Bezeichnung/Name für ADHS

Hi,
Ich habe eine Frage dazu, wie ihr ADHS anderen Menschen, die ihr z.B. kennengelernt habt, erklärt und welche Bezeichnung ihr dafür nutzt?
Krankheit, Persönlichkeitsstörung, Psychisch Auffällig, Behinderung?
Ich fühle mich ja nicht krank, behindert oder ähnlich… ich kenne mich ja nicht anders.
Das wäre wiklich hilfreich auf Ideen zu kommen, wasman da sagt und wenn ich eine kurze Version habt, das zu erkären, super.

Danke…
Und Grüße

Hallo.:blush:
Ich weiß, dass viele hier das anders sehen werden. Und das ist auch völlig okay und legitim. Ich persönlich sehe mein ADHS primär nicht als Störung oder Krankheit. Ich verstehe die Notwendigkeit dieser Einordnung, gerade auch in Bezug auf medizinische und therapeutische Unterstützungsmöglichkeiten und da der Dopaminhaushalt gestört ist. Und ich verstehe auch, dass es genau das für viele Betroffene ist - eine Störung, die sie beeinträchtigt. Und nicht alle individuellen und strukturellen Beeinträchtigungen werden sich wahrscheinlich rein mit dem „Die neurotypische Gesellschaft beeinträchtigt die neurodivergente Person“ erklären lassen. Ich vermute aber auch, es sind einige mehr, als man zunächst vielleicht glaubt.

Ich fühle mich durch mein ADHS-Gehirn auch häufiger herausgefordert oder wünschte, mir fielen manche Dinge so leicht wie neurotypischen Personen. Aber wie viel gesellschaftliche, internalisierte Erwartungshaltung dabei ist und wie viel wirklich intrinsisch entstanden ist, kann ich ehrlich gesagt nicht beurteilen. Durch mein ADHS-Gehirn habe ich definitiv Schwächen. Ich denke aber auch, dass mein ADHS ursächlich für einige meiner Stärken ist. Es gehört halt zu mir. Zu meiner Persönlichkeit. Und prägt diese dementsprechend maßgeblich. Schwächen und Stärken hat ja erst mal jeder Mensch.:blush: Inwieweit diese zum Tragen kommen, ist oft auch vom Umfeld und Kontext abhängig (aber natürlich auch von individuellen Faktoren wie der Ausprägung, Intelligenz, etc.).

Aber ich schweife ab. Ich beschreibe mein ADHS (explizit meins, ich möchte von niemandem den Leidensdruck relativieren!) als spezifische (neurodivergente) Persönlichkeitsstruktur, aus der teilweise andere Ressourcen, Schwächen und Bedürfnisse resultieren als bei anderen (neurotypischen) Persönlichkeitsstrukturen. Weil mein Gehirn teilweise anders funktioniert und eine neurologische Variante von vielen ist.
Ich bin sehr reizoffen und kann all die Reize schlecht filtern. Dadurch nehme ich viel wahr und bin sensibel für meine Umwelt und Mitmenschen. Aber es kann mir dadurch auch schwer fallen, fokussiert zu bleiben.

Das ist grob meine Erklärung. Je nach sozialem Kontext sage ich außerdem entweder „Ich bin ADHS-lerin“ (was ich präferiere, da diese Formulierung nicht pathologisch ist) oder der Einfachheit halber auch „Ich habe ADHS“, was zwar pathologisch konnotiert ist, aber halt gängiger.

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Mein ADHS ist für mich mit weiteren Herausforderungen verbunden. Es ist für mich keine Krankheit, aber ich sehe es schon als herausfordernde Einschränkung für mich persönlich.
Mir fallen viele Sachen wesentlich schwerer als neurotypischen Personen. Ja gewissermaßen definiert es auch meine Persönlichkeit, weil einige Wesenszüge natürlich maßgeblich vom ADHS beeinflusst werden. Wie z.B. das Erkennen von Strukturen, Zusammenhängen und komplexen Systemen fällt mir nicht schwer. Neurotypische haben kein „Problem“ damit. Sie sind damit nie in Berührung gekommen. Ein anderer Charakterzug ist auch mein Mitgefühl für andere Menschen und mein sehr großer Gerechtigkeitssinn. Neurotypische können das in keinster Weise nachvollziehen.
Aber auch solche Sachen wie meine manchmal sehr gedankenlose Art, Dinge, die besser hätten nicht gesagt werden sollen, doch von den Lippen zu lassen und dadurch ein heiloses Chaos anzurichten. Genauso auch einfach manche Leute an die Wand quatschen und denen nicht mal die Chance lassen irgendwas zu sagen. :face_with_peeking_eye:
Das sind Sachen, die finden Neurotypische seltsam und komisch. Dann fühle ich mich oft wie das Alien und merke mal wieder, dass ich irgendwie gesellschaftlich nicht wirklich in die Norm passe. Ob es jetzt wegen meiner Hörbehinderung ist, oder wegen dem ADHS. Ich war schon immerin der Außenseiterrolle, obgleich ich Schulen für hörbehinderte besucht habe.
Es schränkt mich dadurch in meiner gesellschaftlichen Teilhabe durchaus ein, schon allein das Gefühl „nicht zu passen“, sorgt oft genug dafür, dass mir die Gesellschaft sehr fremd ist und ich mich in meinen Möglichkeiten das zu tun, was Neurotypische können, eingeschränkt sehe.

