Willkommen im Club? Der Beginn der Reise

Moin,

bin hier der Neue, also habt Rücksicht :smiley:
Bei meiner jüngsten Tochter (fast 10) wurde Anfang des Jahres (nach 8 Jahren der verschiedensten Probleme) die Diagnose ADHS gestellt, Medis & Therapie laufen jetzt, bleibt aber extrem schwierig…
Letztes Wochenende waren wir nach einer erneuten Eskalation (Wutausbruch) notfallmäßig in der Kinderpsychiatrie des Krankenhauses, wo sie psychiatrisch betreut wird. (Ihre Therpeutin arbeitet dort auch halbtags und halbtags in einer Privatpraxis, was uns einiges erleichtert).
Im Gespräch mit der diensthabenden Ärztin meine sie dann irgendwann „Ihnen ist schon klar, dass ADHS vererbt werden kann? Ich sehe bei ihnen auf Grund ihrer Schilderungen deutliche Anzeichen, dass da was sein könnte…“. Hatte danach noch mit der behandelnden Therapeutin geschrieben und sie meinte nur „Ich dachte, die wüssten das schon längst“… Ähm… Nö…
Diverse Selbsttest zeigen schon klare Hinweise bei mir, der eigentest hier Hinweise, der Fremdtest, den meine Frau gemacht hat, deutliche Hiinweise…

also werd ich jetzt erstmal schauen, wo ich eine Diagnose herbekomme…

Jetzt aber zu meiner eigentlichen Frage:
Ich habe im Leben keine merklichen Einschränkungen, habe aber (vermutlich) mit meinen 50 Jahren diverse Strategien entwickelt (Beispiel: Um Dinge nicht zu vergessen trage ich Termine sofort (also nicht in einer Minute, sondern sofort) in den Kalender (Elektronisch, damit der mich dran erinnert. Papierkalender gehen nicht, ich vergesse reinzuschauen)), Kleine dinge, die gemacht werden müssen, müssen sofort erledigt werden usw.
Meine „Befürchtung“ ist jetzt (da habe ich auch bei einigen Fragen gehadert), dass meine Strategien, deren ich mir vermutlich großteils nicht bewusst bin (die beiden Beispiele oben sind mit erst aufgefallen, als ich mich mit den Problemen durch ADHS befasst habe), die Diagnose erschweren könnten.
Beispiel: Frage nach „Vergessen sie oft Termine“? Nö. Mach ich nicht. Hab ich ja im Kalender stehen…

Wie geht man damit um? erkennt das der Arzt?

Und: Die Therapeutin meiner Tochter hat auch gefragt, was ich mir denn von einer Diagnose erhoffe…
Tja… Erstmal klarheit, dann auch Hilfe bei einigen Problemen wie der Impulskontrolle und meiner Wut in manchen Stuationen. Viele andere Sachen sind (laut meiner Frau) für andere ein größeres Problem als für mich (andere bei reden unterbrechen, 3 Schritte in Gedanken weiter sein usw.). Ich hatte allerdings auch schon 2 depressive Phasen mit Therapie bzw. teilstationärem Aufenthalt…

Wie ist das bei euch? Gerade bei Leuten, die keine „massiven“ Einschränkungen hatten? Was hat sich bei beuch geändert, als ihr das wusstet?

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Hallo @Merlin123 und herzlich willkommen!

Die Diagnose an sich hat mir wenig was gebracht, ich habe diese sogar ca. 1 Jahr nicht ernst genommen und mich nicht weiter um Medikamente gekümmert oder mich mehr über das Thema belesen. Erst mit den Medikamenten ist eine enorme Veränderung gekommen. Wobei auch dadurch muss(te) ich viele Tiefen erleben, denn man bekommt auch für unangenehme Dinge und verpasste Chancen Klarheit.

Erfahrenen Ärzten oder Therapeuten sollte eigentlich klar sein, dass Erwachsene unbewusst oder bewusst Strategien gegen manche Symptome entwickelt haben. Und eine Diagnose ist mehr als paar Fragebogen und es muss immer ein Auswertungsgespräch geben, wo du z.B. deine Strategien erwähnen kannst.

