Könnte es AuDHS sein? - Ein Einblick in mein Leben

Hallo liebes Forum,

Bin männlich, 21, und vermute, dass ich AuDHS haben könnte, bisher allerdings ohne Diagnose.

Was meint ihr, sollte ich mir einen Therapeuten suchen und mich auf den Weg der Diagnose begeben? Ich habe das Gefühl, dass es anderen Menschen bestimmt schlechter geht als mir, doch gleichzeitig ist meine aktuelle Situation nicht so, wie ich es mir wünschen würde. Ich habe bisschen was über mich geschrieben… (bisschen viel um genau zu sein :sweat_smile:)

Habt ihr sonst noch irgendwelche Tipps für mich? Könnte meine Vermutung stimmen? Was sind eure Erfahrungen als AuDHS-ler? Habt ihr lesenswertes Infomaterial? :hugs:


Das mit der Auffälligkeit ist ja immer so eine Sache. Man kann Besonderheiten bzw. Symptome ignorieren, kleinreden und sich nichts dabei denken – oder aber in Banalitäten etwas hineininterpretieren, wo eigentlich gar nichts ist.
Ein in jedem Fall wundervoller Sohn, wie meine Mutter mich beschreiben würde – so, wie Mütter es wohl immer tun. Nicht auffällig in der Kindheit, wobei: Dass ich etwas „ganz Besonderes“ sei, sei ihr schon immer bewusst gewesen.
Für Diagnosen ist in der Regel ein Leidensdruck erforderlich. Doch was ist das genau? Ich habe die Schule mit einem 1,0-Abitur abgeschlossen, bin ausgezogen, studiere – zwar etwas ungewöhnlich, aber ziemlich erfolgreich. Meine Mutter bewundert mich für meine Selbstständigkeit. Ein scheinbar perfektes Leben? Von außen betrachtet vielleicht tatsächlich. Gleichzeitig kommen Selbstzweifel auf, ich bin unzufrieden mit mir selbst. Aber gehört das nicht auch einfach manchmal zum Leben dazu?

Im Oktober erzählte mir eine langjährige gute Freundin aus frühen Schulzeiten, dass sie den Verdacht auf ADHS und/oder Autismus habe. Einige Monate später das Ergebnis: gesichert ADHS, eine Autismusdiagnose steht bisher noch aus. Von ihr habe ich viel Grundlagenwissen über diese beiden „Störungsbilder“ erhalten – wobei ich ehrlich gesagt ein Problem mit der Begrifflichkeit Störung habe. Neurodivergent und neurotypisch werden mittlerweile auch häufig verwendet – Begriffe, mit denen ich mich deutlich besser identifizieren kann. Fände ich die Vorstellung doch gar schrecklich, dem Mainstream zu entsprechen. Anders, nicht falsch. Eben etwas „Besonderes“, wie ja auch schon meine Mutter zu sagen pflegte.

Seitdem recherchiere ich immer mal wieder intensiver zum Thema Neurodivergenz. Nicht so intensiv wie meine Schulfreundin, aber doch intensiver als die meisten – wenn nicht alle – Personen in meinem direkten Umfeld. Und ich entdecke immer mehr Eigenheiten bei mir, die größtenteils auf ADHS, Begleiterscheinungen wie das Cognitive Disengagement Syndrome (CDS) oder auch auf Autismus hindeuten könnten.
All diese gesammelten Erkenntnisse helfen mir, mich selbst besser zu verstehen. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, seit diesen Erkenntnissen anders zu denken, mich anders zu verhalten. Bin ich dabei, Stück für Stück meine Maske abzulegen und zurück zu mir selbst zu finden – oder rede ich mir Probleme ein, wo gar keine waren?
Gleichzeitig war das letzte halbe Jahr, seit ich von Neurodivergenz erfahren habe, auch die psychisch anspruchsvollste Zeit. War es die Rettung, um mich nicht noch weiter von mir selbst zu entfremden – oder hat dieses Bewusstsein überhaupt erst meine Probleme ausgelöst?
Zumindest versuche ich, weniger wie alle anderen zu sein. Vielleicht hat das auch gleichzeitig dazu geführt, dass meine Probleme stärker sichtbar geworden sind.
Und eigentlich mag ich mich auch genau so, wie ich bin! Die Schwierigkeit ist eher, mich mit Menschen zu umgeben, die das genauso sehen (und mir das auch zeigen), und meinen Alltag für mich so konfliktarm wie möglich zu gestalten. Ersteres ist schon schwer genug – doch gerade Letzteres scheint mir manchmal unmöglich.

