"ich bekomme es einfach nicht hin" typisch ADHS?

Hallo Leidensgenoss_innen,

es ist soweit. Ich habe wegen neuer Birkenstocks angefangen zu weinen. Dass ich nach 500m in den Park schlendern die gleiche dämliche Schürfwunde am Fußrücken bekommen habe, wie von den Flipflops, von denen ich weg wollte, hat mir heute den Rest gegeben. Und dass zwar jede Menge Leute im Internet nicht mit Birkenstocks zufrieden sind, aber ich offenbar den Rekord damit aufstelle, nach 500m hautabschüfrungen am Fußrücken zu haben und somit Mal wieder allein auf weiter Flur. Der Verkäufer sagte mir noch, man soll die fußkralle benutzen, damit es nicht so rutscht, aber das habe ich versucht und versucht wegzulassen. Alles suboptimal. Toll: Ich bekomme es nicht hin, verletzungsfrei in Birkenstocks zu laufen. So wie vieles andere auch nicht und es triggert mich enorm.

Ich habe das Gefühl, dass ich gerade gar nichts erfolgreich erledigen kann. Arbeitstasks kommen ständig zu mir zurück, was mir glücklicherweise niemand ankreidet, weil jeder weiß, dass das System, mit dem wir arbeiten, scheiße ist. Aber ich halte dieses fehlende Erfolgserlebnis nicht aus. Immer wieder Hoffnung, dass ich Mal was abschließen konnte und dann wieder die Enttäuschung, dass irgendein Spezialfall, den niemand testen konnte, doch nicht geht.

Seit Wochen geht meine Uhr ca 5min am Tag nach. Endlich schaffe ich es, sie zum Uhrmacher zu bringen, um die Batterie zu wechseln, nachdem sie vollständig stehen geblieben ist. Mit dem Ergebnis, dass sie immer noch 5min pro Tag nach geht.

Es ist nur eine mittelmäßige Uhr, Arbeit zum Geldverdienen ohne, dass mir jemand Vorwürfe macht und nur eine kleine Wunde am Fußrücken, aber ich habe das Gefühl, fundamental falsch zu sein und es einfach nicht hinzubekommen. Zu Mini alltäglichen Problemen kommen größere wie berufliche Umorientierung oder zumindest Kündigung und neue Jobsuche und ich kann einfach nicht die Hoffnung aufbauen, dass ich irgendwas an meiner Situation verbessern kann, weil ich gefühlt täglich zurückgemeldet bekomme, dass meine Bemühungen nichts erreicht haben. Und wenn es ganz schwarz aussieht, dann denke ich auch, dass sämtliche Therapien einfach nichts gebracht haben, wenn ich immer noch in tiefe Löcher der Verzweiflung stürze, weil mir nichts gelingen will. Letzteres ist gerade wenigstens halbwegs durch Therapie reflektierbar, aber der zerstörerische Impuls, die Ohnmacht die Gedanken übernehmen zu lassen ist schon da…

Habt ihr Ideen dazu? ADHS/Belohnungssystem? Kindheitsgeschichten?
Danke :slightly_smiling_face:

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Servus Sören.

Ich kann gut nachempfinden, was Du schreibst. Trotz diverser und immer neuer Strategieversuche komme ich regelmäßig auch wieder auf das von Dir benannte Level.

Das Beste was ich jemals habe machen können, war aber tatsächlich, mich aus dem Angestelltendasein vollständig zu verabschieden. Das hat mir die Möglichkeit gegeben, Auftraggeber, von denen ich sofort weiß, das kracht, abzulehnen und mich auf die Dinge zu spezialisieren, die mich wirklich interessieren und die ich gut kann.
Natürlich hat jeder Job auch immer seine langweiligen Dinge. Das kann ich in meinem Beruf dadurch kompensieren, dass ich wechselnd draußen und drinnen bin. Ich kann nicht 9 Stunden in einem Büro sitzen, da würde ich wahnsinnig. Ich kann aber auch nicht 9 Stunden draußen sein, weil die Geräusch- und Lichtkulisse mich Amoklaufen ließe.
Und auch das war ein Punkt, den ich mit der freiberuflichen Tätigkeit wirklich gut kompensieren konnte.

Das zweite, was für mich wirklich ein Segen ist, ist das Alleineleben in einem Haus. Ich kann Menschen nur ganz schwer ertragen und die Bedürfnisse einer Nachbarschaft sind für mich schon viel zu viel. Ich kann gesellschaftliche Bedürfnisse ohnehin ganz oft nicht verstehen und fühle mich wie ein Alien.