Welche Medikamente bekommt deine Tochter? Wutausbrüche können viele Ursachen haben, eine davon könnte Rebound sein, wenn das Medikament aufhört zu wirken. Kommen solche oft, die notfallmäßig in der Kinderpsychiatrie enden?
Laienhaft muss ich bei sowas immer an ASS denken, aber sie scheint kompetente Ärzte zu haben, daher gehe ich davon aus, dass das Thema bereits geklärt ist?

Erst mal danke für Deine ausführliche Antwort.
Ich habe leider auch ne Menge Züge an mir, die den Umgang mit mir für viele schwierig machen. Ein paar Sachen habe ich durch meine Therapien im Rahmen der depressiven Episoden etwas besser im Griff, andere Sachen aber nicht. Wusste nur bisher halt nicht, woher die kommen. Passen aber halt sehr gut zu ADHS, was es erklären würde.

Ich hoffe jetzt mal, das ich nen passenden Therapeuten finde. Das wird der erste Schritt. Mal schauen was da rauskommt… Nachdem aber zwei Therapeutinnen unabhängig schnell Hinweise gefunden haben denke ich schon, dass ich da ne „Baustelle“ habe…
Der Hinweis auf das „Nicht nr Fragebogen“ ist super. Die Befürchtung hatte ich nämlich…

Bei der Tochter sind die Wutanfälle seit sie 2 ist… Sie bekommt aktuell 20mg Medikinet, wir machen aber einen Termin bei der Psychiaterin aus, da die Therapeutin am Wochenende meinte, es kann sein, dass man da noch was optimieren kann.
Das war der erste Wutanfall, wo ich die Reisleine gezogen habe, da sie diesmal gedroht hat, dass sie weglaufen will. Sonst kriegen wir das immer „irgendwie“ hin. Sie sind halt teilweise extrem mit Schlagen, treten, beißen usw. Haben da ne riesige Odyssee hinter uns bis endlich die aktuelle Therapeutin schnell den Grund gefunden hat. Sie halt halt gefühlt 80% der ADHS typischen Probleme, was ihr das Leben oft extrem schwer macht.
Das in Kombination mit meinen Problemen (wir haben beide extreme Probleme bei der Impulskontrolle, bei mir zum Glück mittlerweile nur noch in extremen Situation ein echtes Problem) ist das halt alles wahnsinnig schwer. Und da meine Frau das halt nicht kennt und nicht nachfühlen kann ist es für sie (und unsere andere Tochter (12)) extrem schwer…

Ich hoffe halt, dass es für mich Möglichkeiten gibt, die Situation zu verbessern und ich dadurch auch meine Tochter besser unterstützen kann… alles kompliziert :frowning:

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Hallo Merlin und herzlich willkommen,

ich kann dich sehr gut verstehen. Das Verstehen deiner möglichen ADHS ist ein Prozess, in dem du mit der Zeit merken wirst, dass es eben doch massive Einschränkungen sind, mit denen du dein Leben lang zu tun hast.

Ja, die Ablenkbarkeit und das Vergessen sind lästig, aber die Impulsivität ist doch, für dich und deine Umgebung, viel gravierender.

Ich hatte es hier schon öfter geschrieben, ich hatte (übrigens drei Jahre nachdem mein großer Sohn behandelt wurde - was machen all die armen ADHS-Erwachsenen ohne ADHS-Kinder?) Hilfe gesucht, weil ich mich im Beruf verzettelte - meine Impulsivität, wechselnde Launen, häufige Streitigkeiten mit meiner Frau hatte ich gar nicht als Problem wahrgenommen, ich sah mich als Person an, die nicht leicht aus der Ruhe zu bringen ist. :adxs_lach:

Erst durch die Wirkung des Medikamentes nahm ich wahr, dass es auch anders geht, ich erlebe eine Ausgeglichenheit, die ich vorher nicht kannte, und wenn das Medikament abends nachließ und ich begann mich über Kleinigkeiten aufzuregen, kam das Erschrecken, boah, so war ich früher immer oder jedenfalls sehr häufig? :adxs_ai:

Deine Befürchtung, dass du bei der Untersuchung „durchfällst“, weil du Strategien entwickelt hast, ist schon berechtigt, und zwar wenn du auf unerfahrene Diagnostiker triffst, die nur Punktlisten abarbeiten und nicht nachhaken. Ärztinnen, die Erfahrung mit ADHS bei Erwachsenen haben, können das aber sicher gut einschätzen.

Was deine Tochter betrifft - das ist ja traurig dass es so lange gedauert hat bis sie die ADHS bei ihr endlich erkannt wurde. Ich wünsche euch, dass es ihr bald deutlich besser geht.

20 mg Medikinet, ich nehme an Retard, einmal am Tag? Das kann man ganz sicher optimieren! Wichtig ist gerade bei impulsiven Kindern und Jugendlichen, dass der ganze Tag abgedeckt ist, eine Kapsel reicht längstens bis zum frühen Nachmittag. Und dann muss man den richtigen Zeitpunkt zum Nachnehmen herausfinden - spätestens eine halbe Stunde bevor die Wirkung nachlässt, um eine Lücke zu vermeiden.

Frühstückt eure Tochter gut? Medikinet Retard ist ja vom Essen abhängig, Frühstücksmuffel sollten lieber Ritalin LA nehmen. Dann muss natürlich die Dosis passen; vermutlich ist die 20-er Kapsel jetzt noch ausreichend, aber behaltet es im Auge, bei unserem Sohn ging die nötige Dosishöhe mit 11 oder 12 sprunghaft in die Höhe. Und gerade in der Pubertät ist es ganz wichtig, weiterhin gut mit MPH abgedeckt zu sein.

Die Dosis am Nachmittag (und eventuell nochmal am Abend) kann ein Stück geringer sein als die am Morgen. Aber ich hör jetzt auf, das besprecht ihr am Besten mit der Ärztin eurer Tochter.

Viele Grüße und alles Gute
Falschparker

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Danke für die Ausführung.
Das mit der Tochter klären wir auf jeden Fall mit den behandelnden Ärztinnen & Therapeutinnen, ich warte gerade auf den Rückruf der Ärztin. Es laufen außenrum noch andere Maßnahmen an (in Absprache mit dem Jugendamt), da es so aktuell nicht mehr funktoniert. Mal schauen.

Hmmm… ja, vielleicht hab ich doch mehr einschränkungen als mir bewusst ist bzw. welche, die ich halt als „ist so“ hinnehme, weil ich es nicht anders kenne.
Meine Frau kommt mittlerweile großteils mit mir zurecht, war aber am Anfang ein schwerer Weg. Und auch jetzt haben wir noch einige stellen, wo es ziemlich Konfliktpotential gibt. Grad halt meine Impulsivität, mein „Oh was cooles neues. Hab ich dir schon das und das darüber erzählt?“, das ins Wort fallen, weil ich schon längst 3 Schritte weiter bin usw, sind so Themen. Launenwechsel kenn ich auch… vor allem das schnellen Wechsle von „alles supi“ auf „was mach ich eigentlich hier auf der Welt?“… ist vor Außsenstehende auch nicht nachvollziehbar.

Ich bin mal gespannt wo die reise hingeht… Aktuell ein „typisches“ Problem: Das geht mir alles zu langsam :stuck_out_tongue:

Auf jeden Fall tut es meiner Tochter gut zu wissen, dass ich auch „so“ ticke (bzw. der Verdacht besteht). Hab das Gefühl, dass sie froh ist, nicht mehr allein damit zu sein.

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So… Hab jetzt für Anfang Januar einen Termin zur Diagnostik… also 3 Monate warten… Ist ja voll meine Stärke :stuck_out_tongue:

Bin mal gespannt…

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