Der wohl größte Leidensdruck, den ich verspüre, ist das Gefühl, nicht dazuzugehören. Zwar war es mir möglich, mir einen guten Ruf zu erarbeiten, und ich gelte in gewissen Kreisen als unersetzlich – zum Beispiel in einer Band, bei der ich lange Zeit Gitarre gespielt habe und mittlerweile die Tontechnik bei Auftritten übernehme. Generell hilft mir mein Können vielerorts, um Anschluss zu finden. Und dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – fühle ich mich manchmal einsam.
Stets habe ich das Gefühl, dass Menschen den Kontakt zu mir, wenn überhaupt, aus sehr zweckmäßigen Gründen suchen, mich als Person aber nicht oder nur sehr begrenzt wahrnehmen und wertschätzen.
Eine Zeit lang wünschte ich mir eine Freundin, wobei mir bewusst geworden ist, dass wirklich gute Freundschaften eigentlich mindestens genauso viel wert wären.
Eine Bekannte (oder war sie zu dem Zeitpunkt schon eine Freundin?), machte mich darauf aufmerksam, dass man selbst auf Menschen zugehen bzw. sie zu Aktivitäten einladen müsse. Wir sind einige Wochen danach übrigens zusammengekommen – und generell teilt sie viele Erfahrungen und Merkmale meiner Persönlichkeit, hat Schwierigkeiten in ähnlichen Lebenssituationen wie ich und vor allem: Sie scheint mich zu verstehen.
Ihr Tipp, selbst aktiv an Freundschaften zu arbeiten, war dennoch nur mäßig hilfreich – er hat mir zwar ein überraschend klares Bewusstsein für den Auslöser meines Problems geliefert, nicht jedoch für die Ursache. Bei der überwiegenden Zahl an Menschen habe ich das Gefühl, mich verstellen zu müssen, um Anschluss zu finden – zu „maskieren“ – was tatsächliche Freundschaften verhindert.

Im letzten halben Jahr hatte ich vor allem zwei größere Zusammenbrüche – zum Glück gab es jedes Mal Menschen, die mich aufgefangen haben. Ein paar wundervolle Menschen, die mich verstehen, gab es zum Glück eben doch immer.
Den ersten Zusammenbruch hatte ich zum Jahreswechsel – ich hatte das Gefühl, an Depression oder Burnout zu leiden. Meine Schulfreundin hat es geschafft, mich wieder aufzubauen, und ich zog Konsequenzen, um Stress in meinem Alltag zu reduzieren.
Der zweite Zusammenbruch folgte drei Monate später in der Klausurenphase – ich hatte das Gefühl, eine Prüfung nicht zu schaffen und meinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden. Hier war es meine Freundin, die mich aufgefangen hat.
Daneben gab es kleinere Instabilitäten, wie beispielsweise ein emotionaler Kontrollverlust nach einem anstrengenden Tag – den man durchaus auch als Meltdown interpretieren könnte.

Ich hatte eine erstaunlich unauffällige Kindheit. Klar, nicht jeder Tag war purer Sonnenschein, und gelegentlich musste meine Mutter mich aufbauen. Die wahren Probleme kamen aber erst nach der Schule so richtig zum Vorschein – als die durch Schule von außen auferlegte Struktur wegfiel.
Oft habe ich es erst nach dem Mittagessen geschafft, das Haus zu verlassen und zur Uni zu fahren. Gleichzeitig sind mir viele Dinge aufgefallen, die bereits meine gesamte Kindheit geprägt haben – und mit ADHS in Verbindung stehen könnten.
Schon in meinem Grundschulzeugnis wurde ich mit „lenkt sich und andere ab“ beschrieben. Hausaufgaben zogen sich ewig – später habe ich sie dann meistens einfach nicht mehr gemacht, da Aufwand und Ergebnis in keinem Verhältnis standen.
In der Oberstufe habe ich während Stillarbeitsphasen lieber mit dem Lehrer geredet – oft auch übers Thema, aber eben nicht in der dafür vorgesehenen Form. Für Prüfungen habe ich grundsätzlich erst am Abend vorher angefangen zu lernen – beim Abi immerhin ein paar Tage vorher. Trotzdem hatte ich fast immer Top-Ergebnisse. Zum Glück bin ich mit dem Schulsystem größtenteils dann doch gut klargekommen.

