Ich lese gerade das Buch „Andere Wege gehen“, das den Ansatz der Schematherapie vorstellt und Ideen wie ein Selbsthilfebuch Ideen zur eigenen Arbeit damit gibt (mit downloadbaren Arbeitsblättern z.B.).
Als ich letztes Jahr in der Klinik war, hat meine Bezugstherapeutin mit mir so gearbeitet und es mir empfohlen und für mich war es sehr ansprechend und nachvollziehbar und vor allem hilfreich, was sie mit mir zusammen erarbeitet hat.
Jetzt lese ich also das Buch und vom grundlegenden Gedanken her, dass jeder verschiedene Anteile hat (trauriges Kind, glückliches Kind, gesunder Erwachsener, Kritiker, Forderer), Bewältigungsstrategien (Anpassung, Vermeidung, Überkompensation) und Modi, in denen wir reagieren, ist für mich persönlich immer noch total schlüssig.
Allerdings geht das Buch hier davon aus, dass all dies immer auf Ereignisse und Erfahrungen in der Kindheit zurückzuführen ist. Und das finde ich, als jemand mit ADHS, schwierig.
Natürlich: es ist eben kein ADHS-Buch, will es auch nicht sein, aber ich finde, wenigstens ein Hinweis, eine Fußnote oder irgendwas in der Art, dass es auch andere Gründe für solche Verhaltensmuster geben kann als „nur“ Kindheitserfahrung, wäre schon angebracht gewesen.
Ein Beispiel: Impulsivität wird als dysfunktionaler Kindmodus beschrieben, in welchem der Drang, etwas unbedingt haben oder tun zu wollen, um eigene Bedürfnisse zu befriedigen, ohne über die Konsequenzen nachzudenken, im Vordergrund steht.
Ja, kann ich nachvollziehen. Ich kann mir auch vorstellen, dass es neurotypische Menschen gibt, die in so einen Modus verfallen, weil sie auf diesem Wege grundlegende Bedürfnisse befriedigen, die ihnen aus welchen Gründen auch immer jetzt oder in ihrer Kindheit verwehrt geblieben waren.
Das ist ja auch die Idee dahinter: das solche Strategien irgendwann mal überlebenswichtig waren, nun aber dysfunktional sind.
Es gibt aber eben auch andere Gründe, warum jemand impulsiv ist… Vielleicht springt da auch meine RSD an, das Gefühl nicht gesehen zu werden
Es gibt ja den Bullshit-Bingo-Satz „Du kannst dein ADHS nicht als Ausrede für alles benutzen.“
Das tue ich ja auch gar nicht, denn für mich ist die Aussage „das liegt gerade an meinem ADHS“ keine Ausrede nach dem Motto „Ich bin halt so, komm damit klar“ sondern es ist eine Erklärung „ich versuche es, aber es fällt mir sehr schwer, weil mir da meine Erkrankung zwischengrätscht.“
Ich will mich nicht darauf hinausreden, ich könnte mich nicht ändern, aber meine Verhaltensweise liegt nicht in charakterlicher Schwäche begründet und im Gegensatz zu dem, was in dem Buch steht, auch nicht nur in Kindheitserfahrungen, sondern eben auch in einer Erkrankung. Daran, dass mein Gehirn anders funktioniert.
Und da entsteht zumindest bei mir so ein innerer Widerstand von „da brauche ich andere Lösungsstrategien“.
Gleichzeitig triggert das meinen inneren Kritiker, der mich nicht sehr subtil darauf hinweist, dass ich keine spezielle Schneeflocke bin.
Okay, ich hab gerade einen Knoten im Gehirn
Aber vielleicht hat ja jemand auch noch Gedanken, Erfahrungen dazu?
Ich werde das Buch dennoch weiterlesen, da ich den Ansatz im Grunde gut finde, aber ich weiß noch nicht genau, was ich davon für mich wirklich annehmen kann.