Welche Schwierigkeiten habt ihr im Alltag und was sind eure Stärken?

Hallo zusammen

Ich habe Verdacht auf ADHS und werde mich im Januar abklären lassen. Ich wollte euch mal fragen, welche Schwierigkeiten ihr wegen dem ADHS im Alltag habt? Und ob ihr auch einige Vorteile wegen ADHS habt.

Meine Schwierigkeiten:

  • Ich bin sehr vergesslich und verlege Dinge oft. Praktisch jeden Tag muss ich etwas suchen. Oft verlasse ich auch die Wohnung und muss wieder zurück, da ich etwas vergass. Ich verliere oft Gegenstände. Schmuck ist bei mir ganz schlimm und innerhalb 1.5 Studium verlor ich bereits zweimal mein Aufladegerät für den Laptop.
  • Ich bin chaotisch. Manchmal räume ich gründlich mein Zimmer auf und habe den Eindruck, dass ich ab jetzt alles im Griff habe. Ich miste aus und schaffe für Struktur. Bereits am nächsten Tag habe ich wieder ein Chaos. Ich frage mich selbst, wie schnell ich das hinkriege.
  • Schlecht zuhören: Ich kann nicht lange zuhören, ausser etwas ist wirklich sehr spannend. Ich schweife gedanklich immer ab. In der Schule wurde ich deswegen sogar gemobbt, weil mein Lehrer das bemerkte und mich deswegen umso mehr aufrief. Ich konnte natürlich nichts sagen und andere hielten mich für dumm. Auch bei Gruppen habe ich Mühe, weil die ganze Zeit geredet wird.
  • Ich kann Routinen nicht aufrechterhalten. Für eine kurze Zeit geht es normalerweise, aber nicht lange. Selbst wenn es mir eigentlich gut tut wie Sport, Meditation, Yoga, gesunde Ernährung, kann ich das einfach nicht aufrechterhalten. Ich fühle mich auch schnell eingeengt und roboterhaft, wenn die Routine von aussen her stark gegeben ist wie z.B. mein Bürojob.
  • Leicht abgelenkt: ich merkte dass insbesondere bei den Fahrstunden. Alles war ablenkend. Selbst ländliche Strassen lenkten mich ab, sei es eine schöne Landschaft oder ein Käfig voller Hasen. Einmal wollte ich auch auf der falschen Spur fahren. Nach 38 Stunden gab ich auf.
  • Schwierigkeiten bei routinierten und strukturierten Aufgaben: wie gesagt arbeite ich im Büro. Ich löse die Aufgaben oft sehr schnell, aber sie beinhalten viele Fehler. Ich habe wie nicht die Kraft dazu, mir Zeit für solche Aufgaben zu nehmen. Aufgaben nochmals durchzulesen und auf Fehler achten ist für mich mental eine Qual. Dasselbe bei Prüfungen. Bin oft sehr schnell aber lese sie oft nicht mehr durch und wenn, überfliege ich das. Bei praktischen Aufgaben ohne Denkarbeit bin ich hingegen sehr langsam, da ich Tagträume und mich das vom Tempo abhält.
  • Impulsivität: wenn ich etwas möchte, dann muss es sofort sein. Dieser Impuls ist sehr stark. Das zeigt sich z.B. auch bei Vorlesungen. Ich weiss, dass zuhören besser wäre, aber mein Impuls, jetzt z.B. eine Sonnenbrille zu bestellen, ist grösser. Ich gebe oft generell viel mehr Geld aus als ich sollte, weil mein Impuls, etwas zu kaufen, viel höher ist.
  • Redefluss: ich habe oft einen starken Redefluss, was den Menschen oft zu viel wird. Meine Eltern sagten mir oft, ob ich ein Wörterbuch verschluckt habe. Ich habe oft Angst, für andere nervig zu sein.
  • Starke Emotionen: meine Emotionen können sehr intensiv sein. Manchmal ertrage ich sie kaum. Die Emotionen können sich auch schnell wechseln. Ich weine auch schnell, was mir unangenehm ist. Ich bin auch sehr sensibel.
  • Hyperaktive Gedanken: Ich habe oft sehr viele Gedanken, die sich schnell wechseln. Mein Hirn kommt praktisch nie zur Ruhe. Nach aussen wirke ich oft verwirrt.
  • Ständig müde und geringe Stressresistenz: ich bin oft von allem erschöpft und habe den Eindruck, dass ich viele Anforderungen, die man an mich als erwachsene Frau hat, nicht erfüllen kann. Ich bin oft auch reizüberflutet, kann mit dem schlecht umgehen. Ich muss mich ständig zusammenreissen, konzentriert zu bleiben und keine Fehler zu machen. Das führt bei mir auch zu Depressionen. Ich habe bisher keinen Job länger als 1 Jahr durchgehalten, weil es mir irgendwann immer zu viel geworden ist. Ich merkte dass vor allem beim letzten Job als Generalsekretärin, dass ich dem einfach nicht gewachsen war. Dort musste ich sehr strukturiert sein und über alles einen Überblick behalten, was ich einfach nicht schaffte.
  • Mir vieles auf einmal vornehmen: oft nehme ich mir sehr viele Dinge aufeinmal vor. Ich möchte politisch aktiv sein, Freiwilligenarbeit leisten, einen neuen Nebenjob, meine Ernährung umstellen, Sport machen, ein neues Hobby und melde mich für alles an oder beschaffe mir Dinge. Doch am Schluss setze ich praktisch nichts um.

