Krankheit oder Normvariante, Interview mit dem Psychiater Ludger Tebartz van Elst

:lol: :lol: :lol:

Weder verharmlose ich den Kimawandel noch widerspreche ich der Wissenschaft. Was die Wissenschaft abseits des in den Medien omnipräsenten Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung nun sagt zum Kimawandel bzw. desse apokalyptischer oder nicht-apokalyptischer Bedeutung, das wurde in der Tat alles schon mal anderswo im Forum ausdiskutiert. Ende.

Das Mobil hier wäre vielleicht der Größe der Aufgabe würdig:

Ja, ich hab’s hier.
Er stellt nach meiner Erinnerung vor allem darauf ab, dass AD(H)S dimensional ist (von garnicht über Chrarakterausprägung / Persönlichkeitsmerkmal ohne Krankheitswert über. Charakterausprägung mit der Dimension einer psychischen Störung bis bin zu heftigsten Ausprägungen mit Krankheitswert), dass es verschiedenste Ursachen haben kann (von Enzephalitis über Gene bis hin zu Xyz) und dass es viele Überschneidungen mit Autismusspektrumstörungen hat, bei denen die Dimensionalität identisch ist.

Soweit so gut, so schön, und so richtig.
Es ist nur eben keine Besonderheit von ADHS.

Man kann das selbe an einer Sehnenreizung abbilden:
Es gibt Menschen ohne Sehnenreizung.
Es gibt Menschen mit einer Veranlagung, häufiger eine Sehnenreizung zu haben, ohne dass sie damit Probleme hätten, die einen Arzt benötigen.
Es gibt Menschen, die haben so häufig Sehnenreizung, dass es ihnen Probleme macht, dass sie aber immer noch keinen Arzt brauchen.
Es gibt Leute, die haben eine Veranlagung, so häufig und so schnell Sehnenreizung zu bekommen, dass sie ihr Leben einschränken müssen und immer mal wieder zum Arzt müssen.
Es gibt Menschen, die haben ein Grundproblem mit ihren Sehnen und sind an einer bestimmten Stelle extrem häufig durch eine Entzündung belastet.

Auch hier kann man den Unterschied zwischen Normvariante, Störung und Krankheit erkennen.
Das ist ganz banal der Kern von Dimensionalität und bei den meisten Gesundheitsproblemen so.
Selbst der häufig zitierte Knochenbruch ist dimensional: ein leichter Riss im Knochen, ein deutlicher Riss im Knochen, ein Anbruch des Knochens, ein glatter Bruch, ein Splitterbruch, ein Trümmerbruch.

Ich denke dass so etwas in Bezug auf ADHS nur deswegen immer wieder publiziert und gelesen wird, weil bisher noch keine einhellige medizinische und wissenschaftlich belastbare Auffassung besteht, was ADHS eigentlich ist.

Ich vertrete ja die Auffassung, dass AD(H)S immer dann besteht, wenn eine Ursache einen chronischen (dauerhaften) Dopamin und Noradrenalinmangel im Striatum, dlPFC und Kleinhirn verursacht.
Das können Genvarianten sein, die seit Jahrhundertbauwerken vererbt werden, das kann frühkindliche Stress sein, das können Gifte sein, die bei den Eltern epigenetische Veränderungen ausgelöst haben, die für ein paar Generationen vererbt werden, das können Krankheiten sein (Enzephalitis im Kindesalter), das können wahrscheinlich auch noch ganz andere Sachen sein, die wir noch nicht kennen.
Und es gibt nur wenige Ursachen, die es alleine verursachen können (Enzephalitis zum Beispiel). Ansonsten müssen immer etliche Faktoren zusammen wirken: eine größere Anzahl von Genen, eine kleine Anzahl von Genen und hinzutretender frühkindliche Stress, alles zusammen oder noch etwas anderes dazu.
Und chronischer Stress kann eben auch Noradrenalin- und Dopaminmangel verursachen. Der Unterschied ist nur, dass dieser dann wieder weggeht, wenn der Stressor verschwindet.

Wie dem auch sei - Dimensionalität von Normvariante über Störung zu Krankheit ist ein ganz normales medizinisches Phänomen, dass fast alle Störungsbilder betrifft und nicht nur ADHS.