Drittes Ding - wichtige Dinge doppelt zu besitzen. Mein A und O des Alltags sind Noisecancelling Kopfhörer und Sonnenbrillen. Da ich allein 5000 Schritte am Tag zusätzlich brauche, wenn ich alles nur einmal besitze und grundsätzlich alles gleich wieder vergesse, habe ich da irgendwann in mich reingehört und festgestellt, was für MICH wirklich existenziell ist. Und das sind die Dinge, ohne die ich nicht leben könnte.

Viertens: Kleinigkeiten aber für mich eine wirkliche Erleichterung. Apple Airtags. Ohne die wäre ich aufgeschmissen. Zumindest am Hausschlüssel und wirklich wichtigen Dingen.

Fünftens: Etwas, was ich kürzlich festgestellt habe in einer Triggersituation für mich. Alkohol weitmöglichst weglassen. Alkohol verstärkt bei mir die Impulsivität, aber auch die Tiefs und das kann echt kritisch werden. Da handhabe ich es tatsächlich inzwischen so, dass ich alkoholische Getränke nur im Beisein von Menschen konsumiere, denen ich absolut vertraue und die emotional oder anderweitig gelagert keinen Unmut oder Groll von mir zu befürchten haben.

Ganz wichtig für mich: Überraschungen vermeiden und trotz des gesamten Chaos im Alltag zumindest die Basis einigermaßen gleichbleibend gestalten, auch wenn A, B, C nicht geschafft wird.

Noch wichtiger - ich gehe nicht mehr in Planungen, die über x Wochen oder Monate hinausgehen. Ich bin ja froh, wenn morgen schon so läuft, wie ich heute denke. Und was die Welt so gern suggeriert mit ihren guten Vorsätzen am Jahresanfang, Geburtstagen oder dergleichen… keine Vorsätze. Ich sag immer, warum sollte ich so blöd sein und mir mein eigenes Scheitern noch so dermaßen vor die Nase halten.

Für mich auch wichtig: meine Schwester ist mein Seelenmensch und ultimative Vertrauensperson. Der einzige Mensch, von dem ich mir was sagen lasse. Jüngstes Erlebnis. Ich wollte zu einem Konzert und sie hat es wegen großer Triggergefahr verboten. Bei jedem anderen wär ich ausgeflippt. Aber hier und nur hier gestehe ich diese ganz ganz feinen Sinne für meine Person zu und höre darauf. Das hilft mir auch wirklich häufig sehr.

Belohnungssystem. Ich denk, da bin ich keine gute Hilfe. Das kann dann teuer werden. :face_with_peeking_eye:

Viele Grüße und hoffentlich gibt es bald eine bessere Phase. :slightly_smiling_face:

Hallo Skynd,

danke für deine ausführliche Antwort.

Ich kann einige von den beschriebenen Strategien ganz gut nachvollziehen, andere wahrscheinlich schwieriger anwenden, aber primär ging es mir auch eher um Erfahrungsaustausch oder Erklärungen des Phänomens. (Ich hab letztens einen Satz gehört, ungefähr: „Was meine Ehe gerettet hat war die Frage ‚Rotwein oder Blaumann‘, wenn meine Frau reden wollte“ ich war eher auf Rotwein (zuhören/austauschen) du warst eher im Blaumann/Problemlosungsmodus :wink:)
Das habe ich aber so deutlich ja auch gar nicht geschrieben :wink:

Was mich in letzter Zeit ziemlich nervt ist das Gefühl, dass ich nichts zufriedenstellend hinbekomme oder abschließen kann, wobei das noch nicht einmal die typischen ADHS Themen wie Pünktlichkeit, Vergesslichkeit oder Beziehungen sein müssen, sondern ganz simple alltägliche Sachen, die mich triggern. Und da ist auch eher das Triggern an sich das Problem, weil das Nicht-Schaffen in den genannten Situationen wahrscheinlich jedem so passiert wäre.

Wenn man wie ich eine kaputte Uhr zum Uhrmacher bringt, weil man die berechtigte Vermutung hat, dass nur die Batterie leer ist, wird der Uhrmacher das Problem mit wechseln der Uhr nicht lösen können. Das ist ja auch nicht meine schuld. Mich frustriert daran, dass ich es nach Wochen der vermeintlich sich erschöpfenden Batterie es endlich geschafft habe, sie zu zum Uhrmacher zu bringen und ich bekomme nicht das erhoffte Ergebnis, obwohl es absolut nach leerer werdender Batterie aussah. Enttäuschung: Task nicht geschafft und neue Uhr muss her.

