Hallo und schön, dass du hier bist!
Ich kann dich gut verstehen, denn viele meiner Freunde sind dein Baujahr und damals war vieles noch anders. Natürlich ist jede Familie individuell, aber so manch Zeitgeist hat doch viele Familien und daraus resultierend die Erziehung ihrer Kinder beeinflusst.
Ich kann nur sagen, was mir hilft. Ob das für dich passend ist musst du schauen. Kann sein, dass du bei einigen meiner Punkte denkst, was hat das jetzt mit Erziehung zu tun? Aber für mich gehört alles zusammen, deshalb zähle ich es mit auf.
Ich bin sehr jung Mutter geworden. Ich war gerade mal 18 Jahre alt und selbst noch sehr unsicher. Ich war so alt wie mein Sohn heute, als ich schwanger wurde und mit meinem Mann zusammen gezogen bin. Wenn ich mir vorstelle, meine Sohn würde heute Vater werden… Wenn ich zurückblicke ist es schon Wahnsinn, was ich alles geschafft habe. Und trotzdem zweifle ich jeden Tag, ob ich meine Sache gut genug mache. Ich habe aber dennoch schon vieles verändert und mich weiterentwickelt. So viel zum Vorgeplänkel und zur Einordnung. Was hat mir über die Jahre geholfen?
Atmen. Durchatmen, bevor ich etwas sage oder reagiere. Ich habe als junge Mutti viel geschrien, was meine Hilflosigkeit gezeigt hat. Auch heute passiert mir das noch ab und an. Doch es ist viel weniger geworden. Erst atmen, in dieser Zeit überlegen und dann erst den Mund aufmachen. Klingt banal, ist aber entscheidend. Es dauert, bis man das verinnerlicht hat. Lohnt sich aber.
Ich habe so manch „System“ ausprobiert, das mich im Haushalt und in der generellen Lebensführung unterstützen sollte. Daraus habe ich mir über die Jahre vieles ziehen können und durch bessere Routinen mehr Sicherheit gewonnen. Dadurch bin ich insgesamt ruhiger geworden und habe mehr Kapazität mich um die Erziehung zu kümmern. FlyLady war das Erste und das war sehr gut. Babysteps, viel Selbstliebe, Struktur, das Gefühl, immer zurück kommen zu können, auch wenn man mal vom Weg abgekommen ist. Bedingungslos wieder einsteigen können, sich selbst verzeihen können. Das hat mir sehr gut getan.
Ich habe dann zwischendurch mal Marie Kondo gefunden und da einiges für mich mitnehmen können.
Heute habe ich mir ein eigenes System gebastelt und komme damit relativ gut klar.
Finanzielle Bildung hat mir auch geholfen, mehr Selbstsicherheit zu erlangen. Madame Moneypenny hatte mir den Einstieg ins das Thema erleichtert. Klingt vielleicht weit hergeholt, aber gerade dieses Thema war für mich wichtig. Immer Geldsorgen zu haben macht einen nicht gerade ausgeglichener. Existenzängste stehen ganz weit oben auf der Liste, warum ich oft angespannt war oder mich komplett zurückgezogen habe.
Nebenbei habe ich Dinge über mich gelernt und das ist seit etwa 2 Jahren ein großer Gamechanger für mich. Ich lerne, dass viele meiner Eigenarten und Problematiken eine Ursache haben könnten. ADHS erklärt so vieles und ermöglicht mir immer mehr, mit mir selbst liebevoller umzugehen. Ich schaue mir gerne Reals von Betroffenen auf Social Media an und muss dann oft lachen, weil ich mich so wiederfinde. Das Gefühl, nicht alleine zu sein ist sehr heilsam. Ich versuche, dieses Gefühl in meine Erziehung mitzunehmen. Das gelingt mir noch nicht so gut, aber ich werde besser darin. Ich habe schon immer wenig „Strafen“ eingesetzt und lieber über Beweggründe gesprochen. Seit ich mehr über mich selbst weiß kann ich mich auch besser in meine Kinder hinein versetzen. Seit ich mir mehr erlaube, ich zu sein, kann ich auch gelassener bei den Kindern sein. Manche Regeln erscheinen dann wirklich sinnlos und unpassend. „Weil MAN das so (nicht) macht“ ist nicht mehr mein Maß aller Dinge.
Ich habe gelernt, dass ich nur gut auf mein Gegenüber eingehen kann, wenn ich mich selbst kennen lerne. Momentan arbeite ich mit dem Buch „Das Kind in dir muss Heimat finden“, genauer gesagt mit dem dazugehörigen Arbeitsbuch. Ich muss sagen, dass ich damit gut voran komme, aber ich kann mir vorstellen, dass man das auch mit einem Therapeuten machen kann oder sollte. Je nach individuellen Traumata ist es vielleicht nicht gut, das alleine angehen zu wollen. Je besser ich meine Trigger und Schutzmechanismen kenne, desto besser kann ich darauf reagieren. Das hilft natürlich auch wieder bei zwischenmenschlichen Beziehungen. Da habe ich noch sehr große Baustellen und bin da gerade dran. Ich renne auch ständig gegen die selben Wände, trete in die selben Fettnäpfchen und mache Fehler immer wieder. Aber zumindest kann ich schon besser reflektieren.
Letztlich kann man immer nur an sich selber arbeiten. Das ist manchmal frustrierend und kräftezehrend. Mein Mann hat Depressionen und da hätte ich es natürlich auch gerne, dass er das alles bewältigt - am Besten gestern noch. Hier geduldiger zu sein ist mit eine der schwersten Aufgaben, die ich in meinem Leben hatte und habe. Jetzt noch abzuwarten, was bei meiner Tochter raus kommt ist für mich unglaublich schwer. Merkt man ja an meinen Beiträgen hier. Ich kann schlecht damit umgehen, dass Menschen, die mir wichtig sind, Probleme haben. Ich möchte die immer sofort lösen, was aber nicht geht.
Ich kann dich nur ermutigen, deinen Weg weiter zu gehen. Du reflektierst dich und deine Erziehung. Du hast es geschafft, dich diagnostizieren zu lassen. Ich warte noch auf einen Termin und kann mir nur vorstellen, was das für dich bedeutet haben muss. Sei nachsichtig mit dir, gib dir Zeit zu lernen und zu heilen. Jeder Tag, jeder Schritt ist bedeutsam und bringt dich weiter. Dich und mich und uns alle.