So denk ich mir das jedenfalls.

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zur Explanation für Nicht-Eingeweihte: als ich in der Fahrschule für LKW die Beschleunigte Grundqualifikation für LKW gemacht hab, da waren wir in der Gruppe 3 ADHSler, die immer den ganzen Kurs aufgemischt haben. Ich hab mal bezüglich der maximalen Länge von Trucks die Frage gestellt spontan, ob man nen 30 m langen Blauwal in so einen Truck hinein bekommen würde. Da in der Speditions-Branche ziemlich viele Drogen geschmuggelt werden, kamen wird dann auf die Idee den Blauwal im Truck zu transportieren in dessen Maul wiederum das ganze Koks deponiert wird. Daraus entwickelte sich dann der Running Gag in dem Kurs, dass mein noch zu gründendes Speditionsunternehmen den Namen „Blauwal- und Kokain-Transport“ haben müsse. Weder will ich allerdings jemals mich unternehmerisch selbstständig machen noch aufgrund irgendwelcher illegaler Geschäfte in der JVA wohnen müssen…

@ Elementary: das Bild ist geil :lol:

Naja, wenn der Wal voller Drogen ist zieht er damit zwar vielleicht das richtige Klientel… aber aus den falschen Gründen an :lol:

„Blauwal- und Ritalintransport“ als Name würde doch nur ein kleines Zugeständnis fordern, für das Leben außerhalb der JVA … Auslieferung nur gegen BtM-Rezept.

Ein ADxS-Awareness-Mobil: „ein Wal auf den Straßen, damit ADxS nicht mehr wie ein Elefant im Raum steht“.

Die Idee hört nicht auf, mich zu inspirieren. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Und damit schließt sich der Kreis zu unserem ohnehin so viel handlicher zu transportierenden Wappentier.

(Crowdfunding kann jederzeit starten.)

Sind wir nu krank oder nur gestört?
Ich glaube, zusätzlich zu traumatischen Ereignissen, sind die meisten psychischen Krankheiten/ Störungen Resultat der Tatsache, dass es heutzutage zu viele Choises und Bequemlichkeiten gibt. Man hat auch zu viel Zeit zum Nachdenken. Auf dem Acker hatte man damals die Kraft und Zeit nicht psychisch instabil zu sein.

Das denkt man immer. Allerdings gab es mehr Suizide! Verzweiflung können Menschen anscheinend auch ohne Nachdenken!

Cassiopeia


Früher war auch Gewalt die übliche Erziehungsmethode sowohl bei Kindern als auch bei Frauen. Die ersten Erziehungsratgeber waren voll mit Techniken der Züchtigung ( siehe Schreber, der Typ nach dem die Gärten genannt werden). Auch die Religion spielt da eine große Rolle. Daher habe ich auch das Trauma genannt.

Der Unterschied zu früher ist mMn neben anderen Voraussetzungen in der Arbeitswelt auch, dass heute jeder auf sich allein gestellt ist und irgendwie klarkommen muss.

Früher gab es Familie, Kirche, Gemeinwesen, wo Menschen mit psychischen Auffälligkeiten aufgefangen wurden - wenn es gut lief.

Sicherlich gab es aber auch einen weniger erfreulichen Umgang damit.

