Hallo zusammen,
mein Mann möchte sich demnächst auf AD(H)S testen lassen, da einige Verhaltensweisen, unter denen er/ich/die Beziehung leidet, dafür sprechen könnten.
Neben verschiedenen anderen evtl. ADS-typischen Verhaltensweisen, ist uns nach vielen Gesprächen ein Aspekt aufgefallen, den ich als nicht ADS-lerin gar nicht von mir kenne und bei dem wir denken, dass er im Endeffekt der Kern vieler seiner Probleme ist.
Ich wollte einfach mal in die Runde fragen, ob euch das bekannt vorkommt, bzw. ob das auch ein Hinweis auf ADS sein könnte.
Und zwar sagt mein Mann, dass er während der verschiedensten eigentlich simplen Tätigkeiten im Alltag, die für mich kein Nachdenken erfordern und ich somit in verschiedene Gedankengänge abschweife, er immer gedanklich komplett im Moment bleibt. Ob Spülmaschine ausräumen, Spazieren gehen, kochen, er denkt dann immer nur an die gerade zu erledigende Tätigkeit bzw. was er in diesem Moment gerade sieht. Wenn er Musik hört, hört er eben Musik und kann dabei nicht in andere Gedanken abdriften. Wenn er über irgendetwas „Tieferes“ nachdenken wollen würde, müsste er sich auf die Couch setzen und sich nur darauf konzentrieren – was natürlich so gut wie nie vorkommt.
Für mich war das total überraschend, da das für mich die Situationen sind, in denen ich über Gott und die Welt (Kindheit, vergangene Gespräche mit Freunden/Familie, Zukunftspläne, persönliche Probleme, aktuelle Geschehnisse in der Welt, etc.) nachdenken kann. Ich habe den Verdacht, dass viele Probleme in seinem/unserem Alltag aus der Tatsache resultieren, dass mein Mann eben so gut wie nie in die Situation kommt solche Gedanken zu haben. Er ist ja fast immer nur im aktuellen Moment. Nun habe ich mir hobbypsychologisch zusammengereimt, dass das der Grund sein könnte, dass:
- Der Klassiker - er sich an Kleinigkeiten, wie Geburtstage, was er einkaufen wollte, etc. nicht erinnert.
- Aber auch wichtige, für ihn eigentlich emotional bedeutende Sachen. Z.B. vergisst er, dass bei einem lieben Familienmitglied eine wichtige medizinische Diagnose ansteht. Mittlerweile stellt er sich bei sowas eine Handy-Erinnerung, was für mich so unverständlich ist. Ich denke mir, wenn man sich um etwas sorgt, kommt dieser Gedanke doch automatisch ab und zu hoch?
- Für mich persönlich oft enttäuschend: ich schreibe ihm unterwegs, dass mir etwas aufregendes/tolles/schlimmes passiert ist. Er ist sehr interessiert und möchte es dann hören, sobald wir uns sehen. Wenn es dann aber soweit ist, wurde von ihm nie wieder daran gedacht. Rational weiß ich, dass es wohl daraus resultiert wie sein Gehirn funktioniert. Leider fasse ich das aber trotzdem immer wieder als Desinteresse an meiner Person auf und bin gekränkt. Überhaupt ist der Satz „Und es ward nie wieder daran gedacht“ allgegenwärtig bei uns…
- Wenn ich nicht aktiv dran bleibe und es ständig selbst initiiere, führen wir nur oberflächlichen Smalltalk, der sich aus der Situation heraus ergibt und keine tiefgründigeren Gespräche. Z.B. beim Spazieren gehen kommen dann nur Themen auf, was ein vorbeifahrendes Auto, das Wetter, ein Gebäude betrifft.
Wenn ich aber abstraktere, tiefgründigere Themen anspreche, ergeben sich auch wunderbare Gespräche. Also möglich wäre es theoretisch. - Seine Freunde sind ihm zwar sehr wichtig und sobald sie sich bei ihm melden, ist er Feuer und Flamme und nimmt Treffen sehr wichtig. Er kommt aber nie auf die Idee sich von sich aus zu melden bzw. vergisst sozusagen sogar seine Freunde wochen-und monatelang. Auch kann er sich beim nächsten Treffen kaum mehr daran erinnern, was beim letzten Mal Gesprächsthemen waren. Dass so dann irgendwann Freundschaften langsam einschlafen ist kein Wunder. Es kommt einfach auch wie Desinteresse rüber.
- Er kann sich an so gut wie nichts aus seiner Kindheit erinnern. Ich denke, wenn bestimmte Ereignisse viele Jahre lang nie die Gedanken durchkreuzen, sind sie irgendwann weg. Das finde ich soo schade für ihn.
Seitdem wir festgestellt haben, wie unterschiedlich unser Gehirn funktioniert und, dass er eben eigentlich den kompletten Tag nie in eine Situation kommt, in der er über seine im Moment ausgeübte Tätigkeit hinaus nachdenkt, sind diese ganzen Punkte, die für ihn oder unsere Beziehung Probleme ergeben, meiner Meinung nach eigentlich nur eine logische Konsequenz.
Ich bin gespannt, ob das jemandem bekannt vorkommt?
Liebe Grüße
Lavendel