Hui, wurde ich da etwa gerufen, um mein seltsames Faktenwissen und mein Google-Fu zu nutzen?!?
@BrainBuzz , ich denke, du hast insoweit Recht, als dass es durchaus eine Industrie gibt, die einem ständig unnötige Supplemente verkaufen will und dementsprechend Studien zu Vitamin D gerne aufbauscht und überinterpretiert. In diesem Milieu herauszufinden, welchen Aussagen man trauen kann, ist ganz klar schwierig und ein gewisses Misstrauen ist nicht verkehrt.
Zum Beispiel gibt es Leute, die sagen, dass Vitamin D gegen Krebs schützen würde oder bei bereits ausgebrochenem Krebs helfen würde und man deshalb keine Schulmedizin bräuchte. Ich kenne Leute, die solchen Aussagen selbst aufgesessen sind und sich heutzutage schuldig dafür fühlen, dass sie z.B. mit ansehen mussten, wie ihr Vater auf Schulmedizin verzichtet hat und nur Saft getrunken und Vitamin D-Kapseln genommen hat, während er langsam und leidvoll am Krebs verstorben ist. Das kann also ein sehr emotionales Thema sein und ich glaube, dass so etwas auch die Kontroversen befeuert und manche Leute dazu biased, ganz klar gegen Supplemente und Mikronährstoffe zu sein.
Man muss auch ganz ehrlich sein und sagen: Auch im wissenschaftlichen Bereich gibt es „bad faith actors“, die z.B. p-Hacking betreiben oder ihre Studien von vorneherein nicht fair designt haben. Die Leute, die ihr Geld mit Supplementen verkaufen machen, zahlen auch gerne mal für Studien, die möglichst ihre überzogenen Aussagen „belegen“ sollen. Solche „Studien“ zu fabrizieren, kann je nach Datenlage und Komplexität des Themas unterschiedlich schwierig sein. Je komplexer das Thema, desto einfacher sollte es meist sein, ein kleines Subset so auszuwählen, so dass man „herausfindet“, was man will. Also: Misstrauen auch gegenüber Studien sehr sinnvoll. Allerdings gilt das ebenso für Studien, auf die die „Gegner“ von Vitamin D gerne pochen.
Man sollte allerdings ganz klar sagen, dass es Krankheiten gibt, bei denen die Studienlage ziemlich klar darauf hindeutet, dass Vitamin D-Mangel („Hypovitaminose D“) sowohl überrepräsentiert oft gleichzeitig vorkommt als auch durch Vitamin D-Supplementation gewisse Symptome reduziert werden können. Bei so etwas darf man mMn dann schon von einem Kausalzusammenhang ausgehen solange das Vitamin D die einzige Variable war, die geändert wurde und es im Idealfall noch eine Kontrollgruppe mit Placebo gab.
Jetzt ging es ja um Depressionen… es gibt so Einiges, was sowohl mit Vitamin D-Mangel als auch mit Depressionen assoziiert ist.
Das gilt z.B. für viele endokrine Störungen. Ich habe gelesen, dass das auch für Morbus Cushing, Morbus Addison und Hashimotos Thyreoiditis gilt. Ich bin vllt in Richtung „Vitamin D gut“ biased weil ich eine Hündin mit autoimmuner Thyreoiditis (beim Hund heisst das nicht Hashimotos, aber es ist im Endeffekt das gleiche) habe, die definitiv einen erhöhten Vitamin D-Bedarf hat und schon mehrfach einen Mangel hatte zu Zeiten, in denen sie schwieriger war. Gebe ich ihr 2x pro Woche eine Vitamin D-Kapsel, ist sie viel „stabiler“.
Ich habe ausserdem gelesen, dass Vitamin D-Mangel wohl Insulinresistenz begünstigen/verstärken kann und Insulinresistenz mit Depressionen assoziiert ist. Zu diesem Thema gibt es wohl auch Studien, die einen Kausalzusammenhang nahelegen, da sich sowohl die Insulinresistenz verbessern kann als auch die Depressionssymptome zurückgehen können, wenn man Vitamin D supplementiert bzw. den Mangel ausgleicht. Und Vitamin D scheint viel mit Inflammation zu tun zu haben. Und Inflammation scheint auch einiges mit Depression zu tun zu haben. Da bin ich wiederum vermutlich biased, das zu glauben, weil bei mir die Depressionsgefühle immer mit besonders viel Ausschlag (habe auch Neurodermitis) korrelieren.
