamin!

Gut, das wusste ich damals natürlich noch nicht.

Jedoch war das im Endeffekt das wesentliche was mein Leben bestimmte…
Das und dass ich eben bestimmte Dinge immer an exakt dem gleichen Platz aufbewahrt habe (und es immer noch mache!).

Der Geldbeutel muss bspw immer in der rechten, oberen Tasche der Hose sein, gemeinsam mit dem Hausschlüssel.
Der Autoschlüssel mit Handy gespiegelt auf der linken Seite.

Und wehe irgendwas ist nicht exakt an seinem Platz!

Da bin ich in Sekundenbruchteilen ein nervliches Wrack bis ich weiß wo alles ist…

Also mit anderen Worten: jede Menge Struktur hat mir schon sehr früh geholfen und hilft mir auch jetzt noch ungemein :wink:

Btw…

Interessanterweise habe ich es erst NACH meiner Diagnose auf die Kette bekommen einen Kalender zu führen :innocent:

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@ZappelPhilipp :sweat_smile: Kenne ich. Chaos/Suchen macht mich Gaga.
Auf der anderen Seite suche ich immer nach einem „noch besseren“ System. Alle paar Monate muss meine Küche dran glauben. Damit ich es einfacher habe.

Und ich fange oft Dinge als Vorbereitung an, auf die ich keinen Bock habe. Kochen zum Beispiel. Nach der Arbeit, wenn ich eh in der Küche aufräume, schnippel ich schon vor und so. Das soll mich davor bewahren a. In Hektik zu geraten und b. Nicht zu kochen, weil kein Bock/keine Zeit.
:face_with_peeking_eye:

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Interessant…
Ich habe bspw in der Klinik am Abend mir die Klamotten für den nächsten Morgen bereits rausgelegt und griffbereit zusammengerollt damit ich die morgens im Dunkeln einfach nur greifen musste beim Weg zum Duschen.
Licht am frühen Morgen ist einfach nur grausam :wink:

Merke übrigens Grade wie ich da wieder zu neige. Einfach um es morgens vermutlich einfacher zu haben :thinking:

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@ZappelPhilipp
Das mache ich auch. Morgens bin ich einfach besonders „dumm“. Ich stelle sogar die Tasse unter die senseo und lege einen Pad ein. Man sollte nicht unterschätzen, was sonst alles schief gehen kann. :joy:
Auch wenn ich mal keine Lust habe, zwinge ich mich am Abend zu bestimmten Dingen. Sonst komme ich nicht in den Tag. Ich brauche trotzdem lange. Schon immer. Bloß keinen Stress. :nerd_face:

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Hallo ihr, ich erkenne einige der Kompensationsstrategien wieder: Morgens brauche ich meine exakte Routine, sonst läuft bei mir alles durcheinander. Die Strategie, alles an seinem Platz zu haben, kenne ich auch. Auf Arbeit stehen auf meinem Schreibtisch nur Laptop und Kaffeetasse. Das Handy ist bewusst im Flugmodus, sobald ich auf Arbeit bin, dami es mich nicht mehr ablenkt. Wenn ich konzentriert Papierkram mache, ist die Bürotür zu. Privat meide ich inzwischen Gruppen mit mehr als 2 Personen, alles andere erschöpft mich. Im Zug trage ich Kopfhörer, teilweise ohne Musik, einfach nur um die vielen Geräusche leiser wahrzunehmen. Alles mache ich so automatisch, das es mir schon gar nicht mehr als Kompensationsstrategie bewusst ist. Erst seit ich hier lese.

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Hallo Zäme.

Wie versprochen die Rückmeldung.

Die Psycho-Diagnostik ergab eine:
gemischte Form von Erwachsenen ADHS.
Ritalin 7 x 10 mg. (alle 2 h)

Es geht aufwärts… :slight_smile:

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10 mg unretardiert? Das ist aber viel!

Verträgst du das?

Hallo @Justine

Ja, ich habe bisher keine Symptome von Nebenwirkungen.