Ich hatte – und habe – extrem vielfältige Interessen. In der Grundschule waren es zum Beispiel Stop-Motion-Lego-Filme. Mit 12 bis 14 habe ich mit meinem besten Freund einen 30-minütigen Spielfilm gedreht. Während des Homeschoolings habe ich mir Java und das Programmieren von Android-Apps beigebracht. Ich brauche kreative Tätigkeiten als Ausgleich – und wenn mich etwas fesselt, dann komplett. Dann kann es passieren, dass ich erst um 16 Uhr frühstücke, weil ich vorher einfach völlig versunken war.
Dieser Fokus funktioniert leider nicht, wenn mir Aufgaben von außen auferlegt werden. Priorisierung war – und ist – nicht gerade meine Stärke. Ich schiebe Dinge oft bis zum letzten Moment auf. Ich komme fast immer zu spät oder gerade noch so pünktlich. Gleichzeitig kann es passieren, dass ich den ganzen Tag nichts tue, weil am Nachmittag ein Termin ansteht – und dann ist „eh keine Zeit mehr“.
Wenn ich etwas tun muss, obwohl ich es eigentlich gar nicht will, fällt es mir unfassbar schwer, mich zu motivieren – ist es aber mein eigener Wille, kann ich unglaublich produktiv sein.

In der Uni führt das leider dazu, dass ich erst kurz vor der Prüfung versuche, das gesamte Semester aufzuholen. Ich studiere in Regelstudienzeit, habe aber das Gefühl, während des Semesters eigentlich gar keine richtige Zeit fürs Studium zu haben – oder sie mir nicht zu nehmen.
Damit komme ich irgendwie von den Noten her ganz gut durch – wobei der Druck gleichzeitig Spuren hinterlässt.
All diese Eigenheiten lassen ADHS für mich wahrscheinlich erscheinen.

Für Autismus ist das Bild ganz und gar nicht so eindeutig. Oft fällt es mir schwer, mich mit den im Internet beschriebenen Symptomen zu identifizieren. Gleichzeitig fühlt es sich manchmal auch wie das letzte fehlende Puzzleteil an, um mich vollständig zu verstehen – zumal sich die Verhaltensweisen von ADHS und Autismus bis zu einem gewissen Grad von außen betrachtet gegenseitig auslöschen können.
Dass ich mich in fremden sozialen Gruppen unwohl fühle, keinen Anschluss finde und mir Smalltalk schwerfällt, sind solche Merkmale. Dadurch fällt es mir schwer, neue Leute kennenzulernen. Wenn ich etwas sagen möchte, plane ich die Konversation oft im Kopf vor und spreche eher langsam – und manchmal auch gerne zu laut, ohne es zu merken. Auch das Konzept von „Abends feiern gehen“ habe ich nie verstanden.

Während ich diese Worte schreibe, bin ich gerade mit einer Gruppe von 14 Leuten für 5 Tage in Frankreich – von denen ich viele vorher noch gar nicht kannte.
Da ich nur selten von Bekannten zu gemeinsamen Aktivitäten eingeladen werde, habe ich natürlich direkt zugesagt. Die Auszeit vom Unistress tut mir gut. Gleichzeitig merke ich aber gerade in diesen Tagen, wie anstrengend es für mich ist, von Menschen umgeben zu sein, die ich nicht näher kenne bzw. die nicht auf dieselbe Art wie ich „anders“ sind.
Gleichzeitig muss ich vom Rest der Gruppe als Einzelgänger wahrgenommen werden – suche ich doch häufig Abstand und „Me-Time“.
In all den Tagen hat sich nie jemand näher für mich näher interessiert oder mehr als ein paar einzelne Worte gewechselt – wobei das wohl auf Gegenseitigkeit beruht. Von einigen kenne ich am Ende des Urlaubs noch nicht einmal den Namen.


…ich könnte noch viel mehr über mich schreiben, aber irgendjemand muss dass ja auch noch lesen wollen :wink:

Liebe Grüße :))

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Willkommen! :adxs_wink:

Also eigentlich könnte man deinen Post mit 3 einfachen Worten beantworten: mach die Diagnostik!

Aber um es ausführlicher zu erklären: du schreibst, du hast keinen Leidensdruck, berichtest aber von bereits zwei Zusammenbrüchen. Für mich ist das schon Leidensdruck. Auch dein soziales Leben scheint Leidensdruck zu beinhalten, liest sich jedenfalls so.
Hast du hier schon die Tests von ADxS.org gemacht?

Und ich empfehle dir diese beiden Threads, um dich vielleicht in den Geschichten der Leute hier wiederzufinden. Vllt hilft dir das auf dem Weg zur Klarheit. Viel von dem was du schreibst, finde ich jedenfalls auch bei mir (vor allem das Gefühl nirgends dazu zu gehören und ja nicht mainstream sein zu wollen), mir hat unheimlich geholfen zu wissen, dass es Menschen gibt, die das gleiche erleben wie ich, hoffe das hilft dir auch.

