Kurzfassung:
Ich (33) befinde mich in einer überraschend kurzfristig zustande gekommenen Diagnostik (Wartezeit 2 Wochen), die ausschließlich aus zwei sehr oberflächlichen Gesprächsterminen besteht und an deren Ende (im Falle einer ADHS-Diagnose) eine ausschließlich medikamentöse Behandlung stehen würde. Damit fühle ich mich unwohl. Ich bin mir zwar inzwischen bzgl. einer ADHS-Diagnose selbst sehr sicher - und das obwohl ich normalerweise eher dazu neige, mir krankheitsbedingte Symptome schön zu reden anstatt sie als Krankheit zu betrachten - und würde mich daher eigentlich über eine Diagnose freuen, um mich selbst besser verstehen und mir vor allem gezielter Hilfe suchen zu können. Gleichzeitig erscheint mir das Ganze irgendwie unseriös und ich fühle mich ein wenig verloren.
Ausführlicher:
Vorgeschichte
Hallo zusammen,
vor einigen Monaten habe ich ein TikTok-Video einer Frau mit ADHS gesehen, die zur Verdeutlichung ihrer Symptomatik zeigt, wie sie in ihrer Wohnung von Gedanken zu Gedanken gesprungen ist und dabei einen chaotischen Pfad aus offenen Türen, herumliegenden Gegenständen und angefangenen aber nicht beendeten Mikro-Projekten hinterlassen hat. Nach dem Video dachte ich mir: Haha, also wenn das ADHS wäre, dann hätte ich (33) das ja auch.
Ja, „haha“, aus Spaß habe ich dann angefangen zu recherchieren, was ADHS wirklich ist, und dabei festgestellt, dass sowohl die Beschreibungen von ADHS-Verhalten, als auch alle Online-Tests (inkl. dem ausführlichen ADxS-Test) sehr eindeutig darauf hinweisen, dass ich vielleicht gar nicht aus mangelnder Selbstdisziplin besonders chaotisch, langsam und leicht ablenkbar bin. Stattdessen habe ich mich vor allem in der hypoaktiven, also der verträumten, nach innen gerichteten ADHS-Variante, zu 100% wiedergefunden.
Auch der dann obligatorische Blick auf meine Grundschulzeugnisse schien mir ziemlich eindeutig zu sein. Sogar so eindeutig, dass ich mir kaum erklären kann, warum das damals niemand thematisiert hat (wobei ADHS damals vermutlich insbesondere bei Jungen eher in der hyperaktiven, zappeligen Variante bekannt war, während ich einfach nur verträumt und langsam war und trotzdem alles mitbekommen habe). Wie oben schon kurz erklärt, neige ich eigentlich dazu, bei möglichen Krankheiten eher abzuwinken, bis mir ein Arzt sehr eindeutig vermittelt, dass ich etwas wirklich habe („Sie können mir das glauben, wenn ich Ihnen das sage“) aber hierbei bin sogar ich selbst überzeugt.
Wie ich die Diagnostik gefunden habe
Da ich wegen anderer Anliegen (Depression und Verdacht auf Panikattacken / Angststörung) in einer Therapie war, bzw. gerade zur Verhaltenstherapie gewechselt bin, habe ich mit meinem neuen Therapeuten kurz über meine Gedanken gesprochen. Dabei ging es mir vor allem um die Frage, wie ich an eine Diagnostik komme, bei der Menschen aus meiner Stadt aufgenommen wwerden. Er wusste das selbst nicht, hat dann aber in seinem Team nachgefragt (die Therapie gehört zu einer Uni) und mir im Anschluss die Telefonnummer einer kooperierenden Psychiatrie und den Namen eines Arztes gegeben.
Unseriöse Diagnostik?
Auf der Website dieser psychiatrischen Klinik konnte ich keine Informationen zu einer möglichen ADHS-Diagnostik finden, habe aber trotzdem dort angerufen und direkt einen Termin zwei Wochen später angeboten bekommen. Das hat mich dann doch sehr verwundert, weil ich in der Zwischenzeit schon hier im Forum einiges über die möglichen Wartezeiten gelesen habe und dafür, dass ich mitten in NRW lebe, waren zwei Wochen dann schon krass.
Den ersten Termin habe ich inzwischen hinter mir. Der bestand aus einem etwa 30-Minütigen Gespräch mit dem Oberarzt dieser Klinik. Während dieser 30 Minuten haben wir vor allem Formalia besprochen (Wohnort, Vorerkrankungen, usw.) und der Arzt hat in meinem Beisein meine Grundschulzeugnisse überflogen und dabei festgestellt, dass sich „eine ADHS-Symptomatik im Kindesalter sehr eindeutig herleiten“ ließe. Außer einer kurzen Erläuterung, warum ich eigentlich zu ihm gekommen bin, haben wir über nichts Weiteres gesprochen.