Wie auch in dem Interview mit Tebartz steht, die Aussage von Tebartz bzw. der Vergleich mit der Brille: im Mittelalter auf dem Feld war Weitsichtigkeit kein Problem, weil damals lesen für das persönliche Gedeihen des Individuums keine Rolle spielte (die meisten konnten nicht lesen und Bücher hatte sowieso keiner), im 20. Jahrhundert stark weitsichtig nicht lesen können oder gar im 21. Jahrhundert, da geht ohne Brille gar nichts mehr. Der Vergleich von Tebartz über ADHS im Mittelalter, wonach ADHS auf dem Schlachtfeld für die Kämpfer sogar ein Überlebens-Vorteil war, somit evolutionär auch positiv wirkte, oder man denke an das sich Durchschlagen der Karawanen über die Seidenstraße bis nach Europa, über den Pamir in Tadschikistan, über Afghanistan oder über die Steppe von Usbekistan, da spielte auch diese Kaltschnäuzigkeit (die tendenziell souveräne Reaktion im Notfall bei ADHS) wenns Ernst wird, wenn Wegelagerer im Tal im Pamir nen Überfall durchführen, ne Rolle. Nun kam man zwar sagen, dass rational abwägende, kühl kalkulierende Persönlichkeiten a la Angela Merkel noch schlauer waren, die haben nämlich den Transport den Daredevils mit ADHS überlassen und schön in Sicherheit in Europa die Wahrscheinlichkeit ökonomisch durchgerechnet, dass die Karawane mit der Seide aus China irgendwann mit dem Schiff in Genua ankommt. Aber ADHS in zumindest nicht allzu hohem Schweregrad war auf der Seidenstraße ein evolutionärer Vorteil und auch ein Faktor für dadurch erworbenen Wohlstand auch für Kinder und Enkel dieser Daredevils, die damit ein Vermögen gemacht haben (das eigentliche Vermögen machte der venezianische oder genuesische Händler, aber die Daredevils oder Draufgänger vom Transport haben trotzdem ausgesorgt gehabt, wenn sie durchkamen).

Heute in 2020: Steuererklärung, kleinkarierte Juristerei und Vorschriften, die für Improvisation viel weniger Spielraum lassen als im Mittelalter. Was die Brille im 19. und 20. Jahrhundert für Weitsichtigkeit, das ist Ritalin, Stimulantien bei ADHS im 21. Jahrhundert.

ich hab es bald 1000 mal gepostet in den letzten Jahren :sweat_smile:, aber auch hier wieder:

Das Thema Evolution und ADHS fassen folgende Sätze des deutschlandweit führenden Genetikers (und auch einer der weltweit führenden Genetiker) zu ADHS Prof. Klaus-Peter Lesch von der Psychiatrie der Uniklinik Würzburg zusammen:”…Früher vermuteten die Forscher, einige wenige Gene würden ADHS auslösen; doch das trifft, wenn überhaupt, nur auf ganz wenige Familien zu. Für die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung gilt: Vermutlich sind es 500 bis 1000 Gene, die einen – jeweils minimalen – Einfluss auf das Temperament und die Konzentrationsfähigkeit des Menschen haben. Diese sind mithin auch keine Krankheitsgene, vielmehr gehören sie zur natürlichen Ausstattung des Menschen. “ADHS ist ein Extrem einer Persönlichkeitsvariante, das zunächst einmal gar keinen Krankheitswert besitzt”, bestätigt auch Klaus-Peter Lesch. Diese milden Ausprägungsformen von ADHS seien in einem Fünftel der Bevölkerung vorhanden und hätten sich im Laufe der Evolution des Homo sapiens immer wieder als vorteilhaft durchgesetzt. Lesch: “Der hohe Energiepegel, der Enthusiasmus, sich mit einer Sache auseinanderzusetzen, die große Kreativität, die Fähigkeit zum Querdenken und der Gerechtigkeitssinn – all das sind Ressourcen, die für unsere Gesellschaft wichtig sind.” zu finden in dem Artikel des ADHS-Gegners Jörg Blech im Spiegel: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-99311928.html

Vielleicht wollte/ will der Zappelphilipp oder die Zappelphilippinne lieber draußen beim dem Vieh sein oder beim Anbau helfen, statt die Bank zu drücken und mit allen Mitteln gezwungen wird, ein Stoff zu lernen, der absoluter Blödsinn und sinnlos ist. Ich für mich bin der Meinung, dass es mir völlig ausreicht,lesen und schreiben zu können, die Basics der Mathematik zu können und zu wissen woher die Babys kommen. Das einzige was ich vom Gymnasium mitbringe ist das Deutsche und das Englische.
Mein Studium hat sehr wenig bis nichts mit dem was ich jetzt arbeite, also hätte ich mir auch sparen können.
Was mich intellektuell sehr nach vorne brachte waren meine Nebenjobs während des Studiums in einer Fabrik und die Putzstellen. Beide parallel 10 Jahren ausgeübt. Wäre ich nicht auf dem Druck meiner Erzeugerin gefallen, würde ich jetzt wahrscheinlich in der Fabrik geblieben und hätte sogar mehr Geld verdient als jetzt. Ich bin zufrieden mit dem was ich jetzt mache, habe super Team trotz 90% Frauenanteil, flexible Arbeitsweise und das Geld passt auch.
Wir haben, ich nenne es Glück im Unglück, eine innere Stimme, die immer beim Sinnlosen laut schreit und sich dagegen wehrt. Leider haben wir nicht immer die Wahl diese zu folgen.
Ich bin ein einfacher Mensch, der in einer Hütte mit Internet, Satelliten Schüssel und medizinischer Versorgung, mitten in der Pampa voll zufrieden wird. Hab kein Problem damit mein Essen selber anzubauen und mich um Tiere zu kümmern. Meine Tiere werden an Altersschwäche sterben.
Wenn ich jung wäre und die Erkenntnisse von heute hätte, hätte ich vieles Anders und einfacher gemacht. Jetzt habe ich Verpflichtungen, die mich daran hindern und ich bin ein sehr zuverlässiger Mensch.

