Hm. Ich stimme zu, dass Zocken, Serien und Konsorten nicht wirklich erholsam sind.
Und auch ich kenne den Stress, dass ich mich jetzt doch erholen muss, das schöne Sommerwetter genießen muss, … 
Ich kam und komme für mich punkto Erholung aber erst auf einen grünen Zweig seit ich mir Gammeln grundsätzlich erlaube und zwar mit genau den Tätigkeiten, die eigentlich „verboten“ sind weil sie eben nicht wirklich erholen - Zocken, Serien und Konsorten.
Wobei das nur ein Teil der Lösung ist, ich komme gleich dazu.
Auch dass wir ADHSler keine Leerläufe vertragen, und daher immer für Beschäftigung sorgen sollten … ich weiß nicht, dass ich dauernd was tun soll/möchte/muss … das stresst doch total :? und ich glaube auch nicht, dass das so stimmt. Ich glaube nicht, dass es ständigen Stimulus braucht.
Ich glaube vielmehr, dass „wir“ unter anderem deswegen in irgendwelche stundenlange Sinnlostätigkeiten abtauchen, damit endlich mal „Ruhe“ ist. Ich glaube ewig Zocken oder Serie oder Internet hat weniger (bzw. nur zum Teil) mit den Dopamin-Kicks zu tun, als vielmehr damit dass endlich mal Ruhe ist. Das Gehirn mit irgendwas Belanglosem „beschäftigungstherapiert“ und low-level ruhiggestellt und damit abgelenkt ist von den sonstigen Gedanken, die da rasen und einen echt selbst betreffen: ich sollte, ich könnte, ich hätte schon längst sollen, die anderen, morgen, gestern, das könnte ich mal machen, Idee hier, Idee da, …
So wie der Föhn oder das Regengeplätscher beim Einschlafen hilft, weil es als Aufmerksamkeitspunkt im Raum steht aber nicht stimuliert. Oder das Radio beim Lernen gerade genug ist um das Ablenkpotenzial einzufangen und zu kanalisieren und der Rest vom Hirn tun kann was es soll.
Nochmal vorweg: mir ist klar und ich weiß aus Erfahrung, dass nur „gesunde“ Sachen mich wirklich erholen. All das, was immer empfohlen wird: Schlaf, gesunde Ernährung, Bewegung, Sozialkontakte, …
Fakt ist auch, dass man für alle dieses Gesund-Erholsame auch Willenskraft und Energie braucht, auch Planung und Vorbereitung.
Wenn der Akku aber schon entladen ist - woher die Kraft für den antidepressiv wirkenden „30 Minuten strammen Spaziergang“ nehmen? Oder wenn jetzt Hunger dann den Einkaufzettel schreiben oder für den Kochkurs anmelden?
Wenn ich ausgelaugt bin, dann hilft es nicht, auf die vernünftige Art der Erholung zu schielen. Okay, wenn das wer schafft, Hut ab, und bitte den Trick verraten :!:
Naja, was also tun?
Ich glaube, ich habe zumindest einen Trick.
Und in irgendeiner ADHS-Literatur oder -Film fand ich das kürzlich bestätigt a la: „Struktur ist bei ADHS sehr wichtig, aber genauso wichtig ist, dass es auch unverplante Zeiten gibt. Der Trick ist, unverplante Zeit einzuplanen, damit sie nicht ausufert oder zerstörerisch wirkt“ - vielleicht komme ich ja noch drauf, wo ich das gefunden habe. Leider merke ich bei manchem Fundstück erst später, dass das jetzt wohl ein kleiner Splitter vom Stein der Weisen war.
So kam ich jedenfalls drauf:
Mir ist vor Jahren aufgefallen, dass ich nachmittags rein gar nichts schaffe. Habe mich aber dennoch gequält, weil ich muss ja und soll ja und andere machen ja auch und ich bin eh schon so weit zurück. Meist habe ich aber versagt und mich vor die Glotze gelegt, den Tag innerlich als verloren abgeschrieben (und damit meine Leistung bis dahin negiert) und konnte mich dann bis weit in die Nacht hinein nicht mehr losreissen. Nachtruhe also auch im Eimer. So ungefähr.