Auf der Arbeit werde ich mit vielen Tasks konfrontiert, die auch meine Kollegen nicht lösen können und die sich immer weiter hinziehen, weil irgendwo noch was ungelöstes aufploppt. Es fühlt sich an, als würde ich NICHTS schaffen oder zu Ende bringen können. Wobei ein Neurotypischer oder anders aufgestellter Mensch vielleicht einfach stoisch weiter probieren würde.

Bei dem geschilderten Problem mit den Birkenstocks ist auch weniger das Problem, dass da jetzt eine Wunde am fuß ist, sondern, dass ich nirgendwo lesen konnte, dass ich nicht alleine damit bin und ich mich deshalb ‚zu blöd zum Birkenstocks tragen‘ gefühlt habe. Außerdem die Enttäuschung, dass ich das exakt gleiche Problem mit hochwertigen Flipflops habe und wieder einmal meine Strategie nicht aufgegangen ist.

Alles in allem brennt sich halt ein, dass meine Strategien nicht aufgehen und das lässt mich unheimlich ohnmächtig und schambehaftet anfühlen. Wobei mir wahrscheinlich niemand sagen würde, dass meine Strategien schlecht waren. Bei der Menge an Misserfolg ist diese Aussage aber wenig wert, weil mein innerer Kritiker irgendwann halt nicht mehr mit ‚ja, hast halt Pech gehabt‘ zufrieden ist.

Gibt es denn konkrete Situationen, in denen du/ihr euch nur noch dumm und unfähig fühlt? Gibt es Phasen, wo das Belohnungssystem einfach so „unterzuckert“ ist, dass euch jeder kleine Reinfall, der jedem/r hätte passieren können, derbe triggert und idiotisch fühlen lässt?

Hallo Sören,

fühl dich gedrückt! Du bist definitiv nicht alleine!

Meine Fern -Diagnose: Umfassende Erschöpfung!

Mein ultimativer Fern-Tipp: Mach was Schönes, Entspannendes, problemloses und zwar JEDEN TAG!

Beispiele: Daddeln, Buch lesen, Waldspaziergang, Vögeln lauschen, Eis essen, Wasauchimmer

Und das machst du jeden Tag egal ob gerade die Welt untergeht, egal wie lang deine To-Do-Liste ist. Nicht als Belohnung, weil du was geschafft hast, sondern als Belohnung, weil du es wert bist und du machst das nicht, weil du alles andere gerade prokrastinierst sondern weil das jetzt wichtig ist!

Mach ein Wochenende mal nix Sinn-volles außer dich pflegen, kein Termin, kein Einkaufen, kein Putzen, kein Räumen nur das, wo dir gerade nach ist. Verlier dich.

Lauf barfuß

Wenn du wieder Nerven hast, kauf Sandalen, die an deinem Fuß halten ohne über die wunde Stelle zu gehen und ohne Zehenkralle! Teva?

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Gibt es denn konkrete Situationen, in denen du/ihr euch nur noch dumm und unfähig fühlt? Gibt es Phasen, wo das Belohnungssystem einfach so „unterzuckert“ ist, dass euch jeder kleine Reinfall, der jedem/r hätte passieren können, derbe triggert und idiotisch fühlen lässt?

Ja, an und für sich ist das die grundsätzliche Grundstimmung. Das Problem ist, dass auch hier das Außen häufig nicht weiß, oder dank der Schnelllebigkeit bereit ist zu erkennen, was Sache ist und sich gern echauffiert, wie man an solchen Kleinigkeiten verzweifeln kann, wenn man dann schon mal den Mund aufmacht und sagt „Die Welt ist halt grad wegen der Birkenstocks einfach nicht zu ertragen.“.

Tüdelmamas Ansatz finde ich gut, würde bei mir nur nicht funktionieren. Ich bin der Typ Mensch, der ohnehin meint, total verloren zu sein und wenn ich bewusst „nichts sinnvolles“ machen würde, dann wäre das wie jeden Tag. Es stimmt natürlich nicht, aber das sag mal einer dem Gehirn. Dazu kommt, dass mir dann Arme und Beine abfallen würden, weil in der Ruhe die Stille kommt und ich dann schnell das Gefühl bekomme, leblos zu sein.
Kann aber natürlich gut sein, dass das bei Dir gut funktioniert. :slightly_smiling_face:

Ich bin halt der Typ - wie jetzt, ich soll zwei Wochen Urlaub machen? Was mach ich denn dann zwei Wochen lang?! Ist ja fürchterlich. Und das trotz ultimativer Erschöpfung. Deswegen glaube ich auch, dass ich in Wahrheit eine Ameise im Menschenkörper bin.

