Hm, ich finde das auch sehr schwer so allgemein zu beantworten. Ich denke, der Mensch ist eine Bündel verschiedenster Wesenszüge. ADHS kommt auch in sehr unterschiedlichen Ausprägungen vor. Zusammen ergeben sich bei jedem Menschen sehr individuelle Voraussetzungen und Wünsche, auch was das Berufsleben anbelangt.
Ich hatte nach der Schule zuerst einmal mein Hobby zum Beruf gemacht (Pferde). Die körperliche Arbeit, der Umgang mit den Tieren und die frische Luft fand ich klasse. Ich fand es auch nicht schlimm, dass es praktisch keine Wochenenden und Feiertage gab. Die Ausbildung war auch super, weil ich bei einem sehr großen Gestüt war, wo man alle halbes Jahr die Station gewechselt hatte → Abwechslung. Danach ging es aber ins reguläre Berufsleben und da war eines ziemlich schnell klar: es ist praktisch jeden Tag dasselbe… Stall machen, Pferde machen, Stall machen… (so ganz grob). Ich bin dann irgendwann morgens schon tierisch gestresst in den Stall, weil erst mal die ganze langweilige Stallarbeit anstand. Die Routine, das hat mich fertig gemacht…
Dann hab ich tatsächlich nochmal studiert (ich war natürlich die, wo praktisch in keiner Vorlesung saß ) und bin nach meiner Diplomarbeit von dem damaligen Unternehmen übernommen worden. Hatte also Glück beim Berufseinstieg. Da bin ich auch seitdem, was immerhin inzwischen 12 Jahre sind! In dieser Zeit hat meine Abteilung und das Unternehmen wahnsinnige Entwicklungen/ Änderungen durchlaufen, was stellenweise für mich sehr stressig und dabei sogar grenzwertig war. Aber das hat mich bis jetzt vielleicht gehalten?!
Ich arbeite in einem großen Konzern in der Hauptverwaltung. Also typischer Bürojob. Administrative Tätigkeiten, Projektarbeit. Alles international. Hier kam ich bezogen auf das Großraumbüro an meine Grenzen, weswegen ich mich inzwischen zu praktisch 100% im home-office befinde. Mal schauen, ob ich das behalten darf… die Zeiten ändern sich diesbezüglich ja gerade.
Aber ich merke, dass die Tätigkeit meine ADHS-Defizite (ja, Defizite) immer mal wieder herausfordert und auch überfordert. Sich konzentrieren, komplexe Aufgabenstellungen/Projekte zu organisieren bzw. zu bearbeiten, andere Menschen zusammenbringen, anleiten (das „soziale“ eben ), sich „von Oben“ etwas sagen lassen, auch wenn das unsinnig ist
Seit ich Medikamente nehme, hat sich das (zum Glück) wirklich gebessert. Es zeigt deutlich, dass ich das alles vom Intellekt her kann, nur leider die PS nicht so auf den Boden bekomme wegen dem ADHS. Und ich merke seit der Medikamenteneinnahme auch wieder, dass ich es eigentlich auch gerne mache! Ich habe in dem was ich tue auch einen gewissen Freiraum (was natürlich auch Verantwortung mit sich bringt und auch hier wieder, dass ich selber strukturieren/organisieren muss !).
Ich war vor kurzem bei einer ADHS-Coach, welche seit Jahrzehnten mit ADHSlern arbeitet, und die meinte, dass es eher selten sei, dass ein ADHSler so eine Bürotätigkeit hat. Ich denke mir inzwischen aber, dass das Thema bei Erwachsenen ja erst die letzten Jahre so richtig in Schwung gekommen ist und das sich das vielleicht so Stück für Stück ändern wird, wenn immer mehr diagnostiziert und somit auch (medikamentös) geholfen werden kann. Controller werde ich wahrscheinlich nie, das ist dann schon eine Stufe zu krass, aber auch im klassischen Bürobereich gibt es abwechslungsreiche Tätigkeiten. Und ich denke mir manchmal, mich, bezogen auf meine Defizite, so gar nicht herauszufordern möchte ich auch nicht…
Ja, als Rettungssanitäter wäre ich vielleicht besser aufgehoben (ist doch so ein Berufsklassiker, welchen man ADHSlern nahelegt, wenn ich das richtig gelesen habe), vielleicht hätte ich mich da tatsächlich besser entfalten und wohlfühlen können. Aber hey… hätte hätte Fahrradkette…
Ich denke was hilft ist, sich klar zu machen, was überhaupt nicht geht und wo man Kompromisse eingehen kann (muss). Die Vorstellung „Beruf kommt von Berufung“ ist ja schön und gut, ist aber meistens fern jeglicher Realität. Es gibt Menschen, die haben das Glück dass das zutrifft, die meisten gehen aber arbeiten, weil sie schlicht und ergreifend ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen.
Wie sieht es bei dir denn aus? Wie alt bist du? Nimmst du Medikamente? Welchen Beruf hast du denn immer ausgeübt, dass er dich so schnell gelangweilt hat?