„Hey. Wie wäre es mit nem Besuch auf dem Jahrmarkt?“
„Ne, du danke. Lass mal. Die ganzen Lichter und so. Überreizt mich sehr schnell.“
Darauf folgen dann nicht selten komische Blicke, die mit einem „Die ist seltsam“ vergleichbar sind. Gibt mir kein gutes Gefühl und schränkt mich ein.

Aber ich bin sowas mitlerweile gewohnt. Es ist für mich meine normale Realität.
Ja, es ist eine Herausforderung, ja, es schränkt mich ein. Ist es trotzdem etwas was mich auch zu dem macht, wer ich bin? Ja, auch das. Bin ich mein ADHS? Nein. Ist es ein Teil von mir? Ja.

Wie ich es meiner Umwelt erkläre? Kommt auf die Situation an. Ich entscheide es selbst spontan, wie ich mich oute und ob ich es tue. Das kann ich nie pauschal beurteilen, sondern lasse es eher auf mich zukommen.
Auch wie genau und detaliert ich es erkläre, überlasse ich der spontanen Situation.

Hilft es ein bisschen?

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Ich nenne es „Special-Effects“!

Adhs sorgt dafür dass ich nicht neurotypisch funktioniere, das kann ich nicht beeinflussen.

Bestimmte neurotypische Eigenschaften hab uch nicht, dafür hab ich andere Vorzüge und Eigenschaften, die neurotypische Menschen nicht haben. (Flexibilität, schnelles Denken, eher Multitasking fähig, kreativ, schnell Dinge umsetzen, schnell auf Veränderungen reagieren, Situationen gut und schnell einschätzen… und.v.m.)

Das macht oft andere Dinge wett!

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Ich sage nichts dazu. Geht niemanden was an.

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Eine genetische Kondition mit Vor- und Nachteilen.

Ich mag die Erklärung von Heiner Lachenmeier sehr gerne und kann auch den Vortrag von ihm auf YouTube sehr empfehlen!

https://adhs-lachenmeier.ch/adhs/

Ich fühle mich nicht krank oder behindert. Aber ich habe Stärken und Schwächen und je nach Umgebung/ Anforderungen schränken mich diese Schwächen ein.

Es ist eine andere Art der Wahrnehmung.

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Ich bezeichne es als Neurodivergenz. Zwar fühle ich mich im Alltag sehr eingeschränkt und leide, dies liegt aber einfach daran, dass die Neurodivergenz nicht kompatibel mit den Gegebenheiten und Anforderungen unserer heutigen Gesellschaft ist. Somit finde ich es sowohl aus einer moralischen, als auch aus einer medizinischen Perspektive falsch, dies als Krankheit oder Störung zu bezeichnen.
Es wäre schön, wenn man Menschen wie uns, sofern der Bedarf besteht, auch ohne „Krankheitsstempel“ unterstützen würde. Da braucht es meiner Meinung nach wirklich mal ein Umdenken in unserem Gesundheitssytem.

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Unsere Welt und damit unsere Gesellschaft ist aber wie sie ist und sie kann und sollte nicht der Maßstab dafür sein, ob ADHS nun als Krankheit deklariert wird oder nicht.
Fakt ist, dass AD(H)S als Störung in DSM und ICD gelistet ist und damit sollten wenigstens wir als Betroffene klarkommen und froh sein, dass wir endlich etwas in der Hand haben, das wir den ADHS-Leugnern dieser Welt entgegen halten können.

Warum ist denn ein Krankheitsstempel so schlimm für dich? Diabetes ist auch eine Krankheit und Millionen Menschen arbeiten damit und führen damit ein gutes Leben!
Kranke Menschen sind keine schlechteren Menschen!

Vielleicht überdenkst du mal dein Krankeitsbild, statt von unserem Gesundheitssystem etwas zu fordern, dass es nie zu leisten in der Lage sein wird!

