Ich halte das - zumindest an Tagen weniger ausgeprägten Selbstwerts - eher nicht für ein ADHS-Phänomen als vielmehr - im Grundsatz - für einen normalen menschlichen Wahrnehmungsfehler: Bestätigungs- bzw. „confirmation bias“
Wer weniger filtert und damit mehr wahrnimmt und das auch noch impulsiver vor sich hinplappert und gern fremde Probleme zu eigenen macht (statt dopaminärmer eigene zu lösen), der schafft eine breitere Grundlage für solche Verzerrungen… Confirmation Bias: der Bestätigungsfehler | BARMER, dort:
„Lag ich mal wieder richtig“, sagt man sich innerlich, während man den Newsfeed auf den sozialen Medien durchscrollt. Passt alles ganz wunderbar zu dem, was man ohnehin schon über die Welt denkt und zu wissen glaubt. Und das wiederum heißt ja, dass man sehr genau weiß, wie die Welt und alles darin so funktioniert. Richtig? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Denn wahrscheinlicher ist, dass man gerade Opfer des Confirmation Bias geworden ist.
Der Confirmation Bias – zu Deutsch: Bestätigungsfehler oder Bestätigungsverzerrung – ist eine kognitive Denkverzerrung. Ein Trugschluss sozusagen, der dazu führt, dass wir das, was wir ohnehin schon glauben, bekräftigt wissen wollen. Was nicht ins Weltbild passt, schätzt man eher mal als falsch ein"
Aber ist nicht genau die Schwierigkeit, nicht ausreichend zu filtern, mehr wahrzunehmen und impulsiv alles auszusprechen, ein ADHS-Phänomän? Ich hab heut mal mi einer Bekannten abgeglichen, was ich in einem Raum wahrnehme und was sie wahrnimmt und wie wir beide filtern. Danach war ich innerlich erschrocken, wie viel und intensiv ich wahrnehme. Danach war mir klar, das ich deutlich öfter meine Wahrnehmungen für mich behalten sollte, denn durch die fehlende Filterfunktion scheine ich deutlich mehr und schneller wahrzunehmen. Indem ich manches ausspreche, nehme ich meinem Umfeld die Möglichkeit das selbst zu erkennen und sie fühlen sich scheinbar bevormundet und überrumpelt.
Ich denk auch mit dem was du sagst (was auch richtig ist) - gibts trotzdem auch für Menschen mit ADHS den Confirmation Bias. Das meinte ich mit „Wahrheit“ von „Meinung“ trennen.
Und grad wenn man mit anderen Menschen spricht - und da ggfs unangenehme Einschätzungen pitchen möchte… tut man oft gut daran, die Person selbst drauf kommen zu lassen und halt auf dem Weg immer mal „in die richtige Richtung zu schubsen“ aka „die richtigen Fragen zu fragen“ - und jedwede Antwort (egal wie falsch man sie findet) erstmal so zu akzeptieren. Dauert zwar länger aber wirkt oft besser - wenn mein Gegenüber selbst will was ich will dass sie will - dann funktionierts.
Ich für meinen Teil krieg wenn jemand mir sagt was ich falsch mache auch gern mal ein „sag mir nicht was ich tun soll“ Abwehr-Wut-Verhalten. Und dann kommt die Einsicht „erst recht nicht“.
Gleichzeitig darf man auch nicht Manipulativ rüberkommen - sonst wird man nicht ernst genommen. Eine Gratwanderung, diese Empathie.
Menschen die sich selbst überschätzen denken sehr oft das sie etwas lenken könnten, ich selbst sage mir oft: der klügere gibt nach, oder manchmal auch schlicht und einfach: …, naja egal, es muss ja nicht immer alles ausgesprochen werden.
So zu kommunizieren wie dort vorgeschlagen hilft vermutlich auch dazu, durch den Austausch rechtzeitig zu erkennen, falls man vor lauter ungefilterter Wahrnehmung doch - trotz ADHS - mal auf dem Holzweg ist. Und in allen anderen Fällen öffnet man langsam die Türen und tut sich beim weitsichtigen Einrennen vielleicht weniger weh. (Niemand sagt, dass irgendwas davon einfach ist.)
Spannend finde ich wenn man mit einem ADHSler die gleiche Wellenlänge hat und die Chemie stimmt, dass man dann tiefgreifend ehrliche Gespräche führen kann und dabei von Thema zu Thema springt, einem nix dabei peinlich ist, man sich verstanden fühlt und stundenlang quatschen kann ohne sich reizüberflutet zu fühlen.
