Routinen/Rituale Lösung und Problem zugleich

Hallo,

immer wieder lese ich, das Routinen/Rituale eine Hilfe für ADHS-ler sind.

Ich habe echte Probleme damit. Natürlich habe ich das auch schon seit Jahren versucht. Aber mit der Zeit werden sie so langweilig, dass ich sie wieder vergesse.
Ich habe den Eindruck, dass Routinen/Rituale der Natur eines ADHS-lers geradezu zuwiderlaufen.

Man sagt ja, dass man eine neue Gewohnheit drei Wochen durchhalten muss, dann wäre sie in Fleisch und Blut übergegangen.
Bei mir brechen die meisten Gewohnheiten nach 3-4 Monaten wieder ab, sei es Gymnastik im Morgentau, Tagebuchschreiben oder Planung als Start am Arbeitsplatz, Mo, Mi, Fr Sport am Morgen, …
Selbst solche Routinen wie Aufstehen - Kaffee kochen durchbreche ich immer mal wieder und stelle dann fest, dass ich keinen Kaffee gekocht habe, obwohl ich dies eigentlich seit Jahren so mache.

Ich habe manchmal den Eindruck der Tipp mit den wRoutinen kommt von Nicht-ADS-lern als gut gemeinter Ratschlag, und Schläge tun weh.

Geht es Euch auch so?
Wie haltet ihr Routinen dauerhaft aufrecht?
Oder ändert ihr die Abläufe bewußt immer wieder?

Hallo,

mir geht es leider genauso. Während ich früher Routinen und Ritale generell spießig fand, wüde ich sie mir jetzt wünschen. Nur scheitere ich regelmäßig daran.

Besonders bei der Hausarbeit habe ich mir daher angewöhnt, bewusst ADHS-typisch an die Sache heranzugehen. Ich mache einen Mix aus Aufräumen, Putzen und Bügeln, d.h. ich ziehe nichts von Anfang bis Ende durch, sondern wechsle die Tätigkeit zwischendurch immer mal wieder. Diese Herangehensweise bringt mir die nötige Abwechslung und ich bekomme überhaupt was auf die Reihe.

Grundsätzlich:

  1. Der Aufbau von Routinen dauert bei ADHS deutlich länger, man braucht also einen sehr langen Atem. Allein das macht es schwierig.

  2. Routinen funktionieren nur, wenn man sie automatisch macht, also ohne darüber nachzudenken - z.B. auch darüber, ob man sie langweilig findet oder nicht.

Wenn-Dann-Pläne sind ein klassisches Beispiel dafür: Ereignis 1 wird mit Ereignis 2 verknüpft: „Wenn ich die Haustür geöffnet habe, hänge ich den Schlüssel an den Haken“. Das muss so lange geübt werden, bis es von allein läuft - automatisch. Aber das zu Üben ist in der Regel der Stolperstein.

Der Tipp mit den Routinen kommt keinesfalls von Nicht-ADHSlern, sondern sie sind für viele Betroffene die einzige Möglichkeit, einen Funken Struktur ins Chaos zu bringen - durch Konditionierung sozusagen und bei aller Aversion.


Genau so mache ich es auch.

Routinen sind hier mMn aber auch fehl am Platz, denn man muss dabei flexibel sein, das Gehirn einschalten und sich entweder einen Plan machen - oder eben ADHS-typisch zwischen den gerade am besten zu bewältigenden, weil gerade am attraktivsten Tätigkeiten hin- und her zu hüpfen.

Bei mir klappt vieles:

  • regelmäßig Sport zB, weil ich da immer sofort eine Rückmeldung bekomme wenn ich mich nicht dran halte. Aber ich mache auch täglich Sport, und wenn es nur wenig ist - seit mittlerweile bestimmt 20 Jahren… Natürlich gibt es Ausnahmen, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sooo schwer ist, dann wieder in die Routine zu kommen…
  • to-do-Listen vor Arbeitsbeginn - je nach Druck. Solange ich die Listen nicht brauche, führe ich sie auch nicht.
  • Tagebuchschreiben konnte ich noch nie, kenne aber ADHSler, die das durchaus machen.
  • Alles-sofort-in-den-Terminkalender: klappt. Ohne geht es halt nicht.
  • „wenn der Termin im Kalender aufploppt wird er erledigt“ ist Gesetz. Wenns auch nicht immer klappt.
  • donnerstags Einkaufen
  • freitags Putzen
  • samstags Wäsche
  • sonntags Bügeln oder so.

Bei allen Dingen aber aufgrund der Erfahrung, dass ich sonst mit wehenden Fahnen untergehe. Aber ich hab halt keinen, der es sonst macht.
Phasenweise hatten wir hier Messie-Zustände, das war nicht auszuhalten.

Aber es bleiben noch viele Dinge, die ich gar nicht kann.
Seit ich Medikamente nehme, habe ich wenigstens so was wie ein Essverhalten. Vorher war das eine Katastrophe.
Sozialkontakte sollte ich mir auch mal auf Termin legen… ööööh… nö. Doch nicht. :mrgreen:
Fensterputzen: kann ich nicht. Mach ich nicht. Verweigere ich. Wird delegiert.

