Eigentlich hatte ich gehofft, in Zukunft auf Medikation verzichten zu können. Ohne fühle ich mich deutlich authentischer und das würde ich gern so beibehalten. Andererseits rattert der Gedankenkreisel heftiger denn je…
Um mein Leben besser unter Kontrolle zu bekommen, könnte Achtsamkeit helfen, davon bin ich überzeugt.
Aber ich stelle immer von Neuem fest, dass ich dafür den Gedankenkreisel erstmal ausschalten müsste.
Ja, ich denke, es ist eher der Drang, etwas zu tun. Vor meiner Diagnose hatte ich nie Probleme zu entspannen und einfach nichts zu tun und in die Ferne zu schauen. Mit Medis machen mich Wellness-Tage manchmal nervös. Da kann es schon mal passieren, dass mir die ganze Entspannung zu viel wird, mir die Entspannungsmusik tierisch auf die Nerven geht und ich die Flucht ergreife. Da hilft dann nur noch der beherzte Sprung in den Pool oder die Flucht in den Fitnessraum.
So etwas kannte ich früher nicht.
ich habe auch immer noch den Ehrgeiz, irgendwann mit weniger Medis auszukommen, und da Achtsamkeit ja quasi für und gegen alles hilft (außerdem speziell im Zusammenhang mit Hyperarousal und Traumatisierung empfohlen wird), habe ich vor ca. 8 Monaten damit angefangen. Das geht mittlerweile auch ohne Medikamente gut. Anfangs fand ich es EXTREM aversiv - was aber wiederum meinen Ehrgeiz angestachelt hat.
Und irgendwann hat es sich gut und stabilisierend angefühlt, ab da musste ich mich nicht mehr dazu zwingen.
Meine Anregungen wären:
supermegakurz anfangen. Wenn’s am Anfang 3 min sind oder 30 sek: Go for it. (Neulich habe ich in dem Zusammenhang den Begriff „Titrieren“ gelesen - also äquivalent zum Aufdosieren von Medis: Nicht zuviel auf einmal.)
regelmäßig üben, wenn sehr kurz auch mehrmals am Tag. Aber: Keinen zu rigiden Plan verfolgen, bei dem Du Dich als Versager fühlst, wenn Du es mal nicht durchziehst (also nicht JEDEN Tag, sondern z.B. 4 oder 5 mal pro Woche).
lieber geführte Meditation (also Audio) statt selbst die exekutive Kompetenz aufbringen zu müssen, sich durch’s Nirwana zu steuern
Ziel nicht auf das Mit-der-Aufmerksamkeit-dabei-bleiben ab, sondern auf das Immer-Wieder-Zurückkommen. Und wenn Du nicht eine Stunde schon ganz weg warst, sondern nur 2 min.: Congrats!!! :mrgreen:
Geschmackssache, aber: Für mich war es wesentlich einfacher, auf eine Wahrnehmung zu fokussieren (also nicht auf Leere, „keine Gedanken“ etc.). z.B. auf den eigenen Körper beim Bodyscan / Yoga-Nidra oder auf die Umwelt (was sehe ich gerade um mich rum? wie fühlt sich die Sofalehne, der Bettbezug etc. an. Das geht auch strukturierter. Z.B.: Wo um mich herum finde ich überall gerade Linien/Kanten? Was Rotes/Grünes etc? Was Rundes?). Kannst auch die 5-4-3-2-1–Methode aus der Hypnotherapie googeln, da werden verschiedenen Sinnesmodalitäten genutzt.
nicht zu lang an einer Körperstelle verweilen, sonst ärgerst Du Dich nur, wenn Du abschweifst oder nichts fühlst (ich habe mit so einer Speed-Meditation auf Insight Timer angefangen: Yoga Nidra von Kanya Kanchana - das fand ich erst völlig absurd schnell - dann noch das indische Englisch :o , aber dann fand ich es so bekloppt, dass es schon wieder gut ist. Und damit ging es .)