Zuviel Ehrlichkeit ist immer nur ein Problem wenn man es mit Menschen zu tun hat die in ihrem eigenen Denken feststecken, die nicht erkennen können, oder wollen, dass Zeit relativ ist, dass sie selbst unaufhaltsam immer älter und irgendwann definitiv alt werden, selbst wenn sie einen wirklich guten Schönheits Chirurgen haben, und sie dann eben „trotzdem“ immer älter und schlussendlich irgendwann „uralt“ werden, genauso wie das eben schon immer war, denn das Gehirn kann man ja bis heute nicht „erneuern“, das Denken altert einfach, egal wie schön und jugendlich wir vielleicht nach aussen noch wirken.
Das ist jetzt offtopic, aber ich muss es loswerden: Danke für das Posten von diesem Video. Das hat gerade tatsächlich ein riesiges fehlendes Puzzlestein in meinem Leben geklärt. Ich bin gerade richtig geflasht. (Muss dazu sagen, dass ich seit 9 Monaten ein kleines ADHS-Studium hingelegt habe, mit x Büchern und Podcasts usw, die ich konsumiert habe.) Lachenmeier ist der absolute Hammer!!! Danke, Elementary!
Oft habe ich mich in meinem Leben als „Sollbruchstelle“ erlebt, wo ich die Probleme rundherum viel eher erkannt habe, als der Rest um mich.
Aber es gab auch Zeiten, Umstände und Menschen, wo ich mit denselben Fähigkeiten als „Trüffelschwein“ bezeichnet wurde.
Ich denke, es sind zwei paar Schuhe:
Einerseits das viele Aufnehmen und anders verarbeiten (was auch sehr wertvoll sein kann)
und andererseits das Teilen davon, und ob das angebracht und erwünscht ist (in der jeweiligen Situation und dem Umfeld)
Da stimme ich dir völlig zu. Ich habe oft das Bedürfnis, das was ich kenne, zu teilen. Wenn ich alles für mich behalte, habe ich das Gefühl, irgendwann zu platzen. Hat jemand Anregungen, wie ich das teilen hinkriege, ohne als dauerhafte Lästerin zu wirken? Denn dem Betroffenen kann ich es scheinbar nicht mitteilen, aber mit anderen darüber reden, finde ich auch nicht fair.
Das einzige, was bisher zu helfen scheint, ist mich mit anderen Dingen zu befassen (abzukühlen) bzw. Zeit verstreichen zu lassen.
Dann hat mir noch geholfen zu verstehen, dass „auch Ratschläge Schläge sind“, was irgendwie eine dümmliche Redewendung ist, aber folgendes auf den Punkt zu bringen scheint:
Ich glaube, wir ADHSler neigen durch die Kombi
a) schnelles Erfassen von Schwierigkeiten/intuitives Erfassen vom Gegenüber
b) Hilfsbereitschaft
und
c) Impulsivität beim Reden/Erwidern
oft zu Ratschlägen, die man besser dosieren/verpacken/sich sparen sollte…
Da hast du Recht. Zuhören muss ich auf Arbeit sehr viel und kriege das auch gut hin. Denn da bin ich im Zweier-Gespräch, muss mich nur auf eine Person fokusieren. Ich befürchte, das Maß an Zuhörfähigkeiten ist dann im Privatleben erschöpft
Hallo, ich kenne das auch und bin des Öfteren auch auf negative Konsequenzen gestoßen. Ich denke jedoch, dass Ehrlichkeit an sich gut ist. Du musst lediglich abschätzen, ob es der anderen Person weiter hilft oder ob du sie leidlich damit schädigst. Ich weiß, dass es schwierig ist das abzuschätzen, aber du kennst deine Freunde und daher solltest du das schon hinbekommen. Sprichs dich einfach mal offen an. Beste Grüße aus Australien.
Hi, ich kenne das 1:1.
Habe mich auch deswegen schlecht gefühlt, aber im Nachhinein ist Authentizität ja auch heutzutage Mangelware.
Mit ner klaren Antwort können ja die wenigsten umgehen.
Andererseits werde ich unterm Strich respektiert.
Dies ist mir allerdings in der Retrospektive aufgefallen. Die Schmach wegen meiner impulsiven Ehrlichkeit, habe ich aushalten müssen.
