Erwachsen sein/ verhalten

Ich fand mein Gefühl, nicht hinreichend erwachsen zu sein, auch nicht überall in diesem Thread wieder. U.a. weil die Folgen des Störungsbilds mitunter zu ernst sind, um über T-Shirts und Furzwitze lachen zu können.

Allerdings „checke“ ich auch so manches und kann eben leider nicht alles davon umsetzen. Von außen sieht manches davon dann sicher wie „verantwortungslos“ aus. Und schadet mir selbst und leider sogar anderen. Und sogar das sehe ich.

„Needless suffering“ - wie der erste Teil des Hallowell/Ratey-Zitats: „ADHD is a powerful source of pain and needless suffering in too many lives.“

Ironischerweise können das verantwortungslos wirkende Verhalten und das Leiden sogar mit steigendem Alter zunehmen, weil weniger Kraft zum Zusammenreißen da ist. Das, was Anfang 30 so an (Lohn-) Steuererklärung zu erledigen war, hat mich auch noch nicht leiden lassen. Die Zeiten ändern sich, auch und gerade für Zeitblinde.

„Erwachsen sein“ wäre dann im besten Fall das „if mastered“ aus der Fortsetzung „But, if mastered, it can bring out talents you can neither teach nor buy.“

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Hallo… Ich bin neu hier… 44 bald… Und ich bin genauso… Und merke immer wieder durch meine albernen Gedanken wie das im zunehmenden alter (für anderer) komisch wird… Mir ist das eigentlich scheißegal… Weil ich zu mir stehe… Aber ich finde das das schon mit älter werden schlimmer wird… Weil das Verhalten einfach nicht alters entsprechend ist…(nicht immer) da helfen mir die Tab. Alles dings auch nicht… Grüße

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Ganz einfach: je mehr Aufgaben man selbst erledigen muss, desto erwachsener ist man.

Wenn du also arbeiten gehen, abspülen und Rechnungen bezahlen musst, deine Schuhe entweder in die Mülltonne werfen oder den Hundehaufen in den du vorhin getreten bist abspülen musst, dann bist du erwachsen (seufz).

Ich glaube was hier sonst als „erwachsen“ umschrieben wird ist in Wahrheit „festgefahren sein“.

Das fällt mir immer wieder bei anderen Leuten auf.
Es fällt den meisten „Erwachsenen“ unglaublich schwer, flexibel zu denken, sich unbekannten Situationen anzupassen oder spontan zu reagieren.

Ich glaube das ist der Unterschied.

Und das Hochstaplersyndrom sollten wir auch nicht vergessen.

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Stimmt. Und in dem Grad, wie wir diesen Herausforderungen gewachsen sind, können wir vom Erwachsen-Sein sprechen.

Ein Unterschied ist vielleicht, dass „normale“ Erwachsene für so was Routinen haben (was eben auch genau das ist, was zum Festgefahrensein führen kann), während wir bewusste Strategien brauchen.

Auf der 1. Ebene stimmt das natürlich.

Auf der 2. habe ich an diesen Satz trotzdem so viele Fragen wie an den Thread insgesamt: Dass ich etwas erledigen „muss“, heißt doch mit ADHS gerade noch nicht, dass ich es auch „kann“.

Also ja, ich bin erwachsen, wenn ich das alles tun muss, was Du aufgezählt hast. Oder eben, wenn ich 18 bin.

Aber noch relevanter ist doch für uns eher die Frage nach dem Schrägstrich im Thread-Titel? Wie sich erwachsen verhalten? Wie das tun, was man tun muss?

Denn wirklich bitter ist doch, sich durch das Nicht-erwachsen-verhalten immer wieder das einzureißen, was man sich in kreativer Kinderarbeit aufgebaut hat? Und dann bei Mama auf den Arm zu wollen, obwohl die längst nicht mehr da ist?

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Oder, dass man daran kaputt geht!

Das ist jetzt keine Antwort - sondern einfach mal den Begriff „Mündigkeit“ bzw. „Emanzipation“ in den Raum:
https://www.deutschestextarchiv.de/book/view/kant_aufklaerung_1784?p=17

Wenn Aufklärung / Emanzipation den bewussten Ausgang aus selbst verschuldeter Unmündigkeit bedeutet, dann heißt das für mich: da gibt es Grenzen durch das, was ich nicht beeinflussen kann. Wichtig ist, diese Grenzen zu erkennen und zu ihnen zu stehen.

