Ich habe nicht die Absicht, dir auf Biegen und Brechen eine ADHS deiner Mutter einzureden, aber ich gebe zu bedenken, dass es bei später Diagnostizierten oft so ist, dass die ADHS eine ganze Weile kompensiert und nach außen ein strukturierter Eindruck vermittelt werden konnte, diese Kompensationsleistung irgendwann aber nicht mehr erbracht werden kann und dann das Kartenhaus zusammenbricht.
Aber es ist natürlich müßig zu spekulieren, da müsste schon eine richtige Diagnostik her, bei der noch einmal ein Blick auf die Kindheit geworfen würde. Die Frage ist natürlich, wer ein Interesse daran hätte. Meine Mutter z.B., die eine Chaosprinzessin in Reinkultur ist und dies selbst auch so sieht, möchte in ihrem Alter von 66 Jahren keine Diagnostik mehr machen.
Was deinen Sohn betrifft: Natürlich möchte man, dass es die eigenen Kinder mal leichter haben als man selbst und besser nicht betroffen wären. Andererseits kann man ADHS heute gut behandeln und man sollte, bei eigener Betroffenheit, sehr genau hinsehen. Ich sehe grundsätzlich immer die Gefahr, dass das Umfeld Symptome, die man selbst bedenklich findet, verharmlost, man sich verunsichern lässt und so Fehlentwicklungen nicht früh genug entgegenwirkt.
Natürlich ist Verpeiltheit bei einem Dreijährigen nichts Ungewöhnliches, andererseits ist die Aufmerksamkeitsstörung das ADHS-Symptom Nr. 1. Das sollte man schon im Auge behalten, wenngleich ohne gleich zu pathologisieren, es ist ein schmaler Grat…
Eine sozusagen eingeredete Medikamentenwirkung (also die Ruhigstellung meine ich), und das ist ja auch nicht selten dass die Sicht der Umwelt die eigene Sicht auf das Medikament beeinflusst. Zumal nicht immer sorgfältig dosiert wurde, und dann hat man als Jugendlicher selbst oder auch als Eltern schnell die Bestätigung, dass das Medikament schlecht ist.
Nochmal zu deinem Arzt- wenn er als Hausarzt ADHS behandelt und dich schon als Jugendliche hatte, dann ist das ja ein außerordentliches Glück! Er dürfte ja nicht mehr der Jüngste sein, ich hoffe er bleibt dir noch eine Weile erhalten.
Aber was ich sagen wollte- ADHS-Diagnostik ist finanziell nicht sehr dankbar für Ärzte, wenn man es sorgfältig machen will. Viele Ärzte lassen sich die Diagnostik privat bezahlen, und ich kann das auch verstehen wenn ein Arzt nicht zubuttern will. Es lohnt sich aber in der Regel und ist dann ja eine einmalige Investition (wenn es nicht zu teuer wird- jenseits von 400 € hört dann der Spaß auf).
Ich selbst kann AD(H)S-Symptomatiken auch bei meiner Oma und meinem Vater (die beide schon gestorben waren, als ich meine Diagnose bekam) nachvollziehen und habe es an beide Kinder vererbt.
Alle deine Probleme und Sorgen? Auch wenn deine ADHS optimal behandelt wird (oder wenn du sie nie gehabt hättest), blieben noch Probleme und Sorgen übrig, würde ich sagen.
Aber ich verstehe vermutlich was du meinst. Ganz verschiedene Probleme lassen sich plötzlich auf dieselbe Ursache zurückführen, das ist das Erstaunliche.
mach dir keine Gedanken es fühlt sich für mich nicht an als würdest du mir etwas einreden wollen. Ich bin ein Informationsjunkie, ich liebe den sachlichen Austausch zu einem Thema und vor allem die Erweiterung meines Blickfeldes (was übrigens auch der Punkt ist, der für mich noch nicht ganz in die ADHS Sache passt, aber jeder ist ja ein bisschen anders) es ist spannend über meine Eltern nachzudenken. Ich denke dein Ansatz ist gut, ich denke dass es durchaus eine Möglichkeit ist. Sie sagt auch selbst dass sie nach heutigem Stand glaubt dass wir es von ihnen beiden haben. Aber zum arzt wird sie damit nicht gehen. Deshalb bleiben es Vermutungen
Ja, der kleine. Ich beobachte ihn grad wirklich sehr und ich erkenne tatsächlich viel von mir in ihm wieder. Aber es schafft auch bei aktuell mehr Verständnis. Wenn er träumt und mich nicht beim ersten oder 2. Mal hört dann spreche ich ihn nun einfach ein drittes mal an statt zu schimpfen. Ich denke das hat auch etwas positives für sich.
Ja mit dem Doc habe ich wohl ziemlich Glück. Ich hoffe, heute bekomme ich aber auch begleitend Therapie, die brauche ich nämlich dringend. Ich leide nämlich sehr darunter dass ich nie gut genug war bzw mich so gefühlt habe. Na mal sehen.
