Ok, ich warne hier schon mal vor, ich bin in letzter Zeit wirklich schlecht darin mich kurzzufassen und insbesondere bei emotionalen Themen wie diesem.
Daher hier mal ein kurzes TL;DR:
Egal ob man die Sachen detailliert erklärt oder verschweigt: Das Kind WIRD seine eigene Interpretation für Dinge finden, die es nicht versteht.
Und das kann in beiden Fällen in die Hose gehen:
Man erklärt „zuviel“ (Das IST absolut so und nicht anders) und es wird glauben es kann nicht anders, anstatt nach besseren Strategien zu suchen, oder sich vielleicht komplett abhängig machen von den Eltern.
Oder man erklärt „zuwenig“ (Das ist halt so, wer weiss schon so genau warum) und es wird sich eigene Erklärungen und Strategien suchen, die vielleicht wirklich nicht gesund sind auf Dauer. Und ist er eben ein „Idiot und faul und undiszipliniert und hat keine Willenskraft“ oder es ist eben immer jeder und alles andere Schuld: „Das konnte ja keiner vorhersehen“, „Was kann ich dafür wenn DU dich ständig angegriffen fühlst“.
In welche Richtung das ausschlagen würde, kann man nur individuell für sein Kind beantworten, die Tendenzen sind da schon früh zu erkennen: Ob es dazu neigt immer andere zu beschuldigen oder sich selber schlecht macht, ob es eher mit Regeln klar kommt, wenn man genau erklärt warum die so sind, oder ob es einfach braucht, dass es Sachen nicht selbst entscheiden muss etc.
Am wichtigsten ist erstmal die eigene Psychoedukation, in den meisten Fällen ist das ja eben eine genetische Prädisposition und mindestens einer der Eltern hats auch…
Sonst neigt man da schnell dazu von der eigenen Perspektive heraus zu projezieren, die über Jahre vielleicht auch ganz schön schief ist oder auf eine Art eingefärbt.
Ich weiss seit nem Jahr, dass ich ADHS hab und es hat mein Leben (wie bei vielen hier) unglaublich verändert.
zu 90% zum positiven, mit 10% unglaublichem Bedauern, dass ich das nicht viel viel viel früher wusste.
Daher hab ich da ne absolut klare Haltung dazu OB man das seinem Kind überhaupt sagen sollte.
Wobei man dazu sagen muss:
Dazu hats auch erstmal den Perspektivwechsel bei mir gebraucht.
Meine Freundin hat vor ca. 5-6 Jahren schon mal gesagt, dass sie denkt unser Sohn (jetzt Teenie) könnte ADHS haben und ob man das nicht in der Schule anmelden sollte, da er sich damals extrem schwer tat.
Ich hatte hauptsächlich Vorurteile und Stigmatisierung im Kopf, vermutlich weil ich selber mit einer psychischen kranken Mutter aufwuchs und mich unglaublich geschämt habe.
Ich dachte daher auch eher darüber nach, welche NACHTEILE er dadurch haben könnte, wenn er plötzlich ein „Label“ hätte:
Die Lehrer würden ihn weniger ernstnehmen, weniger fordern, schneller abstempeln als „bringt ja eh nichts, das ist medizinisch bedingt“ und so weiter.
Er hat dann zwar irgendwann auch die Kurve gekriegt (ohne Medikamente), musste aber letzten Endes vom Gymnasium auf eine Gesamtschule wechseln, weil der Druck zu gross war.
Ob er das besser hingekriegt hätte, ist aber auch fraglich, manchmal braucht es einfach Zeit
Jetzt ist es aber auch noch so, dass wir noch zwei weitere Kinder (Zwillinge) aus einer Trennungsphase haben, die einen anderen Papa haben und mit dem meine Freundin seit Jahren vor Gericht rumstreiten muss, weil er einfach nicht klarkommt auf die Situation.
Beide sind aber nach meinen Beobachtungen zu 90% AUCH irgendwo auf dem neurodivergenten Spektrum.
Für meine Freundin kommt aber eine Diagnose nicht in Frage, weil sie Angst hat, was das gegebenenfalls das nächste mal vor Gericht für Implikationen haben könnte.
Was ich also so gut es geht versuche, ist immer wieder, wenn es zu ADHS bedingten Problemen kommt, beispielsweise wegen Impulskontrolle/emotionaler Dysregulation/generelllem Chaos:
Ich versuch anhand von meinen eigenen Stärken und Schwächen als Erwachsener zu erklären, warum vielleicht das Problem gar kein konkretes ist („Der hat Das gemacht“ „Das kann ich einfach nicht“ etc), sondern ein allgemeines, dass man aber konkret vielleicht anders lösen könnte.
Ab und an komm ich dann allerdings an meine Grenzen, was Analogien angeht und ab und an reicht den Kids das auch einfach nicht „Aber warum“ ist ja ein sehr beliebtes Spiel.
Und ab und an wird das eben auch schlicht angezweifelt, wenn es keinen „Beweis“ gibt, kanns ja DOCH vielleicht nur daran liegen das jemand blöd/dumm oder ein Blödmann ist…
Mit unserem gemeinsamen Sohn bin ich da viel offener.
Der ist generell auch ein totaler Sonnenschein, daher ist das auch leichter.
Aber ich muss ihn trotzdem immer wieder darauf hinweisen, dass er eben kein „Idiot“ ist, wenn er sich mal wieder darüber ärgert, dass er was wichtiges vergessen/verlegt hat:
Das menschliche Gehirn braucht eben IMMER eine Erklärung, wenn es irgendwas nicht einsortieren kann.
Und in Ermangelung einer besseren Erklärung, kommen dann eben oft Abwertungen und negativ Erklärungen ins Spiel…ODER die Umwelt ist plötzlich an allem Schuld.