Ohne dir zu Nahe treten zu wollen: Jetzt beschreibst du weitere Merkmale, die mich eher an Autismus und meine eigene Diagnose und die Aufbereitung meiner Wahrnehmung im Zusammenhang damit denken lassen:
Dass du grundsätzlich keine Lust auf Umgang mit Menschen hast, ist meiner Ansicht nach eher ein Hinweis auf Autismus als auf ADHS.
Es kommt ja zwischen beiden Wahrnehmungsstörungen gerne auch zu Fehldiagnosen, weil es deutliche Überschneidungen im auffälligen Verhalten gibt, nur sind die Inneren Treiber, die dazu führen, sehr unterschiedlich.
Ich hab irgendwo noch diese Vergleichstabelle, wo die Merkmalsüberschneidungen und die unterschiedlichen Gründe dafür zusammengefasst sind.
Bist du sicher, das du Ironie und Sarkasmus nicht verwechselst?
Sarkasmus ist die Form des Humors, die Autisten auszeichnet.
Das war in meiner Familie immer vorherrschend. Wenn ich bei andern so Sprüche mache, die ich normal finde, fühlen die sich vor den Kopf gestoßen, weil Sarkasmus immer auf dem sachlichen aufbaut. Sich gegenseitig verbal an falsch gemachtem verarschen, ohne jedoch wirklich angreifen zu wollen, das ist eher Autistisch.
Da Autismus und ADHS in vielen Fällen erblich ist, und beides zwar unterschiedliche Wahrnehmungsstörungen darstellt, jedoch häufig im selben Haushalt vererbt werden können, sind Familiensysteme oft insgesamt von beiden Störungen Betroffen und entsprechend herrscht auch ein autistisch geprägter Sarkasmus vor, den man dann selbst als normal empfindet.
Muss nicht so sein, kann aber.
Bei mir erzeugt Ironie oft erstmal ein reales Bild. „Das Herz auf der Zunge tragen“ gleicht bildlich einem Splatterfilm. Es liegt ein Menschliches blutendes Herz auf einer Zunge. Ich empfinde das nicht als gruselig, aber es ploppt erstmal ein reales Bild der Sache auf.
Diese Redewendung habe ich zu verstehen gelernt und hinterfrage das dann nicht wieder. Redewendungen, die ich einmal verstanden habe, verwende ich ganz „normal“, ohne dass ich das wieder abrufe. Dennoch hängt dieses erste Bild als Erinnerungsfetzen immer noch an dem Sprichwort, wenn ich bewusst drüber nachdenke.
Aber der Prozess des bewussten Übersetzens aus dem Kontext hat gedauert und ich konnte mich wieder daran erinnern, dass ich daran mehrere Tage gegrübelt habe, was damit genau jemand über mich ausgesagt haben wollte.
Ich trage das Herz auf der Zunge. Was meint der damit?
Mit Herz wohl eher das Bauchgefühl, als ein wirkliches Herz. Zunge kann auch für sprechen stehen. Also bin ich wohl jemand, der seinen Gefühlen ungebremst Ausdruck verleiht. (Was auch ein typischer Wesenszug von Autisten ist, weil sie nicht verstehen, das sachliche Auskünfte auf andere nicht sachlich, sondern brüskierend wirken können).
Ich hab zudem rückblickend das Gefühl, das alle intensiven Freundschaften und Beziehungen, die ich jemals hatte, mit anderen neurodiversen Menschen stattgefunden haben.
Viele sind jedenfalls inzwischen selbst diagnostiziert, meine aktuelle Partnerin ist mindestens von ADHS betroffen und einige zeigen sehr auffällige Merkmale, die ich jetzt erst wirklich zuordnen kann. Ich fühle mich selbst halt immer da verstanden, wo die Leute ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie ich.
Das System reproduziert sich also auch in dieser Weise vermutlich selbst, weil zumindest ich mit „Normalos“ nicht gut zurechtkomme und das auch bei diesen Menschen, die ich heute nich kenne, beobachte, das man gerne mit den „Anderen“ klüngelt, die nicht „so sind“ wie die ganzen Normalen.
