Eure Strategien für das "Loch" nach dem Verdacht / der Diagnose?

Hallo zusammen,
ich beziehe mich ein wenig auf diesen ein Jahr alten Thread, dessen Thema mich gerade sehr beschäftigt. Verstärkt sich AD(H)S, wenn man davon weiß?

Obwohl ich noch ein paar Monate auf meine offizielle Diagnose warte, also noch gar nichts weiß, merke ich aktuell, wie ich immer wütender und frustrierter über den Verdacht werde. Viele Symptome, die ich jahrelang scheinbar sehr erfolgreich verdrängt habe, fallen mir gerade im Alltag immer mehr auf und ich erlaube mir anscheinend zum ersten Mal, diese auch wahrzunehmen und zumindest manchmal auch zu kommunizieren. Das ist erst einmal nicht schlecht. Aber irgendwie habe ich trotzdem das Gefühl, dass ich immer mehr in so ein Loch falle und irgendwie nicht so gut damit klarkomme.
Zum einen hat dieser Grenzbereich zwischen Wissen und Nichtwissen natürlich ein hohes Frustrationspotential (gerade für einen sehr ungeduldigen Menschen, der alles sofort wissen muss). Gleichzeitig frage ich mich immer, was ist eigentlich Symptom, was ist Maske und wo bin ich eigentlich dazwischen? Es kommt mir einfach so vor, als hätte ich seit meiner Kindheit an einem unwahrscheinlichen Kartenhaus gebastelt und jetzt geht es an dessen Fundament. Das ist eigentlich gut und ein wichtiger erster Schritt, denn das Kartenhaus soll ja mittel- bis langfristig durch solides Mauerwerk ersetzt werden. Aber jetzt ganz aktuell zieht es mich nach unten. Und darunter leide ich, aber vor allem auch meine Beziehung. Ich glaube, ich bin im Moment ziemlich unausstehlich und sehr mit mir selbst beschäftigt. Wenn sich mein Verdacht bestätigt und ich vielleicht in eine richtige medikamentöse Therapie komme, wäre das sicher ein weiterer wichtiger Schritt. Wenn sich mein Verdacht nicht bestätigt, wird es für alle ein ziemlich ätzendes Weihnachtsfest. :sweat_smile: Aber eins nach dem anderen.

Meine Partnerin fragt auch schon, was sie tun kann, wie sie mich unterstützen kann. Aber auch da weiß ich nicht wirklich Rat. :slightly_frowning_face: Da ich zumindest merke, dass ich mit diesem Problem nicht alleine bin, wollte ich fragen, ob ihr solche Momente aus eurer ersten Verdachts- bzw. Diagnosezeit kennt und was ihr getan habt, um damit besser umzugehen? Habt ihr irgendwelche Tipps?

Schon wieder so viel Text. Es ist eine komische Zeit.
Danke schon mal fürs Lesen auf jeden Fall! :smiley:

Edit: Jetzt habe ich irgendwie das Gefühl, dass das hier im falschen Forum gelandet ist und bin mir da ganz unsicher. Dachte, dass es ja irgendwie ein Problem ist, das bestimmt spezifisch Erwachsene und damit Spätdiagnostizierte haben? Bitte verschieben / löschen falls das Käse ist.

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Was ich total wichtig finde - die Funktionsweise von ADHS zu verstehen. Und das gilt auch für deine Partnerin.

Das erklärt am allerbesten Heiner Lachenmeier in seinen Vorträgen. Kennst du die?

Kürzlich haben wir eine Podcast Folge aufgenommen, da geht’s auch ein bisschen um das Thema.

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Das würde auch in die Kategorie „Diagnose“ passen. Ist aber auch nicht so wichtig.

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Zu diesem Satz - man nimmt eben einfach alles deutlicher wahr wenn der Fokus darauf gerichtet ist.

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Du hast absolut recht. Ich merke gerade, dass mein Wissen zum Thema absolut bruchstückhaft ist. Ich habe mich bisher nur mit den Versatzstücken beschäftigt, die ich akut relevant fand, allen voran eben mit den Symptomen, weil es das offensichtlichste war. Das war mir bis gerade gar nicht so bewusst, aber da ist dringender Nachholbedarf.
Vielen dank dir für die Tipps! :smiley:

@chmura bei mir war es einfach so, dass mir mein ganzes vergangenes Leben nach der Diagnose durch den Kopf gegangen ist, und dann halt solche Fragen wie was gewesen wäre wenn ich es früher gewusst hätte, oder auch ob mein Leben komplett anders geworden wäre wenn ich es früher gewusst hätte, oder was für Auswirkungen das auf andere gehabt hätte, meine Beziehungen zu anderen, wenn ich es gewusst hätte, ob ich es geschafft hätte eine passende Ausbildung für mich zu finden und diese auch durchzuziehen, naja halt alles solche was wäre wenn Fragen und solche Sachen.