Na ja, da musste es aber wirklich sehr gut laufen, denn bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren psychische Auffälligkeiten grundsätzlich mit einem Stigma belegt. Die Familien schämten sich und sperrten die Betroffenen weg, die dann unter den schlimmsten Umständen recht schnell starben, wenn sie Glück hatten. Auch die Kirche ging mit diesen Menschen meist nicht gut um, denn selbst Gesunde wurden in kirchlicher Obhut ja sehr häufig misshandelt und als Arbeitssklaven missbraucht.

Wenn es gut lief und die Betroffenen aus wohlhabenden Familien kamen, wurde diese ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den wenigen modernen Anstalten behandelt, die moderne und wohlwollende Therapieverfahren anwendeten und in denen die „Kranken“ vorbildlich betreut wurden.
Wie gut diese dort betreut wurden, weiß ich deshalb, weil in meiner Heimat das Gebäude der damals modernsten „Irrenanstalten“ noch heute steht und auch der dazu gehörige Waldfriedhof noch heute existiert. Die Anstalt wurde 1842 gegründet und in ihr wurden sowohl sehr leichte Fälle (das dürften unter anderem die leicht aus der Art geschlagenen ADHSler gewesen sein) wie auch die schweren Fälle behandelt.
Die Gräber des angeschlossenen Waldfriedhofs zeugen von zahlreichen Adeligen, die dort entweder als Ärzte Dienst taten oder als Patienten dort von diesen behandelt wurden.

Wir haben also doch etwas Glück, dass wir im Heute leben. Denn auch, wenn wir es in der heutigen, sehr auf Leistung und Konformität geprägten Gesellschaft recht schwer haben, die frühere Zeit hat es Menschen wie uns noch schwerer gemacht. Da sollten wir uns nichts vormachen.

Das war leider eher die Regel als die Ausnahme.

Herzlichen Dank für dieses wundervolle Bild!
Dazu passt, was ich gestern in einer Dokumentation über die Wälder im Südwesten Deutschlands gesehen habe. Es wurden die Tiere beschrieben, die in diesen Wäldern leben und da durfte das Eichhörnchen nicht fehlen, das mit den Worten beschrieben wurde:

[size=150]„Es gibt kein anderes Tier, das so gestresst wirkt wie das Eichhörnchen. Es ist permanent in Bewegung und immer mit der Nahrungssuche beschäftigt.“[/size]

@Andromache
Ich sprach ja von psychischen Auffälligkeiten und meinte damit leichtere Formen. Bei schwereren Formen war es sicher so, wie du geschildert hast.

Ich denke, mit einer leichten bis mittelschweren ADHS z.B. war es früher in den Familien und Gemeinwesen leichter, seinen Platz zu finden.

Zum einen wurden die Menschen eher nach ihren Fähigkeiten beurteilt, d.h. es gab nicht so eine Fülle von Skills, die jeder als Grundausstattung zu erwerben hat, wie heute.

Es war stattdessen praktisch überlebensnotwendig, zu schauen, wozu man seinen Sohn/seine Tochter gebrauchen konnte, denn sie trugen ja zum Lebensunterhalt der ganzen Familie bei. Die vielbeschworene Suche nach der Nische bei ADHS war meiner Meinung nach früher eine Selbstverständlichkeit.

