Schuld und Scham

Meine Frage (bin erst mit 72 getestet worden, im letzten Juni…wohl zu spät…) Hab noch ein paar Jahre. Im Alter klopft die Vergangenheit an die Tür. Das Leben: die Summe verpasster Gelegenheiten, falscher Entscheidungen…Das sind z.T. quälende Erinnerungen, beschert depressive Schläge. Was ich mich frage: Ich weiß, man darf nicht der Versuchung nachgeben, die eigene ADHS-Situation auszunutzen dergestalt, dass man diese missbraucht im Sinne fortwährender Selbstentschuldigung. (Richtig?) Aber: Wann ist man schuldig, wann z.B. ist man entlastet, wenn man mal wieder aus der Haut gefahren ist (und deswegen nach 40 Jahren den besten Freund verloren hat)?

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Hallo @Mutabor .
Ich denke das sich das nicht so einfach unterteilen lässt.
Meiner Meinung nach sind Menschen dann für ihr Verhalten verantwortlich wenn sie dieses steuern können.
Dabei gibt es meistens aber ja auch Nuancen.

Wenn du das bei dir hinterfragst wird dir vielleicht selbst schon klar ob du die Diagnose tatsächlich als Entschuldigung genutzt hast oder nicht.

Allerdings, auch wenn du für dich zu dem Schluss kommen solltest dass es nicht nur eine Ausrede war, heißt das nicht dass andere das Verhalten entschuldigen müssen.
Jeder Mensch sollte seine Grenzen wahren, und jeder Mensch hat andere Grenzen. Dass die auch oft mit Unverständnis zu tun haben können wir nicht immer unbedingt ändern.

Den besten Freund nach 40 Jahren zu verlieren muss unglaublich weh tun, was ich mir nicht einmal im Ansatz vorstellen kann.

Wenn solche Situationen häufiger vorkommen könnte es sich auch lohnen das Thema mit jemandem vom Fach aufzuarbeiten.

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Dankeschön Tagträumerle,
das ist immerhin eine Gundorientierung. Eine hilfreiche! M.E. muss man auf jeden Fall der Falle entgehen, ADHS als Ent-Schuldung zu begreifen (haha, zweimal „Falle“ - „Im Falle eines Falles…“). Ich kenne einen Richter - der weiß aber nichts von meiner Situation. Vielleicht aber frage ich ihn einmal, ob die ADHS-Veranlagung „entschuldend“ sein kann. Immerhin gibt es ja den Begriff des Handelns aus dem Affekt.
(Ja, der Bruch mit dem besten Freund quält mich beinahe täglich…)
Dankeschön!
LG Mutabor

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@Mutabor schwierig zu beantworten wenn man nicht die ganze Geschichte kennt.

Ich denke aber das man sich auf jeden Fall schuldig macht, wenn man beabsichtigt, oder vielleicht sogar gezielt, einen anderen Menschen auf irgend eine Art verletzt.

Sowas wäre auf jeden Fall ein Grund warum man mit so jemand keinen Kontakt mehr will.

Dann wenn einen jemand ständig von oben herab behandelt, mit einem redet als sei man dumm, was subtil verletzend ist und von daher genau so schlimm wie das oben genannte ist.

Dann natürlich wenn man jemand beleidigt oder vor anderen schlecht macht.

Wenn man manipulativ ist und einem anderen etwas, oder seine eigene Meinung aufzwingen will.

Naja, jedenfalls sind das ein paar Dinge die mir spontan eingefallen sind, und solches Verhalten macht natürlich vieles kaputt.

Aber wie gesagt, solange man nicht weiss was zwischen Dir und Deinem Freund vorgefallen ist, ist es eigentlich unmöglich dazu irgend was genaues dazu sagen zu können.

Auf jeden Fall tut es mir leid wenn Du einen guten Freund verloren hast.

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Wofür fragst du das? Für dich? Da kannst du dir sagen, ohne ADHS (oder mit guter Behandlung) hättest du dich besser unter Kontrolle gehabt und es wäre nicht passiert.

Was nicht heißt, dass du dafür nicht die Verantwortung übernehmen musst. Du warst ja nicht ferngesteuert, niemand hat dich gezwungen aus der Haut zu fahren.