Ohne geht es mir sehr viel und deutlich schlechter.
Und ich glaube, das ADHS ist ein Auslöser für depressive Episoden.

Die Vermutung ist da weil ich wenn ich die Einnahme vergesse, und dann ein Rebound kommt,
mich das mega stresst und eben die Depression auslöst.

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Heute habe ich ja nun endlich meinen Diagnose-Termin.
Bin doch leicht nervös. Habe meine Grundschulzeugnisse eingepackt. Brauche ich sonst noch was?
Eigentlich sollte es doch reichen, wenn ich denen aus meinem Leben erzähle.

Groß überlegt habe ich mir da nichts, mein „Fundus“ an schrägen Vorkommnissen ist so reichlich, das ich da nicht viel nachdenken muss, bis mir was einfällt (GottseiDank sind die Leute wie mich gewöhnt, sonst liegt der nach `ner halben Stunde schreiend unter´m Tisch. :wink: )

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Hat ja super geklappt. Also nach meinen Erzählungen und den Zeugnissen war sich der Arzt sicher, dass es ADS ist, aber die Fragebögen geben das halt nicht her, weil mir sämtliche Punkte bei der Hyperaktivität fehlen und ich halt einiges durch Hyperfokus ausgleichen kann. Einen Test nur für ADS gibt es wohl nicht. So liege ich knapp unter der für ein Attest benötigten Punktzahl.

Ich soll jetzt die Fragebögen nochmal von meiner Frau und den von meiner Kindheit (was weiß denn ich noch, wie ich mit 8-10 war? Ich bin jetzt 52 und weiß nicht mal, was ich vor 2 Wochen gemacht habe…) von meiner Mutter ausfüllen lassen. Eventuell habe ich mich ja zu positiv dargestellt…

Ob ich nochmal mein Attest bekomme, der mir den Zugang zur Therapie und den Medikamenten ermöglicht? Immerhin habe ich auf diesen Termin schon fast 2 Jahre gewartet gehabt.

Der nächste ist dann immerhin schon am 19. Dezember. Die „never ending Story“ geht also weiter…

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Ich bin ja bisher nicht diagnostiziert und stehe noch auf der Warteliste für eine ADHS Ambulanz. Daher nur mit dem Verdacht ADHS:

  • Um z. B. Klassenarbeiten korrigieren zu können, räume ich den Schreibtisch vollständig leer, packe exakt das drauf, was ich benötige und setze Kopfhörer mit braunem Rauschen auf.

  • Wenn die Umgebungsgeräusche zu heftig auf mich wirken, hilft ebenfalls braunes Rauschen.

  • Um im Haushalt nicht plötzlich einen Raum kernzusanieren statt kurz über die Oberflächen zu wischen, habe ich ein 3min-System: Ich stelle mir einen Wecker auf 3 Minuten und rase durch die Küche, um so viel zu erledigen wie möglich. Der Unterschied vorher/nachher soll maximal sichtbar sein. Anschließend habe ich dasselbe im Kinderzimmer, danach im Wohnzimmer usw. Je nachdem wie lange meine Energie und Motivation reicht, rotiere ich nur durch die halbe Wohnung oder mehrmals durch die ganze.

  • Plastik-Checklisten am Haustürschlüssel und Schulschlüssel für das, was immer wieder wichtig ist.


  • Vorsorgliche Offenheit direkt beim Kennenlernen: „Drück mir niemals Originalzeugnisse oder Fahrkarten in die Hand. Sie verschwinden.“ Nach kurzem Schmunzeln ist dann wenige Tage (spätestens Wochen) später klar, dass ich das sehr ernst meine :grin:

  • Statt meine Probleme zu verstecken, spreche ich sie (mittlerweile) offensiv an und entschuldige mich dabei jedoch auch ab und an für Dinge, von denen ich zunächst glaube, sie wären meine Schuld (obwohl sich dann später das Gegenteil herausstellt). Ich bin da einfach so vorgeschädigt, dass ich bei Problemen reflexhaft glaube, es könne nur an mir gelegen haben… :woozy_face:

  • Ich schlafe fast immer mit meinem Sohn gegen 20:30 ein und bleibe dann auch einfach bis morgens gegen 7:00 im Bett. Seitdem geht es mir sehr viel besser! (Ich vergesse immer noch viel und bin schlecht organisiert, aber ich fühle mich wenigstens fit und energiereich dabei :face_with_hand_over_mouth:.)