Zum anderen bestand z.B. das Erwerbsleben für viele Menschen hauptsächlich aus körperlicher Arbeit. Körperliche Arbeit, wie sie früher eben die Regel war, ist etwas, das einem ADHSler liegt, das weiß ich aus eigener Erfahrung: sie wirkt ausgleichend, schafft schnelle Erfolgserlebnisse und fordert die Exekutivfunktionen nicht so exorbitant wie andere Aufgaben.

Auch war das Leben insgesamt einfacher strukturiert, was einem ADHSler natürlich auch entgegenkommt. Es gab kaum Möglichkeiten der individuellen Lebensgestaltung, viele setzten ihr ganzes Leben lang keinen Fuß außerhalb ihrer Dorfgrenze.

Damit will ich natürlich nicht sagen, dass ich mir diese Zeit zurückwünsche, denn das Leben war für alle deutlich härter damals. Aber IM VERGLEICH mit allen anderen Menschen zu der Zeit dürfte es mit ADHS einfacher gewesen sein als heute.

Dazu trug natürlich auch die völlig andere Familienstruktur, dass man aufeinander angewiesen war, bei.

Ja, habe ich gelesen. Ist ein wenig hier, war aber sehr interessant.

Wir hatten ja bei der Gelegenheit schon drüber diskutiert:
<URL url="Buchtipp: Autismus und ADHS - zwischen Normvariante, Persönlichkeitsstörung und Neuropsychiatrischer Krankheit text=„viewtopic.php?f=18&t=63&p=311&hilit=Elst#p311“>Buchtipp: Autismus und ADHS - zwischen Normvariante, Persönlichkeitsstörung und Neuropsychiatrischer Krankheit

Mir gefällt sein Ansatz sehr - das sollte Pflichtlektüre für alle beteiligten Gewerke sein.
Letztlich geht das ja in die Richtung „Neurodiversität“ als ein Aspekt von Diversität. Jeder Jeck is anners.

Ich zitiere mal direkt aus dem Interview:
" …und die theoretischen Fragen, wo eine Störung anfängt, wo sie aufhört, die sind für die Patienten gar nicht relevant?
Ludger Tebartz van Elst: Dem stimme ich nicht ganz zu. Deshalb habe ich beispielsweise mein Buch „Autismus und ADHS: Zwischen Normvariante, Persönlichkeitsstörung und neuropsychiatrischer Krankheit“ insbesondere auch für Patienten und ihre Angehörigen geschrieben.
Für das Selbstbild und das Selbstwertgefühl der Betroffenen ist es meiner Meinung nach extrem wichtig, die psychische Störung in der Komplexität zu verstehen, wie ich es hier darstelle. Nur wenn man das möglichst wissenschaftlich macht, wirkt das optimal auf die Lebensplanung zurück. Denn mit der Störung gehen oft andere Probleme einher und die richtige Verwendung der Begriffe spielt dann eine große Rolle für das Verständnis des Lebensschicksals. "


OK, sie hatten ihren Platz, waren aber mehr geduldet als gut gelitten. Denn Menschen, die damals nicht der Norm entsprachen, wurden zwar durch den Familienverbund aufgefangen und „durchgebracht“, mussten sich dafür aber fügen und standen in der Familienhierarchie ganz unten. Das war sicherlich ziemlich hart, denn sie waren nicht frei, sondern mussten das machen, was man ihnen sagte.


Das ist aber ein Widerspruch. Eine Nische sucht man sich, aber früher konnten sich die Menschen nicht aussuchen, was sie taten, sondern wurden in eine Tätigkeit hineingeboren oder hineingedrängt.
Die Menschen hatten gar keine andere Wahl, als der Tätigkeit nachzugehen, die für sie bestimmt war. Das konnte sich niemand aussuchen. Und so viele Möglichkeiten der Berufswahl gab es damals nicht, zumal diese lange Zeit durch Zünfte vorgegeben war und die familiären Gesetzmäßigkeiten, wie z.B. der älteste Sohn übernimmt den Hof, die Tochter muss sich als Magd fügen etc… taten ihr übriges.

