Was Kinder über ADHS wissen sollten

Hier nochmal meine Frage, die ich zuvor in der falschen Kategorie platziert hatte:

Klar, Erwachsenen hilft es auf jeden Fall, sich gut mit ADHS und seinen neurologischen Ursachen auszukennen. Kann Selbstakzeptanz und Handlungsfähigkeit zugute kommen! Aber wie sollte eurer Meinung nach die Psychoedukation bei Kids mit ADHS (etwa 8 bis 12) aussehen? Was sollten sie wissen? Mein Mann und ich sind unterschiedlicher Meinung, teile aber seine Sorge, dass ein zuviel an Detailwissen auch zu der ungünstigen Überzeugung führt sich ( z.B. außerhalb der Wirkzeit der Medis) eh nicht gut steuern zu können? So nach dem Motto: Ich brauche keine Verantwortung für mein Verhalten zu übernehmen, hab ja ADHS…
Ist es also entlastend oder eher verschlimmernd für die Kids zu wissen, was die Ursachen von ADHS- Symptomen sind? Mein Mann ist der Meinung, dass die Kinder überfordert werden.
Ich bin gespannt zu erfahren, wie Ihr damit umgeht!

(…Danke Justine für deine Antwort und den Link zu Lachenmeier…Vortrag und Buch kenne ich, sind echt klasse. Er hat ja eine eher ressourcenorientierte Beschreibung der Ursachen und sieht es kritisch, Symptome isoliert zu betrachten…! Und das kann ja gerade bei ADHS sehr schnell unübersichtlich werden😊)

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Herzlich willkommen!!

Ich bin ein Fan von Heiner Lachenmeier und seiner Sichtweise!!

Genau so wie er würde ich es den Kindern erklären!!!

Er spricht nur über berufstätige Erwachsene - aber er erklärt einfach am besten die Funktionsweise von adhs!

Ich glaube, ich mache mal ein YouTube Video und übersetze seinen Vortrag für Kinder!

Psychoedukation für Kinder ist extrem wichtig!!!

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Unser Sohn (9 Jahre) nimmt Medis, daher haben wir ihm sein ADS (Ist vielleicht auch einfacher, da er nicht hyperaktiv ist) so erklärt, dass er sich damit besser konzentrieren kann, was ihm sonst schwer fallen würde. Außerdem bekommt er in der Schule (3. Klasse) einen Nachteils-Ausgleich, darf sich bei Arbeiten also länger Zeit lassen (was vor allem bei Diktaten wichtig ist, in Mathe ist er eh schon bei den schnellsten). Er versucht leider trotzdem häufiger, mit den anderen Schritt zu halten, was sich dann negativ auf seine Zensuren auswirkt…
An mangelnder Impulskontrolle leidet er eigentlich nicht, er hat also keine unkontrollierbaren Wutausbrüche oder sowas - es kann aber vorkommen, das er sich bei Unterhaltungen „vordrängelt“ und dazwischen platzt.

Aufgrund der schulischen „Sonderstellung“ wissen auch seine Klassenkameraden ansatzweise über seine Krankheit Bescheid. Unsere größte Sorge war, das sie ihm das negativ auslegen könnten, aber das Gegenteil ist der Fall, die meisten helfen ihm sogar und er ist komplett in den Klassenverband integriert.

Wir haben also bei allen Schwierigkeiten, die sein ADS so mit sich bringt, auch viel Glück gehabt.

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Ja es hilft so sehr die guten Sachen zu sehen: Die Glücks- und Zufälle ( z.B. dies Forum), gute Ideen zu richtiger Zeit, die Unterstützung und auch die Chancen von ADHS zu sehen.
Super, dass es sich bei euch so gut gefügt hat! Eine tolle Erfahrung so akzeptiert zu werden wie man ist.

Was ich noch interessant finde: Mangelnde Impulskontrolle- oder auch die weniger stattfindende Hemmung in bestimmten Situationen ist ja ein weites Feld…bin mir neulich erst bewusst geworden, dass es nicht nur um Wut oder nicht abwarten können oder rumklettern geht, sondern mein " nah am Wasser gebaut sein" genauso dazugehört wie die guten Ideen die unvermittelt auftauchen etc etc

Unsere Tochter ist übrigens auch eher der unaufmerksamer Typ und hat auch andere Stärken und Baustellen.

