Zu anspruchsvoll für eine Therapie?

Noch ein Gedanke dazu:

Die Bindungstheorie geht ja davon aus, dass sich sehr kleine Kinder zum einen explorativ verhalten, also ihre Umwelt erkunden wollen, zum anderen Bindung zu einer Person aufzubauen versuchen, um sich vor Gefahren zu schützen.

Dieser Bindungswunsch könnte allerdings voraussetzen, dass Gefahren überhaupt ausreichend wahrgenommen werden und ins aktuelle Bewusstsein geraten können - eine Fähigkeit, die bei ADHS bekanntermaßen oft unterentwickelt ist und das Bindungsverhalten von vorne herein anders gestalten könnte als ohne ADHS.

Die Folge könnte ein größerer Drang des Kindes nach Exploration und weniger nach Bindung sein als „normal“, was dem beobachtbaren Verhalten von ADHS-Kindern ja nicht gerade widerspricht (ständige Suche nach Neuem, Spannenden, „Sensation Seeking“).

Weitere „Risikofaktoren“ für „normales“ Bindungsverhalten könnten klassische ADHS-Problematiken wie eine zu starke Reizwahrnehmung (Körperkontakt wird ggf. als unangenehm empfunden), Hyperaktivität („Mein Kind wendet sich immer gleich wieder von mir ab“) und Regulationsstörungen (Kind lässt sich schlecht füttern/trösten) sein, die enge Bezugspersonen - auch bei besten Bindungsabsichten - auf eine harte Probe stellen.

Und kommen dann noch die in der Regel vorhandenen eigenen ADHS-Anteile der Eltern mit ins Spiel, dann könnten zusätzlich ganz ähnliche, dazu passende Bedürfnisse der Eltern mit daraus resultierendem Verhalten hinzukommen, was eine grundsätzlich ganz andere Bindungsdynamik zur Folge hätte und aus bindungstheoretischer Sicht den Stempel „unsicher-vermeidende Bindung“ nach sich ziehen würde.

Nur: Was sagt das dann tatsächlich über die Qualität der Bindung zwischen Eltern und Kind aus? Oder bewegt man sich mit einer solch negativen Bewertung nicht auf dem Niveau küchenpsychologischer Pathologisierungen wie Bindungsangst, Bindungsunfähigkeit usw.

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