Dann habe ich mir gesagt: so ist doch sinnlos. Wenn ich mich nachmittags zum Arbeiten zwinge kommt eh nix raus, weil ich zu platt bin. Und wenn ich mich vor die Glotze lege, kann ich das auch ohne schlechtes Gewissen, könnt ich das wenigstens genießen.
So hab ich mir ab da meine fittesten Vormittagsstunden für die wichtigen Dinge genommen und mir den Rest des Tages freigegeben. Insbesondere habe ich mir erlaubt, mich nachmittags hinzulegen und mir ein paar Folgen Serie reinzuziehen. Ich hab das präventives Erholen genannt. Also geplantes Gammeln mit gutem Gewissen und erhobenem Haupt. Bevor ich komplett gaga bin und niederlagengebeugt aufgebe. Serie nachmittags im Bett als Gesundheitvorsorge nicht Sinnbild des Versagens.
Das war einer der wichtigsten Punkte in meinem Leben.
Denn ich habe exakt das gleiche gemacht wie vorher: nachmittags im Bett liegen und Serie schauen. OBWOHL ich etwas anderes machen sollte, eigentlich und zwar auch sehr dringend.
Aber es war, durch die Geplantheit und damit die vollständige Abwesenheit von schlechtem Gewissen wie TAG und NACHT. Sowohl im Erleben als auch in der Wirkung.
Ich glaube, gerade WEIL ich genau das gemacht habe, wonach mir war - nämlich Serienschauen - und nicht das was ich machen hätte sollen, um mich lehrbuchartig zu erholen wie zB. Meditieren, ein schönes Bad nehmen, ein gutes Buch lesen, mit lieben Freuden treffen, einen entspannten Spaziergang, ein interessantes Hobby, digital Detox, … und was man sonst noch so für Vorschläge bekommt, hat es so deutlich werden lassen, dass es nicht an der Tätigkeit liegt (oder auch Untätigkeit). Sondern erstens darum welche innere Stimme mich dabei begleitet: „schon wieder liegst du nur faul rum!“ vs. „soll ich dir noch Tee und Kekse bringen oder heute lieber die Bonbons?“. Und zweitens und vor allem dass ich nicht dem finsteren Faulheitsdämon unterliege, mit seinen Freunden Depression, Scham, Selbstvorwurf, sozialer Rückzug, … sondern dass mein inneres Parlament nach eingehender Debatte und Abwägung entschieden hat, dass nachmittags im Bett gelegen und Serien geschaut wird, punktum. Das ist Gesetz, weil das derzeit das Geschickteste zur Schadensbegrenzung ist und gleichzeitig eine Investition in einen guten Abend und vor allem produktiven nächsten Arbeitsvormittag, die ab da deutlich besser wurden.
Das hat so gut funktioniert, dass ich diese Erkenntnis auch auf andere Alltagsthemen angewandt habe. Punkt 1 ist immer zu gucken wonach mir ist und dann 2. versuchen mir dabei so weit es geht entgegenzukommen. Aikido - die Kraft des Angriffs, oder hier des Widerstands bzw der Erschöpfung, so umzuleiten, dass es in Summe zu meinem Vorteil gereicht. Kompromiss und Konsens zu suchen zwischen dem was mein schwaches Fleisch und dem was mein williger Geist will.
Und wenn ich mich mal von da abgeholt habe wo ich bin, kann ich die Kreise auch ausweiten.
noch ein Beispiel: Fitnesscenter.
Vier interessierende Kurse, einer davon vormittags, zwei abends, einer später Nachmittag. Vormittags ging ich nie, weil ich da ja meine fitteste Zeit hatte, die war für den Schreibtisch reserviert. Und abends ging ich nie, weil ich abends, nach einem anstrengenden Tag an dem ich schon x Widerstände überwunden habe, diese Willenskraft nicht mehr habe. Monate vergingen.
Bis ich mich endlich überwand und den einen Vormittag „opferte“ und statt am Schreibtisch zu knechten ins Fitnesscenter ging. Der Kurs war wie erwartet genau das richtige für mich, ich war Feuer und Flamme und bald zog es mich auch zu den Abendterminen ohne jede Überwindung hin.
Das Erfolgserlebnis im Fitnesscenter wirkte sich natürlich auch positiv auf die Schreibtischarbeit aus. Den investierten Vormittag hatte ich so gesehen bald herinnen.
