Was hilft wirklich zusätzlich zu Medikamenten?

Da ich immer wieder unsicher werde, welche Therapieansätze für ADxS nun am vielversprechendsten sind, würde ich hier gerne noch einmal eure Erfahrungen lesen.

Vorweg, es ist klar, dass Medikamente für Kinder und Erwachsene den größten Effekt haben. Bei mir geht spätestens übernächste Woche die Einstellung los und falls der Verdacht bei meinem Sohn bestätigt wird, wird auch er Medikamente bekommen.

Was aber noch?

Verhaltenstherapie? → Siehe Coaching. Ich weiß, was ich ändern müsste und kenne sehr viele Strategien. Ich schaffe nur die Umsetzung nicht zuverlässig. Kann hier Therapie wirklich helfen?

Coaching? → Ich weiß eigentlich was sich ändern müsste. Es fehlt der Antrieb und der Fokus.

Lerntherapie für das Kind? → Erlernen von Strategien speziell für die Schule, wo die meisten Schwierigkeiten auftauchen. Zu Hause gibt es viel Struktur und wenige Probleme.

Was ist aktuell der State of the Art zur Behandlung von ADxS? Welche Erfahrung habt ihr mit den Verschiedenen nicht medikamentösen Behandlungsansätzen gemacht?

Eben das verändert sich durch die Stimulanzien. Das dauert etwas.

Ich selbst habe für mich gut funktionierende Strategien ohne Therapeut gefunden. Und auch in Zeiten als ich keine Medikamente genommen habe.

Und ich bin mir sicher - kein Therapeut hätte mir DIESE Strategien vermitteln können.

Leitlinien kennst du? Seite 132,133 findest du den Entscheidungsbaum

https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/028-045




Worum geht es dir denn da konkret? Welche Stategien wofür brauchst du bzw würdest du gerne umsetzen??

Hatte bei uns nicht viel geholfen. Was am allermeisten geholfen hat - Kind nach vorne in die erste Reihe und individuelles mit den Lehrern besprechen.

Leider machen die Lehrer in den Gymnasien meist nicht gut mit. Die haben einfach zu viele Schüler.

Was klappt denn konkret in der Schule nicht gut? Und was soll da die Lerntherapie verbessern?

Ich glaube, ich habe gar keine konkreten Vorstellungen, was mir helfen würde. Es ist eher so, dass ich wahrscheinlich verinnerlicht habe, dass man zu den Medikamenten unbedingt eine Therapie machen muss, weil Medikamente alleine nicht helfen dürfen… Eben weil man das so macht.

Meine größten Probleme liegen im Bereich Organisation/Selbstmanagement, Pünktlichkeit/Zuverlässigkeit und Ordnung/Sauberkeit halten. Allerdings brauche ich hier keine neuen Ideen. Ich kann das alles theoretisch, aber eben nicht praktisch → siehe Antrieb und Fokus.

Un genau weil ich ja denke, dass da zu den Medikamenten noch irgendwas gemacht werden muss, war eben die Frage, was überhaupt und was hilft.

Mit hilft Minimalismus enorm.
Ich empfehle Dir für die praktische Umsetzung mal das Buch „Die 1% Methode“ zu lesen.

Wille ist nicht so wichtig, du musst dir Systeme in deiner Umwelt schaffen, die für Dich funktionieren und arbeiten.

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Die wichtigsten Strategien sind für mich:

Geld: Budgeting mit YNAB (das wichtigste für mich)

Papier : Post SOFORT aufmachen und einscannen, dann wegschmeißen.

Rechnungen: SOFORT bezahlen.

Termine: iPhone Kalender miCAL

„Erinnerungen“ Widget vorne am Phone - kann jederzeit per Sprachbefehl etwas hinzufügen.

Capsule wardrobe und Kleidung in einer Kommode.

Tody APP für den Haushalt. Saugroboter und Trockner übernehmen viel.

