Hallo ADHS Chaot,
ich finde, Du kannst es Dir hoch anrechnen, dass Du erkennst und Dir eingestehen kannst, dass Du ein Problem mit Alkohol hast. Das ist nicht selbstverständlich.
Dass Du es einige Wochen lang ohne Alkohol ausgehalten hast, zeigt zum Einen, dass Du eine Sucht hast, da Du das sonst nicht „aushalten“ müsstest, andererseits hast Du aber einen großen Vorteil gegenüber Schwerstabhängigen. Diesen ist es gar nicht mehr möglich, kurz zu pausieren, weil dann zum Teil lebensbedrohliche Entzugssymptome einsetzen.
Der „Nachteil“, dass Du noch nicht so tief drin steckst, liegt meiner Meinung nach darin, dass Du eher Gefahr laufen könntest, es dir schön zu reden und die Sucht weniger ernst zu nehmen, wenn Du mal Lust auf ein Bierchen bekommst.
Unsere Gesellschaft macht es einem leider immens schwer, nicht zu trinken. Wenn ich keinen Alkohol bestelle, muss ich mir teilweise anhören, ich wäre eine Spaßverderberin oder mich dafür rechtfertigen, warum. Alkohol ist überall verfügbar und es wird schon fast erwartet, dass man zum Gläschen greift, sobald die 20 Uhr–Marke überschritten ist oder eine Feier ansteht. Dass Alkohol zwar legal ist, aber trotzdem eine Droge ist, wird ignoriert.
Das „eigentlich“ kannst Du streichen. Alkohol ist komplett unnötig und schadet der Gesundheit. Du sparst weit mehr als Kalorien ein, wenn Du es nicht konsumierst. Falls bei Dir trotzdem innerlich noch ein „eigentlich“ mitschwingt, überlege Dir am Besten, welche Funktion Alkohol für Dich wirklich hat und suche eine andere (gesunde) Lösung für das Problem.
Es ist eine tolle Leistung, dass Dir das bewusst geworden ist und Du den Gedanken zugelassen hast! Ernsthaft! Viele Menschen verdrängen das.
Ich habe keine Tipps aus der Praxis und bin keine Suchtexpertin – das kurz vorweg. Einige Gedanken und Ideen kommen mir dazu aber schon, die ich im Folgenden kurz auflisten möchte. Vielleicht nützt Dir ja das ein oder andere?
-
Gestehe Dir die Sucht ein. Das klar zu formulieren, und bewusst in Kategorien zu denken („süchtig“ vs. „clean“, ohne Grauzone) könnte helfen, die Hemmschwelle zu erhöhen, wenn Du Lust auf „ein Bierchen“ bekommst. Außerdem ist das wie ein Startknopf dafür, ernsthaft etwas dagegen zu tun.
-
Informiere Dich über Alkohol und Alkoholismus, z. B. auf der Infoseite der BZgA. Auf diese Weise wirst Du ein Experte darin, Signale Deines Körpers und Deiner Psyche zu deuten, und zu verstehen. Du kannst die Wirkung von Alkohol einschätzen und wirst Dir der Einflüsse Deiner Umwelt stärker bewusst.
-
Konfrontiere Dich mit abschreckenden Beispielen von Fällen, in denen Menschen davon erheblichen Schaden (körperlich, psychisch, sozial, existenziell) davongetragen haben. Am Besten, indem Du persönlich mit den Betroffen in Kontakt trittst, z. B. über eine Selbsthilfegruppe.
-
Triff eine klare, bewusste Entscheidung, ob Du Alkohol trinken wirst, oder nicht. Grundsätzlich bin ich bei Schlingelprinz, wenn es um Abstinenz bei Alkoholismus geht:
Alkohol ist übrigens auch in Nahrungsmittel und Medikamenten. Wenn man süchtig ist, können manchmal sogar diese kleinen Mengen triggern. Es lohnt sich daher, ein wenig darauf zu achten, ob das passiert und auf die Packung zu schauen, falls Du unerwartet Lust auf Alkohol bekommen solltest.
Vielleicht hilft es auch, nicht das Wort „Verzicht“ zu wählen. Du suggerierst Dir damit, dass etwas fehlt, wenn Du ihn nicht trinkst. Dabei fehlt Dir doch eigentlich viel mehr, wenn Du es tust: Selbstbestimmtheit, Freiheit, Gesundheit,…
Nur Du kannst für Dich entscheiden, ob Du bereit bist, komplett dem Alkohol zu entsagen und ob Du das überhaupt möchtest.