Grüße :cherry_blossom:

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Hallo,

um eine Idee zu bekommen, ob, wie stark und mit welcher Ausprägung du ADHS haben könntest, kannst du den ADHS-Symptomtest auf ADxS.org machen. Es handelt sich um ein Onlinescreening. Eine richtige Diagnostik kann immer nur ein erfahrener Arzt oder Therapeut machen.
Viele User hier im Forum kennen den Test, sodass das Ergebnis hilft, deine Beschreibung besser einzuordnen.

Dort gibt es auch einen ASS-Test.

Viele Grüße

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Hi, erstmal vielen Dank für die lieben Antworten :slight_smile:

Ich habe mal die Onlinetests gemacht:

  • ADxS.org Symptomtest V5 ergab Hinweise auf 29 von 43 möglichen Symptomen.
    (DSM 5 Unaufmerksamkeit: 9 von 9 Symptomen, DSM 5 Hyperaktivität/Impulsivität: 4 von 10 Symptomen)

  • Du hast 30 / 57 Fragen (50 %) so beantwortet, wie es für ASS typisch ist.

Hallo,

Du kannst bei ADxS.org Adressen von Ärzten und Therapeuten mit Bezug zum Thema ADHS anfordern, sofern du zusagst, deine eigenen Erfahrungen mit den von dir kontaktierten Adressen später zurückzugeben.
ADxS führt über 34.000 Adressen in Deutschland (von rund 2.500 wissen wir, dass sie ADHS behandeln oder diagnostizieren; die weiteren 31.500 könnten dies anhand ihrer Fachrichtung tun). Daneben führen wir mehr als 800 Adressen in Österreich und knapp 300 Adressen in der Schweiz, die ADHS behandeln oder diagnostizieren.

Du musst dort eine existierende PLZ angeben, dann bekommst du die 90 nächstgelegenen Adressen zugemailt.

Hier ist der Link zur Anleitung:

Viel Erfolg :slight_smile:

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Hi ich habe gerade ein Deja vu.
Hast du diesen Post schon mal gestartet?
Ich habe eben einen langen Text bzgl meines Sohnes geantwortet. Er ist genau in deinem Alter.

Adhs Diagnose im Kindesalter und für mich als Mutter fehlen da Puzzleteile. Ich denke für ihn auch..
Ich kann dich Mal verlinken, vielleicht gibt es wiedererkennungsmomente?
Ich würde dir auch raten mach die Diagnostik, jedoch hast du keinen Leidensdruck, was mich erstaunt. Aber ASS ist ja ein Spektrum und scheinbar gibt es Autisten die relativ gut klar kommen.. ich denke vielleicht geht es jetzt noch, aber je mehr Anforderungen im Leben desto belastender kann eine Neurodivergenz werden.
Bei ADHS ( einzeln ) auch so.
Ich verlinke dich nun mal

Alles herzlich Gute beim Finden eines Diagnostiker ohne geschlossene Warteliste und einem der sich wirklich auskennt., scheinbar die grösste Hürde, Lg

AuDHD ist geprägt von dem innerem Konflikt, den beide Besonderheiten mit sich bringen. Neben einzelnen klassischen Symptomen von ASS und ADHS.

Ich habe am Anfang auch meine Probleme darin gehabt das auseinanderzuhalten und mich wiederzuerkennen, da es ja recht wenig Material zu der Kombination gibt.

Es gibt ein paar wenige gute Videos, die das sehr gut beschreiben (super Kanal aus meiner Sicht!):

Das hier ist ein neuer Kanal, der sich nur mit AuDHD beschäftigt und das Gefühl auch sehr gut beschreibt. Schau dir mal alle Filme von ihr an:

Wichtig zu verstehen ist, dass man mit AuDHD weder bei den „reinen“ ADHSlern noch bei den Autisten sich zu 100% wiederfindet. Es ist eine ganz eigene Erfahrung.

Falls du dich in den o.g. Filmen wiederfindest ist die Wahrscheinlichkeit jedenfalls sehr sehr hoch. Kannst mich auch gerne direkt fragen, wenn etwas unklar ist, ich bin zwar nicht all zu aktiv hier im Forum, aber habe mich jetzt etwa ein dreiviertel Jahr intensiv mit der Thematik auseinandersetzen müssen, um genau dieses Gefühl, in beide Bilder nicht so ganz reinzupassen klären zu können.

Aber wie immer gilt auch hier: Kennst du einen AuDHDer kennst du halt einen! Es darf nicht verallgemeinert werden.

Grüße!

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Nachtrag: Ich dachte anfangs auch dass ich keinen Leidensdruck hätte… Autsch!

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