Vor Anderen? Keine gute Idee. Es ist immer am Besten zu sagen, es tut mir leid, ich habe Mist gebaut, ich bitte um Entschuldigung. Ohne Aber.

Das heißt nicht, dass du deine ADHS vor allen geheim halten musst. Du kannst erklären, ich habe eine ADHS-Diagnose, ich weiß jetzt warum ich so oft aus der Haut fahre, und ich das ist auch behandelbar. Falls es doch noch passiert, tut mir leid, bitte seid nicht nachtragend.

Aber nicht: Ich weiß jetzt warum ich dich verletzt habe, ich kann da nämlich gar nichts dafür, du darfst mir keine Vorwürfe machen, du musst das aushalten. Damit macht sich niemand beliebt, und die Rücksichtnahme wird sich in Grenzen halten.

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@AbrissBirne,
Dank. Ja, da wäre der Fall nähergehend auszuleuchten. Da spielte situativ auch der konsumierte Alkohol eine Rolle. Stimmt schon - je weniger Alkohol bei ADHS, desto besser. Aber das war eher der aktuell wirksame Brandbeschleuniger, das Zerwürfnis war unterschwellig bereits gegeben. Es war wohl so: Er tendierte mehr und mehr in Richtung Trump/Putin/AfD …und da brannten bei mir schlagartig - „Knall auf Fall“ - die Sicherungen durch. Ein ruhiges Gespräch hätte einiges retten können. - Jedenfalls habe ich gelernt: Man meide brisante Themen, vor allem solche politischer Art, ist man mit ADHS geschlagen.
LG, Mutabor

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Sehr klar gesagt. Bestätigt das, was ich eh so empfinde. In der Tat - so etwa das Falscheste was man tun kann: „Ich habe ADHS - ergo: das ist mein Freifahrtschein.“ Dennoch bleibt das Faktum, dass der ADHSler (blödes Wort, ich weiß) hier in einem für viele nicht einschätzbaren Maß belastet ist. - Für mich ist die eingangs gestellte Frage („Schuld“) eine ganz elementare - und seltsamerweise habe ich in der Literatur bislang diesbezüglich allenfalls marginale Hinweise finden können (habe einige der Standarwerke gelesen…). ADHS wäre missbraucht, würde man das als ein Konto begreifen, das man beliebig anzapfen kann, will man Entlastung suchen. -
Evtl. kann ich zudem einen Hinweis bekommen: Wem teile ich mit, dass ich ADHS habe? Was ist da opportun, wovon wäre abzuraten? Vielleicht gibt es da ja einen Beitrag im Forum (bin ja neu hier…)
LG, Mutabor

Gibt es immer wieder. Ich rate dazu, im Zweifelsfall sparsam zu sein mit der Mitteilung.

Natürlich wissen meine Frau und meine (in meinem Haushalt lebenden) Kinder von meiner ADHS. Bei allen Leuten außerhalb der Kernfamilie wäre ich schon vorsichtig. Eltern (wenn man erwachsen ist) oder Geschwister (die auch lange erwachsen sind) geht es erst einmal wenig an, die eigenen erwachsenen Kinder nur insofern dass sie selbst die Möglichkeit bekommen, bei sich (oder wiederum ihren Kindern) zu gucken.

Faustregel: Kein gutes Thema für das Kaffeekränzchen, niemand ist verpflichtet den Angehörigen eine Möglichkeit zu geben, einen abzuwerten.

Arbeitskollegen oder Chefs müssen es noch weniger wissen. Die teilen mir auch nicht unbedingt ihre Erektionsstörungen oder sonstwas mit.

Nach über 20 Jahren (ich habe meine Diagnose seit 2003, da war ich 37) bin ich da inzwischen etwas lockerer, weil ich nicht mehr so leicht zu verunsichern bin wie in der ersten Zeit.

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Falschparker: Apropos „Kaffeekränzchen“: Danke, das Thema gehört definitiv nicht in den den Alltagssmalltalk. Bin ja ein Neuling, da habe ich einiges zu lernen, aber mein Empfinden war gleich: das muss nicht jeder wissen (schon deswegen, weil die große Mehrheit unter ADHS nur den Zappelphilipp verstehen kann/verstehen will).
Dank!