Wir maskieren uns, kein Bock auf Stigmatisierung ( wäre bei unseren Lebens/Schul und Arbeitsumfeld wahrscheinlich), diese Bürde wollen wir nicht auch noch tragen. Vielleicht kann man das in ein paar Jahren anders sehen…

Ist halt die Frage ob Maskierung nicht noch eine schwerere Bürde wird auf Dauer. Nicht wenige enden bei dem zwanghaften Versuch, „normal“ sein zu müssen, im Bournout oder - falls es trotz aller Anstrengung nicht klappt - dann aus lauter Verzweiflung in der Depression.

Ich hab das aufgegeben. Ich mach meine Aufgaben so gut ich kann. Mein Chef weiß Bescheid, mein Arbeitsumfeld ist für mich praktisch maßgeschneidert (war es aber vorher auch schon, die haben hier nicht extra umgebaut oder sowas). Ansonsten gilt:
Die einen kennen mich - die anderen können mich.

Ja stimmt, das Kompensieren und das „möglichst nicht auffliegen“ hängt da auch noch mit dran. Für mich jahrelang ein sehr sehr belastendes Thema, als ich selber noch nicht wusste, was bei mir anders ist…heute gestehe ich mir zu: Ich mach die Arbeit, die ich sehr gut kann und mich erfüllt, obwohl ich anderswo mehr verdienen könnte, damit hat sich auch das o.g. Problem des Kompensierens erledigt.

Für die Kinder ist das Maskieren nochmal eine andere Hausnummer und zwar nicht so offensichtlich, aber doch wohl belastend. Wir haben es ihnen su gut wie möglich erklärt- umso wichtiger finde ich dass sie ADHS verstehen und einordnen und damit möglichst selbstwirksam umgehen können ( mein Ausgangspunkt bei diesem Thread)
Für mich war übrigen ein Interview mit Hallowell der absolute postive Gamechanger in Bezug auf meine eigene Haltung und Umgang mit ADHS- obwohl ich mich schon vorher lange mit ADHS beschäftigt hatte. Seitdem fühlt sich eh alles etwas leichter an.

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Ok, ich warne hier schon mal vor, ich bin in letzter Zeit wirklich schlecht darin mich kurzzufassen und insbesondere bei emotionalen Themen wie diesem.

Daher hier mal ein kurzes TL;DR:
Egal ob man die Sachen detailliert erklärt oder verschweigt: Das Kind WIRD seine eigene Interpretation für Dinge finden, die es nicht versteht.
Und das kann in beiden Fällen in die Hose gehen:
Man erklärt „zuviel“ (Das IST absolut so und nicht anders) und es wird glauben es kann nicht anders, anstatt nach besseren Strategien zu suchen, oder sich vielleicht komplett abhängig machen von den Eltern.
Oder man erklärt „zuwenig“ (Das ist halt so, wer weiss schon so genau warum) und es wird sich eigene Erklärungen und Strategien suchen, die vielleicht wirklich nicht gesund sind auf Dauer. Und ist er eben ein „Idiot und faul und undiszipliniert und hat keine Willenskraft“ oder es ist eben immer jeder und alles andere Schuld: „Das konnte ja keiner vorhersehen“, „Was kann ich dafür wenn DU dich ständig angegriffen fühlst“.

In welche Richtung das ausschlagen würde, kann man nur individuell für sein Kind beantworten, die Tendenzen sind da schon früh zu erkennen: Ob es dazu neigt immer andere zu beschuldigen oder sich selber schlecht macht, ob es eher mit Regeln klar kommt, wenn man genau erklärt warum die so sind, oder ob es einfach braucht, dass es Sachen nicht selbst entscheiden muss etc.

Am wichtigsten ist erstmal die eigene Psychoedukation, in den meisten Fällen ist das ja eben eine genetische Prädisposition und mindestens einer der Eltern hats auch…
Sonst neigt man da schnell dazu von der eigenen Perspektive heraus zu projezieren, die über Jahre vielleicht auch ganz schön schief ist oder auf eine Art eingefärbt.

Ich weiss seit nem Jahr, dass ich ADHS hab und es hat mein Leben (wie bei vielen hier) unglaublich verändert.
zu 90% zum positiven, mit 10% unglaublichem Bedauern, dass ich das nicht viel viel viel früher wusste.

Daher hab ich da ne absolut klare Haltung dazu OB man das seinem Kind überhaupt sagen sollte.
Wobei man dazu sagen muss:
Dazu hats auch erstmal den Perspektivwechsel bei mir gebraucht.