Wenn ich zurückdenke, was ich zu Messie-Zeiten anders gemacht habe:
Es war eigentlich immer so, dass die Dinge möglichst schnell erledigt werden mussten. Ich war immer mit dem Kopf schon weiter. Oder ganz weit weg.
Meist war auch keine Ruhe dafür da…
Irgendwann - nach dem ersten Burnout - habe ich festgestellt, dass gerade diese einfachen Routine-Tätigkeiten Qualitäten haben.
Allerdings muss man diesen auch Raum einräumen, sprich: ausreichend Zeit einplanen und ihnen einen Wert zuweisen. Dann ist man intrinsisch motiviert, was die Sache schon deutlich leichter macht.
Putzen zB. ist für mich mittlerweile eine Tätigkeit, die ich gerne mache. Ich finde es angenehm, mit dem Lappen durch das Waschbecken zu fahren und nachher ist das Porzellan ganz glatt, sauber und duftend.
Beim Bügeln ebenso: die Wäsche riecht gut, wenn ich mir die Zeit nehme und die Sachen schön aufstapel, dann hat das eine eigene Ästhetik.
Aber wie gesagt: es braucht Zeit und Ruhe.
Ich nehme das als Meditation, weil ich beim handelsüblichen Meditieren nach 5-10 Minuten mit den Fingernägeln die Wand hoch gehen könnte.

Die Frage ist also nicht nur: wie kann ich mich dazu bringen, Dinge zu tun, sondern auch: wie kann ich die Dinge so gestalten, dass ich sie gerne mache.

Das muss man sich wohl eingestehen!

YEP!

Klar, aber man muss sich nicht damit abfinden.
Zumindest nicht, wenn man was ändern will.

Na ja, was und in welchem Umfang man etwas ändern kann, hängt mal wieder von der individuellen Ausprägung ab.

Selbstredend.
Nur: es bringt nichts, von vorne herein die Flinte ins Korn zu schmeißen und zu sagen: Das bringt nichts, weil ich ja ADHS habe.
Es bringt aber auch nichts, sich von morgens bis abends den Stiefel ins Kreuz zu drücken und sich zu zwingen. Das kann man sich m.E. echt gleich sparen, das klappt nicht. Im Übrigen auch bei Menschen ohne ADHS (interessant hierzu: Selbstkontrolle vs. Selbstregulation).

Daher mein Vorschlag - oder meine Erfahrung - sich zu den Tätigkeiten, die sein MÜSSEN (und darum geht es ja - wenn ich Bieber recht verstanden habe, geht es hier um nichts geringeres als um die berufliche Existenz) mehr zu verführen.

Dann hat man Tätigkeiten
a) zu denen man sich prügeln muss (möglichst wenige), die aber irgendwann vielleicht mal leichter werden
b) die man deligieren kann (ohne dass einen nachher die Umgebung hasst oder selbst überlastet ist)
c) zu denen man sich verführen / intrinsisch motivieren kann (möglichst viele, weil das dann am einfachsten ist)
d) die man einfach nicht leisten kann. Da heißt es dann: bedingungslose Akzeptanz, zu den eigenen Schwächen stehen.

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Da bin ich ganz bei dir. Dort wo es um meine berufliche Existenz geht, da zwinge ich mich sehr und da habe ich das Glück, dass sowohl Vorgesetzte als auch das Team um meine Stärken und Schwächen wissen und alle damit sehr gut umgehen können. Die anderen nehmen mir die Dinge ab, die ich gar nicht kann und ich bekomme die Aufgaben, die meinen Stärken entsprechen und die die anderen nicht mögen.
So bin ich z.B. ein „Trüffelschwein“ und finde immer Fehler oder Lösungen, die die anderen nicht finden.

Und ich bitte die anderen um Hilfe und bitte um Deadlines, die ich einhalten muss, auch bei weniger wichtigen Dingen.
Da kann ich mich auch problemlos unterordnen.

Denn wenn ich die Ansage höre, dass etwas Zeit hat oder noch nicht ganz so wichtig ist, dann lass ich mir bis zum St. Nimmerleinstag Zeit. :roll_eyes:

Aber dafür klappt dann Zuhause nicht mehr viel, ausser meine Motivation komplett zusammen.
Da klappen dann keine Routinen und Listen mehr. :?

Hallo Bieber,

das ist ein interessantes Thema. Ich selber entwickle Routinen ganz automatisch. Meistens handelt es sich um Abläufe oder Handlungen, die mir helfen meinen Tagesablauf geregelt zu bekommen. Hier fällt es mir dann auch schwer, diese zu unterbrechen oder zu verändern. Andererseits gibt es auch Punkte, wo es mir nicht gelingt eine stabile Routine aufzubauen. Hierzu gehören ganz profane Dinge, wie Aufräumen, Staubsaugen aber auch Dinge wie regelmäßig Sport zu treiben. Das klappt immer wieder mal für eine Zeit ganz gut, dann schläft es wieder ein.

Ich bin zum Schluss gekommen, dass mir auf der einen Seite der Antrieb, bzw. die Kraft dafür fehlt, mich nach einem langen Arbeitstag um solche Sachen zu kümmern, andererseits es sich auch um Tätigkeiten handelt, die ziemlich langweilig sein können und nicht wirklich den Geist inspirieren - also nix was die Motivation anspricht.

Gruß
Sunny