Und all meine Probleme und Sorgen sind natürlich nicht weg aber für so einige gibt es eine Erklärung und tatsächlich sind das alles Sorgen die mich (und tatsächlich auch meine Ehe) aktuell sehr beschäftigen. Das war sehr unbedacht formuliert, Sorry
Es freut mich sehr, dass du in so vielen Dingen schon auf einem guten Weg bist.
In der Frage des Informationsjunkies irrst du: das ist typisch ADHS. Bekanntlich ist das Aufmerksamkeitsdefizit in erster Linie ein Motivationsdefizit, soll heißen: bei wenig Motivations geht nix, bei hoher Motivation sehr wohl. Das kann dann sogar so extrem werden, dass man zu einem interessanten Thema alles wissen will und sich total darauf fokussiert, so dass man in kurzer Zeit zum Experten wird. Bei ADHS ist das ein Riesenvorteil, denn meiner Meinung nach gibt es nichts wichtigeres, als über die eigene Störung genau Bescheid zu wissen, um ihr zu begegnen.
Das betrifft natürlich auch die eigenen Kinder. Gelassenheit und Verständnis sind Gold wert im Gegensatz zu Ungeduld und Abwertung, andererseits aber auch schwer umzusetzen, wenn man selbst betroffen ist. Ich spreche da aus Erfahrung und arbeite täglich daran. Glücklicherweise können Medikamente hier eine große Hilfe sein.
Zuguterletzt siehst du deine ADHS nicht isoliert, sondern im Gesamtzusammenhang deiner Entwicklung. Das kann auch nicht jeder. Zusätzlich eine Therapie zu machen, ist daher eine gute Idee.
An dieser Stelle deines Textes musste ich wirklich laut lachen ich steigere mich mit meinem Wissensdurst wirklich in alles rein, das mich interessiert. Zuletzt Alles rund um das Thema Kinder, Tragen, Autositze, Ernährung. Aktuell Corona (wobei ich hier schon wieder das Interesse verliere) und ADHS. Ich habe in den letzten 2 Tagen sämtliche Symposien und Dokus geschaut die ich in die Finger bekommen konnte. Der große Nachteil daran ust. Dass ich nur schlecht damit aufhören kann. Ich nehme das Handy dann mit auf Toilette. Lasse im Auto diese Diskussionen laufen und höre während dem Fahren. Es fällt mir dann immer wahnsinnig schwer das Handy (das ist für mich Informationsquelle Nr. 1) aus der Hand zu legen und mich mit was anderem zu beschäftigen.
Ich dachte schon mit mir stimmt was nicht aber das was du sagst kommt mir tatsächlich sehr bekannt vor.
Verliert man das, wenn man mit Medikamenten eingestellt wird? Das ist nämlich etwas das ich - abgesehen von dem nicht damit aufhören können - sehe an mir mag.
Ernsthaft: Das ist eine absolute Resource. Problematisch wird es aber, wenn andere darunter leiden und vernachlässigt werden. Dann sollte man schon versuchen gegenzusteuern…
Hey Anja, genau so erging es mir mit der Forschung zu Kinderthemen und so weiter… und auch ich nehme das Gerät gerne mit auf die Toilette :oops: da kann man schön in Ruhe Forum lesen und was schreiben…
Ich verwünsche das Handy zugleich…
… und an meinem Sohn und mir sehe ich, dass die Medikation die Persönlichkeit null verändert… die Kreativität und viele nette kleine Macken bleiben leider und zum Glück erhalten!! :lol: :roll:
Ich habe am MAC einen Seitenblocker, denn ich trotz Neustart nicht mal eben aushebeln kann, dass hilft schon mal.
Aber bitte kein Tips wie man es doch schaffen könnte, ich konnte mich bisher disziplinieren nicht danach zu googeln :lol: :lol: :lol:
Dann habe ich sowas auch am Smartphone.
Frisch installiert war ich glücklich darüber, aber da einem ja ADHS jeden Quatsch in den Kopf zaubert, dacht ich mal aus Spass auszuprobieren wie man es aushebeln kann.
Nun ja , leider lag ich mit meinem Riecher richtig und nun hab ich nix mehr davon
und das erste was ich nun tu wenn ich mir eine App dafür runterlade, ich teste sofort ob ich es aushebeln kann :lol: :lol:
Also ADHS kann jede Disziplin aushebeln, gerade bei diesem HyperDauerrecherchemodus muss ich manchmal die Notbremse ziehen.
Ich habe mal echt ein Buch im Schrank eingeschlossen. Denn Schlüssel in den Keller gebracht und den Schlüssel vom Keller bei meinem Freund in die Wohnung. :lol: :lol: :lol:
Da habe ich richtig gemerkt wie mein Hirn sich dann erst langsam von dem Thema lösen konnte.
