Ich geb jetzt auch mal hier meinen Senf zu dem Thema, aus aktuellem Anlass.
Wird wieder viel zu lang, daher vorab wie immer das TL;DR:
Ich glaube nicht, dass Elvanse zu Abhängigkeit führt, allerdings kann es zu Selbstüberschätzung in Sachen Produktivität führen, unter anderem weil es die ADHS typischen Energieschwankungen über den Tag verteilt ausgleicht und generell etwas stimmungsaufhellend wirken kann.
Was wiederum darüber hinwegtäuschen kann, dass man bereits überdosiert ist, da die EIGENTLICHE Wirkung im so subtilen Bereich liegen sollte, dass man nichts konkret davon spürt, sondern „lediglich“ die progressive Verbesserung in diversen Lebensbereichen feststellen kann (aufgrund von mehr Durchhaltevermögen, weniger frustration und leichtere motivation zu weniger erfreulicheren Aktivitäten).
Nachdem mein BFF wegen Tinnitus/Kieferkrämpfen und einem generellen Abhängigkeitsgefühl beschlossen hatte erstmal wieder komplett aufzuhören, hab ich meine aktuelle Dosierung auch nochmal hinterfragt.
Ich bin jetzt schon seit ner ganzen Weile bei 30-30 oder 30-30-10 (Spritzendosierung) und fuhr damit eigentlich ganz gut.
Ich hatte auch noch nie Abhängigkeitsgefühle, aber er meinte das käme bei ihm auch erst ab dem zweiten Tag.
Er hatte das Abhängigkeitsgefühl aber auf ne Art auch schon vor dem Absetzen.
Er sagt zwar, er hätte das erst bekommen, als er paar mal ausgesetzt hat und dann sooo krass das Gefühl hatte gar nicht mehr zu funktionieren, dass er dadurch Angst vor der Abhängigkeit bekam.
Nun ist es ja so, dass das Medikament ja genau für die Leute da ist, die das Gefühl haben ADHS bedingt nicht richtig zu funktionieren.
Dass man vergisst wie schlimm das sein KANN, wird einem dann vielleicht auch dann erst bewusst, wenn mans mal weglässt.
Dazu kommt auch, dass es meiner Erfahrung auf jedenfall einen gewissen Energieeinbruch gibt, wenn mans absetzt, der das Gefühl noch zusätzlich verstärken kann.
Zusätzlich hatte aber auch schon von Beginn an gewisse Bedenken, dass es ihn gewissermassen Zombifiziert, sprich, nicht nur die emotionalen/kreativen spikes nach unten abschwächt, sondern eben auch die nach oben.
Zwar nicht so doll wie bei Methylphenidat, aber trotzdem auch (für ihn) bei Elvanse deutlich merkbar.
Nachdem er es dieses mal vorerst auf Dauer abgesetzt hat, berichtete er auch genau von dem Effekt wieder:
Erstmal krasser Energieeinbruch, dann aber „wiederfinden der Lebensgeister“.
Ich habe hingegen eher den Verdacht, dass er deutlich überdosiert war, vermutlich weil er generell im Gegensatz zu mir noch viel mehr mit Impulskontrolle und…Mässigung zu kämpfen hat.
Er nahm zuletzt 50-30, wobei er fast zwei Köpfe kleiner ist und entsprechend weniger wiegt.
Zwar gibt es ja Zweifel daran, ob das wirklich aufs Gewicht aufgerechnet werden kann und er hat das auch mit Zustimmung seiner Neurologin so gemacht, aber ich glaub allein Anhand der Beschreibung und der Nebeneffekte (die alle aber auch vorher schon mal vorkamen), dass er doch deutlich überdosiert war.
Was dann aber letzten Endes trotzdem dazu geführt hat, dass ich meine aktuelle Dosierung nochmal hinterfragt habe.
Die male, wo ich 70 auf einmal genommen habe, hatte ich immer ein deutliches Gefühl von Überdosierung, mit überhöhter Energie und Stimmung.
Bei weitem nicht in einem Mass, wie ich das von ähnlichen illegallen Substanzen aus der Vergangenheit schon gewohnt war, aber trotzdem recht deutlich.
Auf der anderen Seite hatte ich die ganzen letzen Monate mit meiner aktuellen Dosierung noch nie Einschlafschwierigkeiten, selbst wenn die letzten 10mg erst Abends um 19 Uhr genommen wurden.
Mein Problem war noch nie nicht einschlafen zu gehen, sondern einfach nicht natürlich so müde zu werden, dass ich nicht noch Lust hätte länger wach zu bleiben. Gibt ja IMMEr soooo viel zu tun…
Nach meinem 4 wöchigen Auslandsurlaub habe ich aber jetlag bedingt enorm schwierigkeiten, wieder einen normalen Schlafrythmus zu bekommen.
