Kriterien entwickeln: Woran merke ich, ob ich richtig eingestellt bin?

Liebes Forum, liebe alle,

erst in diesem Jahr habe ich die gesicherte ADHS-Diagnose bekommen. Klar wusste ich schon immer, dass ich irgendwie anders funktioniere als andere Menschen. Dementsprechend (und weil davon auszugehen ist, dass es in meiner Familie „normal“ ist im Spektrum zu sein) habe ich kaum Kriterien dafür, wie es sich anfühlen sollte, wenn man richtig eindosiert ist.

Seit Juni nehme ich Methylphenidat Forte 10 mg retard, morgens nach dem Aufstehen und ich nehme auch eine gewisse Wirkung wahr, die ich positiv empfinde. Vor allem eine ungeahnte Stabilisierung meines Selbstwerts und der Emotionslage. Nunja, ich kann mir vorstellen - insbesondere nach dem Querlesen hier im Forum - dass das Einstellen von Medis ein sehr individueller Prozess ist. Aber genau damit tue ich mir schwer, da ich wenig Bezug zu mir und meiner Selbstwahrnehmung habe; Selbstbeobachtung finde ich leider auch eher suspekt. Dazu bin ich noch verunsichert, weil ein Therapeut mich fragte, ob ich denn richtig eingestellt sei… Und ich hab schlagartig festgestellt, dass ich keinen Maßstab dafür habe, weil ich ja nicht weiß, wie mein Hirn funktionieren „sollte“, damit es möglichst „gut“ läuft. Nun hoffe ich, dass eure Erfahrungen (gerne auch mit Blick auf weiblich gelesene Körper) mir helfen, einen Maßstab zu entwickeln.

Die Frage: An welchen Kriterien macht ihr fest, ob ihr richtig eingestellt seid?

Falls es die Frage schon irgendwo gibt, freue ich mich auch über einen entsprechenden Hinweis - ich bin neu und habe nach 5 Forenbeiträgen den Faden beim Lesen verloren, sodass ich jetzt einfach selbst einen Thread starte. Und hoffe, dass das okay ist :slight_smile:

Danke euch fürs Lesen und eure Rückmeldungen!

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Wie sah deine Eindosierung aus? Wenn du stets nur 10 mg genommen hast, hattest du keine Eindosierung. 10 mg ist im Vergleich wenig. Kann auch reichen.

Methylphenidat Forte 10 mg retard ist mir in D fremd. Wo bekommst du es?

Hier meine Methode:

ich komme in eine aufgeräumte Wohung heim. daran merke ich es.

das klingt jetzt wie als würde ich dich auf dem arm nehmen, aber das ist bei mir tatächlich so, ich mache das an meiner Effektivität fest.

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Hey Paul,

eigentlich klingt das für mich erstaunlich nachvollziehbar. Ich hab zumindest mal mit Aufräumen und Ausmisten angefangen, also vllt nähere ich mich an :smiley:

Also: Danke für deinen Beitrag!

Was mich verunsichert: Im entsprechenden Artikel heißt es „Bei einer passenden Dosierung vermittelt die Wirkung von MPH ADHS-Betroffenen das Gefühl, dass sie wesentlich mehr sie selbst sind als zuvor“ - nur wenn man sich eben nicht sicher ist, wie es ist „mehr man selbst“ zu sein? Bisher gehört ja z.B. überdreht und impulsiv und sensibel sein auch zu mir… Von daher bin ich dankbar um jeden Hinweis!

Hi BrainBuzz,

es hieß ich solle wochenweise steigern und eben ausprobieren. Ich glaube ich bin etwas medikamentenängstlich und ich hab ja schon Effekte festgestellt, nur weiß ich eben nicht, ob das das Optimum ist.

Es ist Methylphenidat Zentiva 10 mg - das „Forte“ hab ich wohl imaginiert. Ich bekomme das von meiner Psychiaterin verschrieben. Das war das erste Medikament, was ich ausprobiert hab…

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Darf ich mal fragen wie die aussehen? Sollte die mal austesten bekam aber immer Al oder Ratiopharm weil Zentiva nicht lieferbar war.

Kann ich nachvollziehen, aber diese Angst bringt dir wenig. Ich will damit nicht harsch klingen.