Meine Freundin hat vor ca. 5-6 Jahren schon mal gesagt, dass sie denkt unser Sohn (jetzt Teenie) könnte ADHS haben und ob man das nicht in der Schule anmelden sollte, da er sich damals extrem schwer tat.
Ich hatte hauptsächlich Vorurteile und Stigmatisierung im Kopf, vermutlich weil ich selber mit einer psychischen kranken Mutter aufwuchs und mich unglaublich geschämt habe.
Ich dachte daher auch eher darüber nach, welche NACHTEILE er dadurch haben könnte, wenn er plötzlich ein „Label“ hätte:
Die Lehrer würden ihn weniger ernstnehmen, weniger fordern, schneller abstempeln als „bringt ja eh nichts, das ist medizinisch bedingt“ und so weiter.

Er hat dann zwar irgendwann auch die Kurve gekriegt (ohne Medikamente), musste aber letzten Endes vom Gymnasium auf eine Gesamtschule wechseln, weil der Druck zu gross war.
Ob er das besser hingekriegt hätte, ist aber auch fraglich, manchmal braucht es einfach Zeit

Jetzt ist es aber auch noch so, dass wir noch zwei weitere Kinder (Zwillinge) aus einer Trennungsphase haben, die einen anderen Papa haben und mit dem meine Freundin seit Jahren vor Gericht rumstreiten muss, weil er einfach nicht klarkommt auf die Situation.

Beide sind aber nach meinen Beobachtungen zu 90% AUCH irgendwo auf dem neurodivergenten Spektrum.
Für meine Freundin kommt aber eine Diagnose nicht in Frage, weil sie Angst hat, was das gegebenenfalls das nächste mal vor Gericht für Implikationen haben könnte.

Was ich also so gut es geht versuche, ist immer wieder, wenn es zu ADHS bedingten Problemen kommt, beispielsweise wegen Impulskontrolle/emotionaler Dysregulation/generelllem Chaos:
Ich versuch anhand von meinen eigenen Stärken und Schwächen als Erwachsener zu erklären, warum vielleicht das Problem gar kein konkretes ist („Der hat Das gemacht“ „Das kann ich einfach nicht“ etc), sondern ein allgemeines, dass man aber konkret vielleicht anders lösen könnte.

Ab und an komm ich dann allerdings an meine Grenzen, was Analogien angeht und ab und an reicht den Kids das auch einfach nicht „Aber warum“ ist ja ein sehr beliebtes Spiel.
Und ab und an wird das eben auch schlicht angezweifelt, wenn es keinen „Beweis“ gibt, kanns ja DOCH vielleicht nur daran liegen das jemand blöd/dumm oder ein Blödmann ist…

Mit unserem gemeinsamen Sohn bin ich da viel offener.
Der ist generell auch ein totaler Sonnenschein, daher ist das auch leichter.
Aber ich muss ihn trotzdem immer wieder darauf hinweisen, dass er eben kein „Idiot“ ist, wenn er sich mal wieder darüber ärgert, dass er was wichtiges vergessen/verlegt hat:
Das menschliche Gehirn braucht eben IMMER eine Erklärung, wenn es irgendwas nicht einsortieren kann.
Und in Ermangelung einer besseren Erklärung, kommen dann eben oft Abwertungen und negativ Erklärungen ins Spiel…ODER die Umwelt ist plötzlich an allem Schuld.

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Hi, Danke für deine Perspektive- ja hat ich so noch gar nicht betrachtet: Das Kind wird sich sowieso seine Erklärung zusammenbasteln, wenn es keine (ausreichende) bekommt. Und vielleicht ungünstige Strategien dazu. Ja, vll zu kategorisch die „Schuld“ bei sich oder beim ADHS oder bei der Umwelt suchen…es ist eben ein Mix aus allem, wenn man überhaupt von Schuld sprechen will…

Zitat von dir „Man erklärt „zuviel“ (Das IST absolut so und nicht anders) und es wird glauben es kann nicht anders, anstatt nach besseren Strategien zu suchen, oder sich vielleicht komplett abhängig machen von den Eltern.“

Ich finde aber man kann vermitteln, dass es nicht zwar nicht heilbar aber sehr gut behandelbar ist und einiges an Handlungsspielraum lässt.

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Genau. So mach ich das mit meinem Sohn.
Soweit ich eben selber schon Strategien gelernt habe oder neu entwickelt habe, teil ich das einfach mit ihm und wenns für ihn auch funktioniert, super!
Und wenn nicht, ermuntere ich ihn nach anderen Strategien zu suchen, weil ADHS ja auch einfach super unterschiedlich sein kann für den einzelnen.