Andererseits aber zum Beispiel auch Wut darüber das ich so wie ich bin anscheinend nicht in Ordnung sein soll, dass ich jetzt mit der Diagnose ein Mensch mit einer psychiatrischen Störung sein soll, dass ich irgendwie krank und ein nerviger Zappelphillip sein soll den man mit Adhs Medikamenten ruhig stellen muss weil ich zu impulsiv und zu eigenwillig bin.
Naja, alles in allem kam die ganze Palette von allen möglichen Gefühlen in mir hoch, vor allem negative Gefühle, so das ich erneut wieder in tiefe Depressionen rein rutschte, dann Phasen wo ich fast krampfhaft versuchte mich durch positive Gefühlen über Adhs wieder hoch zu pushen, habe dann versucht Adhs zu glorifizieren, als sei es ein Glück das ich Adhs hätte, was natürlich Bullshit ist, aber was macht man nicht alles um irgendwie mit was fertig zu werden das man nach 50 Lebensjahren erfährt und sich nun dort einreihen soll wo bisher überall als Makel wahrgenommen wird, wo klar macht „Ah deshalb bin ich also so ein Versager, wegen diesem beschissen Adhs“.

Was weiss ich, jedenfalls schwirrte mir der Kopf, und da ich eh schon depressiv war wurden meine Depressionen dadurch sehr lange nicht besser, und deshalb bin ich sehr lange in diesen negativen Gedankenspiralen die mich immer wieder überkamen hängen geblieben.
Und zuletzt habe ich Adhs dann Verleugnet, so sehr habe ich es gehasst diese Scheiss Diagnose bekommen zu haben, hatte mir schon ernsthaft überlegt ob ich die Diagnose verbrenne, habe mich dann aber wieder umentschieden und habe sie wieder in einen Ordner rein gestopft.

Und heute ist mir mein Adhs inzwischen egal, bringen tut mir mein Adhs ja sowieso nichts, und wenn es mir schlecht geht hilft mir trotzdem keine Sau, ich muss mir ja trotzdem wie immer selbst helfen, da ist niemand wo mir was abnimmt, und IV Rente beziehen kann ich mit Adhs auch nicht, auch wenn klar ist das ich inzwischen so kaputt bin das ich auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr voll einsatzfähig bin, aber das interessiert ja auch keine Menscheseele, also ist meine Adhs Diagnose für mich in Wahrheit eigentlich nicht viel Wert.
Aber Hey, ist ja für jeden anders, manche können es sich halt finanziell leisten und so, dass sie ihr Adhs ganz toll finden oder sich dadurch sogar irgendwie „speziell“ finden, weil sie sich durch ihr Adhs von anderen „abheben“, und andere denen es finanziell nicht gut geht, die müssen eh schauen wie sie sich durchs Leben schlagen, dass interessiert die denen es gut geht eh nicht im geringsten.

Mir ist mein Adhs inzwischen Scheissegal, der ganze Humbug und das ganze Psycho Geschwafel und diese ewigen Gedankenspiralen über Adhs bringen mir in meinem Leben nichts, höchstens Verdruss.

Ah Sorry habe was vergessen, eine Strategie wie man mit dem Loch nach der Diagnose ungehen soll kann ich also keine liefern, tut mir leid aber da muss wahrscheinlich halt jeder selbst irgendwie mit seinem Adhs fertig werden. :person_shrugging:t3:

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Für mich war es am schlimmsten quasi eine „Kinderdiagnose“ zu bekommen und Medikamente nehmen zu müssen. Vor allem weil ich die Diagnose ADHS und Medikamente immer sehr kritisch sah. Ich musste quasi meine kritische Meinung dazu fast ganz revidieren. Und der Schulmedizin hatte ich zu der Zeit eigentlich schon lange den Rücken zugekehrt.

Das ich aber ADHS Merkmale schon seit der Kindheit aufwies , wurde auch öfter mal aus Spass zu mir und auch von mir selbst gesagt, viel mir der Rückblick nicht schwer.

Relativ schnell kam für mich durch die Diagnose/ Therapie und Austausch im Forum ehr ein Erleichterung , weil ich plötzlich von Menschen hörte denen es auch so ging und dass ich für vieles gar nichts kann.

Die neurologischen Aspekte zu erfassen waren für mich mit dem Blick auf meine psychischen Probleme Balsam für mein Selbstwert.

Die erste Medikation trieb mir gar Tränen in die Augen vor Dankbarkeit für dieses neue Gefühl.

Ich glaube ich hatte nur kurz damit gehadert „ach wenn ich es doch eher gewusst hätte“ !

Damals hätte eh keiner was damit anfangen können und da ich ein Wirbelwind war und ganz viel Unterwegs und aktiv war und somit auch auf der Flucht von zu Hause , war ich dem scheiss dort weniger ausgesetzt . Eine Medikation wäre abgesehen von Schule wohl ehr Kontra gewesen und der Schuss wäre ganz nach hinten losgegangen, :face_with_peeking_eye:

Meine Lebensziele habe ich bisher weitgehends ja erreicht nur viel zu zuviel Energie dabei verbraten und mit all den typische ADHS Dingen gestruggelt und zu sehr am Selbstwert gehadert .