Einen eigenen Verdacht hatte ich leider nie (nur regelmäßig wiederkehrende Depressionen und Schul-/Jobabbrüche), aber mein Psychotherapeut hat ihn sehr schnell geäußert, nachdem ich letzten Sommer eine Therapie angefangen habe, weil ich mal wieder total überfordert war mit meinem Leben. Wir haben dann ca. ein halbes Jahr Pause gemacht und dieses Jahr im Februar hat er mich in die ADHS-Ambulanz unserer Uniklinik „geschickt“.
Diagnostiziert bin ich seit April und seit Anfang diesen Monats nehme ich Elontril, da schwere Depression komorbid diagnostiziert ist.
Aber ich hab am Donnerstag einen Psychiater-Termin und werde ihn darauf ansprechen, ob ein Stimulans nicht besser ist.
Das ganze hilft mir echt, es etwas leichter und mit mehr Humor zu nehmen.
Vor allem weiß ich endlich dass ich damit nicht alleine bin. Es ist unglaublich was sich in den letzten Jahren im Bereich AD(H)Sgetan hat.
Kann man eigentlich von einem ADHS ler zu einem ADS ler werden? Oder bleibt das H auch für immer? Würde nämlich bei mir so damals diagnostiziert, allerdings sehe ich mich nicht unbedingt als hyperaktiv. Aber das selbstbild kann ja durchaus auch mal schwanken.
Ja, so etwas gibt es. Bei mir wurde in der Pubertät der Hebel umgelegt und aus meiner ADHS wurde ADS. Und außerdem gibt es ja auch eine Mischform aus beidem.
So etwas ist sehr häufig, wenn nicht gar die Regel.
Hyperaktivität in der Form des zappeligen Jungen, der über Tisch und Bänke geht, ist in Kindheit und Jugend ein belastendes Symptom, aber bei Erwachsenen spielt es kaum noch eine Rolle. Die Hyperaktivität entwickelt sich bei vielen sozusagen nach innen und weicht innerer Unruhe und Getriebenheit sowie dem berüchtigten Gedankenkarussel, das einfach nicht zur Ruhe kommen will.
Häufig bleibt von der sichtbaren Hyperaktivität nur eine dezente motorische Unruhe, die man selbst vielleicht gar nicht bemerkt, die aber der Umgebung sehr auf den Geist gehen kann: häufiges Aufstehen bei Meetings, Wippen mit den Beinen, Trommeln mit den Fingern, Summen und Pfeifen bei der Arbeit und natürlich die berühmte Logorrhö.
Oft hat man im Laufe seines Lebens aber auch gelernt, diese unerwünschten Dinge zu unterdrücken, so dass vielleicht gar nichts mehr sichtbar ist.
Oder die Hyperaktivität verschwindet tatsächlich einfach, wogegen Aufmerksamkeitsstörung und Impulsivität bleiben.
Dass Hyperaktivität allerdings nicht mehr vorhanden sei, nur weil sie nach außen nicht sichtbar ist oder weil man sich darunter eben den hyperaktiven kleinen Jungen vorstellt, ist ein häufiges Missverständnis.
Das ist sehr spannend. Geduld und Ruhe habe ich mir aber auch - vor allem wegen der Kinder und für die Kinder - sehr antrainiert. Vielleicht ist es auch dadurch besser geworden.
Aber so Kleinigkeiten gibt’s tatsächlich, aufstehen würde ich in meetings nie. Aber ich turne beim telefonieren manchmal auf meinem Bürostuhl, laufe beim Telefonieren immer Kilometer hin und her oder wippe mit den Füßen. Aber nicht sehr ausgeprägt, wie ich finde. Aber da haben wir es wieder, das selbstbild.
Könnt ihr mir vielleicht noch erzählen, wie sich bei euch die Arbeit durch Medikamente geändert hat? Hat sich überhaupt großartig etwas geändert?
Am ersten Tag, an dem ich die für mich höchste verträgliche Dosis MPH intus hatte, habe ich auf einmal bei der Arbeit alten Kram ausgemistet und meinen Schrank aufgeräumt - und zwar nicht ein Bisschen, sondern komplett einmal durch. Das ist etwas, das mit grundsätzlich immer sehr schwer fällt und was für mich entsprechend wirklich ein gutes Zeichen war.
Allerdings habe ich am selben Tag auch den Zeitpunkt verpasst, an dem ich hätte losgehen müssen, um die Kinder zu Hause rein zu lassen. Das war damals noch ganz neu, dass ich sie nicht mehr abholen musste, aber einen Hausschlüssel hatten sie noch nicht.
Also sowas wäre mir normalerweise niemals passiert, aber ich hatte einen Hyperfokus in dem Moment, den ich so von mir nie kannte.
Da war mir dann klar, dass ich schon etwas über dem Optimum mit der Dosis war…