Wann ist Verhaltenstherapie bei ADHS, ASS oder Tourette, einer Körperverletzung gleich zu setzen?

These:

„Jeder Versuch einer Verhaltenstherapie bei ADHS, ASS oder Tourette, der nicht auf individueller Planung und Medikation beruht, ist eine Körperverletzung.“

Grundlage der These:

Personen mit ADHS, ASS oder Tourette haben ein individuelles Verhalten
-auf Grundlage der Wirkung von Neurotransmittern, Reifung von Hirnarealen und den Erfahrungswerten sozialer Interaktion-
in einer Art anders erlernt, die sich stark oder weniger stark von „neurotypischen“ Personen unterscheidet.

Diese Abweichung, vom Verhalten neurotypischer Personen, verursacht weit überproportionalen Langzeit-Stress, der Immunologische und organische Schäden verursacht. Gesundheit, Lebensqualität und Lebenserwartung werden so signifikant eingeschränkt.

Eine Verhaltenstherapie, die die Faktoren Neurotransmitter, Reifung von Hirnarealen und Erfahrungswerte sozialer Interaktion, nicht individuell berücksichtigt, wird über einen langen Zeitraum den Stress erhöhen oder sogar zu Stress erhöhendem Fehlverhalten führen. Etwaige „Erfolge“ in der Anpassung des individuellen Verhaltens an die Erwartungshaltung des Umfeldes, führen zu negativem Einfluss auf immunologische und organische Schäden.

Beschreibung:

Personen mit ADHS, ASS oder Tourette werden mit anderen neurologischen bzw. Hirnorganischen Voraussetzungen geboren, als ihr soz. Umfeld.

Die Filterung, Verarbeitung, Bewertung, Selbststeuerung und Reaktion auf Umweltreize folgt nicht nach denselben Parametern, wie es von „neurotypischen“ Personen als „normal“ empfunden und vorausgesetzt wird.

Das Erlernen von Verhalten basiert auf Erfahrungen von Geburt an. Diese Erfahrungen werden von Personen mit ADHS, ASS oder Tourette anders gefiltert, verarbeitet, bewertet und führen so auch zu anderen Reaktionen und einer anderen Selbststeuerung.

Die Kortikalen Verarbeitungsprozesse und Kreisläufe basieren auf organischen Strukturen (Synapsen und Neurotransmitter = „Hardware“) die den Ablauf von „Programmen“ (= „Software“) bedingen.

Eine Analogie zur EDV erleichtert hier das Verständnis für Laien.

Software und Hardware stehen in Wechselwirkung. Bestimmte Betriebssysteme oder Programme laufen nicht auf Hardware, die für andere Betriebssysteme oder Programme entworfen wurde. Hard- und Software müssen Anwendungsbezogen abgestimmt sein.

Zu viele gleichzeitige Tasks können zum Beispiel die Verarbeitung verlangsamen („Overload“) oder sogar ein Programm zum Absturz („Shutdown“ bzw. „Meltdown“) bringen, so dass es nicht mehr auf Eingabebefehle reagiert, sondern neu gestartet werden muss.

Eine anhaltende Überlastung kann zur Schädigung der Hardware führen („neurologische Entzündungsprozesse“), die bis zum Ausfall eines EDV-Systems führen können.

Der Kortikale und Neuronale System des Menschen ist veranlagt, Defizite bei der Verfügbarkeit von Neurotransmittern, Synapsen bzw. Hirnarealen oder Nervenbahnen, über andere Mechanismen zu kompensieren.

Die Konzentration der Neurotransmitter interagiert untereinander, so das Anstieg und Abfall der Konzentration/Verfügbarkeit immer Auswirkungen auf das Gesamtsystem der Neurotransmitter hat.

Beispielsweise können Defizite in der Konzentration des Neurotransmitters Dopamin durch eine Überaktivierung von Noradrenalin oder Serotonin in begrenztem Rahmen und über begrenzte Zeit kompensiert werden.

Eine anhaltende Kompensation eines Dopamin-Defizits über Noradrenalin oder Serotonin verschiebt jedoch die neurologischen Mechanismen, die durch Noradrenalin oder Serotonin gesteuert werden.

Ein anhaltend hoher Stressspiegel (Noradrenalin, etc.) führt primär zu deutlich „zeitiger“ einsetzenden Stressreaktionen (z.B. Aggression, Ängste, Entzündungsprozesse), während anhaltende Freude und Euphorie (Serotonin) eine deutlich weniger schädliche Aktivierung des Dopamins verursacht, jedoch sekundär ebenfalls Stress und Manie begünstigt.

Über Endorphin wird der Erfolg eines Kompensationsmechanismus „gemessen“(Analogie) und führt zu einem Lernprozess. Schon in der Frühkindlichen Phase erlernen wir unterbewusst den Erfolg von Aktivierung über Stress oder Freude. Je nach Anzahl und Intensität der Ereignisse prägt sich ein erlerntes Verhalten aus, das sich umso stärker manifestiert/festigt, je länger es im Verlauf des Lebens (unterbewusst) genutzt werden konnte/musste.

