Also ich persönlich habe ADHS immer als Vorteil erlebt und bin lange gar nicht auf die Idee gekommen, das es eine Krankheit ist.
Jedenfalls bis zu einem gewissen Punkt, bis die Komorbitäten heraus gekommen sind.
Irgendwie habe ich nach einer schweren Kindheit voller Schulwechsel und dem schlechtest möglichen Abitur für mich beschlossen, einfach so zu leben wie ich das am besten kann.
Ich war in meiner Jugend ein sehr aktiver Sprayer, bin darüber in die Kunst gekommen, hab dann ein Architekturstudium begonnen. Bin aufgestanden wann ich wollte und hab von Tiefkühlpizzas gelebt, die Sozialen Ängste mit Alkohol kaschiert und ein schönes Leben gehabt.
Ich war in manchen Semestern in keiner einzigen Vorlesung, aber hab die Abgaben dann jeweils in den letzten Tagen und Nächten davor dank Hyperfokus besser hinbekommen als viele andere. Mit Zahlen kann ich absolut nichts anfangen, die Fächer hab ich dann eben gar nicht probiert zu bestehen, aber am Ende zählen ja nur die erreichten Gesamtpunkte.
Auch mein späterer Beruf als Architekt verlief super, man hat sowieso Fachplaner für die Aufgaben die einen nicht interessieren und kann immer nur das bearbeiten, was man mag und das dann besonders gut, den Rest gibt man ab. Als Architekt ist das ganz normal und ich bilde mir manchmal ein, dass eigentlich jeder Architekt den ich kenne zumindest eine milde Form von ADHS haben muss, um gut zu sein.
Wenn man für seinen Entwurf brennt, dann gibt man mehr als 100 % das er realisiert wird, ansonsten funktioniert es eben nicht.
Viele Architekten entwickeln diese typische Arroganz als Coping Strategie, als wären sie für viele Arbeiten zu schade, in Wahrheit können sie das alles meiner Meinung nach oft aber einfach nicht und überspielen das dann bewusst oder unbewusst.
Im Büro sitzen und Routine erledigen kann ich nicht, dafür gibt es dann Bauzeichner, Statiker und so weiter, man muss nur den Überblick behalten was die alle so treiben.
Aber wenn alles brennt auf der Baustelle und niemand weiter weis und man impulsiv und spontan Lösungen finden muss, da ist man mit ADHSler zu Hause und funktioniert, daran wird in meinem Beruf gemessen.
Wenn es Probleme gibt und die gibt es permanent auf der Baustelle, dann funktioniere ich 200 %.
Anders ist aber das „normale“ Leben, Partnerschaft und besonders ein Kind, da funktioniere ich dann 10%. Da konnte ich mir nicht heraus suchen was ich gerne mache und habe plötzlich realisiert, dass ich absolut nicht in der Lage bin die einfachsten Dinge zu erledigen wenn sie erledigt werden müssten. Das ich gar keine Kontrolle darüber habe, was ich kann und was nicht, sondern meinem Dopaminspiegel ausgeliefert bin wie ein kleines Kind. Ich bin kein funktionierender Erwachsener und werde es nie sein.
Seit ich dafür die Gründe kenne, fällt es mir aber viel leichter.
Probleme macht ADHS immer nur bei mir, wenn ich versuche „normal“ zu sein, das kann ich einfach nicht. Solange ich das akzeptiere und meinen eigenen Weg gehe, funktioniert das super.