Man lernt als Autist Ironie ja auch über die Jahre. Es fällt mir immer nur dann auf, wenn ich ein Sprichwort oder Wortbild höre, dass ich noch nicht kenne.
Wenn ich auch die einzelnen Bausteine noch nicht verstehe, dann brauche ich lange, bis ich mir das übersetzen kann.
Ich weiß dann oft nicht, ob ich gerade gedisst werde oder ob das wertschätzend ist.
Man ist auch oft der Letzte, der einen Witz versteht oder man wartet einfach bis zum Ende des Witzes und lacht aus Höflichkeit mit, weil das der Höflichkeit entspricht. Gerade deshalb darf es auch nicht sein, dass man das nun dich nicht kann, weil man sich das ja so mühsam über die Jahre erarbeitet hat, dass man einen guten Umgang mit Witzeerzählern gefunden hat, der die Regeln der Höflichkeit achtet. Wenn jemand mit Witze erzählen anfängt, empfinde ich aber innerlich immer einen starkene Impuls der Abneigung und einen Fluchtreflex. Bärchen, chill, der meint es nicht böse, er will nur nett sein und die Stimmung auflockern. Lach einfach und nimm das als netten Versuch, mit dir in Kontakt zu treten und dir eine Freude zu machen. Und dann lache ich deshalb, weil ich das als Ausdruck von Sympathie und Akzeptanz mir gegenüber deute und mich das tatsächlich entspannt. Dennoch liegen da ja all die Fettnäpfe, das man nicht zu früh lacht oder auf dieses erwartungsvolle Warten am Ende des Witzes mit einem angemessenen Lachen reagiert.
Ich freue mich über die Freude des Erzählers am Witz selbst, sehr selten über den Inhalt. Wenn doch, hatte die Pointe eher Sarkasmus zum Inhalt.
Bei mir war dieser Umgang über die Jahre und Lebenserfahrung aber auch so sehr einstudiert, dass ich das als normal empfunden habe.
Das hat wie gesagt, sehr viel Selbstreflexion während und zwischen den Diagnosesitzungen gefordert, um das wirklich herauszuziselieren. Und ich bin immer noch damit beschäftigt.
Ich bin auch jemand, der sehr gut die Absichten der Menschen um mich herum voraussehen kann. So gut, dass ich auch nie gedacht hätte, dass ich Autist bin. Der Witz ist aber: mein Leben lang habe ich mich damit beschäftigt, zu wissen, was die anderen Wollen. Habe Psychologiebücher studiert, Kommunikationsfortbildungen besucht, Geübt, Rollenspiele gelernt, mir hilfreiches Verhalten bei anderen abgeschaut und nicht selbst entwickelt. Was machen andere richtig, die nicht so anecken, wie ich. Warum ist dieser oder jener beliebt. Was zeichnet den oder die aus? Dann hab ich das genommen, was mir auffiel und ausprobiert. Irgendwann hatte ich dann ein immer besseres Gespür dafür, was die entsprechende Eigenschaft war. Jetzt piecje ich quasi fast automatisch alles bei anderen raus, was hilft und lache innerlich über das, was die an unbrauchbarem Zeug mit sich rumschleppen. Die machen das aber alles intrinsisch au dem Bauch heraus, ich arbeite demgegenüber mit einem nahezu perfektionierten Baukasten der Menschenbeobachtung und Kommunikation, den ich als normal empfinde, weil ich das anders gar nicht kann.
Mein Kollege hat mir beim Telefonieren beigebracht: erstmal Freude zeigen, übers Wetter reden, nach der Familie fragen, bevor man auf die Sache kommt. In meinem Kopf muss es immer möglichst sofort um sachliche Inhalte gehen.
Für neurotypische Menschen ist Smalltalk und Befindlichkeitsgequatsche ein Selbstzweck.