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@Mutabor ich persönlich glaube vor allem das es am besten ist politische Themen nicht unter Alkoholeinfluss diskutieren zu wollen.

Deshalb eine Frage an Dich, standst nur Du unter Alkoholeinfluss während eurer Diskussion, oder auch Dein Freund?.

Eventuell könntet ihr euch dann beide gegenseitig entschuldigen und euch gegenseitig verzeihen, denn Alkohol während vielleicht ohnehin ehr hitzigen Diskussionen, ist halt generell nicht gut.

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Wohl wir beide… war mir eien Lehre. Ich erwäge tatsächlich nach zwei Jahren noch einmal den Kontakt aufzunehmen. Ansonsten: keine Diskussion heikler Themen mit Alkohol … immerhin diesem Vorsatz habe ich treu bleiben können!

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Bei mir haben auch gute Bekanntschaften gelitten durch die politische Polarisierung seit der Corona-Zeit.

Laut gefetzt habe ich mich mit den betreffenden Leuten nicht, aber wenn man stark gegenläufige Ansichten hat, ist einfach die alte Vertrautheit nicht mehr so da.

Dazu wirst du auch nichts finden, denn die Frage nach der Schuld ist, wie Ferdinand von Schirach sogar häufig im juristischen Kontext sehr schwer zu beantworten, da sie hoch philosophisch und auch soziologisch ist.
Etwas einfacher ist es wohl, zu fragen, ob ADHS etwas zur Entlastung beitragen kann.

Ein Streit entsteht immer zwischen mindestens zwei Personen und daher ist nach einem Zerwürfnis die Schuldfrage müßig. Deinem Freund könnte man ja theoretisch auch eine Mitschuld geben, da er um dein Temperatment wusste, aber trotzdem nicht vorher mit einem „Komm, lass gut sein! Wir wechseln lieber das Thema.“ eingelenkt hat.

Und wo willst du ansetzen, was die Schuldfrage betrifft. „Einfach“ an dem Punkt, wo du dich aufgrund von ADHS nicht mehr unter Kontrolle hattest oder vielleicht schon viel früher, weil du über 70 werden musstest, um dich einer Diagnose zu stellen, obwohl du wahrscheinlich viel früher schon erkennen konntest, dass du in gewissen Bereichen Probleme hast, aber nichts dagegen unternommen hast…

Ich fürchte, die Beschäftigung mit dieser Frage wird dich als ADHSler in die Endlos-Gedankenspirale treiben.
In deinem Alter sollte es wichtigere Dinge geben…

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@Andromache
Danke, das ist deutlich.Ja, wie kommt es, dass ich über Jahrzehnte mich mit meiner Situation abgefunden habe - ohne wirklich etwas zu unternehmen…? Nun, ich habe immerhin jetzt einen Termin bei einem Therapeuten. / Schuld undScham - Letzteres ist wohl ein Dauerthema, das wohl kaum einem mit ADHS erspart bleibt - liege ich da richtig?

  • Dank für alle Beiträge!
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Sind bei mir auch ein Thema.
Doch wir können nicht durch ein Leben gehen, ohne uns in irgendeiner Form „schuldig“ zu machen. Jeder macht sich schuldig. Nun ist die Frage, wie gehe ich damit um? Sich ewig zu geisseln bringt einem nicht weiter. Was geschehen ist, ist geschehen. Aber wir können daraus lernen, was bei ADXS nicht so leicht ist, denn wir machen häufig immer die gleichen Fehler.
Leidest du auch sonst darunter, zu viel Scham zu entwickeln? Dann könnte man das ja in einer Therapie aufarbeiten. Denn meist machen wir uns übergrosse Gedanken um das Thema.
Hast du das Gefühl, auf ewig bei deinem Freund verkackt zu haben? Vieleicht ist es gar nicht so schlimm! Negativer Hyperfokus und Katastrophisieren kenne ich nämlich auch. Ganz grosses Thema auch bei mir, wie erwähnt.
Wenn dir an dieser Freundschaft etwas liegt suche den Kontakt auch wenn es schwer fällt.
Mehr als den Kopf reißt man dir nicht ab, wie so schön die Ärzte sagen, oder waren es die Toten Hosen?
Aber du darfst auch ruhig deinen Standpunkt vertreten, besser in einer sachlicheren Form.

