Lieber UlBre,
ich muss dir da leider widersprechen. Um als psychische Störung zu gelten muss man nicht zwingend selbst darunter leiden oder wissen, dass es eine Störung ist. Wichtig ist, das man eigenes Leid empfindet oder man damit anderen Leid zufügt.
Ein Beispiel für eine Störung, die einem selbst oftmals kein bewusstes Leid zufügt, sind Persönlichkeitsstörungen. Persönlichkeitsstörungen werden für gewöhnlich ich-synton empfunden. Das bedeutet, man versteht sie als Teil seiner selbst und hat kein Bewusstsein darüber, dass es eine Störung sein soll. Bei Depressionen ist das zum Beispiel anders.
Wie unterscheidet man dann aber zwischen einer Persönlichkeitsstörung und einem Charakterzug? Sagen wir zum Beispiel, eine Person hat eine dissoziale Persönlichkeitsstörung und sieht darin selbst kein Problem. Jedoch verletzt die Person andere, ist feindselig, aggressiv, gewalttätig. Damit fügt sie anderen Leid zu + sagen wir mal, die Person erfüllt auch all die Voraussetzungen für so eine Diagnose. Auch wenn die Person nun selbst keinerlei Einsicht zeigt, liegt eine psychische Störung vor. Würde die Person lediglich in geringem Ausmaß eine dissoziale Persönlichkeitsstörung aufzeigen, aber das Ausmaß und Bild reicht nicht für eine Störung, liegt vielleicht nur eine Persönlichkeitsakzentuierung vor. Also das dissoziale Verhalten ist zwar verstärkt, aber es reicht nicht, um als Störung zu gelten.
@disear @Lea
AD(H)S gilt als psychische Störung. Wieso sagt man nicht Krankheit dazu? Vor längerem wurde der Begriff psychische Störung für Erkrankungen im psychischen Bereich eingeführt. Theoretisch würden die meisten Störungen die Anforderungen einer Krankheit erfüllen. Der Hauptgrund war, dass der Begriff einer ,psychischen Krankheit“ einfach stark stigmatisiert wurde. Ich denke die meisten haben mal von „den psychisch Kranken“, „denen mit einem Knacks im Kopf“, von „den Gestörten“ gehört. Vor allem psychische Erkrankungen sind viel stärker stigmatisiert, als es körperliche Erkrankungen sind. Mittlerweile wandelt sich diese Stigmatisierung güzum Glück, aber leider geht es aktuell auch in die andere Richtung. Sodass psychische Störungen „ja nur Störungen sind. Keine Krankheiten. Also stell dich nicht so an, du bist ja gesund und empfindest kein Leid oder Beeinträchtigungen.“
Eine Krankheit ist eine ,Störung der Lebensvorgänge in Organen oder im gesamten Organismus mit der Folge von subjektiv empfundenen und/oder objektiv feststellbaren körperlichen, geistigen oder seelischen Veränderungen.“
(„Wörterbuch medizinischer Fachbegriffe“, 10. Auflage, 2021)
Laut WHO ist ,Gesundheit ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen."
Im Studium lernte ich, dass psychische Gesundheit ein Zustand ist, in dem ein Mensch keinen seelischen und geistigen Einschränkungen oder Störungen unterliegt und Gesundheit nicht nur die Abwesenheit von Krankheit ist. Psychische Störungen bedürfen unter anderem eigenem oder zugefügtem Leid.
Ob man selbst ADHS nun als einen Teil seiner Persönlichkeit sieht, es als Störung oder Krankheit betrachtet, ist ja jedermanns eigene Sache. Ich persönlich sehe es als Teil meiner Persönlichkeit und auch als Krankheit an. Aber psychologisch gesehen ist es offiziell eine psychische Störung und sie würde theoretisch die Anforderungen einer Krankheit aufweisen (so wie das Depressionen zB auch täten).
LG