Koche nur manche Tage - dann aber größere Mengen und friere ein. Spart extrem viel Zeit. Hab ne App für den Gefrierschrank.

Einkauf von Rewe bringen lassen. Einmal in der Woche planen.

Übrigens: die Effektstärke von Sport ist fast so groß wie Methylphenidat!!

Ich habe jetzt endlich nach langer Pause wieder angefangen zu laufen :running_woman:t2: und es tut wirklich gut.

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Wow!!! Grandios!

Das werde ich mir nachher alles mal ganz in Ruhe anschauen.

Haben bei dir die Medikamente gegen die Antriebsschwäche und z.T. die Prokrastination geholfen?

Schon ein bisschen! Komme dann besser in die Gänge.

Aber auch Druck und Struktur von Außen hilft mir sehr. Bei der Arbeit habe ich das - aber mit Medikament bin ich nicht so schnell erschöpft.

Diese Seite kennst du wahrscheinlich?

In Sachen Psychotherapie wäre da die Achtsamkeitsbasierte Verhaltenstherapie am wirksamsten.

Und hier ein älterer Artikel von Martin Winkler dazu, finde ich interessant!

Winkler: „ Es stellt sich dabei auch ganz grundsätzlich die Frage, ob man Exekutivfunktionen eben “behandeln” kann oder muss. Oder aber eher ein Coaching-Ansatz für die Kernsymptomatik hilfreich wäre. Für mich persölich stehen dann die Sekundärfolgen der ADHS im Vordergrund. Hier kann Achtsamkeit ein wesentlicher Baustein sein.“

Mich würden auch die Erfahrungen von anderen ADHSlern dazu interessieren - was hat tatsächlich geholfen?

Und - kann denn nicht ein Verhaltenstherapeut einfach als Coach fungieren? :thinking:

Hallo! Ich klinke mich mal ein in die Diskussion. Ich verfolge den Stand der Forschung zu ADHS und Behandlung als Betroffener und als Profi. Es dürfte Konsens darüber bestehen, dass Medikamente + Psychotherapie einer alleinigen medikamentösen Therapie deutlich überlegen sind. (Und nur Medikamente nur Psychotherapie überlegen sind). Natürlich ist ADHS auch eine Störung des Hirnstoffwechsels, aber die Probleme komplett zu biologisieren und auf Neurotransmitter, oder noch weniger, medikamentöse Einflussnahme zu reduzieren wird ADHS einfach nicht gerecht. Es ist bekannt, dass sich manche ADHSler zwar durch die Medikamente deutlich präsenter, wacher, fokussierter fühlen, aber viele Probleme dennoch ungelöst bleiben - ohne Psychotherapie. ZB gehört zur Alltagsorga einfach viel mehr als nur genug Dopamin im Gehirn - wenn man es NIE konnte. Dann wären Medis eine gute Unterstützung, manchmal Voraussetzung, um Alltagsorga etc. systematisch verhaltenstherapeutisch zu lernen.
So gut wie alle ADHS Betroffene, vor allem die, bei denen es lange unerkannt blieb, haben massive Selbstwertprobleme als Folge. Die gehen durch Stimulanzien nicht einfach mal so eben weg, auch wenn man sich insgesamt besser fühlt. Psychotherapie ist einfach eine ganz andere Ebene der Hilfestellung, und bei jemand mit ADHS mit Medis ohne Psychotherapie würde ich hier den Spieß umdrehen: Wie sieht die Rechtfertigung dafür aus, Psychotherapie vorzuenthalten???
„Ich schaffe die Umsetzung nicht, mir fehlt Antrieb und Fokus“- sich dann zur Psychotherapie zu begeben drückt einfach Selbstunterstützung, Selbstfürsorge aus. 1000mal besser als sich das ganze Ausmaß der Probleme nicht einzugestehen und zu denken, ich muss es alleine schaffen. Wieso denn bloß? ADHSler sind so unterschiedliche Individuen, haben so viele unterschiedliche Problem - als ob die alle verschwänden durch Medis. Natürlich nicht.
Verhaltenstherapeuten fungieren häufig als Coaches, allerdings muss Psychotherapie als begründete und gezielte Behandlung einer psychischen Störung durchgeführt werden, das deckt Coaching/ Beratung alleine nicht ab. Und für Coaching braucht man keine Diagnose, für Psychotherapie schon.
Ich wünsche einen schönen Abend!

