Hallo zusammen,
erst einmal vorweg wie ich auf die Frage komme und wie ich in meiner aktuellen Lage gelandet bin (wer möchte, kann bis zum großen Absatz springen):
Ich bin männlich, 39 Jahre und bin durch soziale Medien und Videos von ADHS Betroffenen darauf gestoßen, dass ich ADHS haben könnte. Jetzt nicht die aktive Form, ich bin eher körperlich ruhig, auch kein Sport oder ähnliches. Jedenfalls haben die ganzen Online Selbsttests ergeben, dass ich einen offiziellen Test machen sollte. Dazu bin ich im November letzten Jahres zu einem Psychiater gegangen, der mir auch prompt ADHS und „knapp“ eine Autismusspektrumsstörung attestiert hat. Ich war wohl einen Punkt von der offiziellen Diagnose des Tests entfernt, aber er meinte das wäre Ermessenssache und alles fließend. So wie er mich erlebt hat, würde es passen. Das hat mich jetzt alles nicht so überrascht, ich war schon immer etwas speziell denke ich und mit schon lange bescheinigter Hochbegabung auch sowieso schon neurodivergent.
Jedenfalls meinte er dann nach der Diagnose, man könnte jetzt Medikamente geben und probieren ob sie helfen, aber das wäre nicht für jeden was, bringt nicht bei jeder Form etwas etc. Ich war natürlich gespannt wie es sich „normal“ anfühlt sofern ich es vorher nicht war und habe eingewilligt.
Daraufhin habe ich 10mg Medikinet Adult bekommen, was ich nach 14 Tagen selbstständig auf 20mg erhöhen durfte wenn keine Nebenwirkungen auftreten. Einziger bewusster Effekt war ein Kribbeln unter den Augen nach der allerersten Einnahme, sonst nichts. Ein Kontrolltermin wurde erst in 11 Wochen vereinbart, also war ich im Januar noch einmal in der Praxis und habe mir noch ein Nachschub-Rezept geholt, dann bis zum Termin im Februar weiter genommen.
Im Termin hat er mich zu den Wirkungen befragt und ich habe ehrlich geantwortet, dass ich weder Wirkung noch Nebenwirkung gespürt habe. Dann wurde besprochen, ob wir die Dosis erhöhen oder das Medikament wechseln. Da ich von Anfang an eigentlich lieber Elvanse haben wollte, weil ich gelesen hatte, dass es dort weniger Rebound gibt im Fall der Fälle und weil man dabei nichts frühstücken muss (tue ich nämlich eigentlich nicht), habe ich mich für Elvanse ausgesprochen. Gesagt, getan. Wie schon bei Medikinet wurde mir gesagt, dass ich das Medikament bei Bedarf nehmen kann und am Wochenende pausieren kann.
Jetzt zum konkreten Teil:
Ich habe Elvanse 30mg dann zwei Wochen am Stück genommen und dann am Wochenende ausgesetzt. Ich hatte am Samstag Kopfschmerzen, Muskelkater und fühlte mich generell verkatert, habe dann eine Ibuprofen genommen. Am Sonntag hatte ich dann die schlimmste Erfahrung meines Lebens an die ich mich erinnern kann: Aus dem Nichts hatte ich einen kompletten Realitätsverlust. Ich hatte das Gefühl dass nichts echt ist, ich nicht, meine Wahrnehmung nicht, alles hat keinen Sinn ergeben, es wirkte als hätte ich alles vorher irgendwo in einem Prolog gelesen aber es wäre auch nicht mein Leben sondern ich wäre plötzlich in den Protagonisten eines Films katapultiert worden. Ich wusste, wer die Person im Spiegel ist, trotzdem war es nicht ich. Es war wie ein ganz furchtbares Aufwachen, dazu noch ein kaltes Gefühl in der Brust, kribbelnde Arme, komisches Gefühl im Bauch mit Stuhldrang. Ich dachte ich werde verrückt oder ohnmächtig oder beides. Irgendwie habe ich mich schlafen gelegt. Nach dem Aufwachen war es etwas besser, aber dieses Gefühl in der Brust und das Kribbeln kam immer wieder, mir war kalt, trockener Mund, ich konnte nichts essen und vom Geruch von Essen wurde mir richtig übel. Dazu kamen dann extrem depressive Gedanken. Am Montag habe ich dann in der Praxis angerufen und mir wurde dann vom Arzt durch die Sprechstundenhilfe mitgeteilt, dass es nicht von Elvanse kommen kann, besonders nicht so spät danach weil der Wirkstoff dann schon lange wieder weg ist. Ich habe aber vielleicht den Fehler gemacht, dass ich direkt gesagt habe, dass ich eine Panikattacke hatte. Das war das, was mir bei meiner Suche am schlüssigsten schien. Jedenfalls kam dann nämlich noch der Hinweis, ich müsse mir dann nur sagen, dass keine konkrete Gefahr besteht. Ich habe Elvanse dann weiter genommen, auch wegen der leicht antidepressiven Wirkung. Über die nächsten Tage hat sich alles wieder eingependelt. Das Gefühl von Panik kam ab und zu immer noch ohne äußere Auslöser hoch, aber konnte ich z.B. auf der Arbeit gut ignorieren und mich mit Arbeit beschäftigen. Allerdings hatte ich noch sehr lange an der Erfahrung zu knabbern, inklusive der noch offenen Frage was es eigentlich war, ob es wiederkommt, wie es weitergeht, ob ich jetzt verrückt werde oder bin, ob ich arbeitsunfähig werde etc. und entweder zusätzlich oder dadurch noch eine schwarze Wolke im Kopf.
