Hi,
Ich tue mich immer sehr schwer jemand anders zu erklären wie ich mich mit ADHS fühle…
Deshalb bin ich auf die Idee gekommen euch mal zu fragen…
Wie fühlt ihr euch mit ADHS und wie habt ihr gemerkt das ihr „anders“ seid?
Lg Lara
Ich beschreibe es so eng vertrauten Personen:
Ich nehme permanent sehr viel wahr und habe immer viele Gedanken gleichzeitig in meinem Kopf. Die ganze Zeit prasseln ohne Unterbrechung Informationen auf mich ein, die ich im Kopf sehr komplex zusammensetze. Ich denke immer sehr weit und mache viele und ungewöhnliche Verknüpfungen, bin also sehr kreativ. Ich kann allerdings nichts davon steuern, ausblenden oder in Bahnen lenken. Ich kann diese Dinge nicht einfach priorisieren, sie müssen auch gar keinen Sinn ergeben und können aufgrund der Datenflut auch sehr oft nicht lange aufrecht erhalten werden. Das heißt, mich auf etwas zu konzentrieren fällt mir oft sehr schwer.
Ich weiß nicht, ob es Autismus oder eine erlernte Strategie von mir ist, dass ich ohne klare Struktur und Logik funktionsunfähig bin und dass ich so oft die Gedanken wieder durchgehe, bis ich es zuende gedacht habe. Das sind Prozesse, die bei mir seeehr lange dauern, dafür weiß ich irgendwann richtig viel in einem Gebiet.
Innerlich fühle ich mich meistens unruhig und getrieben. Daher brauche ich viel Bewegung, kann nicht lange in einer Position verharren oder auf einem unbequemen Stuhl ruhig sitzen oder so.
Ich brauche viele spannende Reize in meinem Leben auf der einen Seite. Mein Gehirn sucht automatisch nach Spannung. Das Gute daran ist, dass mir nie langweilig ist und ich mich immer weiterentwickle. Und auf der anderen Seite bin ich häufig überfordert durch die Datenflut. Sinnenreize wie Geräusche, Gerüche, Licht und Berührungen sind für mich sehr stark. Es gibt nichts für mich im Hintergrund, sondern nur alles ganz nah. Regelmäßig wird mir Alles zu viel und dann falle ich in eine Starre, die schwer aufzulösen ist.
Ich bin sehr emotional. Ich fühle sehr intensiv und hatte immer wieder starke Emotionsschwankungen mit impulsiven Verhaltensmustern.
Dadurch dass meine ADHS lange unbehandelt war, habe ich einige Begleiterkrankungen wie Depressionen und eine Traumafolgestörung entwickelt. Ich denke, mein schlechtes Selbstbewusstsein kommt auch daher.
Mir helfen Medikamente, um die Datenflut zu verringern und mich ruhiger zu fühlen.
Für nicht eng vertraute Personen habe ich noch keine passende Kurzform gefunden. Bin daher gespannt, was Andere hier schreiben.
Ich finde das auch sehr schwierig. Ich muss es ja nicht jedem erzählen, aber für verschiedene Personen, denen ich es mitteilen möchte, hätte ich gern eine kurze Version und eine von mittlerer Länge. Ich habe aber das Gefühl, daß ich damit einige Personen, die sich noch nicht mit dem Thema beschäftigt haben oder nicht besonders emphatisch sind, zum Beispiel ältere Leutchen aus dem familiären Umfeld, nicht wirklich abholen würde.
Fachbegriffe kann man in dem Kontext nicht verwenden, und wenn man es in Alltagssprache formuliert, klingt es in deren Ohren vielleicht so banal, daß diese Leute nicht verstehen, was das überhaupt soll.
Manchen Personen würde ich lieber einen Link zu einem Erklärvideo geben oder ein bedrucktes Kärtchen in die Hand drücken, damit sie es sich durchlesen können, weil ich mit Unverständnis rechne, wenn ich es ihnen mündlich erkläre. Was vielleicht auch ein wenig mit meinem ASS zusammenhängt.
Ich habe noch keine Formulierungen gefunden, die ich überzeugend finde. Anders sieht es bei Leuten aus, denen das Thema Neurodivergenz nicht fremd ist. Denen kann ich ganz gut erklären, wie es mir geht.
Ich erkläre das meistens so:
- alles gleichzeitig machen, die Hälfte bleibt liegen,weil man wieder was neues gefunden hat oder einen neuen einfall/idee/ gedanken hatte
- Bedürfnisse nehme ich nicht war: manchmal fällt mir nach 8h stunden auf ,dass ich mal aufs klo muss, essen/trinken muss,weil die Körper schmerzen sendet
- ich bin ein strukturliebender chaot
- ich habe es gern sauber und ordentlich, aber da wo ich bin ,sieht es aus als wäre was explodiert (aussage mein mann)
- ich bin innerlich oft am schreien, weil man mir beigebracht hat ,es nicht (in der Öffentlichkeit) nach aussen zu lassen
- mein hirn ist rasent schnell mit ner fahrradbremse
- ich habe sofort plan b,c,x,y parat wenn plan a nicht funktioniert
- ich werde super schnell nervös bei Lärm, zu vielen Menschen, grelles Licht
- ich spüre Stimmungen
- ich bin zeitblind und super vergesslich
- unangenehme Dinge werden prokrastiniert
- Rechnungen fast sxhon aus Prinzip erst nach der der ersten Mahnung bezahlt, weil unangenehm
- kein Gefühl für Zeit
- …könnte noch ewig weiter schreiben, aber das waren erstmal mal die wichtigsten Dinge
Ich bin da „modern“ und ziehe Werbung zur Erklärung heran:
Kennst du diese Kaugummi-Werbung, wo der Typ in der Bibliothek sitzt und auf einmal einen schreienden Mund auf der Stirn hat? Ja? Das ist mein Hirn rund um die Uhr und da hilft kein Kaugummi ….