Reinen Herumliege-Urlaub finde ich auch schrecklich, aber das ist auch nicht unbedingt die Zielvorgabe. Es geht doch eher darum, den Tag mit etwas zu füllen, was anregt und gut tut. Eigentlich kann man doch total vieles machen:

  • Sich weiterbilden
  • Kochen
  • Geschichten oder Gedichte schreiben
  • Gartenarbeit (Balkon evtl.)
  • Sport oder in die Natur gehen
  • Musik machen
  • Spiele spielen, evtl. auch allein anspruchsvolle PC-Spiele

Das ursprüngliche Problem hört sich für mich sehr nach Burnout an. Man macht, tut und rotiert, aber nichts geht voran. Ob das aus der Arbeit kommt oder z.B. aus dem Familienleben, kann alles sein. Das ist ein Energiefresser, der die ganze Frustrationstoleranz für andere Missgeschicke auffrisst, die ja mit ADHS sowieso nicht im Überfluss vorhanden ist. An diesem Fresser wäre es vermutlich sinnvoll anzusetzen.

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Vermutlich würde Barkley Dir dazu raten, dass Du Dir in stabilen Zeiten genau solche Einsichten als Gerüst installierst. Scaffolding. Wenn Du dann mal wieder an Dir zweifelst, siehst Du Deinen eigenen Merkposten aus der Vergangenheit: „Du kriegst die Aufgaben ab, die andere nicht lösen können.“

Das Konzept eines Dopamin-Menus funktioniert im Grunde ähnlich: Man sorgt vor für die Phasen des „Ich bekomme einfach nichts auf die Reihe“ und hängt das an gut sichtbarer Stelle auf.

Aber vielleicht ist das auch schon ein Blaumann-Gedanke.

Das finde ich eine tolle Unterscheidung. Einige stellen das hier ja schon manchmal ihren Posts voran, wenn sie sich nur auskotzen wollen.

In einem oft problembeladenen Umfeld wie unserem denkt sich sonst evtl. ein unbefangener Leser „Was ist mit Sören los? Warum freut er sich nicht, dass er genug Geld hat, um sich neue Birkenstocks zu kaufen und klebt ein Pflaster auf das Aua? Die Probleme hätten andere gern.“

Und dann sucht man rotweingeschwängerte Probleme, wo vielleicht gar keine sind. Vielleicht hat aber auch Steve Jobs’ Einheitslook genau damit angefangen, dass er sich nie mehr Gedanken machen wollte um nicht eingetragene Schuhe oder kratzige Etiketten in neuen Hemden.

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Hallo ihr,

danke schonmal für die tollen Antworten.

Ja, wahrscheinlich ist es eine form von Burnout. Wobei ich aber manchmal denke, dass ich das mein ganzes Leben lang immer wieder Mal hatte.

Dopamin Menü und sich einfach was gutes tun sind auch gute Gedanken. Ich finde es nur schwierig, was wirklich Safes zu finden. Irgendwie findet sich so oft was, was frustet. Beim Spaziergang sind es die neuen Birkenstocks, als ich gestern laute, schlecht Metal-Riffs auf der E-Gitarre spielen wollten, hatte mein Equipment auf einmal ein Problem mit störenden Nebengeräuschen, was irgendwie nicht neu sein konnte, aber auch nicht schön länger da, weil ich seit langem nichts geändert habe und es seitdem nicht bemerkt habe. Natürlich gibt es solche Guttu-Dopamin-Dinge, aber ich hab das Gefühl, dass wirklich wenig Safe ist, weil es auch eine abwägung zwischen Reiz und Sicherheit ist und da sind die Grenzen einfach sehr eng gesteckt. Aber das ist wohl mein Burnout-Zustand.

Ich bin auch gerade dabei, meine Arbeit zu kündigen und beim Amt eine Kündigung auf ärztlichen Rat durchzusetzen. Aber das ist auch wieder aufreibend, weil das Amt extra Formalitäten haben will, die ich nicht verkacken will. Obwohl laut einer Reddit-Userin und ALG Leistungssachbearbeiterin das Ding Safe ist, wenn vorher mit dem Arzt geklärt.

Ich glaube, es fehlt mir gerade einfach das Vertrauen in alles und hab Angst davor, dass bei mir wieder alles anders ist und ich es verkacke.

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