Hallo allerseits,
ich bin 36 Jahre alt und seit über einem Jahr wegen Depression in psychotherapeutischer Behandlung.
Im Zuge meiner Selbstfindung und Reflektion bin ich zunächst Zufällig auf ADHS gestoßen, habe mich aber nach und nach mehr informiert und war verblüfft, dass viele der geschilderten Symptome wie die Faust aufs Auge passen. Irgendwie hatte ich immer ein völlig falsches Bild von ADHS (klassische Hyperaktivität), denn ich finde mich selbst aber eher im Bereich der Aufmerksamkeitsstörung wieder.
Ich habe meine Therapeutin darauf aufmerksam gemacht, aber sie meinte, dass sie das bei mir eher nicht sieht/merkt. Und ich glaube da hat sie garnicht mal unrecht:
- ich sitze in unseren Sitzungen immer relative still
- ich kann ihren Gedankengängen und Erklärungen idR gut folgen
- meine Ausführungen und Erzählungen folgen meist einem roten Faden und sind konsistent ohne sich zu wiederholen oder abzuschweifen
- ich lasse sie (meist) ausreden und falle nicht ins Wort
Eins ist für mich sicher: ich habe sicherlich (falls überhaupt) keine starke Ausprägung. Trotzdem gibt es einige Leidensschwerpunkte, die sich deutlich negative auf mein Privatleben, meine Beziehung und auch meine Arbeit auswirken:
- ziemlich regelmäßig verlege/verliere ich Dinge, wenn etwas nicht an seinem „festen“ Platz ist, dann finde ich es vermutlich erstmal nicht wieder
- ich kann mich kaum dazu bringen, Aufgaben zu erledigen, die keinen Spaß machen (i.d.R. aufschieben bis kurz vor Deadline und oft kriege ich es dann doch noch rechtzeitig hin)
- ich bin relativ einfach von Pflichtaufgaben abzulenken oder suche mir sogar ständig Ablenkungen (auch wenn ich es besser weiß)
- ich kann mir Dinge super schlecht im Kopf behalten und muss z.B. Informationen oft mehrfach nachlesen
- ich tue mich mit Zeitmanagement schwer, auch wenn ich mich eigentlich beeilen sollte sind oft andere Dinge noch wichtiger und sorgen dafür, dass ich viel zu spät loskomme (oder falls ich keine 5 Erinnerungen gestellt habe vergesse ich Termine einfach komplett)
Nun habe ich meiner Therapeutin klargemacht, dass ich mich gerne auf ADHS teste lassen möchte. Wir haben dann folgend ein Interview mit Fragebögen geführt, ich habe meine alten Schulzeugnisse und meine Mutter zurate gezogen, um einen zusätzlichen Fragebogen auszufüllen und musste noch eine Selbstbeurteilung abgeben.
Heute habe ich das Ergebnis bekommen: kein ADHS.
Ich bin nicht sicher, wieso mich das so sehr enttäuscht. Je mehr ich mich mit ADHS beschäftigt habe, desto sicherer war ich mir, im Spektrum zu liegen. Ich glaube, es fühlt sich so negative an, weil ich mich und meine Probleme nicht ernstgenommen fühle.
Ich bin tatsächlich hin- und hergerissen: einerseits hätte ich mir eine Diagnose so sehr gewünscht, um dem Kind auch endlich einfach einen Namen zu geben (und Bestätigung zu haben?). Andererseits fühlt sich der Wunsch nach einer Diagnose so an, als würde ich das Leiden der Anderen, die definitiv eine stärkere Ausprägung als ich haben, relativieren, indem ich mich „auf eine Stufe“ mit ihnen stelle.
Ein Besprechungstermin zu den Ergebnissen steht noch aus, doch ich habe schonmal eine Zusammenfassung erhalten:
WRI-V (Wender-Reimherr-Interview)
Aufmerksamkeitsstörungen: erfüllt
Hyperaktivität: erfüllt
Temperament: nicht erfüllt
Affektive Labilität: erfüllt
Emotionale Überreabilität: erfüllt
Desorganisation: erfüllt
Impulsivität: nicht erfüllt.
Dies spricht für das Vorliegen einer ADHS.
WR-SB (Wender-Reimherr-Selbstbeurteilung)
Aufmerksamkeitsstörungen: knapp nicht erfüllt
Hyperaktivität: knapp nicht erfüllt
Temperament: nicht erfüllt
Affektive Labilität: erfüllt
Emotionale Überreagibilität: nicht erfüllt
Desorganisiertheit: erfüllt
Impulsivität: nicht erfüllt.
Das spricht gegen das Vorliegen einer ADHS.
WURS-K (Wender Utah Rating Scale Kurzform)
Summenwert: 29
(Auffällig ab einem Summenwert von 30)
Dies spricht gegen das Vorliegen einer ADHS
ADHS-DC (ADHS Diagnostische Checkliste)
Unaufmerksamkeit: erfüllt
Überaktivität: nicht erfüllt
Dies spricht gegen das Vorliegen einer ADHS.
Ehrlichgesagt hatte ich das Gefühl, dass manche der Fragebögen mein Leiden nicht gut erfassen/abdecken (z.B. im WURS-K vermehrt Fragen zu Hyperaktivität). Ich bin mir unsicher, was ich in unserer anstehenden Besprechung nun dazu sagen soll. Was meint ihr?
Sorry für den langen Text, vielleicht musste ich nur mal meinen Frust niederschreiben Danke fürs Zuhören!