Alle anderen/weiteren Erläuterungen fallen meist in die „Ja ja“-Rubrik oder werden als „Ausrede“ deklariert. Depressionen hat schließlich auch jeder schon mal gehabt, da reißt man sich mal zusammen und dann läuft das wieder.
Falls mich heutzutage jemand fragen sollte was ADHS ist, dann rede ich mir nicht mehr das Maul fusselig und versuche verzweifelt jemand ADHS zu erklären.
Sondern sage dann in Zukunft nur, (falls es dazu kommen sollte) : „weisst du was, du hast doch ein Smartphone oder?, gib dort bei deiner Suchfunkion mal „ADHS bei Erwachsenen“ ein, dann wirst du ganz sicher sehr viel Informationen zu ADHS finden“.
Natürlich werde ich dann wahrscheinlich blöde angeglotzt, vielleicht weil die Person dann denkt „man ist die aber unfreundlich“, aber ganz ehrlich, dass ist mir dann egal, weil Hey schliesslich leben wir ja alle im Computer Zeitalter.
Und wer täglich an seinem Handy hängt und genug Zeit hat um damit Videos und weiss der Geier was sonst was anzuschauen, der kann auch ansonsten selbst googeln was ihn gerade so interessiert.
Stress
Da kann ich dich gut verstehen. Ich bekomme auch die Krise, wenn ich bei fb oder auf Quroa sehe, dass die Menschen den ganzen Tag am Smartphone kleben aber nicht ein oder zwei Stichwörter in Google oder YouTube eingeben können. Stadtmessen beschäftigen sie andere Menschen das zu tun. Die Technik wird immer einfacher und schneller, aber die Menschen immer fauler und bequemer.
Das ist eine sehr gute Frage, welche ich mir selber auch schon gestellt habe. Als ich mich im Diagnoseverfahren befunden hatte, habe ich versucht bei einem Treffen mit meinen Freunden, das zu erklären… Eine Freundin konnte es überhaupt nicht verstehen bzw nachvollziehen. Der Klassiker: Hä? Aber so fühlt sich doch jeder mal?! (—> analog Depression: jeder fühlt sich doch mal schlecht!). Ich nehme es ihr nicht übel, da sie ein sehr logisch agierender Mensch ist. Die Anderen konnten es verstehen, vor allem das Thema Impulsivität, das haben die bei mir sofort bestätigt Interessant war, dass eine Freundin dann erzählt hat, dass eine andere Freundin von ihr (aus einem anderen Freundeskreis, welchen wir nicht kennen), auch vor kurzem die Diagnose erhalten hat. Bei ihr war das also gerade sowieso ein bisschen ein aktuelles Thema
Ich weihe bis jetzt nur sehr wenige in das Thema ein, weswegen ich nicht wirklich viel erklären muss. Enge Familie weiß es (da ist viel Interesse. Ich vermute da noch mehr Undiagnostizierte…), Freunde. Punkt. Ach, und eine (!) Arbeitskollegin (große Ausnahme!). Wir sind gleich alt, kommen gut miteinander aus und ich habe den Verdacht, sie hat das auch… Deswegen hab ich sie mal vorsichtig auf das Thema angesprochen und ihr dabei gesagt, dass ich selber betroffen bin. Um ihr zu zeigen, dass ich kein „Normalo“ bin, welcher sie für „krank“ erklären will.
Einer anderen Freundin habe ich es auch gesagt und die meinte „DU hast ADHS???“. Dann hat sie im gleichen Zug gesagt, sie wäre ein „Ritalin-Kind“. Also in der Kindheit diagnostiziert. Sie konnte es aber erst gar nicht glauben, dass ich das habe. Bin ja „erfolgreich“ und nirgends so wirklich gescheitert und nicht Hyperaktiv… Ihr „Geständnis“ hat aber auch hier eine Vermutung meinerseits bestätigt… sie macht aber beim Thema Medikamente komplett zu. Sie hat es im Griff, sagt sie…
Wem würdest du denn erklären wollen, wie du dich mit ADHS fühlst? Und warum?
Das finde ich noch viel schwieriger zu beantworten. Ich habe es nicht irgendwie gemerkt, das war einfach schon immer irgendwie so da. Als Kind ging es noch, ab der Pubertät wurde es immer schlimmer. Die alle da drüben, ich hier. Ich bin irgendwie anders… konnte es aber (bis heute!) nicht benennen, was das „anders“ genau eigentlich ist. Da bin ich selber ratlos.
Aber dem jungen Erwachsenenalter habe ich das auch ein paar Mal direkt ins Gesicht gesagt bekommen: du bist komisch.
Das macht natürlich was mit dem Selbstwertgefühl…
Vielen Dank für alle eure Antworten