Ableitung:

Eine Verhaltenstherapie muss bei Nutzung der natürlichen Kompensationsmechanismen bzgl. der Neurotransmitter berücksichtigen, welcher der Mechanismen zu langfristigen Schäden führen kann/wird.

Sofern die Möglichkeit zur psychologischen Steuerung nur begrenzt gegeben ist oder zur Nutzung schädlicher Mechanismen führt, muss das Erwartungslevel und der Zeitraum in einem Rahmen angepasst werden, der der individuellen Leitungsfähigkeit zur nicht-schädlichen Kompensation entspricht.

Eine Medikamentöse Unterstützung der Funktion einzelner Neurotransmitter, muss auf Basis der beobachteten Verhaltensmuster erfolgen und muss je nach beobachteter Wechselwirkung zu weiteren Neurotransmittern dosiert oder auf die Regulation weiterer Neurotransmitter ausgeweitet werden.

  • Die Bewertung der Auswahl bestimmter Wirkstoffe muss bereits vor Beginn einer Medikation, auf Basis einer schematischen Analyse erfolgen.
  • Der Einsatz muss durch Fachkräfte engmaschig dokumentiert und regelmäßig analysiert werden, um ggf. Korrekturen vorzunehmen.

Eine Verhaltenstherapie, die ausschließlich die gesellschaftlich wahrnehmbare soziale Interaktion und Reaktion betrachtet und bewertet, ist grundsätzlich abzulehnen und sollte strafrechtlich verfolgt werden, da sie nicht mehr dem aktuellen Stand des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes entspricht und mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Schädigung der Person führt.

Die hier verlinkten Begriffe beziehen sich auf ASS. Wer die Ausführungen genau liest, wird die „auffallende Verwandtschaft“ im Spektrum jedoch schnell bemerken.

Ich freue mich auf eine rege Diskussion zum Thema.

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Wer Fehler in Satzbau oder der Logik findet, bitte gern bei mir anmerken. Hin und wieder rennt mein Hirn den Fingern davon und der Text gerät aus dem Zusammenhang

Hi @Zappelhirn hast du denn konkrete Fälle im Hinterkopf, bei denen trotz Vorliegens einer ADHS Diagnose eine 8-8-15 Verhaltenstherapie angewendet wurde?

Wahrscheinlich haben einige von uns vor ihrer ADHS Diagnose eine „normale“ Verhaltenstherapie absolviert

Mich würde interessieren, ob es immer noch vorkommt, dass jemand mit ADHS Diagnose einer althergebrachten VT unterzogen wird.

Dr Winkler sagte, dass er eher zu Coaching rät, weil es bisher noch keine auf ADHS passende Psychotherapie gibt.

Die Formulierung, dass es keine passende Psychotherapie für ADHS gäbe, finde ich merkwürdig.

Mit Therapie können schädliche Verhaltensmuster umgelernt / Bewältigungsstrategien über Verständnis und Emotionsarbeit verändert/ Traumata integriert werden (je nach Therapieform liegt der Schwerpunkt woanders).
Reine VT macht doch ebenso wie reine Analyse hoffentlich kein Mensch mehr, oder?

Wenn man vereinfacht davon ausgeht, dass die Probleme, die ein Mensch durch ADHS hat, zum einen durch die Neurodiversität zum anderen durch auf Dauer schädliche Copingstrategien oder gar Traumata entstehen, dann ist jede Therapieform, die für andere Menschen gut ist, für ADHS auch gut.
Vorausgesetzt (!) die Medikamente wirken oder die Umgebung kann so angepasst werden, dass es nicht notwendig ist, Reize zu filtern, sich übermäßig zu organisieren und sich auf Dinge zu konzentrieren, die einen nicht interessieren (was schwer möglich sein wird… vielleicht nicht ganz unmöglich).

Den Begriff Körperverletzung finde ich in dem Zusammenhang gewagt, was nicht heißt, dass ich das gar nicht diskussionswürdig finde. Aber reine VT hat meiner Meinung nach eh immer das Potential zu schädigen, weil eine reine Verhaltensänderung, die nicht auf die Ursache eingeht, immer das Grundproblem eher verstärkt - nicht nur bei ADHS.
Aber wie gesagt, ich gehe davon aus, dass das seit der Jahrtausendwende niemand mehr ernsthaft in Frage stellen würde.

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Deine These finde ich sehr gewagt und greift auch zu kurz.