All diese Dinge sind aber mWn vermutlich nicht die einzigen Faktoren hinter Depressionen. Deshalb kann man mWn auch nicht pauschal sagen „Vitamin D hilft IMMER bei Depressionen“. Aber „Vitamin D KANN bei Depressionen helfen“ darf man mMn gerne sagen.
(Diesen Paragraphen noch hinzugefügt) Bei der Studie mit ca. 18.000 Leuten (Kohorte war 25.000 groß), die du erwähnt hattest, kann man wegen der Komplexität des Themas auch nicht schlussfolgern, dass Vitamin D gar nicht hilft. Die Kohorte dort war auch schon älter und die meisten Krankheiten, die ich erwähnt habe, sind in diesem Alter vermutlich schon erkannt. Ausserdem kann das Altern selbst ein riesiger Faktor sein, der dann auch einen eventuell vorhandenen leichten protektiven Effekt von Vitamin D verschleiern könnte. Der Hämostaseologe, bei dem ich wegen meiner Faktor V-Leiden-Mutation war, hat mir z.B. erklärt, dass Altern der allergrößte Risikofaktor für Thrombosen ist. Er hatte von einem Faktor 1000 zwischen einer 20jährigen und einer 80jährigen Person gesprochen.
Mechanistisch gesehen ist es so, dass der Vitamin D-Rezeptor (epi)genetisch hochgradig aktiv ist. Carsten Carlberg ist da ein sehr aktiver Forscher und er hat ein Papier geschrieben (Vitamin D: A Micronutrient Regulating Genes - PubMed), in dem er ein bisschen erklärt. Er schreibt im Abstract, dass Vitamin D an die 1000 Gene reguliert! (Hinzugefügt: Gerade bei etwas so Komplexem kann man davon ausgehen, dass erfolgreiches p-Hacking in jede Richtung sehr einfach wird.) Leider ist dieses Papier nirgends frei verfügbar, ich würde es wirklich gerne lesen. Andere seiner Publikationen sind aber auffindbar und die wenigen, die ich bisher gelesen habe, waren sehr interessant.
Man sollte auch berücksichtigen, dass die meisten dieser Dinge hochgradig individuell sind und auch zwischen Populationen deutlich schwanken können. Ich meine, dass das bei Vitamin D-vermittelten Korrelationen auch so ist, aber ich komme gerade nicht mehr darauf, in welchem Papier ich das gelesen habe und ob es dort um Insulinresistenz oder etwas anderes ging. Das müsste ich nochmal raussuchen, wenn Interesse besteht.
Zum Schluss sollte man noch bedenken, dass zu viel Vitamin D auch zu Problemen führen kann. Es kann mWn zB Kalzium aus den Knochen ziehen. Vitamin D kann mWn ausserdem in hohen Dosen toxisch wirken und da es fettlöslich ist kann es sich auch in Fettgewebe ablagern (ich meine, dass es dann auch z.B. später bei Gewichtsabnahme freigesetzt werden kann). Deshalb sollte man auch nicht in die andere Richtung übertreiben und sich Unmengen von Vitamin D reinballern.
Also meine Meinung ist: Thema ist sehr komplex, widersprüchliche Datenlage ist zu erwarten. Wirkung ist vermutlich individuell verschieden und hängt vmtl auch stark von der Grunderkrankung, die zur Depression führt, ab. Mechanistisch ist genug bekannt, um bei vielen Erkrankungen von positiven Effekten von Vitamin D auszugehen. Den Versprechungen von Griftern sollte man natürlich keinen Glauben schenken, ebenso darf man aber auch bei hartnäckigen Vitamin D-Feinden nachschauen, wieso sie so denken.