Meine Steuererklärung selbst zu machen, hat also mal gar nichts mit Mündigkeit zu tun.
Im Gegenteil, sie meinen machen zu müssen aufgrund einer diffusen Annahme darüber, das das „die Gesellschaft“ - wer auch immer das sei - von mir erwarte, ist das Gegenteil von Mündigkeit. Vor allem, wenn es mich - aus welchem Grund auch immer - überfordert. Egal ob mich das weiße Papier blendet oder weil ich nicht vom Klo runterkomme … das entscheidet niemand außer mir selbst oder meinem Geldbeutel. Unmündig fände ich es dann, wenn ich keine Lust habe sie zu machen, oder Ängste, mir das aber nicht eingestehe und mich als Widerstandskämpfer aufspiele, um das vor mir selbst und anderen zu verdecken…

Da ist nicht die Rede davon, Dinge zu tun, nur weil man sie kann. Wenn ich das nicht will - warum sollte ich das tun?
Schließt das „schöne Geschlecht“ mit ein :rofl: (der gute Kant halt mal wieder…)

Auch hier hilft mal wieder ein Perspektivwechsel: Sag einem Menschen ohne Beine, dass man erst erwachsen sei wenn man ohne Hilfe Treppe steigen kann.

Da kommen wieder die Begrenzungen ins Spiel: wichtig ist die Einsicht, dass wir die Routinen nicht entwickeln konnten, dass wir sie kompensieren müssen, dass dieser Mehraufwand Kraft und Zeit kostet.

Was ich aus diesem Thread herauslese ist einfach ein tief verwurzeltes Unwohlsein über unsere spezielle Ausprägung des Andersseins. Ich behaupte jetzt mal: Keiner von uns liegt hier auf der faulen Haut und lässt sich den Hintern hinterhertragen. Viele haben aber deutlich höhere Hürden in der Bewältigung des Alltags.
Erwachsensein heißt hier: die eigenen Bedürfnisse und Begrenzungen erkennen und entsprechend handeln ohne andere damit zu schädigen, was bedeutet, dass man im Rahmen der eigenen Möglichkeiten die Bedürfnisse anderer mit einschließt.
Selbst finanzielle Unabhängigkeit ist kein absolutes Maß für Erwachsensein, sondern richtet sich nach den eigenen Möglichkeiten.
Unser Problem ist eher, dass wir unsere Begrenzung nicht wahrnehmen und von uns Dinge erwarten, die wir nicht leisten können. Damit verbauen wir uns auch den Weg, diese Dinge zu erlernen, denn wir sind ja damit beschäftigt damit zu hadern, dass wir das nicht können.

Wenn ich jetzt mein wie immer langes Geschreibsel zusammenfasse:
Der Schlüssel ist wohl - Psychoedukation.
Aber letztlich ist es eines der Grundthemen der Philosophie, der Psychologie … daher kanns auch so einfach nicht sein.

Finde ich nicht. Mit genug ererbter Kohle musst Du gar nix selbst erledigen… Du musst lediglich in der Lage sein, für dich und die Dir Anvertrauten zu sorgen, wenn das denn die Situation erfordert.

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Tschuldigung.
Ich sollte auf Pfarrerin umschulen, was meint Ihr? :rofl: :innocent:

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Naja, ich stell mir das auch anstrengend vor, wenn man mit dem Personal die ganze Zeit reden muss und sehr unangenehm, wenn den ganzen Tag irgendwer im Anwesen unterwegs ist.

Richtig. Aber man muss es ja nicht können, sondern nur eine Lösung finden, die funktioniert.
Es ist im meinem Augen unglaublich erwachsen, sich einzugestehen, dass man etwas nicht kann und jemandem um Hilfe zu bitten.

Das soll nicht belehrend klingen, ich hatte das auch oft, dass ich manche banale Sachen einfach nicht(!) machen konnte und habe das auch mit Medikament noch häufiger als mir lieb ist.

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Zustimmung.

Beispiel Steuererklärung: Dann macht man sie eben nicht, sondern lässt sich schätzen. Dafür kann man sich bewusst entscheiden, muss dann aber mit den Konsequenzen leben, z.B. weniger Geld zur Verfügung zu haben haben und dass einen andere für dumm halten.