Falls die Antwort „nein“ lautet, gestehe Dir das bitte auch ein. Dann bist Du wenigstens ehrlich zu Dir selbst und verdrängst nichts. Du kannst Dir immer noch zu einem späteren Zeitpunkt die Frage erneut stellen (am Besten den Termin gleich festlegen und im Kalender notieren).
Wenn die Antwort „ja“ lautet, triff die Entscheidung ganz bewusst und unwiderrufbar. Du könntest das mit einer kleinen Zeremonie verbinden. Um es ganz ernst zu machen, kannst Du Deine Entscheidung auch mit Deinem sozialen Umfeld oder mit uns hier teilen. Zum Einen wissen diese Menschen dann, dass sie Dir nichts anzubieten brauchen, zum Anderen schaffst Du Verbindlichkeiten. Falls Du Menschen in Deinem Umfeld hast, die Dir enreden möchten, das sei doch alles gar nicht so schlimm und Du solltest das nicht so eng sehen: höre ihnen nicht zu. Nur Du entscheidest, was für Dich gut ist, und was nicht und niemand sonst.
-
Hole Dir Unterstützung! In einer Selbsthilfegruppe, bei Deinem Hausarzt, einem Psychiater, einer Beratungsstelle, in einem online–Chat oder sogar bei der Telefonseelsorge. Du musst nicht warten, bis die Sucht ausartet. Man wird Dich dort auch mit einem mäßigen Alkoholproblem ernst nehmen und es wertschätzen, dass Du Dich frühzeitig um Dich selbst kümmerst.
-
Lasse Dein ADHS fachkundig behandeln, falls noch nicht geschehen. ADHS kann Suchtdruck erhöhen und eine gute Behandlung könnte helfen, dem entgegenzuwirken.
-
Suche Dir professionelle Hilfe in Bezug auf Dein Schlafproblem. Da Alkohol für Dich noch eine Funktion hat, nämlich, dass Du dann vermeintlich besser schläfst, solltest du das Problem beheben, soweit möglich. Dabei kann Dir ein Arzt (Hausarzt, Psychiater, Achlafmediziner, Neurologe) helfen. Wenn Du die Ursache angehst (vielleicht schlecht behandelter ADHS, eine undiagnostizierte Schlafapnoe, schlechte Schlafhygiene….es gibt tausende mögliche Gründe), verliert der Alkohol seine Funktion.
Fun fact nebenbei: viele Menschen glauben, dass sie mit Alkohol besser achlafen, da man in der Regel schneller einschläft. Fast immer ist es aber so, dass die Schlafqualität unter Alkoholeinfluss erheblich leidet und das Problem dadurch nur chronifiziert wird.
Plus: mit ausreichend Schlaf wird der Suchtdruck vermutlich auch etwas abnehmen.
-
Plane im Voraus den Ernstfall durch. Soll heißen, bereite Dich auf die Situationen vor, in denen Du Verlangen nach Alkohol bekommst, damit Du von ihnen nicht kalt erwischt wirst. Eine Strategie zu finden und gesunde Entscheidungen zu treffen, während man vom Verlangen überwältigt wird, oder man unbewusst zur Flasche greift, ist sehr, sehr schwer. Viel leichter fällt es, wenn Du Dir vorher einen „Notfallplan“ zurechtgelegt hast, den Du ohne weiteren gedanklichen Aufwand durchziehen kannst. Du kannst Dir z. B. auf ein Blatt Papier schreiben, was Du Dir dann selbst sagen möchtest, was Du konkret tun wirst und/oder wen Du anrufen wirst. Falls Du dazu Hilfsmittel (Kaugummi, Wanderschuhe, eine weiche Decke, Melatonin–Spray, Lieblingstee, Telefonnummern,….) benötigst, lege sie Dir griffbereit zurecht.
-
Sei gut zu Dir selbst. Indem Du gut mit Dir selbst umgehst, also z. B. innerlich so mit Dir redest, wie Du es mit einem guten Freund tun würdest, und Selbstfürsorge betreibst, entwickelst Du eine positive Grundhaltung Dir selbst gegenüber. Langfristig wird es dann schwieriger, Handlungen auszuführen, die Dir schaden. Selbstfürsorge sollte immer ein Bestandteil Deines Alltags sein, ganz unabhängig davon, wie der Status des Alkoholkonsums ist. Und sie wird Dich auch in anderen schwierigen Situationen auffangen, wenn Du mal äußerlich den Halt verlierst.
Liebe Grüße!