In meiner Schulzeit waren meine Copingstrategien noch sehr unausgereift. Wenn es mir in der Klasse zu laut wurde, bin ich völlig fertig in Tränen ausgebrochen, genauso bei jeder schlechteren Note. Ich habe gegenüber meinen Eltern und Lehrern, zum Teil auch Freunden, sehr gelogen, um meine Verfehlungen zu kaschieren. Manche Dinge ließen sich dann schlecht leugnen oder verbergen… Das an der Schule vergessene Auto mit 18 Jahren mussten wir dann als Familienausflug abholen :wink:

Ansonsten war ich lange super unselbständig und meine Mutter hat sehr viel übernommen. Ich glaube, sie hat mir mit 15 noch die Klamotten rausgelegt, mich genötigt, die Tasche zu packen, meinen Tag strukturiert usw. Umso heftiger war das Umlernen im Studium.

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Oh nein! Wie doof ist das denn! :worried:

Abwarten.
Er hat mir die Fragebögen noch mal für meine Frau und meine Mutter mitgegeben. Da meine Frau nur meine chaotische Haushaltsführung kennt, wird ihr Urteil um einiges schlechter (und damit im Sinne einer positiven Diagnose für mich besser) ausfallen.

Ich hab ja die Beurteilung auch nach meinem Arbeitsleben gemacht, wo ich deutlich weniger Schwierigkeiten habe. Und anscheinend ist es für den Test nur wichtig, wieviele Kreuze man in der ganz rechten Spalte setzt. Wo die anderen sind scheint völlig egal zu sein, selbst wenn man 20x nur „oft“ anstatt „sehr oft“ angekreuzt hat.

Wie Geil ist das denn?
Sowas kannte ich bisher noch nicht. Wo gibt es denn das?
Ich habe nur ein Zettel innen an der Wohnungstür.

Wenn du bei Amazon „Todoliste Schlüsselanhänger“ suchst, müsstest du fündig werden (weiß nicht, wie unbeliebt hier konkrete Links sind). Kommt dann leider den langen Weg aus China.

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Bei diesen Abhaklisten habe ich manchmal das Problem, wenn ich davon nur eine Sache erledigen muss dass mir dann die anderen Punkte im ersten Moment trotzdem eine große ToDo Liste suggerieren und wenn ich dann nur eine Sache mache, obwohl ich ja auch nur eine Sache machen musste, dass ich dann denke ich habe gar nicht alles gemacht, also es kommt mir dann wie ganz viel unerledigtes vor. Ich kann dass dann im ersten Moment nicht filtern, dass es nur eine Sache ist und dann kann mich sowas manchmal schon blockieren.

Habe ich auch wenn ich mir einfach nur meine erledigten ToDos notiere und meinetwegen es waren „nur“ drei Sachen am Tag je drei Stunden. Dann denke ich, ich habe einfach nur drei Dinge getan, weil der Rest vom Blatt ja noch leer ist und ich an dem Tag „faul“ war.

Würde ich jetzt von einer ½h Wäsche falten jedes einzelne Wäschestück als erledigtes ToDo notieren, wäre mein Blatt voll und ich würde denken, ich war ganz fleißig.

Ich muß mich einfach immer wieder daran erinnern alles in Zeitblöcken zu notieren, damit ich einen Bezug bekomme zu der Dauer der Tätigkeit. Ich kann aus einzelnen Wörtern das nie richtig erfassen.

…ich hoffe ich habe das „Dilemma“ verständlich ausgedrückt. :sweat_smile:

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