Aber ansonsten: Thema durch. :kissing_heart:

Edit: Erfahre gerade von meiner Frau, dass es so einfach wohl doch nicht ist: Die Pflicht der Abgabe bleibt auch bei Schätzung. Naja, man kann nicht alles wissen. Sorry für die Desinformation.

Aaaaber: Du musst nicht alles machen. Nicht putzen, Steuererklärung…
Und wenns Dir mit dem Personal zu viel ist, dann setzt Du es auf die Straße und „verkleinerst“ Dich. Die einzigen, mit denen Du klar kommen musst, sind Deine Anlageberatenden :rofl:

… das bringt meinen langen Sermon recht treffend auf den Punkt :blush:

Aber machen musst sie nicht, dafür kann man jemanden bezahlen. Bleibt vertrauen, unterschreiben und abgeben.

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Stimmt. Aber auch darum muss man sich kümmern. Aber einfacher is‘ schon, klar.

Manches sollte man bei ADHS einfach versuchen abgeben. Vielleicht ist das ja erwachsenes Verhalten: seine Fähigkeiten und Grenzen kennen und Lösungen für Probleme finden, auch wenn sie nicht dem Mainstream entsprechen.

Ich denke nach einem weiteren Horrormorgen mit meinen Kids z.B. mal wieder über das Anmieten einer zweiten Wohnung nach, um Teile der Familie morgens nicht aufeinander treffen zu lassen.

Das müsste man sich aber erstmal trauen, es gegenüber anderen rechtfertigen und auch finanziell leisten können. Aber grundsätzlich hielte ich das für eine sehr gute Lösung unserer Probleme.

Wie sagte noch eine Betroffene Mutter mit mehreren Betroffenen Kindern sinngemäß?

„Ich wünsche mir für meine Familie ein großes Haus mit einem Flügel für jeden und einem großen Innenhof in der Mitte, in dem wir uns treffen können, wann immer wir das möchten, wo wir uns aber auch aus dem Weg gehen können.“

Das wäre herrlich! :grinning:

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Denk nur nicht, dass sich was ändert. Ich bestelle die Meinigen Weihnachten nur noch einzeln ein :rofl: :see_no_evil: :hear_no_evil: :speak_no_evil:

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Ich hoffe, dass ich nach Lösung meiner eigenen unerwachsenen Probleme im Bewusstsein behalte, wie schwierig es sein kann, vermeintliche Banalitäten zu erledigen. Wie blockiert man sich fühlen kann. Und wie sprachlos und absolut unfähig, „um Hilfe zu bitten“. Und das hat, glaube ich, nicht viel mit Mündigkeit oder Größe oder Erwachsensein zu tun.

Eigentlich hoffe ich, das Wort „einfach“ ganz aus meinem aktiven Wortschatz rauszuwerfen. Zu groß scheint mir die Gefahr, zu jemandem mit Flugangst zu sagen „Steig doch einfach ein und vertrau dem Piloten. Du bist doch kein Kind mehr.“

Noch schwerer als das alles ist wohl nur zu ertragen, um Hilfe zu bitten und sie nicht zu bekommen, weil das gebetene Gegenüber die Situation gar nicht nachvollziehen kann.

Ich hoffe, ich behalte mir einen Blick dafür, wie viel leichter es sein kann, ungesagte Worte zu verstehen und Hilfe anzubieten. Wenn es auch unglaublich schwer ist, als Helfer die richtigen Worte zu finden, die erlauben, Würde und Gesicht zu wahren und nicht übergriffig alles ersticken.

Ich habe immer mehr den Eindruck, hier findet trotz aller Beschwerden und Probleme eine „Positivselektion“ her, die immerhin eine grobe Ahnung hat, woher Probleme rühren und was zu tun ist und wer helfen könnte. Die wahren Dramen spielen sich vermutlich woanders ab.

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Ich glaube, da hast du recht. Die meisten hier haben einen Plan, was zu tun wäre. Aber es fällt eben schwer mit dem Aufraffen und Durchhalten - und dann gibt es da noch ein Problem, das sich für mich immer deutlicher herauskristallisiert:

Nicht nur haben ADHSler wenig Gedult, werfen schnell die Flinte ins Korn und habe Schwierigkeiten damit, kleine Fortschritte auch nur wahrzunehmen (nein, es muss alles immer vom 0 auf 100 klappen).