Du kannst auch, anstatt den ganzen Körper durchzugehen, nur mit einem Teil, den Du sowie am ehesten spürst (um eventuelle Scherze vorwegzunehmen: ja, darf auch im Unterleib lokalisiert sein), anfangen. z.B. nur die Hände/ Gesicht. Es gibt auch so eine Übung, bei der eine Hand die andere befühlt (Wie fühlt sich das für die fühlende Hand an / wie für die angefasste Hand? )
Egal, welches kurze Ding Du machst: Mach es. Vielleicht so 10-15 mal und beurteile dann, ob es einfacher/attraktiver geworden ist. Wenn nicht, passt es vielleicht wirklich nicht.
was auch immer Du Dir ausgesucht hast, direkt auch im Alltag integrieren (geht eigentlich so gut wie immer für wenige Sekunden und erhöht so die Wiederholungen und fährt Dich, wenn es funzt, auch mitten im Leben etwas runter)
und VERY IMPORTANT: Wähle etwas, das Dir halbwegs gefällt
(Ich bin mittlerweile bei Open Focus Meditation = Wahrnehmung des Raumes/der Ausdehnung in Kombi mit Loving Presence oder anderen gewünschten Gefühlen gelandet - und ist das mal ne feine Sache, wenn man in der Lage ist, gute Gefühle willentlich zu produzieren/intensivieren/sich ausbreiten zu lassen . Hätte nicht gedacht, dass das geht.). Vielleicht merkst Du schon beim Üben spontan, was Dir eher zusagt.
So generell: Nicht einschüchtern lassen von allgemeinen Empfehlungen (MBSR: 45 pro Tag. HILFE :evil: ). Stell Dir vor, Du machst Achtsamkeit für Achtsamkeits-Disabled-People. Denn so isses ja bei ADHS.
Ich könnte so noch ne Weile weiterschreiben, aber dann geht mir Deine Achtsamkeit ganz flöten.
Nono, Du hast doch auch viel Erfahrung in dem Bereich, was meinst Du denn noch?
Peace, Love und Achtsamkeit,
(and also maybe passende Medis, damit das Leben nicht unnötig hart ist)
Cassiopeia
Was hat dich zu dieser Überzeugung gebracht? Vielleicht solltest du bedenken, dass das Erzwingen von etwas oft kontraproduktiv ist. Manchmal muss man auch einsehen, dass die Methode der Wahl dann doch nicht geeignet ist.
Mir bringt zum Beispiel der ganze fernöstliche „Kram“ gar nichts. Tai Chi, Qi Gong, Taoistische Meditation…bringt mir eher Verzweiflung statt Hilfe.
das stellt für mich die Frage, ob die Medis in die richtige Richtung wirken.
In meiner wissenschaftlich-schematisch-vereinfachenden Vorstellungswelt werden AD(H)S-Symptome durch verringerte Dopamin (DA) und Noradrenalin (NE) Spiegel/Wirkung im
PFC (insbesondere dorsolateraler PFC = Arbeitsgedächtnis = Exekutivfunktionen = Organisationsfähigkeiten und Kurzzeitgedächtnis) und
Striatum / Nucleus Accumbens (Motivationszentrum und motorische Inhibition)
verursacht.
Chronischer Stress geht auch mit verringerten DA und NE-Spiegeln in PFC und Striatum einher, was die Identität der auftretenden Symptome erklärt.
Bei ADHS ist die endokrine Stressantwort tendenziell abgeflacht. Zu wenig Cortisol am Ende der Stressreaktion bewirkt eine mangelhafte Abschaltung der HPA-Achse. ADHS geht für mich mit dieser mangelhaften HPA-Achsen-Abschaltung einher: nicht abschalten können, immer was tun müssen, immer auf Achse, nie entspannt. Und relaxen, einfach mal wirklich nichts tun ist aversiv.
Nichts tun ist hier: nicht denken, sondern fühlen.