Einfach mal so: Es wäre schön wenn Leute auf diese Art McDonalds-ängstlich wären, ranziges, überzuckertes Fastfood bringt auf Dauer mehr Probleme.:relieved:

Das wirst du nur durch Erhöhungen feststellen können.

Ok, danke. Es ist ein Generikum von Ritalin Adult. Es wirkt also quasi identisch.

Du musst deine Dosierung herausfinden. Anders als trial & error geht das nicht. Wie ärztlich verordnet wöchentlich erhöhen. Dabei auf Koffein verzichten weil auch das eine Stimulanz ist. Stimulanz und Stimulanz ergeben zusammen mehr Nebenwirkungen die ohne Koffein nicht auftreten würden.

Ich brauche bspw. morgens 30 mg Ritalin Adult und nach 7 h nehme ich dann noch 10-20 mg um den Tag abzudecken.

Grundsätzlich gilt: So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Es bringt ja nichts sich ggf. weiterhin unterdosiert zu quälen.

Ausreichend trinken und essen. Neben dem ist auch ausreichender Schlaf mit gesundem Schlafrythmus unterstützend für die Reduktion der ADHS-Symptomatik. Methylphenidat wirkt dann auch effektiver.:grinning:

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Die Frage: An welchen Kriterien macht ihr fest, ob ihr richtig eingestellt seid

Ich habe verschiedene Kriterien/Indikatioren, zufällig Reihenfolge:

  • Kann mich in Gesprächen auf den Gegenüber konzentrieren und andere Sinneseindrücke „ausblenden“
  • Ich erkenne mein Energielevel und habe ein Gefühl für meine Körperbedürfnisse wie Essen und Trinken bzw. Ausruhen
  • Meine Arbeiten sind gut genug (80/80), ich finde ein Ende ohne das es Perfekt ist
  • Wenn Fehler passieren, bessere ich diese nach und es ist kein Ende der Welt, habe keine negative Selbstsabotagespirale.
  • Mein Arbeitssystem ist auf dem aktuellen Stand, keine Papierstapel und ich kann Nein-Sagen
  • Ich „produziere“ weniger Output, sondern überlege stattdessen im Vorfeld, ob ich Kapaziäten habe bzw. entscheide später.
  • Ich bin mir genauso wichtig wie andere Personen und erkenne meine begrenzten Ressourcen.
  • Ich kann schlechter Auto fahren :wink: bzw. strengt mehr an.
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Warum das?

Ich finde es interessant, weil ich den Eindruck hatte/habe schlechter Fahrrad zu fahren.Inzwischen ist es besser, doch zu beginn der Medikation, war ich regelrecht Unfallgefährdet :fearful:

Vielleicht ist es die vorher gar nicht aufgefallen? :see_no_evil:

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Vor der Medikation hatte ich ja keine Filter. Viele (unbewusste) Eindrücke kamen zusammen. Jetzt fahre ich fokussiert und achte nicht mehr so auf die Dinge, die periphär vorgehen und muss zusätzlich meine Aufmerksamkeit „lenken“.

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Doch, das ist der Grund warum ich keinen Führerschein habe. :adxs_lol:

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Ich denke das werde ich mir nochmal mit und ohne Medi angucken, mein Interesse ist geweckt.
Wenn ich durch die Filter weniger wahrnehme, ergibt das Sinn. Ich dachte nur, dass ich jemand bin der im Kopf abtaucht und allein dadurch weniger mitbekommt. Vielleicht entdecke ich noch neue Seiten an mir.

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Danke für die Kriterienauswahl, JohMazi!

Das hilft mir in jedem Fall, zu wissen, dass ich mir solche Ergebnisse erhoffen darf. Hast du begleitend einen Kurs zur Selbstorganisation oder irgendwas dergleichen besucht oder kannst da was empfehlen?