Hinzu kommt, dass Veränderungsprozesse deutlich schwieriger in Gang zu kommen scheinen und Veränderungen länger brauchen, um sich zu etablieren, zumindest ist es bei mir so.

Wie auch immer: Die Kombination aus beidem ist tödlich.

Ich habe kürzlich einen Bericht gelesen über das Hineinrutschen in Obdachlosigkeit… Eine Trennung, ein Nicht-mehr-aus-dem-Bett-kommen, dann den Briefkasten nicht mehr öffnen können.

Bei manchen dann Drogen und Alkohol, bei anderen Internet"ablenkung". Oder eine Kombination. Immer wieder denke ich auch an den Beitrag, den ich im Zeitmanagement-Thread verlinkt hatte: Die Beobachtung, dass sich so ein „paralleles Leben“ heute aufgrund der leichter verfügbaren Ablenkungen, Bindungserfahrungen, etc. länger aufrechterhalten lässt. Was aber auch die Not vertiefen kann und Abhilfe erschweren. Perfide.

Ich dachte, Singles sind besonders gefährdet. Ein anderes Nervensystem, das koreguliert, verhütet sicher zuweilen komplette Blockaden.

In dem Podcast „Vom Messie zum Minimalismus“ berichtet die (ehem.) Betroffene aber z.B., dass sie im gleichen Mehrfamilienhaus wie ihre Eltern wohnte, und trotzdem führte ihre Erledigungsblockade, den Müll runterzubringen, bis hin zu Schädlingsbefall und Not.

Und bei manchen ist es vielleicht nicht der Müll, sondern es sind vielleicht 3 Waschkörbe Unterlagen, ohne die die Buchhaltung nicht möglich ist, ohne die die Steuererklärung nicht möglich ist, usw.

Und bei wieder anderen ist es vielleicht ein Badezimmer voller Schmutzwäsche. Oder was auch immer. Es scheint viele Facetten zu geben. Und jeden Tag erzählt man sich „Morgen. Morgen wirklich.“, weil das Problem auf einen selbst ja auch vermeintlich „einfach“ lösbar oder anzugehen scheint.

Es geht verdammt schnell mit den Teufelskreisen. Und immer wieder in diesen Berichten schreit alles nach Diagnosebedarf … Und statt dessen kommt irgendein Geschwurbel oder die Diagnose kommt sehr spät. Und wir sehen ja selbst hier, dass damit noch längst nicht alle Gefahr gebannt ist.

Ich weiß auch nicht, warum ich das gerade in diesen Thread packe. Ich finde es jedenfalls nicht off-topic. Vielleicht weil es erwachsen ist, dass wir aufeinander achten sollten. Und viel für möglich halten, in Licht und Schatten. Und wenig für einfach.

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Jetzt, da du das schreibst, erinnere ich mich an mein früheres Single-Leben und behaupte spontan: Erbwachsen bist du, wenn du jederzeit Besuch empfangen kannst, ohne dich für den Zustand deiner Wohnung zu schämen…

… und zwar völlig unabhängig davon, wie es dort wirklich aussieht.

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Und/oder: Erwachsen bist Du, solange Du noch Reserven welcher Art auch immer hast, Dich weiter mit der Begriffsbestimmung abzumühen.

Matthias Horx hat sich in einem meiner Lieblingsbücher von ihm auch mal an einer Definition versucht:

„Darüber hinaus geht es uns in puncto Erwachsensein wie mit allen existentiellen Rätseln: Nähern wir uns, bleibt nichts als ein Flimmern, eine Oszillation, ein fruchtbares Paradoxon. Am Ende ähnelt derjenige am meisten einem Erwachsenen, der ohne Schwindelgefühle in dieses Flimmern hineinsehen kann.“

Weiter fruchtbares Oszillieren, in diesem Sinne…

Nächster Versuch: Erwachsen ist man, wenn man sich nicht die Frage stellt, ob man erwachsen sei.

Dass ich jetzt darunter pinseln möchte „Wer das hier liest, ist kindisch“, spricht vermutlich dafür, dass ich mich aus der weiteren Begriffsfindung mangels Reifegrad verabschieden sollte. Ich komme wieder an Bord, wenn ich mir die Frage nicht mehr stelle.