Hallo zusammen,
nachdem ich diese Seite entdeckt und dann in den letzten Wochen alle Forumsbeiträge gelesen habe, die mir relevant erschienen, aber noch viele Unsicherheiten und Fragen blieben, habe ich mich angemeldet.
Ich und mein Vater (und womöglich auch mein Mann) haben, so vermuten wir inzwischen auch eine leichte AD(H)S Ausprägung, kommen damit aber (bisher) gut zurecht. Es geht um meinen Sohn, 7 Jahre alt, der im letzten Sommer in die Schule kam, also in der ersten Klasse ist.
Mein Mann und ich hatten uns während eines Großteils der Krippen- und Kindergartenzeit keine tiefergehenden Gedanken gemacht bezüglich seines Verhaltens, nur über die Jahre ab und zu ADHS-Symptome gegoogelt wegen unseres wirr erzählenden, zerstreuten, tausende Warum-Wieso-Was-Fragen stellenden, jähzornigen, groben, sensiblen, verkopften, kuscheligen, vor Ideen sprühenden Energiebündel, der bei Alltagshandlungen oft sehr tollpatschig ist, bei Sport und Handwerkern aber sehr geschickt, der einen normalen bis guten Wortschatz hat, aber die Begriffe Gabel und Löffel oft durcheinanderbrachte.
Aber dann haben wir uns immer gesagt „solange der Kindergarten keine Auffälligkeiten meldet, wird es schon im Rahmen sein“, wenn auch deutlich anders als seine große Schwester. Vor einem Jahr, also ein halbes Jahr vor der Einschulung sagten uns die Erzieherinnen dann, dass sie bei unserem Sohn ADHS und eventuell eine Hochbegabung vermuten, die auch als Inselbegabung auftreten könnte (was wir übrigens nicht sehen und sonst auch niemand, er weiß nur viel und verknüpft das Wissen geschickt). Die Erzieherinnen meinten, dass das Marburger Konzentrationstraining ihm möglicherweise helfen könnte. Da er aber damals bereits in logopädischer Behandlung war (Lispeln und durchgehend heiser klingende Stimme) und sich deshalb und wegen eines Zahnschmelzdefekts fragte, ob etwas nicht mit ihm stimme, wollten wir erstmal abwarten, wie es in der Schule wirklich sein würde.
Zudem meinte eine befreundete pensionierte Kinderpsychologin (keine ADHS-Spezialistin), nachdem sie 2 x eine Stunde mit ihm gespielt hatte (was er anfangs spannend fand, und deshalb recht konzentriert dabei war mit abnehmender Tendenz am Schluss ;-), dass es kein ADHS, sondern eher erzieherische Themen wären, und wir strenger/konsequenter mit ihm sein sollten. Auch wenn wir nicht das Gefühl hatten, sonderlich inkonsequent gewesen zu sein, haben wir das dann versucht mit mehr Konsequenz und auch Härte, vor allem wenn er gegenüber seiner großen Schwester wie so oft grob wurde (Hauen, Treten). Etwas überspitzt gesagt, hatten wir durch den Rat der alten Freundin mehr als zuvor das Gefühl, dass er nicht unschuldig ist an dem, wie er sich aufführt und haben oft auch zurückgeschrieen (schäm…). Das war oft ganz schön laut und wütend und teils auch verzweifelt bei uns im letzten halben Jahr.
Dann kamen Hinweise der Lehrerin auf seine extreme Zappeligkeit und seine mangelnde Aufmerksamkeit („er soll sich bemühen besser zuzuhören, ich muss ihm viele Aufgaben gesondert nochmal erklären - dann macht er sie aber meist schneller als die anderen“). Und ähnliches auch von der Mittagsbetreuung (dort ist er zudem besonders laut). Und zugleich ging es los, dass immer mehr Hausaufgaben nicht in der Mittagsbetreuung erledigt wurden, weil er sie entweder übersehen hatte oder nicht verstanden und den Erläuterungen durch die Betreuerin nicht folgen konnte. Und seitdem kämpfen wir auch daheim mit den Hausaufgaben…
Er war von Anfang an nicht besonders begeistert über den Schulstart („da muss ich so viel sitzen!“), aber mit den Monaten wurde es immer schlimmer. Er schreit phasenweise jeden Morgen über über 15-20 Minuten: „Ich hasse Schule, Arschloch-Schule!!! Ich gehe heute nicht in die Schule!!!“
Er sagte letztens auch mal „In der Schule ist es entweder langweilig oder zu schwierig.“ (zu schwierig wohl dann, wenn er die Aufgabenstellung nicht mitbekommen/verstanden hat.)