Wie gesagt, ich kann nicht genau sagen, obs nicht einfach daran liegt, dass er generell offener ist, was sowas angeht, oder daran, dass ich ihm wirklich genau erklären darf, woran es dann jeweils liegt, wenn er was nicht kann/versteht.

Ich merks halt nur bei einem von den Zwillingen besonders, der sieht Sachen einfach nicht ein, wenn er nicht den genauen Grund dafür versteht.

Das ist aber nicht nur bei Kindern so.
Ich kenn auch viele Erwachsene, meine Freundin inklusive, die nicht verstehen, was der Unterschied ist zwischen nicht wollen und nicht können, obwohl sie selbst ADHS hat.
Wos aber eben VIEL schwerer ist zu erklären, was der Vorteil davon ist, das zu erkennen, weil es immer konkurriert mit den über Jahre entstandenden Erklärungsmodellen/Strategien.

Hallo Zusammen,

ich würd dann auch mal meine subjektive Meinung dazu geben, die allerdings auch aus Fachliteratur und Fachvideos aus YouTube entstanden sind.

Russel Barkley (Psychiater aus USA mit sehr viel ADHS-Kenntnissen) hatte auch mal gesagt, dass es bei einer ADHS-Diagnose von einem Kind mindestens genauso wichtig sei, die Eltern auf ADHS zu testen, da ein vorhandenes ADHS bei einem Elternteil zu Komplikationen bei einem gesunden Beziehungsaufbau in der Eltern-Kind-Beziehung führen können und daher auch unbedingt das ADHS des betroffenen oder der betroffenen Elternteile behandelt werden sollte. Warum ist das so wichtig? Weil ADHS einfach eine hohe genetische Komponente hat und es dadurch nicht unwahrscheinlich ist, dass mindestens ein Elternteil auch an ADHS leidet, wenn das Kind gerade diagnositziert wurde.

In erster Linie denke ich, dass es wichtig ist, dass die Eltern verstehen was ADHS ist und was es für Auswirkungen auf das Kind hat. Und dann geht es vor Allem darum, das Kind für seine ADHS-typischen und möglicherweise unpassenden Verhaltensweisen nicht zu bestrafen und stattdessen eine angemessene Beziehnung (mit Einbezug von Psychologen, Psychiatern, Lehrern, Sozialarbeitern, Ergotherapeuten etc.) für das Kind einzuleiten.

Ich denke, dass es auch von der Stärke des ADHS des Kindes abhängig ist, wie sehr man das Kind über seine Defizite und Verhaltensweisen aufklären sollte.

Einem Kind mit starkem ADHS sollte man denke ich schon erklären was los ist. Das könnte besonders wichtig sein, wenn es darum geht, dass das Kind ein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln kann.

Weil ein Kind mit starkem ADHS, das für sein Verhalten und evtl. auch für seine kognitiven und sozialen Defizite immer fertig gemacht wird, wird diese Kränkungen leider für sein ganzes Leben mitnehmen.

Daher ist das in so einem Fall sehr wichtig aufzuklären und auch an der ADHS des Kindes zu arbeiten.

Bei milden Fällen kann man z.B. auch überlegen, ob die Stigmatisierung durch das „offene Leben“ der Krankheit vielleiche zu mehr Schäden führt, als wenn man das ADHS im „kleinen Kreis“ in der Familie mit Therapeuten und evtl. Medikamentös behandelt. Vielleicht muss man dann dem Kind auch garnicht zu sehr die eigenen Defizite erklären, da diese vielleicht die Erklärung dieser und die Stigmatisierung mehr Unsicherheiten im Kind auslösen könnte, als es die eine oder andere Ansage von Lehrer oder sonst jemanden tun würde.

Daher ist das eine Abwägung der Eltern, die viel Zeit, fundiertes Wissen und auch ein Interesse für das Krankheitsbild ADHS und auch ein genuines Interesse für das Wohlergehen des eigenen Kindes voraussetzt.

Weil auch wenn man das oft gerne ignorieren möchte: Viele Eltern wählen gerne den einfachen Weg à la „mein Kind hat kein ADHS, es ist nur hochbegabt“ oder „ich werde mein Kind nicht unter Drogen setzen“ oder „geben sie dem Kind bitte Medikamente, es gibt einfach keine Ruhe“.

Das ist alles sehr überspitzt und vereinfacht dargestellt. Dennoch existieren solche Fälle leider und das Kind leidet sehr darunter.

Beste Grüße,
Beefcake

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