In den letzten Monaten nach meiner Diagnose, war ich vornehmlich stille Mitleserin hier im Forum. Ich habe von Euren Erfahrungen profitiert. Vor allem aber hat mir geholfen, dass ich mit meinen Kämpfen mit der Diagnose, die so spät kam, mit der Trauer und Wut über verpasste Chancen, mit dem mühsamen Weg zur Akzeptanz, dass die Vergangenheit vergangen ist, nicht allein bin.
Ich war oft so erleichtert, dass viele von Euch auch Schwierigkeiten mit der medikamentösen Einstellung haben. An Tagen, an denen ich völlig verzweifelt war und dachte, dass ich hysterisch bin und verrückt, war es so hilfreich und tröstend, hier zu lesen, mich durchzuklicken und so nicht völlig die Hoffnung aufzugeben.
Deswegen möchte ich nun hier eine Erfahrung teilen, die vielleicht auch einigen von Euch weiterbringen kann.
Ich möchte vorwegstellen, dass es sich hier nicht um einen medizinischen Rat handelt. Es sind meine persönlichen Erfahrungen, und da ich aus beruflichen Gründen Hintergrundwissen mitbringe, bin ich an die Sache vermutlich auch recht „wissenschaftlich“ herangegangen.
Ich hatte von einem Psychiater (blind und unseriös) Methylphenidat unretadiert verschrieben bekommen. Das wirkte hervorragend. Glück gehabt. Meine richtige Diagnostik bekam ich erst kurz darauf bei einer dann sehr sorgfältigen und erfahrenen Ärztin. Da ich sehr impulsiv bin und sehr emotional, verschrieb sie mir Elvanse.
Der Effekt mit 35 mg (meiner Stardosis, da ½ der 70 mg in Wasser aufgelöst) war gut. Für ungefähr 4 Stunden. Dann war die Wirkung vorbei. Aber nicht nur die Wirkung war weg, sondern es kam ein sehr schneller und extremer Rebound mit allen ADHS-Symptomen incl. Angst bis Panik, extremer Unruhe, Aggressivität, emotionalen Ausbrüchen. Eine Steigerung der Dosis brachte nur eine geringe Verlängerung der Wirkdauer. Allerdings war ich dann eindeutig überdosiert (getrieben, hektisch, irgendwie innerlich flattrig). Also fing ich an, eine zweite Dosis zu nehmen, die ebenfalls max. 4 Stunden wirkte.
Da ich morgens direkt nach dem Aufwachen/Aufstehen die erste Dosis nahm, damit das Gedankenkarrussel (eines meiner Probleme) nicht völlig durchdrehte, brauchte ich 3 Einzeldosen, um ohne Rebound über den Tag zu kommen. Und die auch alle in ungefähr der gleichen Stärke (30-35 mg), da nach 4-5 Stunden nichts mehr von der Wirkung übrig war.
Damit waren meine Einzeldosen zwar nicht sehr hoch, aber die tägliche Maximaldosis von 70 mg war überschritten. Meine Ärzte wollten diese auch nicht off-label überschreiten, und dauernd am Abend mit unretardiertem MP nachzudosieren, finde ich nicht optimal und tut mir nicht gut.
Ich fing an pharmodynamisch und pharmakokinetisch nachzuforschen:
Die Lösung für mich ist nun die Folgende:
Amphetamine werden in saurem Urin verstärkt ausgeschieden. Bei normalem Urin-pH beträgt die Halbwertszeit der Amphetamine ca. 9-11 Stunden (Levoamphetamin) bzw. 11-14 Stunden (Dextroamphetamin). Bei sehr saurem Urin beträgt die Halbwertszeit nur noch 7 Stunden. (Bei alkalischem Urin bis zu 34 Stunden, für alle, die mit sehr niedrigen Dosen auskommen und vielleicht sogar nur alle 2 Tage eine Medikation brauchen).
https://www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/label/2013/021303s026lbl.pdf (s. S. 13).
Neben Medikamenten (z.B. hochdosiert Vitamin C), Stoffwechselerkrankungen (z.B. schlecht eingestellter/nicht erkannter Diabetes mellitus mit Glucose-Ausscheidung im Urin) oder Nierninsuffizienz, spielt auch die Ernährung eine große Rolle. Und ich habe unterschätzt, wie groß dieser Effekt ist.
Bei sehr proteinreicher Ernährung (tierische Proteine, v.a. auch Milchprodukte, Quark etc. (nicht nur Fleisch, ich bin Vegetarierin), kann der Urin pH stark absinken (also sauer werden). Und Amphetamine werden schneller ausgeschieden. Bei Ernährung mit viel Gemüse wird der Urin eher alkalisch, Amphetamine werden langsamer ausgeschieden, wirken also länger.
Menschen, die Amphetamine als Drogen konsumieren, machen sich diesen Effekt zu Nutze.
Wenn sie die Wirkung verlängern wollen, um zu „sparen“, konsumieren sie Lebensmittel, die den Urin alkalischer machen (z.B. Citrusfrüchte, machen den Urin nicht sauer, obwohl die Früchte sauer sind, es geht um das Citrat in den Früchten, die eine Base sind, nur diese wird über den Urin ausgeschieden und wirkt daher alkalisierend).
Wenn das Amphetamin schnell „raus“ soll (z.B., wenn man zu einem Drogentest muss), wird hochdosiert Vitamin C eingenommen, und das Amphetamin rasch ausgepinkelt.
Weil ich sehr proteinreich esse (Quark, Proteinshakes etc.), fing ich an, meine Urin-pH mit Testreifen aus der Apotheke zu analysieren. Und er war immer sauer (pH-Wert um 6). Auch nach dem Essen, blieb er sauer (normalerweise wird er dann alkalisch).
Ich schaffe es im Moment nicht, meine Ernährung wirklich umzustellen, ich bin froh, dass ich überhaupt wieder halbwegs ausreichend esse (Teil meiner Geschichte).
Also begann ich damit, jeden Tag Mineralwasser mit hohem Hydrogencarbonatgehalt zu trinken (ich trinke jetzt schon vor dem Frühstück ½ Liter, z.B. Gerolsteiner mit ca. 1800 mg Hydrogencarbonat/L und trinke verteilt über den Tag ca. 2-2,5 Liter davon). Damit ist mein Urin pH jetzt über den Tag bei ca. 6,8.
Und so schaffe ich es, mit 2 Dosen Elvanse (40 mg morgens kurz nach dem Aufstehen, 30 mg nach ca. 7 Stunden) und abends mal einer Mikrodosis unret. MP von 2,5 mg) über den Tag zu kommen. Auch das Abfluten der Wirkung ist deutlich sanfter. Und morgens beim Aufwachen ist das Gedankenwirrwarr nicht mehr ganz so schlimm, vielleicht weil noch eine Restwirkung vom Vortag da ist. Ich kann es also mittlerweile auch ein bisschen hinauszögern, bis ich die erste Dosis einnehme.
Das alles ist noch weit entfernt von stabil, aber immerhin besser….
Das soll keine Anleitung zur unreflektierten Alkalisierung des Urins sein. Man sollte das, v.a. wenn man sich mit den metabolischen Zusammenhängen nicht auskennt, bzw. die Effekte nicht einschätzen kann bei seinem Arzt/seiner Ärztin nachfragen. Man kann dadurch auch Probleme bekommen (z.B. Nierensteine).
Am besten ist es natürlich, wenn man seine Ernährung auf eine ausgewogene Mischkost einstellt. Aber das mit dem „normalen“ Essen ist eben nicht immer so einfach.