Und dann habe ich doch wieder angefangen ADHS Symptome zu googeln. Und bei den meisten können wir einen Haken machen… Allerdings trifft auch einiges nicht zu.
Hier unsere Beobachtungen:
- Will immer Erster sein, kann nicht warten
- Extrem aufbrausend
- Aggressiv mit Worten und körperlich gegenüber Schwester und uns. Aber (bisher) nicht in der Schule, Mittagsbetreuung, auch damals nicht im Kindergarten, zum Glück!
- Bei vermeintlicher oder echter Beleidigung/Herabsetzung von ihm oder eines seiner vielen Ideen/Projekte, sofort mindestens verbaler Gegenangriff
- Wenn er sich etwas (innerhalb einer Sekunde) in den Kopf gesetzt hat, kann es stundenlanges Gezeter und Gedränge geben (obwohl wir nicht oft einknicken)
- Hat einige Freunde und geht auch offen auf andere Kinder zu.
- Traut sich nicht allein einschlafen und schlafen, sondern braucht Kuscheln
- Kann sich fast nie allein beschäftigen
- sensibel (z.B. „stimmt was nicht mit mir?“ schon bei Logopädie)
- Durchschaut andere schnell
- Reagiert auf Druck mit Gegendruck (wird wütend & aggressiv)
- Gerechtigkeit ist ihm sehr wichtig (warum dürfen die Betreuerinnen reden beim Essen und wir nicht??)
- Regeln einhalten geht nicht allzu schlecht, aber nur, wenn ihm der Sinn erklärt wird und einleuchtet (gute Begründung wichtig)
- Schnell begeistert (auch von den vielen eigenen Ideen), aber auch schnell enttäuscht, hat oft zu hohe Erwartungen (z.B. an Unternehmungen)
- Findet spätestens im Nachhinein oft ein Haar in der Suppe, ist dann traurig/wütend (schlimmster Tag in meinem Leben)
- Bei Essen heikel und mag nur von wenigen Dingen mehr/öfter etwas essen. Bereits bei der Breifütterung war „Show“ von uns nötig, damit er mehr als paar Löffel gegessen hat. Da er besonders schnell ausrastet (immer schon), wenn er hungrig ist (oder müde oder kränklich), ist es besonders wichtig, dass er richtig satt ist. Daher darf er von den 5 nötigen Mahlzeiten am Tag ca. bei 1-2 jeweils dabei altersgerechte Sendungen anschauen. Dann isst er mehr und auch Sachen, die ihm nicht sonderlich schmecken.
- Antwortet oft erst beim 2-4. Mal fragen
- Bringt auch einfache Handlungsanweisungen durcheinander, oft selbst wenn man sie 3 x besprochen hat in 1:1 Situation
- Wenn er eine Aufgabe nicht sofort versteht, wird er verzweifelt/wütend und stellt auf Durchzug bei Erklärungen
- Selbst beim gleichen Aufgabentyp (der ihm nicht in den Kopf will) oft wieder Probleme
- „Eigenlogik“ (wenn eine Aufgabe nicht glasklar beschrieben ist, besteht eine 95%-ige Wahrscheinlichkeit, dass er sie so löst, wie es nicht gemeint war)
- Wenn wirklich alles passt (vorher genug bewegt, nicht hungrig etc), rechnet und schreibt er sehr zügig – solange die Aufgaben nicht zu lange dauern und Aufgabentyp genehm.
- Er kann die einfachsten Erlebnisse nicht so erzählen, dass man versteht, wer was wann mit wem gemacht hat, oft selbst nach mehrmaligen Nachfragen nicht. Es ist fast immer komplett wirr.
- Will den Dingen immer auf den Grund gehen (Warum? Wie funktioniert das?), sucht nach naturwissenschaftlichen/psychologischen Zusammenhängen. Desöftereren wartet er aber gar nicht auf die Antwort auf seine Frage, sondern ist schon wieder drei Themen weiter.
- Kann sich Sachen, die ihn interessieren, gut merken – alles andere deutlich schlechter bis gar nicht
- tollpatschig bei Alltagshandlungen (lässt sehr oft etwas fallen, kleckern sehr viel), aber nicht bei Sport
- Bisher keine erhöhte Unfallgefahr, umsichtiger im Straßenverkehr als manche Freunde – aber nur, wenn nicht abgelenkt…
- Kann nicht/kaum still sitzen, immer in Bewegung
- Braucht meist etwas für die Hände, bearbeitet sonst seine Fingernägel mit den Fingernägeln
Uiuiui, es tut mir leid, das wird echt lang. Aber ich versuche langsam zum Punkt zu kommen.