Heute dagegen hat theoretisch jeder zahllose Möglichkeiten, die es uns zwar schwer macht, die richtige Nische zu finden, aber wir haben je nach Schweregrad und Talent wenigstens die Möglichkeit, die für uns passende Nische ausfindig zu machen…
Früher gab es nur ganz wenige Nischen, die meistens mit gesellschaftlicher Ächtung verbunden waren.

Bis in die 60er Jahre hinein war ein „Ausbruch“ aus der Norm immer sehr heikel und musste sich schwer erkämpft werden. Ob ADHS oder nicht, besonders Frauen haben das zu spüren bekommen. Das zeigen besonders Beispiele wie Aenne Burda und Coco Chanel oder Rosemarie Nitribitt, die von Männern wie z.B. Harald von Bohlen und Halbach regelrecht verehrt wurden, weil sie ihnen die Möglichkeit gab, sich auszuleben. Auch Coco Chanel hat zwar beruflich alles erreicht und konnte ihren Traum verwirklichen, aber geheiratet wurde sie dennoch nicht, aber verehrt…

Alles außerhalb der Norm hatte einen gewissen Nimbus der Verachtung, der sicherlich auch immer mit viel Neid gepaart war.

Und nicht umsonst wurden die folgenden Patienten in der Illenau behandelt:

Daniel Heinrich Willy (1786–1861), deutscher Jurist und Hochschullehrer
Ernst Friedrich Gottschalk (1802–1851), deutscher Fabrikant und Politiker
Adelbert von Bornstedt (1807–1851), Publizist und 48er Revolutionär
Sabine Heinefetter (1809–1872), deutsche Opernsängerin
Karl Bernhard Hundeshagen (1810–1872), Theologe
Alexandra Amalie von Bayern (1826–1875), Prinzessin von Bayern
Johann Woldemar Streubel (1827–1873), deutscher Militärschriftsteller
Heinrich Hansjakob (1837–1916), deutscher Heimatschriftsteller und badischer Politiker
Karl Julius Späth (1838–1919), Poet, Tüftler und Genie
Paul Hegelmaier (1847–1912), Oberbürgermeister von Heilbronn
Ludwig Schmid-Reutte (1863–1909), österreichischer Künstler
Franz Karl Bühler (1864–1940) deutscher Kunstschmied und Maler
Arthur Drews (1865–1935), Philosoph und Schriftsteller

Ich denke, die Berufe bzw. Berufungen sprechen für sich…
Da stellt sich die Frage, ob diese Menschen an der Welt verzweifelten oder die Welt an ihnen…

Ein „neurotypischer“ Psychologe kann allerdings durch eine klarere Struktur auch Halt geben und besser den roten Faden und das Ziel einer Therapie im Fokus halten. Da habe ich die Erfahrung gemacht, dass dies Sicherheit gibt und es reichte vollkommen aus, das die Diagnose ADHS an sich ernst genommen wurde. Auch in den Gesprächen war das sehr angenehm und ich konnte mich immer gut orientieren. Aber hier stand ADHS an sich auch nicht im Vordergrund.

Wichtig halte ich für zunächst das jemand in der Lage ist , die Diagnose zu stellen bzw. ADHS ernst nimmt. da ist es zweitrangig ob nun selbstbetroffen oder nicht.

Im Verständnis für sein eigenes ADHS nimmt man einen selbstbetroffenen Therapeuten vielleicht mehr ernst und man fühlt sich umgekehrt auch ernster genommen.
Da ist eine Ebene auf der man sich einfach so versteht. Ich glaube das mein Psychologe , der mich diagnostiziert hat auch ADHS hat und das sprunghaft chaotische war lange sehr bereichernd, kreativ und lebendig aber unser gegenseitiges In- und Output schaukelte sich manchmal auch hoch.

Es gab ne Phase da war klare Struktur für mich wichtig und ab dem Moment wurde es etwas destruktiver.

Ob mich jedoch nun jemand neurotypisches versucht meine executiven Probleme zu verstehen , oder eine neurodiverser es wirklich versteht . Das Problem in der Umsetzung etwas zu ändern bleibt ja trotzdem bestehen .
Und wenn mein neurodiverses Gegenüber auch keine Lösung hat, weil er an gleichen Stellen etwas nicht ändern kann , dann fühle ich mich verstanden oder aber bin auch enttäuscht keinen Lösung bekommen zu können.