Nach zwei Wochen hatte ich noch einmal so einen Anfall, aber deutlich leichter als beim ersten Mal - ich hatte weniger das Gefühl komplett verrückt zu sein. Trotzdem wieder in der Freizeit am Wochenende. Ich glaube auch wieder in einer Elvanse-Pause.
Direkt das nächste Wochende hatte ich dann von Freitag bis Sonntag damit zu kämpfen: Ich hatte Freitag auch schon keine Elvanse genommen, weil mein Bestand nicht mehr über das Wochenende gereicht hätte. Daher hatte ich beschlossen, keine Elvanse zu nehmen. Kann ja angeblich keinen Zusammenhang geben. Ich hatte das ganze Wochenende eine schwarze Wolke über dem Kopf, jeder Gedanke den ich hatte verwandelte sich in Trauer und Tod, der Geruch von Essen löste Übelkeit aus und ich bin bei jeder Gelegenheit im Sitzen eingeschlafen. Dabei war der Traum und Schlaf schön, die Realität der Albtraum. Es war als wäre ich in Gedanken in der Schattenwelt von Stranger Things während mein Körper im Sonnenschein mit den Kindern spazieren geht.
Noch am Sonntag habe ich die 116117 angerufen und mir einen Termin in einer therapeutischen Sprechstunde besorgt. Am nächsten Tag war ich beim Psychiater um mir ein neues Rezept zu holen, habe ihn aber zu einem Gespräch genötigt und noch einmal genau beschrieben was ich oben beschrieben habe. Seine Reaktion war eher verhalten, einen Handlungsbedarf für sich hat er nicht erkannt aber meinte gleichzeitig, wie eine klassische Panikattacke klingt das eigentlich nicht. Er hat dann noch Vergleiche zu Migräne gezogen, die auch zu Wahrnehmungsstörungen führen kann und Kribbeln etc - das kenne ich aber schon, weil ich das auch habe. Das war es alles nicht. Aber ja, da bin ich auch meistens eher „verstimmt“, lege mich dann aber 3 Stunden schlafen und dann ist wieder alles gut. Ich habe ihm auch von meinem Termin vom Therapeuten erzählt, wovon er nicht so überzeugt schien. Das war mehr „wenn man dafür empfänglich ist, kann es manchen helfen darüber zu reden“. Er hat nur angeboten mir kein neues Rezept mehr auszustellen, was für mich auch keine Option war.
Der Termin in der therapeutischen Sprechstunde war ähnlich ergebnislos: ich wurde gefragt ob ich in Erwägung gezogen habe den Psychiater zu wechseln oder eine Zweitmeinung zu holen, es klänge nicht nach einem Problem für einen Therapeuten.
Und gestern war wieder ein Tag ohne Elvanse: wieder sehr müde und am Abend bin ich wieder irgendwo abgerutscht mit meinen Gedanken und meiner Stimmung, bin hauptsächlich in Selbstmitleid versunken über Dinge die mir eigentlich egal sind oder selbst gewählt wurden. Zu wenig Freunde, zu weit weg, zu wenig Kontakt, zu wenig dies, was wäre wenn, einmal das ganze Leben und jede Lebensentscheidung hinterfragt und alles für schlecht empfunden und dann geheult.
So, und das war vorher alles überhaupt nicht so. Ich war jetzt vermutlich nie der große Sonnenschein sondern eher grummelig-realistisch, aber in mir drin habe ich mich eigentlich immer ganz wohl gefühlt. Ich hatte einen Schutzpanzer, habe so gut es geht vor mich hingelebt im hier und jetzt und plötzlich sitze ich hier und schreibe so einen unglaublich langen Beitrag den vermutlich niemand liest und wo mir vermutlich auch niemand helfen kann. Ich habe keine Ahnung ob die Medikation zu hoch ist und ich jetzt abhängig davon geworden bin, es quasi nehmen muss um so zu sein wie noch im November war, ob ich irgendeinen Knacks hatte der durch die Medikamente ausgelöst wurde, ob es alles nur ein riesiger Zufall ist,… ich weiß ja noch nicht einmal was ich habe. Burnout, Depression, Nebenwirkung, Borderline, Angststörung, Panikattacken,…
Hat dazu irgendjemand eine klare Meinung oder Handlungsempfehlung? „Ist hier vielleicht ein Arzt anwesend?!“
Meine nächste Idee wäre, dass ich Elvanse vielleicht langsam ausschleiche und absetze, weil ich sowieso bisher keinen positiven Effekt hatte. Das bringt natürlich nur was wenn A) Elvanse damit zu tun hat und B) ich jetzt keinen dauerhaften Knacks davongetragen habe, der über Nebenwirkungen und Entzug hinausgeht. Aber fragt man die KI (ja, taugt selten was) bekommt man dort zur Antwort, dass dieselben Rezeptoren und Mechanismen wie bei Kokain angesprochen werden und man davon auch harte Entzugserscheinungen bekommen kann, inklusive der Symptome die ich beschrieben habe.
Danke fürs Lesen, dadurch fühlt man sich gleich ein bisschen weniger alleingelassen.