Für den geübten Autisten ist das sprechen über Befindlichkeiten immer nur der Zweck, um möglichst schnell zum sachlichen Inhalt zu kommen. Was der andere auf meine Befindlichkeitsfrage antwortet, langweilt mich und ich habe gelernt, passiv zuzuhören und mit gelegentlichen: „Aha, ja, ach, das ist ja auch interessant“ Floskeln Interesse zu suggerieren und das geduldig zu ertragen, nur, um dann möglichst schnell auf den Punkt zu kommen.
Gesichter kann ich nicht lesen, weil ich aber so gut geübt bin, musste ich lange darüber nachdenken, ob das bei mir wirklich so ist. Und dann habe ich im Internet mal mehrere Tests gesucht, wo man von Fotos die Stimmung der abgebildeten benennen sollte. Ich konnte das nicht. Das einzige, was ich sicher zuordnen konnte, war Freude. Ich weiß jetzt, dass ich von den 7 Grundemotionen ausschließlich Freude sicher identifizieren kann. Dann gibt es für mich noch neutral und negativ. Und die beiden letzteren führen immer dazu, dass ich sie als mich abweisend interpretiere. Es kostet mich immer einen inneren Monolog, mir das bewusst zu machen, das ich nicht automatisch gemeint sein muss oder ich muss nachfragen.
Ich habe mir zudem eine Taktik des Nachfragens und Darstellens meiner Beweggründe angeeignet, die mir helfen, die Kommunikation zu verbessern. So fällt es mir als allerletztem auf, dass ich autistisch sein könnte. Ich merke es immer nur dann, wenn ich anecke, wenn meine Strategien nicht aufgehen. Dann bin ich sofort im Arsch. Ich kann damit schlecht umgehen, weil mir dann der Baukasten nicht hilft und ich mir das unmittelbar vor Ort erschließen muss.
In unbekannten Situationen oder bei unbekannten Personenkreisen und wenn es über die üblichen Höflichkeitsfloskeln hinausgeht, da machen sich die autistischen Probleme bemerkbar, dann dann bin ich quasi blind und orientierungslos.
Ich wollte da nur als weiteren Einblick geben, weil du dir so schnell sicher bist, dass bei dir kein Autismus vorliegen kann.
Das ist, vor allem wenn man schon lange damit lebt und maskieren gelernt hat, nicht so schnell zu sehen.
Meine ersten Online-Test habe ich auch „verkackt“, weil ich vergessen habe, dass ich mir all diese Strategien einmal bewusst angeeignet habe.
Kommunikation ist für Autisten wie Fahrradfahren oder Schuhe zubinden,
wenn man es einmal kann, verlernt man es nicht mehr und hinterfragt es auch nicht mehr. Aber man kann sich dennoch an den Prozess erinnern, wie man sich das einmal erarbeiten musste.
Und wenn man sich Kommunikation erst in der Weise erarbeiten musste, hat sie nicht intrinsisch automatisch stattgefunden.
Dann hat man kein eigenes Gespür dafür, wann man was sagt oder was die anderen für eine Stimmung haben. Dann ist man sehr wahrscheinlich Autist. Also nicht, wenn man sich vereinzelt mal was beibringt, sondern wenn man sich erinnern kann, das gute Kommunikation eher über Versuch und Irrtum gelernt wurde als das man das automatisch einfach konnte. Das man oft angeeckt ist und gar nicht so genau benennen kann, warum.
Es muss ja wie gesagt, nicht so sein, aber es ist auch nicht gleich offensichtlich, vor allem, wenn man das schon lange normal sein geübt hat.
Es lohnt sich, sich damit etwas länger auseinanderzusetzen, denn wenn man betroffen ist, bekommt man nochmal eine neue Perspektive, die einem hilft, noch besser zu werden in der Kommunikation.
Kannst ja nochmal für dich prüfen, und wenn nicht für dich, dann hilft es ja vielleicht anderen Mitlesenden.