Und ich glaube selbst wenn ich 20 Jahre ehr schon Medikamente bekommen hätte , dann bleiben für mich bestimmte Dinge schwerer und einfach so wie sie sind und eh nur annehmebar aber nicht wirklich veränderbar . Mein ADHS wird mich in meinem Potential halt weiterhin im gewissen Maße einschränken , aber einschränken heißt ja nicht dass gar nichts geht , ich muss es halt reduzierter angehen.

Letztendlich hätte ich einfach gerne viel ehr gewusst wofür ich nichts kann , dann hätte ich mich schon viele viele Jahre eher schon selbst viel lieber gehabt :sparkling_heart: :adxs_wub: :adxs_trost:

Das bitterste war eigentlich , dass ich mit meiner falschen Meinung zu ADHS den eigentlichen Fakten nicht dienlich war.

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Bei mir lief das ganze ein bisschen anders ab.
Ich hatte schon immer psychische Probleme, habe die immer auf meine schwierige, teils traumatische Kindheit und Jugend zurückgeführt.
Meine Zwanziger waren geprägt von dem unbedingten Wunsch, meiner Familie und meinem Elternhaus zu entfliehen und mich von alldem zu lösen.
Ich stand praktisch immer unter Strom, was sich aber rückwirkend auch mit dem damals diagnostizierten, posttraumatischen Belastung Syndrom erklären lässt oder zumindest damals erklären ließ.
Nach der Geburt meiner Tochter bekam ich eher depressive Symptome, damals wurde mir eine Depression diagnostiziert, nach wie vor auf das PTBS zurückgeführt.
Mein Leben war ein ständiges auf und ab, sowohl beruflich als auch privat. Die Ehe ging schnell in die Brüche, das Leben als alleinerziehende war sehr stressig, und so schien es auch gar kein Wunder zu sein, dass sich schließlich einen Burnout, sprich eine Erschöpfung Depression hatte. Inklusive Klinikaufenthalt und einem halben Jahr Arbeitsunfähigkeit.
Auch danach wurde ich weiterhin auf Depressionen behandelt, hatte noch einen Klinikaufenthalt und bekam dann ein neues Antidepressivum mit dem Wirkstoff Bupropion, also einem Dopamin-NorAdrenalin Wiederaufnahmehemmer

Damit ging es mir zunächst besser.
Mit einsetzen der Wechseljahre haben sich aber die Probleme wieder verstärkt, und allmählich stand die Diagnose Depression in Zweifel.
Mit der ADHS Diagnose, die ich jetzt erst seit ein paar Wochen habe, ist für mich unglaublich viel Druck verschwunden.
Nämlich der Druck, ich müsste doch jetzt endlich mal meine Probleme aufarbeiten, um die Depression in den Griff zu bekommen

Mit der ADHS Diagnose und den Medikamenten habe ich jetzt erstmals das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein, auch wenn die Dosierung der Medikamente nicht so einfach ist, wie ich mir das vorgestellt hatte.
Trotzdem bin ich wesentlich optimistischer als noch ein paar Jahre zuvor

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Danke trotzdem, dass du deine Erfahrung teilst. Deine Schilderungen erinnern mich schon auch ein bisschen an die klassischen fünf Phasen der Trauer, denn am Ende kann man schon ein bisschen Akzeptanz herauslesen? Sorry, falls das jetzt irgendwie blöd formuliert ist.
Klar, wir müssen alle irgendwie selbst damit fertig werden und haben da bestimmt alle unterschiedliche Bedürfnisse. Aber ich wollte ein bisschen sammeln, weil ich in der letzten Zeit so ein bisschen ratlos war.

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Ja, genau das ist es was mich irgendwie so umtreibt. Dieser blöde Konjunktiv. Aber ich bin glaube ich gerade auch zu hart zu mir und zu meinem Umfeld.
Danke dir auf jeden Fall für die Schilderungen. Es ist schön zu sehen, dass es besser wird. Und auch, dass der Weg zur Selbstakzeptanz dann noch offen steht.

Das ist ähnlich wie das was Justine geschrieben hat. Ich glaube ich muss mich einfach noch mehr damit beschäftigen was das alles eigentlich potenziell wirklich bedeutet.

(Und ich muss im Kopf immer auch noch dabei sagen, dass es ja alles gar nicht sicher ist. Wie um mich selbst mit magischem Denken davor zu schützen, falls der Verdacht gar nicht stimmt. Alles noch nicht zu sicher zu nehmen.)

Auch das ist schön zu lesen. Vielleicht ist es wirklich auch der Schwebezustand zwischen Verdacht und Diagnose, der mir gerade so zu schaffen macht. Vielleicht wird ja mit tatsächlichem Wissen alles besser und gerade ist einfach blöd.

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