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Apropo Coaching und Martin Winkler - der bietet auch online eine Coaching Gruppe an. Das Konzept wirkt interessant.

Er hat ja selbst ADHS, ist Psychiater und Psychotherapeut.

Hier ein Video dazu - ab Minute ca 22 wird es da interessant:

Hast du da etwas aktuelles, was auf dieser Seite von adxs noch nicht berücksichtigt wird?
Würde mich auch interessieren.

Laut Leitlinien sollte ja immer zuerst die medikamentöse Behandlung beginnen - dann VT - wenn ich das richtig verstanden habe.

Wie wichtig findest du es, dass der Psychotherapeut ADHS Kompetenz hat, bzw selbst betroffen ist @Tom108 ?

Hallo Justine! Ich weiß nicht, was auf dieser Seite berücksichtigt ist, deswegen kann ich das nicht sagen, muss aber meine Skepsis schon benennen. „Immer zuerst medikamentöse Behandlung“ stimmt zB ganz sicherlich nicht. Alleine schon, da rein zeitlich betrachtet, Reihenfolge, mit Psychoedukation begonnen werden soll laut Leitlinien.
Zudem ist in den Leitlinien eine Unterscheidung nach Schweregrad vorgesehen, und bei leichtem Schweregrad zB sind gar keine Medikamente vorgesehen.
Der Stand der Forschung kommt zudem zu dem Ergebnis, dass ADHS, ADS Neurodiversität insgesamt, erst ziemlich schlecht verstanden sind und auch zu dem Ergebnis dass es DAS ADHS nicht gibt, man auch bei ADHS, wie bei Autismus eher von einer Spektrumstörung ausgehen sollte.
ADHS ist viel individueller, als dass man sagen könnte - diese Behandlung ist für jeden genau richtig.
Was die Frage nach dem Stand der Forschung angeht: Ich orientiere mich dabei an Ludger Tebartz van Elst, der die aus meiner Sicht die klügsten, differenziertesten Bücher geschrieben hat, allerdings mehr aus Sicht von Grundlagenforschung. Er hat einen Lehrstuhl an der Uniklinik Freiburg und forscht dort.
Er unterscheidet bei ADHS zB Normvariante, Persönlichkeitsstörung oder neurobiologische Erkrankung - mit Implikationen für die Behandlung.
Psychoedukation, Coaching ist alles komplett unverzichtbar, aber es braucht eben auch Beziehungskompetenz, nicht nur didaktische Fähigkeiten und Wissen. Da kommen die Psychotherapeuten ins Spiel und die Biologie ist raus. „Ich weiß das ja alles, aber kann es nicht umsetzen.“ Da geht es dann um Psychotherapie, man entwickelt sich weiter im Rahmen einer vertrauensvollen persönlichen Beziehung. Manches kann man nicht aus Büchern lernen. Und dann einfach eine Pille mehr zu nehmen ist definitiv nicht die Antwort (wobei ich persönlich zB meine ADHS Medis definitiv nicht missen möchte und sie mir etwas geben was Psychotherapie nicht geben kann. Aber Psychotherapie kann auch etwas geben, was Medis nicht können. Das gegeneinander auszuspielen zeigt nach meiner Auffassung ein arg begrenztes Verständnis, meist aus einer subjektiven Befindlichkeit. Machen aber leider sowohl manche Psychiater als auch manche Psychotherapeuten. Ich persönlich komme durch Psychotherapie immer ein Stück weiter, auch mit seltenen Sitzungen (einmal pro Monat).
Die Psychotherapeutin muss natürlich nicht selbst betroffen sein aber ADHS Kompetenz ist extrem wichtig, komplett unverzichtbar. Sollte der Psychiater / Psychotherapeut die nicht haben, wäre er / sie meiner Meinung nach ethisch verpflichtet das zu sagen und die Behandlung abzulehnen, statt - der Horror - ADHS zu leugnen oder auch nur runterzuspielen.
Der Weg ist individuell, menschlich, Medikamente gehen keine Beziehung zu einem ein. Psychische Probleme zu bewältigen ist nie ein Solo.
Alles Gute!

