Ich habe mit undiagnostizierter ADHS Abi gemacht, studiert und bin jetzt Grundschullehrkraft. Das widerspricht sich nicht, war aber echt anstrengend und auch teilweise schmerzhaft, weil ich natürlich dachte, meine Prokrastination, vergessen, verschusseln, Müdigkeit sind Charakterfehler von mir.
Hätte ich damals schon das Medikament und das Wissen gehabt wäre mir vieles erspart geblieben und leichter gefallen. Heißt: Riesenchance für euch, es für Euren Sohn leichter zu gestalten! Ich finde es super schön, dass du dich dazu schlau machst.
Wichtig: ADHS wird nicht weniger durch Medikamente, Methoden, NEM, whatever. Ihr habt einen Prozess vor euch, bei dem ihr gemeinsam lernt, wie euer Kind mit seinen Symptomen besser umgehen kann. Auch das Medikament hilft dabei, aber trotzdem ist das Grundphänomen noch da.
Als allerwichtigstes: So geduldig wie möglich sein und dabei konsequent und unterstützend. Er macht das alles nicht absichtlich. Ich stelle mich manchmal an, bin umständlich, konfus und will doch eigentlich nur alles richtig machen… da brauch ich Liebe und Unterstützung und Humor, Vorwürfe mache ich mir schon selbst genug.
Zu Medikamenten und Ärzten haben sich ja schon einige geäußert.
Ich habe einen 14jährigen Sohn am Gymnasium im Diagnoseprozess btw, ich denke nicht, dass ich ihn an dieser Schule lassen werde, die Lehrkräfte dort sind nicht willens oder fähig, ihn mit der Rechtschreibschwäche und der Zerstreutheit zu unterstützen.
Was ich meinem Sohn vermittle und was für mich auch ganz wesentlich ist:
Zum einen, dass wir okay sind, wie wir sind, egal, was andere vielleicht vermitteln. Viele erwachsene ADHSlerInnen haben wegen jahrelanger Kritik echte Probleme mit dem Selbstwert. Uns wurde jahrelang erzählt, wir müssten uns doch nur ein bisschen mehr anstrengen, während wir uns überanstrengten ohne Ende und man die Resultate nicht sehen konnte. Also permanente Überanstrengung komplett ohne Anerkennung und Würdigung.
Zum anderen und dafür gibt es Coachings für Kinder und Erwachsene (war ja vielleicht Thema beim Elterntraining?):
Tipps und Tricks zur Selbstorganisation und dazu gehört das Verständnis, wie man tickt.
Ich brauche meinen Kalender, ich vermeide Menschenmengen, ich schreibe mir Sachen auf die Hand, auf den Spiegel, hänge Erinnerungen an die Tür, habe (eigentlich) Regeln zum regelmäßigen Essen und zur Vermeidung von Spontankäufen, Methoden, meinen Haushalt besser zu organisieren, Erinnerungen im Kalender und durch meine Freundinnen und meine Mutter…
Die Psychiaterin hat mir gesagt, dass sie eigentlich Medikamente nur in Kombi mit einem Coaching zu Strategien verschreibt, dass ich mir die aber schon selbst angeeignet habe. Und dass ich sowohl meiner Mutter als auch meiner Intelligenz und Resilienz verdanke, soweit gekommen zu sein. Also versuche ich jetzt, das an meinen Sohn weiter zu vermitteln. Mit viel Geduld und Liebe, es ist echt schwer, für ihn soviel mitzudenken, wo doch meine eigene Struktur so viel Überlegung erfordert.
Beispiel: Ich frag ihn so lange, wie er eine große Aufgabe für die Schule angehen möchte, bis er sie selbst in kleine bewältigbare Einzelaufgaben zerlegt hat.
Ich kaufe ihm die stabilen Plastikhefter. Papphefter kann man nach 14 Tagen wegwerfen. Ich erinnere ihn an das Poster mit seinen Aufgaben. Ich erinnere ihn regelmäßig an seine Aufgaben.
Ich schicke ihn zum Spiegel, damit er selbst sieht, dass er bekleckert ist. Ich mache mit ihm „Planerzeit“ mit schönen Stickern seiner Lieblingsmangas, damit er den Kalender öfter nutzt.
Er hat unbegrenzte Daten, damit er immer Google Maps nutzen kann, wenn er sich verläuft. Ich habe ihm gezeigt, wie die App funktioniert, mit der er die naheste Bushaltestelle findet. Ich achte auf eine frühe Schlafenszeit, er braucht viel Erholung.
Ich zeig ihm, wie er mit Bewegungen ein bisschen Energie ablassen kann, ohne andere zu stressen. An der Wohnungstür hängen Klebezettel mit den Sachen, die er einpacken muss (Brotbox, Schlüssel, Maske, Flöte…).
Ich erinnere ihn immer wieder, nach dem Duschen an der Tür noch mal ins Bad zu gucken, ob er die Handtücher etc weggeräumt hat. Ich erkläre ihm, dass er Klassenarbeiten schon eine Woche vorher noch mal in den Kalender einträgt, damit er nicht erst in der Woche der Arbeit bemerkt, dass er lernen muss. Ich versuche, cool zu bleiben, wenn er im unpassendsten Moment ganz ausführlich von seinem neuen Buch erzählen möchte.
Ich erkläre ihm einzelne Symptome und wie ich mit ihnen umgehe. Ich lasse ihn zu Hause abdrehen und hampeln, auch wenn es mich wahnsinnig macht. Ich lobe seine Empathie, seine Neugier, seinen Fleiß und seine Anstrengungen. Ich schimpfe nie bei Infos aus der Schule, was er jetzt wieder vergessen habe und was er nicht noch lernen solle. Ich versuche gelassen zu bleiben, wenn hier schon wieder was kaputt geht, umkippt, auskippt, zerbricht, seinen Experimenten zum Opfer fällt.
Ich kaufe den 6. Turnbeutel in 8 jahren und den xten Lieblingsstift, der immer wieder durch zu starkes Drücken kaputt geht. Ich mache einen Wettbewerb aus seinen Aufgaben im Haushalt (zb „Five, five, five“: fünf Minuten Wäsche einsammeln und in den Korb. Fünf Minuten allen Müll in die Mülltüte. Fünf Minuten rumliegende Legos und Karten einsammeln). Ich glaube, die Liste ist endlos. Aber das ist, was er braucht und das soll er bekommen.
Was bespricht man eigentlich in so einem Elternkurs? Vielleicht sollte ich auch noch einen machen? Vielleicht kommen da gute Infos für mich rum.