Aus dem, was ich in den letzten Wochen gelesen habe, würde ich laienhaft vermuten, dass er zwar ADHS hat, aber nicht in extremer Ausprägung und nicht in allen Lebensbereichen gleich stark. Zuhause lässt er seine Impulsivität und Aggression deutlicher stärker raus als außerhalb, wo er sich zum Glück (bisher) zusammenreissen kann. Durch sein vieles Gezeter und Geschrei liegen bei uns oft die Nerven blank, und mein Mann und ich streiten dann miteinander oder die große Schwester wird von uns angemotzt wegen Kleinigkeiten. Durch das Einlesen in die ADHS-Thematik ist es jedoch schon besser geworden, weil wir ihm nun versuchen mit „liebevoller Sturheit“ zu begegnen, anstatt scharf Kontra zu geben wie mindestens im letzten halben Jahr leider sehr häufig. Das glaube ich also, würden wir auch ohne Behandlung (von ihm) ordentlich hinbekommen mit vielleicht noch einer Elternschulung (oder noch mehr Internetlesen ;-)).
Und wenn er in der Schule „nur“ Zappeln würde, würde ich sagen, damit müssen er und die Lehrerin klarkommen und durch 3-4 x die Woche Sport nachmittags hat er ein Gegengewicht.
Aber was uns Sorgen macht: Er ist ein schlaues, interessiertes Kerlchen, aber wir haben das Gefühl, dass er sein Potential nicht ausschöpfen kann durch sein mangelnde Konzentration und Aufmerksamkeit und dass er das immer mehr merkt und dass ihn das traurig macht und frustriert. Er sagt bei den Hausaufgaben dann auch so Sachen, dass er zu blöd ist - dabei ist er wie gesagt fix, wenn gerade alles passt. Und er will ja gut sein (Erster sein will er ja immer ;-)). Und wenn in Deutsch die ersten Aufsätze kommen, wo man strukturiert etwas zu Papier bringen muss, oje…
Wir haben nun folgendes vor:
- Mit der Lehrerin und der Mittagsbetreuung zu sprechen (ich vermute sie vermuten ohnehin schon ADHS) und sie um ein paar Sachen zu bitten:
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Dass er ein Sitzkissen benützen darf (wobei ich das erst noch kaufen und mit ihm testen muss), damit er unauffälliger zappeln kann
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Dass er weiter vorne sitzen darf und alleine (seine Sitznachbarn lenken ihn ab, sagt er, weil sie murmeln beim Lesen oder angeblich versuchen bei ihm zu spicken, das kann er nicht ausblenden)
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Dass er im Gang kurz laufen/hüpfen darf (weiß aber nicht, ob ihm das nicht zu viel Sonderstatus einbringt bei den Kindern, nicht dass er doch noch gemobbt wird.)
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Dass er bei den Hausaufgaben zwischendurch malen darf, wenn er sich nicht mehr konzentrieren kann (oder noch besser: bewegen)
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Was haltet ihr von den Ideen? Hättet ihr hier noch weitere Tipps?
- Parallel bemühen wir uns um eine ADHS-Diagnostik, aber die Wartezeiten sind so, dass er vermutlich in die zweite Klasse gehen wird, bis es klar ist.
Wenn da ADHS herauskäme und dann - wenn ich das richtig verstehe - eine Verhaltenstherapie und/oder Medikation im Raum stünde, wüssten wir aber nicht so recht weiter:
So wie das in der Logopädie lief (er wollte nie seine „Hausaufgaben“ machen), kann ich mir nicht vorstellen, dass irgendeine Verhaltenstherapie helfen würde: Er hasst Übungen, die er noch dazu zusätzlich zur Schule machen muss. Und ich vermute, eine Verhaltenstherapie für das Kind beinhaltet auch „Hausaufgaben“. Wisst ihr das? Und ich kann mir nicht vorstellen, dass er sein Verhalten ändern kann. Seine Impulsivität (ist ja vor allem daheim stark) vielleicht noch am ehesten. Aber das Hauptproblem, die Aufmerksamkeit und die „Wirrheit“ in seinem Kopf, wie soll er die „ändern“ durch eine Verhaltenstherapie?
Andererseits müsste es in der Schule und somit mit seinem Selbstwertgefühl schon noch deutlich bergab gehen, damit wir uns an eine Medikation herantrauen würden. In schweren Fällen sind wir inzwischen überzeugt aus der Lektüre dieses Forums. Aber wenn es in der Schule wie bisher „ok“ liefe (natürlich mit vielen Hausaufgaben-Kämpfen etc.), wäre eine Medikation dann nicht „mit Kanonen auf Spatzen“ schießen?
Das ist wirklich extrem lang geworden, vielen Dank fürs Durchhalten bis zum Schluss und ganz lieben Dank schon mal für eure Hilfe!