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@Tom108

Klar, Psychoedukation steht ja ganz oben. Die Vorgehensweise der Leitlinien hatte ich ja oben beschrieben - siehe Entscheidungsbaum.

Selbst sehe ich es ähnlich, wie du. Das größte Dilemma ist, dass es so wenige Psychotherapeuten mit ADHS Kompetenz gibt und man sie auch so schlecht findet.

Für mich selbst war es extrem wichtig, die richtigen Strategien zu entwickeln und Hilfsmittel zu haben - und ich habe die längste Zeit keine Medikamente genommen. Von alleine kommen die Strategien natürlich nicht - man muss sich schon damit beschäftigen, mit Hilfe oder ohne.

Von dem habe ich schon gehört - ich schaue mal, was der so schreibt.

ADHS hat so viele Komponenten. Martin Winkler, den Du erwähntest, sieht ADHS ja vor allem als Störung der Emotionsregulation. Ich hab gerade ein Video auf youtube von ihm angeschaut. Sich in der Hinsicht weiterzuentwickeln geht sicherlich nicht ohne Therapie, löst sich nicht durch Medikamente in Wohlgefallen auf. Ich sollte dazu sagen, dass ich mich hier über ADHS im Erwachsenenalter äußere.
Man könnte auch sagen, dass sich Psychotherapien für ADHS inhaltlich ziemlich weitreichend voneinander unterscheiden können.
Und dann kommt ja noch das Thema der Komorbiditäten hinzu. Die sind ja extrem häufig, eher die Regel als die Ausnahme. Dann wird’s ein komplexes Gesamtpaket, die Behandlung, auf welcher Ebene auch immer.
Leitlinien sind gut, zu versuchen, den Stand der Forschung abzubilden, aber sie können auch zu einem Tunnelblick führen. Sie bilden eben auch nicht alles ab, sind nicht „die Wahrheit“.
Und heikel bis anmaßend wird es, wenn Dinge kategorisch ausgeschlossen werden, man aber den Gesamtzusammenhang auch nur im begrenzten Umfang kennt. Dann werden Leitlinien heilige Kühe, werden eher Ideologien als wissenschaftliche Perspektiven. So wichtig ehrlich damit zu sein, was man alles NICHT weiß. Und das ist bei ADHS ne Menge! Nun gut, das ist meine Sicht auf die Dinge. Kann man auch anders sehen.

Deine APPS und Strategien sind klasse. Wenn Du dadurch wesentlich weiter gekommen bist - Respekt, gratuliere. das finde ich aber nicht selbstverständlich, das gelingt, weil neben ADHS auch gute Ressourcen da sind. Die hat eben nicht jeder.

Und ja, Psychotherapie für ADHS im Erwachsenenalter ist schwer zu finden, manche Psychotherapeuten wissen darüber so gut wie gar nichts. Und es gibt viel zu wenig Expertise zu dem Thema, wie gute Psychotherapie für ADHS im Erwachsenenalter geht.

Am besten immer direkt fragen, ob der oder diejenige sich damit auskennt. Wer darauf gekränkt oder abweisend reagiert, kommt nicht in Frage. Und erst recht nicht jemand, der anzweifelt, ob es ADHS im Erwachsenenalter gibt oder ob es bei der Person wirklich darum geht. Leider alles häufig der Fall.

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