Ich möchte in keiner Lebenssituation mehr sein, wo ich mich allzu sehr zügeln/maskieren muss. Ist es einfach nicht wert. Da gehe ich mit dem Gegenwind 1000x lieber um…
Kommt alle in die IT! War für mich was „echte Menschen“ angeht ein Game Changer im Arbeitsumfeld.
Die Crux ist ja, dass ADHSler eigentlich nur das Wohl der Menschen zu denen sie ehrlich sind wollen. Bin jetzt 45 Jahre und habe noch einen Freund im Internet. Ehrlichkeit scheint also nicht so gut für mich funktioniert zu haben Jetzt habe ich in meinem beruflichen Umfeld seit langer Zeit wieder mit vielen Menschen zu tun und instinktiv fange ich an bei allen Pluspunkte zu sammeln für den Fall dass ich wieder eskaliere. Ich weiß dass das nicht gesund ist, aber die Arbeit gibt mir momentan zumindest ein Ziel und einen Sinn. Ich habe mir angewöhnt öfter am Tag mal tief durchzuatmen weil ich durch die äusseren Reize oft in eine flache Atmung verfalle die mich automatisch angespannter macht. Ausserdem habe ich gelernt ab und zu einfach mal nichts zu sagen oder wenn ich merke dass die Emotionen bei meinem gegenüber hoch gehen zu deeskalieren statt mich weiter reinzusteigern. Ich sag jetzt öfter auch einfach mal „tut mir leid“ wenn ich z.B. wieder Gespräche mitgehört habe und versuche eine Lösung für die Probleme zu präsentieren auch wenn ich nur die Hälfte mitbekommen habe und meine Antwort voll am Thema vorbei geht. Früher habe ich mich in solchen Situationen immer für mich geschämt war aber unfähig mich dafür zu entschuldigen, denn Fakt ist, daß ich andere Menschen verletzt habe unabhängig davon ob ich im Recht war oder nicht. Recht haben ist nicht immer der Punkt, auch wenn wir das in dem Moment oft anders sehen. Klar will ich mich auch nicht immer verstellen, aber in manchen Situationen ist es einfach besser mal nichts zu sagen. Kollegin rechtfertigte sich neulich dafür dass sie ab und an gerne 1,2 Gläser Wein unter der Woche trinkt. Wenn ich ein reines Gewissen wegen sowas habe, sage ich vermutlich sowas nicht. Ich habe überlegt ob ich damit anfange dass ich 30 Jahre exzessiv Computerspiele konsumiert habe und immer ähnlich argumentiert habe wenn mich jemand darauf angesprochen hat. Ich hatte aber in dem Moment das Gefühl dass ich sie damit verletze also habe ich es sein gelassen.
Im Prinzip hat mich meine Mutter zu der Einsicht gebracht, ich bin neulich erst auf den Trichter gekommen dass ich das ADHS von ihr habe und das hat mir echt die Augen geöffnet. Sie ist wegen jeder Kleinigkeit auf 180 und hat prinzipiell immer Recht egal um was es geht, sie ist Expertin und alle anderen sind dumm. Das hat mich echt geerdet und seit dem hinterfrage ich mich auch öfter mal. Ich geb auch ehrlich zu dass mir das verdammt schwer fällt, aber ich bin hinterher stolz auf mich wenn ich mal jemanden nicht etwas unter die Nase gerieben habe. Ich habe zum Glück eine nette Kollegin die absolut ehrlich ist und mir alles sagt was ihr nicht an mir passt, wenn ich sie z.B. unterbreche. Früher wäre ich in so einer Situation beleidigt gewesen. Heute sag ich einfach sorry und mir gehts auch noch besser dabei.
Ich versuche nach und nach Kolleginnen mit ins Boot zu holen und ihnen zu erklären warum ich so bin wie ich bin, ich habe nur Angst davor dass sie sich dann anders mir gegenüber verhalten, dann würde ich mich vermutlich noch schlechter fühlen. Ist ein Drahtseilakt. Auf der anderen Seite erkenne ich an ihren Reaktionen und Verhalten mir gegenüber nachdem ich mich geoutet habe ob mein Vertrauen gerechtfertig war oder nicht. Wenn mir jemand ans Bein pinkeln wollte, hätte ich eh keine Chance weil ich hoffnungslos naiv und gutgläubig bin. In einem toxischen Umfeld wäre ich schon längst untergegangen.
P.S. ich wollte heute eigentlich nur das Buch „Kirmes im Kopf lesen“, ich bin nichtmal über die Einleitung hinaus gekommen, aber gefühlt hab ich heute gar nichts gemacht