Zu deinem Thema mit der inneren Abspaltung - seriös gedacht wäre das wohl ne gepflegte Aufgabe für einen Tiefenpsychologen. (Bitte keine Analyse!).
Weniger dramatisch und viel heiterer und positiver hätte ich da noch ne ganz andere blöde Idee:
Wenn du dich nicht fühlst und nicht weisst wer du bist, wie wäre es, wenn du dich spielst? Also eine Rolle einnimmst, von der du annimmst, dass du sie sein könntest. Nicht um das dann zu sein, sondern um in dich reinzuhören, ob das dir nahe gekommen ist, oder was du anders machen müsstest, damit es sich noch mehr anfühlt wie du selbst.
Nimmt vielleicht den Druck des überernsten heraus. Menschen sind, wie sie sind - falls sie gerade dazu kommen. Ansonsten sind sie auch ganz anders. Ich meine damit, dass man selbst keine todernste Angelegenheit ist. Und dass man selbst nicht in Stein gemeißelt ist. Deshalb macht es dann vielleicht auch nichts, wenn man sich sich selbst iterativ annähert. Und wenn du eine Rolle findest, von der du hinterher spürst - neee, das war seltsam, das war ich nicht so wirklich (oder, vor allem: das will ich nicht sein) - dann prima, hast du was gelernt. Man hat durchaus ein Mitspracherecht bei der Entscheidung zwischen Slytherin und Gryffindor
Und wenn du Teile findest, mit denen du dich echt wohl fühlst - dann prima, nimm sie auf und an.
Du hast in der entscheidenden Zeit, in der man sich selbst findet, offenbar ziemlichen Scheiß an der Hacke gehabt. Der dich gehindert hat, dich selbst zu finden. Jau, beschissen, Mann. Finde nicht die passenden Worte, alle zu schwach.
Aber auch die, die damals Zeit und Raum dafür hatten, haben sich nicht einfach so gefunden. Da hat k(aum)einer einfach die Tür aufgemacht und gesagt: Ah, ich bin es, prima, komm rein, schön, mich zu treffen.
Viele haben gesagt: Was? Alter, seh ich scheisse aus! Ich hoffe, das gibt sich noch?
Oder: wie, so unsicher? Hab ich nicht bestellt.
Nein, ernsthafter - das Wort, dass Jugendliche „sich ausprobieren müssen“ ist, glaube ich, kein Zufall. Jugendliche gehen raus und testen. Sie testen das Leben, testen, wie es sich anfühlt, testen, was sie mögen und was sie nicht mögen. Manche müssen in jeden Eimer Fett steigen, der rumsteht, andere probieren jeden Mist aus, wieder andere sind klüger. Und manche sind so klug, dass sie glatt vergessen, es zu leben.
Ich sehe das als nichts anderes als das Ausprobieren von Rollen. Wie wenn man nach einem echten Schock im Leben in einen Laden geht und sagt - ich kleide mich mal komplett neu ein. Und zwar ein ganz neuer Stil. Weiss noch nicht mal, welcher. Und sich dann durch die Abteilungen probiert. Da verlässt mancher Manager erstmals in seinem Leben die Anzugsetage und landet in der Sportabteilung. Oder findet sich zum ersten Mal im Leben im Rollkragenpulli wieder. Ab und zu landet auch einer in der Damenabteilung. Yeah, so what: das Leben ist ein Abenteuer. Hauptsache, er geht da breit grinsend rein.
Du hast jetzt gerade - und das meine ich sehr ernst - eine riesengroße Chance. Du hast einen echten Schock hinter dir. Und das beinhaltet, dass dein Gehirn die bisherigen Autobahnen, auf denen es vollautomatisch durchs Leben gerauscht ist, verlassen kann. Das ist neurobiologisch tatsächlich so: Extrem großer Stress ermöglicht es dem Gehirn, bisherige Verhaltensmusterstandards aufzulösen und neue Wege zu gehen. Insofern: geh raus, probiere dich aus, teste es.
Ja, klar, das macht Angst. Mir jedenfalls würde es Angst machen. Das kostet jedenfalls ne Menge Mut. Aber es ist auch ne geile Zeit. Alles ist möglich.
Aber du hast die Chance nur für eine kurze Zeit. Je mehr der Stress sich legt, je mehr er sich wider bringt, desto weniger ist das Gehirn bereit, die Trampelpfade des habeichschonimmersogemacht zu verlassen. Und dann hängst du wieder in einem Trott, den zu ändern es wirklich sehr sehr sehr viel mehr Energie kostet als jetzt, in diesem Zustand und in diesem Zeitfenster.
Lieber Tobi,
mein Vorschlag könnte eine gute Idee sein. Oder nur ein fehlgeleiteter Einwurf aus dem Untergeschoss der skurrilen Ideen. Wenn er passt, wirst du das fühlen.
Was ich daran mag, ist, dass er den Ernst rausnimmt, das Drama. Und dass Jugendliche sich ausprobieren müssen, weil sie genauso wenig wissen, wer sie eigentlich sind, wie du das gerade beschreibst, glaub ich auch sehr ernsthaft. Nun, das ließe sich dann ja auch nachholen.
Von der Sache mit dem begrenzten Zeitfenster für Veränderungen nach großem Stress bin ich ziemlich überzeugt.
Aber ich bin hier auch immer nur eine Stimme im Chor.
Let the music play
Herzlich willkommen jedenfalls in deinem Rudel