Morgen habe ich nun den zweiten Termin bei diesem Oberarzt. Dieses Mal soll es um die von mir erlebte Symptomatik im Erwachsenenalter gehen. Dafür gibt es wohl einen standardisierten Fragebogen. Er hat mir bereits vor dem ersten Gespräch per E-Mail mitgeteilt (und das auch im Erstgespräch noch einmal erwähnt), dass spätestens am Ende dieses zweiten Termins das Ergebnis der Diagnostik feststehen wird. Auch erwähnte er schon, dass im Anschluss an eine mögliche Diagnose eine medikamentöse Therapie bei ihm erfolgen wird, wobei er hervorgehoben hat, dass es sich ausschließlich um eine medikamentöse Therapie handelt.
Wie es mir damit geht
Nun bin ich ehrlich gesagt sehr verunsichert. Ich hatte zwei Ziele für meine Diagnose: 1. Hätte ich gerne, dass mir eine Fachperson meine Vermutung bestätigt oder eben nicht bestätigt, damit ich auf dieser Basis weiterarbeiten kann. Und 2. ist mein Ziel, mir im Falle einer ADHS-Diagnose besser selbst helfen und Hilfe suchen zu können. Medikamente sind dabei für mich nur die letzte Wahl, da ich in den meisten Alltagssituationen zwar ein wenig leide aber irgendwie trotzdem zurecht komme (gerade habe ich nach nur 12 Jahren mein Bachelor-Studium abgeschlossen, Jippie!). Ich könnte mir eine reine Bedarfsmedikation für sehr schwierige Phasen (oder solche, in denen hohe Konzentrationsfähigkeit enorm wichtig ist) zwar vorstellen, darüber hinaus möchte ich aber viel lieber an meinem Verhalten arbeiten und daher soweit wie möglich auf Medikamente verzichten.
Die Situation in dem beschriebenen Krankenhaus erscheint mir aber sehr komisch zu sein. Der Therapeut hat mir erklärt, dass er die ADHS-Diagnostik seit eineinhalb Jahren als eine Art berufliches Hobby nebenbei ausübt und Patient:innen nur über Hörensagen zu ihm finden. („Wenn wir das auf die Website schreiben würden, würde ich nur noch ADHS-Diagnostik machen, weil der Bedarf so viel größer ist als das Angebot“). Auch das ganze Drumherum ist irgendwie unseriös. Ich selbst musste mehrfach nachfragen, ob nicht eigentlich Zeugnisse oder Ähnliches von mir benötigt werden und als ich auf Anraten meines Therapeuten (dem das auch komisch vorkam) nochmal nachfragen wollte, ob ich wirklich den richtigen Termin gemacht hatte, habe ich eine Woche lang weder per Telefon noch per E-Mail jemanden erreichen können. Dafür hat der Arzt sich zwar bei mir entschuldigt (Coronabedingte Ausfälle, weshalb leider gerade Patient:innen nicht besonders gut abgeholt würden), aber das Gesamtbild ist dann schon komisch.
Meine Fragen an euch
Ist das normal? Ich habe hier einiges über Differenzialdiagnostik gelesen und gerade da ich ja sowieso schon länger in Therapie bin, erscheint es mir nicht abwegig, auf dieses Thema gerade in meinem Alter irgendwie „ganzheitlich“ draufzugucken.
Auch die Aussicht auf ausschließlich medikamentöse Therapie beunruhigt mich sehr, weil das für mich eigentlich eher der letzte Schritt ist und nicht der einzige. Aber ist auch das normal?
Habe ich irgendeinen Nachteil, wenn ich jetzt mit ADHS diagnostiziert werde, es aber bei genauerer Betrachtung gar kein ADHS ist? Oder andersherum: Ist es vielleicht sogar ein Vorteil, einfach schnell eine Diagnose zu bekommen, weil man so leichter Hilfe findet? (Welche?)
Ich lese hier immer wieder von so unglaublich langen Wartezeiten und ich würde mich gerade deshalb sehr freuen, wenn ich durch Zufall hier eine Möglichkeit für eine schnelle Diagnose gefunden hätte aber irgendwie ist das alles einfach seltsam. Mit meinem Therapeuten kann ich leider aktuell nicht über dieses Problem sprechen, weil wir auf die Bewilligung der Stunden durch die Krankenkasse warten und in der Zwischenzeit keine Termine haben.
Sorry für die lange Nachricht und danke schon mal im Voraus!
Glücksdrache