Erholungsunfähigkeit ist eine Bevorzugung von Denken gegenüber Fühlen. Letztendlich ist es eine andere Erscheinungsform von Gedankenkreisen…
Bei ADS dagegen /ohne Hyperaktivität/Impulsivität), das eher mit einer überhöhten endokrinen Stressantwort korreliert, startet nach meinem Bild die Stressreaktion zu schnell zu hoch, aber am Ende gibts genug Cortisol um den ganzen Mist wieder abzuschalten. Entspannen ist daher nicht das Problem.
Es deckt sich mit den Ergebnissen aus dem ADxS-Symptomtest, dass Erholungsunfähigkeit bei ADHS häufiger auftritt als bei ADS.
ADHS hat zwar alle Symptome leicht häufiger als ADS, aber Erholungsunfähigkeit sticht da heraus, das ist deutlich häufiger.
Wenn Du, Andromache, also ohne Medis noch mehr Erholungsfähigkeit hattest als mit, wirkt da zumindest in diesem Berich was in die falsche Richtung.
Das gibt es öfter mal, insbesondere wenn sich verschiedene Störungsbilder kreuzen, und das macht eine Behandlung sauschwierig.
Bei was helfen Dir Medis denn ?
Bei der Selbstorgansiation, gegen die Vergesslichkeit ?
Das wäre dann nicht das Striatum, das wäre der dlPFC.
Es gibt Betroffene, die haben nur im PFC zu wenig DA/NE und im Striatum eigentlich genug (oder umgekehrt).
Die kriegen dann mit Stimulanzien, die in beiden Regionen DA und NE erhöhen, im einen Bereich Verbesserungen, im anderen Verschlechterungen.
Da könnte man dann anhand der Symptomveränderungen schauen, ob andere Medis besser helfen könnten.
Um das zu erforschen haben wir die ADxS-Medikamentenumfrage, die für jedes Medikament die dosisabhängige Symptomveränderung abfragt. Wird leider nicht sehr frequentiert. Dabei könnte genau dies das Rätsel lösen…
<LINK_TEXT text=„https://www.adxs.org/adhs-onlinetest-um … enumfrage/“>ADHS-Medikamentenwirkungs-Selbsttest V5 - ADxS.org</LINK_TEXT>
(Hat jemand ne Idee, warum die keiner macht ? Ist die zu lästig, zu lang, zu uninteressant ???)
Das ist für mich Ausdruck der Erholungsunfähigkeit, der Aversion gegen Fühlen.
(Kein Angriff gegen Dich, Andro, ich bin rein wissenschaftlich sortierend unterwegs. Dozierend, sagt da jemand sehr liebes immer so schön )
Es gibt massig Untersuchungen, dass MBSR / Achtsamkeitstraining (Yoga, Tai Chi, Dingenskirchen - egal was, Hauptsache es verschubst den Wahrnehmungsfokus wieder in Richtung fühlen) bei AD(H)S sehr hilfreich ist. Wirklich: sehr. Also nicht nur so n büschen, wie Zink, Omega3/6 oder so, sondern richtig ordentlich. So wie zum Beispiel achtsamkeitsbasierte Verhaltenstherapie bei AD(H)S deutlich besser wirkt als kognitive VT.
Ja, das trifft bei ADHS (noch mehr als bei ADS) auf pure Aversion.
Aber das ist hier genau das Zeichen des Defizits: Weil es so aversiv ist, wird es zu wenig gemacht, ist der Fokus zu sehr auf denken und zu wenig auf fühlen und das schafft das Ungleichgewicht oder hält es aufrecht…
Cassiopeias Bericht, dass sich diese Aversion durch längeres Training überwinden lässt (ich hoffe sehr, sie richtig verstanden zu haben) ist für mich ein Hoffnungsschimmer, dass dieser fatale Kreislauf durchbrechbar ist.
Wenn sich das bewahrheiten würde, würde das mein Bild noch bestärken: Die Erholungsunfähigkeit von AD(H)S ist ein Symptom, das sich teufelskreisig selbst verstärkt. Das durchbrechen zu können wäre ein super Hoffnungsschimmer…
Falls noch jemand solche Erfahrungen hat. wäre ich begierig, zu hören…
das ist ungewöhnlich. Normalerweise ist das Gefühl Betroffener bei richtiger Medi-Einstellung, dass sie sich sehr viel mehr als sich selbst fühlen.