Zwei Ereignisse blieben mir besonders im Kopf:

  • Am Morgen vor meiner Abschlussprüfung konnte ich die ID nicht mehr finden, die ich für die Prüfung brauche. Ich bekam Panik. Es war einfach nicht auffindbar. Ich habe dann dort angerufen und gesagt, dass ich Migräne habe, weil ich mich vor den Konsequenzen fürchtete. Später fand ich sie unter einem Stapel Papier.
  • Als Kind hatte ich ein Konzert (spielte Keyboard). Auf der Bühne stellte ich fest, dass ein Notenblatt von einem anderen Lied war. Ich konnte nicht spielen und das war mir so peinlich. Die Lehrerin sagte auf der darauffolgenden Woche, dass es ihr sehr Leid tut, ich meine Organisation aber unbedingt besser im Griff haben sollte.

Nun zu meinen Vorteilen:

  • Ich habe sehr viele Ideen. Das hilft mir sogar oft aus der Depression, weil ich dann vieles mache, um daraus zu kommen. Ich bin sehr einfallsreich. Ich merkte das vorallem bei Aufsätzen. Bei Themen sind mir viele Dinge eingefallen, die ich schreiben wollte. Manchmal sogar so viel, dass ich mich fragte, wie ich alles aufs Blatt bringe. Ich war im Hyperfokus und musste nie gross überlegen. Ich war immer schnell fertig.
  • Offenheit: ich bin sehr offen für neue Ideen. Ich probiere gerne vieles aus und bin bei vielem dabei. Auch spontan bin ich für viele Dinge zu haben.
  • Empathie und starker Gerechtigkeitssinn: ich weiss nicht, wie typisch das für ADHS ist. Aber ich kann mich sehr gut in andere hineinversetzen. Ich erkenne Gefühle sehr schnell, was manchmal schon auch ein Nachteil ist (verursacht Stress). Aber ich kann Menschen sehr gut aufbauen. Ich bin auch eher idealistisch und stehe für eine bessere Welt ein. Ungerechtigkeiten kann ich gar nicht leiden. Mir ist Menschlichkeit sehr wichtig. Ich bin eine sehr tolerante Person.
  • Durchsetzungsfähigkeit: wenn ich etwas wirklich möchte, kann ich sehr stur sein. Aber ich finde das gut. Ich kann dann andere auch damit nerven, aber ich gebe dann nicht auf. Somit konnte ich schon einige Dinge erreichen.

Ich weiss nicht, wie ADHS spezifisch alles ist. Ich frage mich nur, wie viele Gemeinsamkeiten ich mit euch habe.

Ein schönes Wochenende.

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Ich erkenne mich in allem mehr oder weniger ausgeprägt wieder.
Da ich versuche viel zu kompensieren oder in den Griff zu bekommen geht halt dafür immer ne Portion Lebensenergie verloren, was mir dann Kraft für alltägliches , Freundschafts- oder Hobbypflege raubt.

Die Diagnose hat mir geholfen vieles in einen anderem Licht zu erkennen und Strategien zu entwickeln und/oder bestimmte Dinge mehr oder weniger zu akzeptieren.

Der Austausch in ADHS Foren und die Medikation sind dabei unterstützende Komponenten.

Von daher könnte eine Diagnose und eine evtl. mögliche Medikation dich entlasten.

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Hm, ich erkenne mich auch in manchen Dingen wieder.

Schwierigkeiten? Meine fehlende Energie. Ich bin ein Null-Energie-Mensch. Wenn mich etwas begeistert, kann das auch ganz schnell anders sein, aber das ist idR ein Strohfeuer und nicht nachhaltig. Dass ich so antriebs- und kraftlos bin belastet mich sehr.
Es tut mir leid, aber ich erkenne derzeit keine Vorteile, welche das ADHS mir beschert.
Bei mir entsteht aber auch gerade die Vermutung, dass ich vielleicht AuDHS habe. Ich erkenne autistische Züge an mir wieder und verstehe erstmals, woher ein von mir vor Jahren festgestellter Umstand, dass „zwei Seelen in meiner Brust“ sind, vielleicht herkommt. Diese Gegensätze, ADHS und ASS, die zerreiben auch, können aber auch ausgleichen. Hat halt alles zwei Seiten… das führt wahrscheinlich nochmal vermehrt zum kräftezehrenden Leben bei mir.

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Du hast zu 95% mich beschrieben. :partying_face:

Als ich merkte, dass meine Eigenheiten, die mich ausmachten, Symptome sind, fand ich das gar nicht lustig.
Doch ein Glück habe ich ADHS und denke nicht mehr darüber nach :joy:

Stärke: mein Humor
Schwäche: mein Humor

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