Ein super spannendes Thema und wenn ich so lese, sehe ich, dass viele ähnliche Wege haben wie ich. Als jemand, der relativ ‘frisch’ diagnostiziert ist, ist das ziemlich beruhigend.
Ich habe nach einem gescheiterten Versuch auf dem Gymnasium meinen Realschulabschluss gemacht und hinterher, mehr schlecht als recht, gerade so mein Fachabitur im Bereich Gestaltung hinbekommen.
Eigentlich hatte ich das Ziel (weil ich schon immer sehr kreativ war usw.), Mediengestaltung oder etwas ähnliches zu lernen. Gerade mit meinen Noten war da aber rein gar nichts zu machen.
Also habe ich eine Ausbildung zur Bürokauffrau gemacht (nach dem 1. AJ in einem kleinen Handwerksbetrieb, in dem ich gemobbt wurde, dann als schulische Ausbildung abgeschlossen).
Auch als Bürokauffrau, trotz wirklich überraschend guter Noten weil mir die Thematiken liegen und logisch erscheinen, habe ich keine Anstellung gefunden.
Nur im CallCenter (inbound zum Glück). Aber da habe ich schnell gemerkt, dass das komplett das Gegenteil zu allen meinen Bedürfnissen ist. Ich habe gemerkt, dass ich richtig Angst vor dem Telefonieren entwickelt habe, jeder Arbeitstag war die Hölle für mich und ich war fast erleichtert, als ich zum Ende der Probezeit hin gekündigt wurde. Soziale Ängste, die ich bereits mein Leben lang hatte, haben ein neues Ausmaß entwickelt. Seit dem vermeide ich es tatsächlich, auch wenn es schon fast 20 Jahre her ist, soweit es geht zum Telefon zu greifen. Glücklicherweise kann man heutzutage ja auch viel schriftlich bzw online lösen.
Danach kam einige Zeit der Arbeitslosigkeit und ich habe, eher weil ich nichts zu tun hatte als irgendwas sonst, ein Praktikum in der Altenpflege gemacht. Da bin ich aufgeblüht, ich habe gemerkt, wie viel es mir gibt, einen so abwechslungsreichen Tagesablauf zu haben und habe auch meine Ausbildung als Altenpflegefachkraft abgeschlossen. Leider durch Lernschwierigkeiten und Angst vor praktischen Prüfungen auch eher mit mäßigem Ergebnis, aber immerhin ohne Wiederholung.
Ich bin direkt nach der Ausbildung ausgezogen und 600 km weit weg von meinem Elternhaus. Im neuen Betrieb habe ich aber nie das Gefühl gehabt, einen Anschluss zu finden und irgendwie kam ich gar nicht in den Abläufen klar und wieder war es eine Kündigung innerhalb der Probezeit nach 5 Monaten.
Dann ging die Depression los. Diese wurde bereits früher diagnostiziert, aber das Tief war schlimmer als alles vorher. Schlafstörungen habe ich schon, seit ich denken kann und durch den psychischen Stress hatte ich auch starke körperliche Symptome (Rückenschmerzen, Migräne, etc.)
Durch eine berufliche Reha bin ich dann Jahre der Erwerbslosigkeit später wieder im Bereich Pflege gelandet, allerdings nicht in der ausführenden.
Aktuell halte ich diesen Job seit drei Jahren und bin sehr stolz darauf. Ich bin Prozessbegleiterin in einem recht großen Seniorenzentrum. So etwas wie die Schnittstelle zwischen Verwaltung und Pflege. Und was für mich wichtig war: keine Schichtarbeit.
Ich kümmere mich ums Fortbildungsmanagement, um Hilfsmittel, berate zur Sturzprophylaxe, mache Inventur im Pflegebereich, Lagerarbeiten… Irgendwie bin ich Mädchen für alles und es ist fantastisch. Ich sitze hin und wieder am PC, habe aber auch viel im Haus und auf den Wohnbereichen zu tun, habe viele Wege, körperliche Auslastung und Abwechslung.
Kein Tag ist wie der andere und ich habe das Gefühl, ich werde mit meinen Macken, meiner starken Emotionalität und meiner Paddeligkeit angenommen und sie ist okay.
Ich merke zwar, dass mir meine ‘Aufschieberitis’ und die sozialen Ängste manches sehr schwer macht, aber ich kämpfe mich durch und habe zum Glück sehr gute Unterstützung und eine Arbeitsumgebung - auch in der Chefetage - die es mir nicht schwer macht.
Ich habe es sogar Anfang des Jahres geschafft, von 25h und 4-Tage-Woche auf 30h und 5-Tage-Woche zu gehen. Aber ich bin mir sehr sicher, dass 30 das Limit für mich ist.
Seit einer Woche werde ich nun, noch mit einer sehr niedrigen Dosierung, medikamentös eingestellt und bin gespannt, wie sich das dann auf den Alltag bei der Arbeit auswirken wird.