Heute gönne ich mir einen Tag pro Woche an dem ich nichts muss, nichtmal aufstehen. Es ist der Samstag.
Klappt nicht immer. Aber gerade heute merke ich wieder mal, wie wichtig das ist und wie sehr ich diesen Tag gegen Besitznahme durch Verabredungen, Unternehmungen oder Erledigungen aller Art verteidigen muss.
Und je mehr ich nichts muss und mein Nichtstu-Bedürfnis gesättigt ist durch diese Lizenz zum Gammeln, desto gut-erholsamer werden meine Samstage. Da fange ich plötzlich die eine oder andere klassische Freizeittätigkeit an, für die ich ohne präventive Erholung niemals die Energie gehabt hätte. Komplett intrinsisch und ohne ich müsste doch.
Wenn es dagegen mal eher ganz schlecht ist, und ich gar nichts kann und will, der Akku leer ist, dann werden es, je nach Situation und Möglichkeit, auch mal paar Tage hintereinander, in denen ich „im Bett bleibe“. OHNE Vorwurf. Aber mit der Gewissheit, es geht vorbei.
Ich nenne das Aussitzen. Ruhe bewahren und Aussitzen.
Ich kann mir aus Erfahrung sicher sein, dass es mir irgendwann so auf die Nerven geht, dass ich dann wieder aufstehe und anfange aufzuräumen und die Ärmel hochkrempele für den Rest der Zumutungen des Lebens. Vermutlich auch weil ich genug entstresst habe, weil ich in diesen Tagen des Rumliegens keinerlei Anforderungen an mich stelle.
Es ist kein schöngeistiges mit der Seele baumeln, solche Tage, aber sie sind wunderbar frei von jeglicher Getriebenheit. Ich kann und darf durch die Gegend mäandern wie ich es will. Es gibt keine Uhr, keinen Termin, nichts. Ausatmen.
Ich bin erschöpft? Also lasse ich mich erschöpft sein.
Denn es ist nur ‚ne Phase - das bleibt nicht für immer so stehn‘!
Soweit also das erlaubte Gammeln, Nichtstun, mein „präventives Erholen“.
Aber was ist nun mit den „guten“ Erholungstätigkeiten?
Die brauchen alle Überwindung und Planung und jedenfalls eine Ausgangs-Energie. Im Alltag lade ich meine Batterien am besten durch möglichst zuverlässige Selbstfürsorge hinsichtlich der Basisbedürfnisse. Und das lässt sich am besten a) morgens und b) als Routine organisieren.
So plane meine Woche und meine Tagesstruktur entsprechend, dass das alles irgendwie abgedeckt und mitgenommen wird. Klappt natürlich nicht immer, teils nur bruchstückhaft, aber so ein Grundrauschen an Gesund-Erholsamen ist zumindest da, und wenn es manchmal nur mental ist, als Wissen, dass ich auf diese Struktur aufspringen kann, weil sie hier vor mir liegt und grundsätzlich funktioniert. In meinem Tagesgrundgerüst ist ausreichend Schlaf, Sport/Bewegung, gesundes Essen, ausreichend Trinken, funktionierender Haushalt und Pausen als alltägliche Basis integriert.
Es hat mich einige Mühe gekostet, zu akzeptieren, dass das alles Zeit braucht. Und je besser ich mich möglichst ohne innere Diskussion an meiner Struktur entlanghangle desto besser geht es mir und ich bin nicht so schnell erschöpft und im Idealfall ist genug Energie übrig bzw. aufgebaut um Erholung auch über klassische Freizeitaktivitäten zu planen.
Dass ich mich nicht 100% an diesen Plan halten kann oder muss… da bin ich gnädig mit mir. Oft hänge ich hinterher. Oder lasse aus. Da das richtige Maß an Flexibilität zu erwischen ist auch nicht so einfach.
Ich muss aber nicht jeden Tag neu erfinden und entscheiden, dass es gut wäre etwas zu kochen. Und das ist eine große Entlastung.
Wenn ich vom Briefkasten zurückkomme, ein Weg den ich zu Fuß erledige, bin ich auch geschafft und brauche eine Verschnaufpause. Ich setze mich dann hoffentlich nicht vor den Rechner, denn dort versacke ich uU stundenlang, sondern mit Handy und etwas zu Trinken auf den Balkon. Noch ist ja Sommer.