Wobei das sicher nicht der einzige Grund war, ich war noch ne Woche ohne familäre Verpflichtung allein zuhause im Anschluss und hatte keinerlei objektivem Stress, was beides normalerweise bei mir strukturgebend wirkt.
War jeden Abend bis 4-5 Uhr wach und stand am nächsten tag trotzdem pünktlich zu Arbeitsbeginn wieder auf der Mathe.
Und dass ich da dann so absolut keine Probleme hatte aus dem Bett zu kommen und kein bisschen müde war den ganzen Tag, hat mich dann doch etwas beunruhigt.
Ausserdem fiel mir auf, dass ich zwar schon öfter mal nen Tag lang ausgesetzt hatte (meist aus organisatorischen Gründen), aber noch nie mehr als das (meines Wissens nach) und mein BFF ja behauptet hatte, die „Entzugserscheinungen“ seien erst ab dem 1./2. Tag eingetreten, das wäre also eine gute Gelegenheit zwei Fliegen mit einer klappe zu schlagen.
Das Ergebnis:
- Ich war am ersten Tag wirklich saumüde.
- Am zweiten auch. am zweiten Tag hatte ich allerdings morgens auch einen super wichtigen Termin und schaffte es auch deswegen früher ins Bett zu kommen.
Seither ist mein Schlafrythmus wieder einigermassen ok.
Emotional hab ich allerdings sogut wir gar nichts gemerkt von irgendeinem Entzug oder einer Abhängigkeit.
Vielleicht so ein bisschen leichter gereizt, vielleicht bisschen empfänglicher für „hach…“ und „OMG“ Momente, also bisschen mehr moodspikes in beide Richtungen.
- Da ich also offenbar entweder besser dosiert bin oder weniger emfänglich für so Abhängigkeitsängste bin, fing ich wieder an mit meiner normalen Dosis.
- Schlafrythmus blieb einigermassen ok.
Mir fiel dann aber auch auf, dass ich seit ner Weile (also bereits vor dem Urlaub) schon das Gefühl hatte enorm tatkräftig und produktiv geworden zu sein, diverse lang schwelende Probleme angegangen war…aber auf ne gewisse Weise auch enorm viel „scheinproduktivität“ geleistet hatte:
Sprich, stundenlang im Internet recherchiert, in Foren rumgeschrieben und viel zu viele Listen und Tabellen angefangen hatte…
Und dass ich auch deswegen bisher noch nie länger als einen Tag abgesetzt hatte, weil ich mich ja so viel besser fühlte, soviel emotional stabiler und in der Lage Sachen zu Ende zu bringen.
Und trotzdem jedesmal, wenn ich mal überlegt hatte etwas länger auszusetzen (vor allem um mir bei der Wahrnehmung zu helfen, ob ich noch unterdosiert oder schon überdosiert sei, was mir bei Elvanse ja viel schwerer viel aufgrund der subtileren Wirkng), mich dagegen entschieden hatte, weil ich mir dachte:
„Hm, ne, grad schlechter Zeitpunkt, hab doch so viel zu tun wo ich funktionieren muss und mir auch keine 2 Tage aussetzen leisten könnte“.
Das würde ich also doch Irgendwie schon als Abhängigkeit bezeichnen.
Wobei ich nach wie vor nicht nachvollziehen kann, wie man da eine qualitative Unterscheidung machen kann zwischen dieser Art von Abhängigkeit (ohne nicht so gut zu funktionieren) und einer die rein körperliche „abhängigkeit“ zur Folge hat (Insulin/Schilddrüsenhormone etc)
Leztzten Endes versuch ich aber jetzt die Dosis auch wieder zu reduzieren, auf 30-20 erstmal, weil ich das Gefühl habe, dass das Elvanse es schon auch etwas leichter macht, sich von einem generellen Gefühl „produktiv“ zu sein antreiben zu lassen, anstatt die erhöhte „Ruhe“ wahrzunehmen und aus der heraus Dinge zu Ende zu bringen, anstatt immer noch mehr anzufangen…
Hab gelesen, dass bei ADHSlern oft das Problem ist, dass das sich VORSTELLEN ein Problem zu lösen/etwas zu erledigen schon zu der Art von „Belohnungsausschüttung“ im Gehirn führen kann, die neurotypische Mitmenschen erst bekommen, wenn sie es TATSÄCHLICH erledigt haben.
Und dass man da schnell in die „falsche Produktivitätsfalle“ tappen kann, wenn man dann aufgrund erhöhter Dopaminwerte sich NOCH MEHR VORSTELLEN kann zu erledigen, ohne es tatsächlich zu tun…
Damit hängt das Thema meiner Meinung auch zusammen.
Mein BFF zum Beispiel nimmt ausschliesslich die Medikamente, informiert sich aber nicht allzuviel über andere Strategien und nimmt auch keine Therapie/kein Coaching in Anspruch.