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Das sind ermutigende Worte. Dank. Womöglich kontaktiere ich den (Ex-)Freund wieder, womöglich sage ich mir, dass der Blick nach vorne gehen muss.Habe ja (da annähernd 73) wohl nicht mehr allzuviele Jahre - in meinem Alter verengt sich der Lebenshorizont merklich. (Haben Leute mit ADHS eigentlich mehr Angst vor dem Ableben als andere? )

Wann ist man schuldig & wann entlastet, fragst du eingangs…

Persönlich fand ich §49 StGB in Sachen Strafmilderung (uA Alkoholeinfluss) ziemlich grenzwertig. (wie hat dein befreundeter Richter dir überhaupt geantwortet)


Es ist auch bloß für mich, heute, eine Erklärung, warum in meinem Leben das ein oder andere schief oder jedenfalls nicht geradlinig verlaufen ist.

Da gibt es jetzt im Nachhinein auch nix schön zu reden, war eben so.

Aber so eine lange Freundschaft, was ja ansich bereits eine große Leistung ist, da würde ich doch schnellstens das Gespräch suchen und das keinesfalls beim Bier.

Ab einem gewissen Alter sterben Bezugspersonen auch einfach weg, da sollte es wohl überlegt sein, worauf du verzichten kannst.

Hast du jetzt mehr Angst vorm Sterben, seit deiner Diagnose, oder wie kommst du darauf?

Also, der Richter, der ist heimisch im Zivilrecht, hat da eher ausweichend geantwortet…
Aber apropos Ableben: Die Dringlichkeit des Themas kommt mit dem Alter. Was auch nicht immer schlecht ist. Man ordnet so manches, sieht zu, dass die Kinder so versorgt sind, dass es da nicht zu einem Streit kommt etcetc. Habe gehört, dass dies für den Gang des Sterbens immens erleichternd wirken kann. - Nun, soviel habe ich nun mal gelernt: Oft ist nicht der Tod, sondern das Sterben das, was Angst macht. Wer ankämpft gegen das Unvermeidliche, dem wird es schwer gemacht. Da fällt der Abschied schwer. Mit großer Wahrscheinlichkeit hatte die Mutter meiner Mutter ADHS - die Großmutter in stärkerem Maße als die Mutter. Und sie, die Großmutter, hat gegen das Sterben sich aufgelehnt, gekämpft. Ist es so, dass der mentale Influx /Dauerzustrom das Lassen verhindert?
(Ich weiß, das ist grenzwertig, im engeren Sinne des Wortes). Aber, pardon, ich bin nunmal knappp 73… (Natürlich fürchte ich den Tod - den Tod? oder das Sterben? - Das Leben steuert auf diese Finalität zu - wer zeigt sich da unberührt?)

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Glaube ich nicht. Es gibt keinen direkten validen wissenschaftlichen Hinweis darauf, dass Menschen mit ADHS grundsätzlich mehr Angst vor dem Tod haben als andere. Allerdings kann schon sein, dass bestimmte Aspekte unserer ADHS, wie emotionale Dysregulation oder eine Tendenz zu Grübeleien, dafür sorgen, dass wir Themen wie Sterblichkeit intensiver erleben.

Viele Menschen mit ADHS kämpfen mit Schuld- und Schamgefühlen, die oft mit dem Gefühl einhergehen, Erwartungen nicht gerecht zu werden. Gerade mit Blick zurück ins Leben.

Diese inneren Konflikte können durchaus unsere Ängste verstärken, auch in Bezug auf Tod Ableben allgemein.

Aber es gibt auch Adhsler die aufgrund ihres impulsiven Charakters weniger über die Zukunft nachdenken und deshalb möglicherweise weniger Angst vor dem Tod haben. Wie man so schön sagt: jeder Jeck ist anders :wink:

:heart:- lich willkommen bei uns!

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Danke für die Hinweise - war mir wichtig, da Orientierung zu haben!