Hallo,
es ist Ostersonntag und in unserer Haus gab es schon vor dem Mittagessen mal wieder Stress.
Mal wieder eine Kleinigkeit, die sich aufgeplustert hat. Aus unserer Sicht kann unsere Tochter nicht mir „Fehlern“ umgehen. Sie bekommt einen Hinweis, was sie hätte anders machen können und sofort heißt es, wir würden nur ihre Fehler sehen, wir sollten den schönen Tag nicht mit „sowas“ verderben und überhaupt kann sie sowieso für nichts etwas. Wir hätten die Sache falsch angesprochen und überhaupt und generell sind wir das Problem. Pech gehabt, wenn wir mit ihrem Verhalten ein Problem haben.
OK, nun mag man sagen, sie ist in der Pubertät. Aber gefühlt ist unsere Tochter schon immer in der Pubertät. Weist man sie auf etwas hin, das gerade gestört hat, gefährlich oder eben einfach nicht ganz richtig war, reagiert sie schon immer in 99 Prozent der Fälle mit überzogen emotionalen Ausbrüchen. Sie hätte das nicht gewusst, jemand anderes hätte dafür die Verantwortung, sie könne das jetzt nicht hören und müsse jetzt gehen.
Beispiele:
Papa sagt, er habe am Morgen die Reste von der nächtlichen Hungerattacke weggeräumt und es wäre schön, wenn sie das selber zur Spüle stellen könne. Muss nicht mal abgespült werden, nur zur Seite geräumt. „Ich war gar nicht die letzte, die da was gegessen hat. Wo liegt das Problem, wenn du die zwei Bettchen weggeräumt hast? Immer hast du was zu meckern. Ich mache immer alles falsch!“
Ich bitte sie, im Bad das Licht auszuschalten, wenn sie drin war. „Ich lasse das Licht nicht an.“
Wir bitten Sie, keine Lebensmittelverpackungen liegen zu lassen, weil die Katzen da ran gehen. „Kann ich doch nichts dafür, dass die Katzen sich das immer holen! Kann doch mal passieren, dass jemand was liegen lässt. Die Katze soll das nicht machen, macht sie aber.“
Ich bitte darum, nicht ungefragt meine Kosmetik zu benutzen und leer zu machen. „Was soll ich machen? Meine Creme ist nunmal leer und ich brauche das für meine Haut. Willst du etwa, dass ich scheiße aussehe?“
Sie übt am Instrument und ich soll dabei sein. Ich höre mir die Übung an und gebe den Hinweis, eine Stelle nochmal langsamer zu spielen und zu wiederholen. „Das geht nunmal nicht so zu spielen, ich kann das so nicht, das Stück ist blöd. Ich übe jetzt nicht mehr und überhaupt wollte ich dieses Instrument nie spielen!“
Sie isst den Familienvorrat Süßigkeiten heimlich in ihrem Zimmer leer und wenn ich dann darum bitte, in den Laden zu gehen und was nachzukaufen, dauert es Stunden bis sie sich widerwillig auf den Weg macht und was ich da bitte so ein Fass aufmache. Sie hatte halt Appetit und sie hätte dann schon irgendwann was nachgekauft. Hätte sie nicht, sie war sauer, dass es bemerkt wurde.
So geht das in einem Fort. Alles für sich genommen Kleinigkeiten. Davon gibt es aber jede Woche haufenweise und oft immer die gleichen. Wir wissen nicht mehr, was wir da noch machen sollen. Natürlich wird sie gelobt und positive Verhaltensweisen werden erwähnt. Es ist überhaupt nicht so, dass wir dauernd meckern. Vieles erwähnen wir gar nicht und atmen einfach drüber hinweg. Diese hohe Sensibilität bei Hinweisen gab es auch schon in der Grundschule. Sobald die Lehrerin einen Hinweis hatte, bekam unsere Tochter Bauchschmerzen und wir mussten sie von der Schule abholen. Das ist auch heute noch so. Jeder noch so kleine Hinweis, jede Bitte wird sofort umgedreht in „Ihr seht nur meine Fehler, obwohl ich weder etwas falsch gemacht habe noch etwas dafür kann, dass ich so reagieren musste. Ihr habt mich dazu gebracht. Was hätte ich denn anderes machen sollen?! Ihr versteht mich nicht.“
Ich verstehe sie oft sehr gut. Ich kenne das auch. Nur hatte ich das viel weniger ausgeprägt als sie und geriet nie so heftig in Konflikte. Auch wenn ich es doof fand, ich konnte eben doch irgendwann sehen, dass ich etwas hätte anders machen können und habe das dann auch irgendwann geschafft. Unsere Tochter kann das nicht. Sie kann unsere Bedürfnisse nicht wahrnehmen und entsprechend darauf reagieren. Es läuft nur dann alles gut, wenn sie machen kann was und wie sie will. Ja, sie ist enorm selbstständig und forderte diese Selbstständigkeit auch immer ein. Und ja, wir sind stolz darauf, dass sie so vieles kann. Aber die Kehrseite ist eben, dass man nichts kritisieren darf. Weder wir noch Lehrer oder Mitschüler. Sie fühlt sich sofort abgelehnt. In der Schule zeigt sie das natürlich nie mit oppositionellem Verhalten. Dort will sie ja gefallen. Das entlädt sich dann zu Hause.
Noch hat sie keine Diagnosen. Sie ist aktuell in der Tagesklinik und wir warten auf Ergebnisse. Ich kann mir einige Verdachtsdiagnosen vorstellen, aber wir wissen eben noch nichts.
Die Frage ist, wie geht man mit einem Kind um, das immer sofort in Angriffs- oder Fluchthaltung geht, sobald die eigenen Bedürfnisse mit denen der Mitmenschen kollidieren? Wenn der Fokus immer sofort auf „Ich mache für euch immer alles falsch“ liegt? Wenn Lob gar nicht ankommt?
Es tut mir unglaublich weh mein Kind so zu sehen. Ich wünsche uns einen unkomplizierten Umgang und da gehört es halt auch mal dazu, eigene Fehler einzugestehen oder zumindest zu sehen, warum sich das Gegenüber gerade durch meine Handlung blöd fühlt. Ich möchte nicht, dass sich mein Kind abgelehnt fühlt oder das Gefühl hat, immer nur als Problem wahrgenommen zu werden. Sie macht sich enorm Druck, auch in der Schule. Sie beschreibt, dass sie nie sie selber ist und sich immer jedes Wort überlegt um nicht abgelehnt oder negativ bewertet zu werden.
Nur, wie kann man dann trotzdem um Dinge bitten, Hinweise geben? Manche Leute sagen, wir wären zu locker in der Erziehung, aber das stimmt so auch nicht. Es gibt zum Beispiel feste Regeln für Medienkonsum und auch Einschränkungen. Es gibt Grenzen. Bei ihr führt mehr Druck auch zu extrem viel Gegendruck. Wir erklären lieber mal was als einfach nur Strafen zu verhängen. Der große Sohn kommt damit zum Beispiel super klar. Aber die Tochter ist da echt eine Herausforderung. Schon immer gewesen.
Ich bin wirklich ratlos und verzweifelt. Mein Kind soll sich angenommen und verstanden fühlen. Was ich aber dabei nicht aufgeben möchte, ist gegenseitiger Respekt und das Anerkennen der persönlichen Grenzen und Bedürfnisse aller Haushaltsmitglieder.