Bei mir kommt ja hinzu, dass ich vermute, dass so ziemlich alle meine Verwandten (aka Vorbilder) auch im Spektrum sind und ich daher ja solche Schwierigkeiten habe, eine Orientierung/Kriterien zu finden…

Danke nochmals für alle Rückmeldungen - bin ein bisschen überwältigt davon

Ich bereits früher Kurs(e) zur Selbstorganisation besucht. Auch bereits viel Coaching und Mentoring erhalten, die Struktur in mein Leben gebracht hatten. Hatte schon immer unbewusst nach Struktur und Organisation gesucht, um mich selbst zu unterstützen. Fast wäre ich bei der Bundeswehr gelandet, weil ich dort nicht mehr so viel über die Struktur (nach)denken musste. Lachenmeier lässt güßen :wink:

Ohne Medikamente hat das immer ein wenig funktioniert, aber auch weil ich Mitarbeiter hatte, die das auch „nutzen mussten“ :wink: . Jetzt, mit Medikamten und ohne Mitarbeiter potenziert sich der Nutzen für mich.

Der beste Kurs (ca. 2008) war zweitägig. Wir wurden gebeten unsere derzeitige Unterlagen, die wir sortieren wollten, mitzubringen! Das war schon crazy.
Am ersten Tag wurde uns das (einfache) System beigebracht. Vorstellung was das kann und dann in ca. sieben Stunden, was dahinter steckt.
Der zweite Tag war nochmal drei Stunden Theorie und dann die restlichen vier Stunden: Sortieren (!) und Ablage (!!!)der mitgebrachten, eigenen Papiere. Das geniale war, dass die Coaches dabei waren und halfen. Mit fortschreitender Zeit wurden Rückfragen immer weniger weil die Leute das System kapiert haben. Einige saßen noch bis in den Abend da und haben sortiert, selbst als das Seminar zu Ende war. Du kannst dir nicht vorstellen, wie groß die Papierberge zum Entsorgen waren, wie wenig davon sortiert und damit wichtig, übrig blieb.

Grob beschrieben:
Das waren damals sieben Kategorieren. Jede Kategorie erhält genau eine Farbe. Das geniale daran: Man kann das System sowohl papierbasiert als auch elektronisch umsetzen. Früher gab es mehr Papier, derzeit ist digital der Haupteingangskanal. Das Grundsystem bleibt gleich. Wichtig: Vorgänge werden nicht in andere Formate übertragen also digital bleibt digital.

Bei jedem Vorgang, der reinkam sollte man sich die Frage stellen: In welche Kategorie wird das sortiert? (Mülleimer ist die beste Option :wink: ) Gibt es bereits einen Vorgang? Was muss damit gemacht werden? Wenn was akitv gemacht werden muss, dann kommt es auf die Liste inkl. Kategorie, wo das zu finden ist. Besonderheit sind die Projekte: Jedes Projekt erhält eine fortlaufende Nummer. Große Projekte werden in Unterprojekte unterteilt, bzw. in meinem Fall wenn es eine Veranstaltung war, eine „Blaupause“ mit Unterkaptieln.

Für die Terminverfolgung gib es dann sowas wie ein Monats-/Tagesregister, in dem die Arbeitslisten drin sind. Bei mir kommen alle privaten Rechnungen in die Mappe Tag 9 oder Tag 24, je nach Datum. Dann kommen die direkt in den nächsten „Überweisungszyklus“ rein und ich vergesse nichts.

Das klingt im ersten Moment sehr komplex, ist jedoch sehr einfach.

Eine ähnliche Struktur habe ich mitlerweile mit Trello umgesetzt weil ich da visiuell einzelne Schritte sehe und es für mich greifbarer ist.

Das System wartet auf mich. D. h. wenn ich mal vergesse, die eingehenden Dinge zu sortieren, kann ich dort weitermachen, wo ich aufgehört habe. Und im Prinzip erledigt das System für mich die Arbeit und entlastet mich. Ich finde ja alles wieder, gerade weil es so einfach ist.

Mein System sieht ungefähr so aus:

Das könnte meine Kiste sein, die ich mit ins Seminar gebracht hatte :wink:

Einige Sachen sind nur angerissen und umfassen nicht die Tiefe und Tragweite des Systems.

Das Seminar wird nicht mehr angeboten.

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Dementsprechend wäre ich jetzt perfekt eingestellt. :frowning:

Habe gestern meine neuen Winterräder (jetzt mit Alufelgen) abgeholt und nach weniger als 500 m beim Abbiegen an einer Einmündung den Bordstein „mitgenommen“ und dabei eine Macke in die Felge gefahren… :sob:

Habe in über 35 Jahren Autofahren noch nie zuvor eine Felge beschädigt…