Kannst/magst Du das ein bisschen genauer beschreiben, was die verringerte Authentizität ausmacht ?
Vielleicht ergeben sich daraus Hinweise, was nicht passt…
Ich bin nun zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre in psychiatrischer Behandlung - das seit Wochen und vollzeit wegen „Depression“. Tatsächlich steckt meiner Meinung nach einfach nur totale Erschöpfung nach akutem Stress dahinter. Problem ist einfach, dass ich einfach nicht merke, wenn es ich schon total überfordert bin und einfach weitermache. Achtsamkeit scheint mir einfach eine mögliche Lösung für dieses Problem zu sein, aber vielleicht hast du ja noch ne andere Idee?
Ich kann mit Medis besser in mich „reinfühlen“, das stimmt. Was ich meine: Ich bin einfach deutlich rationaler, weniger spontan und lustig. Das wird mir auch von meiner Umgebung zurückgemeldet. Und das empfinde ich schon als Makel, bei allem Positiven, was die Medis gebracht haben…
@UlBre
Du schreibst über Erholungsunfähigkeit und Denken anstatt Fühlen. Das ist genau mein Problem und Achtsamkeit wäre meine Idee, dagegen vorzugehen. Allerdings frage ich mich auch, ob es so gut ist, dass ich hier ein neues Forum gefunden habe, das die Gier nach Informationen weiter befeuert…
@Cassiopeia Mensch freut mich total, dass hier noch jemand mit diesen Dingen so gute Erfahrungen gemacht hat!
Für mich ist es überlebenswichtig, täglich zwei bis dreimal sowas zu üben… sonst schaltet sich mein Hirn wieder ab und stellt den Service ein… das habe ich im letzten Frühjahr mal erlebt, zum Glück reichten vier Wochen Ruhe und kleine Dosen Attentin und es ging dann wieder bergauf…
Ich habe vorhin schon einen längeren Post zum Thema angefangen, aber grade habe keine Ruhe, ihn fertig zu stellen…
In der Anderswelt hatte ich ja schon einiges zum Thema geschrieben…
freu mich, wenn Du Deinen längeren Post fertiggestellt hast und mit uns teilst .
Du machst doch auch Qigong oder hast es gemacht? Das bereitet natürlich super auf jede Art von Achtsamkeit vor. Ich habe vor einigen Jahren mal exzessiv Taichi/Qigong gemacht (so 12-15 Std./ Woche), aber dann habe ich Kinder bekommen und konnte es nicht ertragen, das auf maßvolle Weise weiterzuführen (aus dem Ruder laufender Ehrgeiz/Anspruch). Aber irgendwas von der lang geübten Körperwahrnehmung scheint mir erhalten geblieben zu sein.
Keep chilling
Cassiopeia
(ich hatte Dir auf der ADW mal ein PN wegen des Insight Timers geschrieben: seinerzeit als ToRo)
Wahnsinn! Exakt so erging es mir auch, ich konnte, seit ich Kinder hatte, nicht mehr so komplett abschalten, das Üben erfüllte entsprechend seine Auftank-Funktion nicht mehr, ich war sehr frustriert und so hab ich es dann lieber komplett gelassen… und bin immer tiefer in die Erschöpfung geraten. Sehr schade. Ich dachte halt, dass es bald besser wird mit den Kindern aber Pustekuchen… Bis heute ist es alles verrückt, eben hat Sohni trotz viel frischer Luft beim Skifahren ohne Medikament wieder seine Kopfschmerzen…
Warst du das mit dem kreisförmigen gezeichneten Tool zur Tagesplanung? Schade, jetzt kann ich nicht mehr drauf zugreifen. Hatte das eigentlich eine bestimmte Bezeichnung?
Meinen Post Entwurf von heute Morgen muss ich noch ändern, jetzt passt er irgendwie nicht mehr so, weil vieles schon gesagt wurde…