Zunächst mal sollte jede Therapie individuell geplant sein. Im Idealfall. Jetzt ist es aber so, dass es in Praxis äußerst schwierig ist, überhaupt einen Therapeuten zu finden, und dann noch genau den, der sich mit den neurodiversen Zusammenhängen auskennt auch in Bezug auf Kombinationen mit weiteren Problemen, z.B. Depressionen, psychosomatische Schmerzzustände etc., ist beinahe unmöglich.

Ein weiterer Aspekt ist, was die Krankenkasse bereit ist zu übernehmen, was aber meiner Erfahrung nach vom Sachbearbeiter abhängig sein kann - was ja eigentlich auch nicht sein darf…

Wenn ich davon ausgehe, dass es jeder Therapeut gut meint und wirklich erfolgreich therapieren will - und ich muss davon ausgehen, weil sonst jeder Therapieansatz hoffnungslos ist - dann halte ich es für sehr schwierig, schon im Vorfeld mit dem Gesetzbuch zu winken.

Ich gebe dir insoweit Recht, dass die falsche Therapie Schaden anrichten kann. Ich kenne tatsächlich den Unterschied nicht zwischen einer „normalen“ und einer auf die Schieflage der Neurotransmitter angepasste Verhaltenstherapie, Fakt ist aber, dass jedesmal die Medikation ausgesetzt wurde. Der Therapieerfolg war entsprechend. Und so lange ist das nicht her.

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Wie bitte!!!

Was ist das denn???

Das ist ja noch viel schlimmer!!!

Also ich glaube, hier haben wir einen sehr wichtigen Thread, und eine Fakten- und Beispielsammlung wird das erst so richtig deutlich machen.

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Die Verhaltenstherapie sollte mich von meinen Panikattacken befreien. Die Idee dahinter war im Grunde, mir das Medikinet wieder „abzugewöhnen“, was ja einer Leugnung von ADHS gleichkommt. Das Problem war, dass ich die Teilnahme nicht wirklich verweigern konnte, weil man dann auch gleich mal von einer Reha wieder heimgschickt wird, jedenfalls stand diese Drohung im Raum.

Das andere Mal kannten die sich zwar grundsätzlich mit ADHS aus, aber hatten die Idee, dass es nur dann ein Erfolg ist, wenn es ohne Medikation erfolgreich ist. Es ist also nach wie vor so, obwohl ein umfangreiches Wissen verfügbar ist, das nicht automatisch heißt, dass die Leute, an die man gerät, davon Gebrauch machen.

Ich selbst habe übrigens recht schnell gemerkt, dass ich eigentlich erst unter Medikinet therapierbar war. Zum Glück konnte ich auch lange Zeit eine ambulante Ergotherapie machen, die hat mir sehr viel gebracht, zu lernen, dass ich auch mal was zu Ende bringe, oder auch die sanften Ermahnungen, jetzt nicht noch etwas neues anzufangen, usw. Davon profitiere ich heute noch.

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Kann mir schon vorstellen , dass es immer noch Gebiete gibt wo so behandelt wird. Gibt ja auch Waldorf Schulen die immer noch ungefiltert den Antroposophischen Ansatz vermitteln.

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Von mir kam die These leider nicht aus der Fantasie.

Wir haben in unserer Erwachsengruppe mehrere Fälle, wo das bis vor Kurzem so war und in den Elterngruppen war der letzte Fall (ein acht Jähriger) im November 2022.

Wie auch in den letzten Beiträgen hier zu lesen, wissen die Therapeuten scheinbar sehr oft nichts über die Neurologie bei ADHS. Das gepaart mit den Mythen über die böse Pharmalobby, treibt dann eben solche „Blüten“.

Dem kann man dann oft nur über geballte Polemik oder zumindest anschauliche Beispiele bei kommen.

Einer Querschnittsgelähmten mehr Vitalität und Lebensqualität zu verleihen, indem man ihr den Rollstuhl weg nimmt, ist eines dieser Beispiele, die auch Anthroposophen verstehen.

Vielleicht muss man mehr solche Veranschaulichungen „streuen“, um Aufmerksamkeit zu bekommen?

Noch „zwei Worte“ zu den Unternehmen. Takeda, Medice und Co hätten mit Sicherheit die Kohle, eine politische Kampagne zu unterstützen, doch lauert da schon die Falle, dass man von den „Geisterjägern“ sofort zum „Werkzeug des Bösen“ erklärt wird.

Dass ein Profit an der Herstellung von Hilfen für „Kranke“ nichts Anstößiges ist -außer man lebt auf dem Ponyhof zwischen bunten Einhörnern- sollte eigentlich klar sein.
Man könnte natürlich mal eine Satire-Kampagne starten, indem man Anschuldigungen gegen die Hersteller von Blindenstöcken oder Rollstühlen erhebt.
Der Aufschrei in der Bevölkerung wäre episch und man muss dann die Presse dafür nutzen, auf die Ungleichbetrachtung hinzuweisen.

Ist jetzt die Fantasie doch noch mit mir durchgegangen?