[quote=„ulschke, post:22, topic:15597“]
Haben nicht die meisten von uns erst mal selber die Diagnose gestellt und dann im 2. Schritt versucht, eine offizielle Bestätigung zu bekommen? Bei mir denkt von außen auch keiner, dass ich ADHS habe und würde mir vielleicht auch den Leidensdruck absprechen.[/quote]
Ist bei mir ähnlich. Obwohl ich inzwischen seit einiger Zeit diagnostiziert bin, zweifeln einige an ADHS in meinem Fall. Eine Freundin hat sogar gefragt, ob ich auch eine Zweitmeinung eingeholt habe.
Natürlich, ADHS-Diagnosen sind ja so leicht zu bekommen, da holt man sich doch mal locker eine Zweitmeinung.
Bei mir ist es auch so, das ich total stark maskiere und meine Symptome fast komplett mit mir selbst ausmache, das hat zu absolut schrecklichen Schlafstörungen und einer Angststörung geführt, Erkrankungen wegen denen ich über ein Jahr krankgeschrieben war. Aber nicht mal mein Psychiater hat erkannt, was der Grund dafür war, bevor ich ihn darauf gestoßen habe.
Hauptsächlich die Leute, die nicht nur kleine Ausschnitte aus meinem Leben, sondern sehr viel mitbekommen, finden die Diagnose stimmig.
Ohne zu wissen, dass ich ADHS habe, habe ich mich sehr lange für meine ADHS-bedingten Unzulänglichkeiten geschämt. Ich wurde in der Schule schlimm gemobbt dafür, dass ich so eine Chaotin und so tollpatschig war. Und wahrscheinlich war ich auch manchmal eine echte Nervensäge.
Ich habe irgendwann wirklich alles dafür getan, um keine zu sein und so gut wie möglich zu maskieren. Ich habe gelernt, gut zuzuhören, mich so wenig raumnehmend wie möglich zu verhalten und wie gesagt, mein Chaos und meine Unruhe zu verbergen. Das ist alles sehr zulasten meiner Gesundheit gegangen.
Für mich war die Diagnose eine Riesenerleichterung und ich habe durchaus das Bedürfnis, Menschen davon zu erzählen. Natürlich nicht allen und jedem, aber meine Freunde wissen es — guten Bekannten erzähle ich es auch manchmal, wenn ich eine Veranlassung dazu sehe. Ist es ist das, was man als hausieren bezeichnen würde?
Wie auch immer, auch ich erlebe in meinem Bekanntenkreis derzeit einige Leute, die mit ihrer Vermutung ADHS zu haben, herauskommen. Und ich nehme bei Ihnen ebenfalls eine große Erleichterung wahr. Personen, die einfach mal so behaupten ADHS zu haben, kenne ich (glaube ich) nicht.
Ich versuche, diese Leute zu unterstützen und sie zu ermutigen, sich diagnostizieren zu lassen und teile meine Erfahrungen diesbezüglich mit ihnen.
Wir dürfen nicht vergessen wie schwer es ist, an eine Diagnose heranzukommen, weil die Versorgungslage so schlecht ist. Ich finde Selbstdiagnosen valide.
In der Diagnostik ist es ja sogar so, dass die Selbstanamnese die Fremdanamnese schlägt. Sprich, wenn eine Person bei den Interviews Symptome angibt, aber die Person, die sich an der Fremdanamnese beteiligt, diese Symptome nicht bestätigt, dann wiegt die Selbstanamnese dennoch mehr. Das wohl nicht ohne Grund.
Ich finde, wir sollten solidarisch mit denen sein, die vermuten, von ADHS betroffen zu sein. Schließlich kann diese Disposition einen extrem hohen Krankheitswert mit verkürzter Lebenserwartung mit sich bringen, wenn sie nicht erkannt beziehungsweise ernstgenommen wird. Das wünsche ich niemanden. Ich wünsche niemanden, Komorbiditäten zu entwickeln, weil die ADHS erst spät oder gar nicht erkannt wird und diese Person ab irgendeinem Punkt in ihrem Leben stark maskiert.
Abgesehen davon: Umso mehr Leute ihre ADHS erkennen und offen damit umgehen, umso besser wird das für die Versorgungslage sein.