Für Leistungen aus der Solidarkasse benötigt man immer eine bestätigte Bedürftigkeit und diese bietet der „Stempel“.

Ich bin auf jeden Fall froh, dass ich medizinisch als krank bzw. als gestört gelte und deshalb Medikamente und Therapie bezahlt bekomme.

Das Filtermodell trifft es wirklich so sehr auf Punkt.

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Richtig. Ich habe überhaupt nichts gegenteiliges behauptet.

Weil es oft zu Stigmatisierungen führt.

Nein.

Damit stigmatisierst du ja dich selbst und andere auch…das ist dir schon bewusst oder?

Wenn sich Betroffene selbst stigmatisieren, dürfen sie sich wundern, wenn dies andere auch tun.

@Andromache Da muss ich widersprechen. Unabhängig von ADHS ist Störung, Krankheit und Normalität nicht eindeutig definiert. Auch Gesundheit nicht (nachzulesen beispielsweise bei Tebartz Van Elst 2018). Medizinisch wird meist von einer statistisch durchschnittlichen Funktionalität ausgegangen (ganz kurz gesagt). Diese ist aber keinesfalls fix, sondern veränderbar. Auf dieser Grundlage funktioniert unser Gesundheitssystem. Klar, irgendwelche Richtwerte braucht man.

Das Problem dabei: Alles, was „anders“ ist, also abweichend von der gesellschaftlich anerkannten Normalität, ist automatisch negativ konnotiert. Wir streben nach Zugehörigkeit, dafür müssen wir uns dem Normalfeld so gut es geht annähern. Daher besitzen Abweichungen vom Normalfeld stets eine Signalfunktion, nach dem Motto „Schlechter, da nicht normal, Funktionalität/Normalität muss hergestellt werden“ (Normalismustheorie von Link). Das ist bei einem gebrochenen Bein relativ unproblematisch, bei neurologischen Varianten wie ADHS oder Autismus aber schon komplexer und durchaus kontrovers, da beide Seiten gute Argumente vorbringen können.

Aber so entsteht eine grundlegende Stigmatisierung von Andersartigkeit. Deklariert man ADHS nun als Störung, so ist auch das gesellschaftlich negativ konnotiert. Der „Krankheitsstempel“ bedeutet, dass anders meist automatisch schlechter ist und durch Medizin und Therapie an die geforderte Normalität angeglichen werden soll. Leider ist es daher aus gesellschaftlicher Perspektive (die unser Handeln und Beurteilen maßgeblich prägt) nicht korrekt, dass anders nicht automatisch schlechter bedeutet. Das wäre wünschenswert. Ist aber noch lange nicht erreicht.

Es ist okay, wenn du als betroffene Person die medizinische Störungsdefinition von ADHS als hilfreich empfindest und der Einordnung als Störung auch zustimmst.
Aber da es nicht eindeutig ist, sollte man meiner persönlichen Ansicht nach auch zumindest die Existenz der von seiner abweichenden Meinung anerkennen und nicht abtun.:slightly_smiling_face: Das gilt natürlich für Vertreter:innen beider Seiten.

Es ist daher genauso okay, wenn Betroffene das anders sehen und die Festlegung von Normalität an neurotypischen Maßstäben ablehnen und stattdessen ein diverseres Spektrum als gesellschaftlich akzeptiert fordern. Das heißt nicht, dass man sich selbst stigmatisieren würde.

Man muss natürlich auch aufpassen, dadurch den Leidensdruck anderer nicht zu relativieren. Da hier aber explizit nach persönlichen Einschätzungen gefragt wurde, hatte zumindest ich nicht das Gefühl, dass hier pauschalisiert wurde. (Das hat auch niemand behauptet, ich sage es, weil ich weiß, dass das ein sehr kontroverses und sensibles Thema sein kann mit hohem Konfliktpotenzial).

Man kritisiert damit nicht per se das Gesundheitssystem oder lehnt medizinische Hilfe ab. Man kritisiert den Anpassungsdruck, der für manche intrinsisch motiviert sein mag, für andere aber eher unbewusst oder bewusst erworben ist.

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Sorry, aber wir sprechen im Zusammenhang von ADHS von Symptomen, Diagnostik und ADHS wird medikamentös sowie pschologisch therapiert. Wie ich bereits oben ausgeführt habe, ist ADHS mittlerweile in ICD und DSM gelistet.

Was also daran ist deiner Meinung nicht eindeutig?

Dein HInweis auf Tebartz Van Elst von 2018 greift hier leider nicht mehr, denn das ist veraltet. Die explizite Aufnahme von ADHS in das ICD fand kurz danach statt.

Du hast dir mit deinen Ausführungen sehr viel Mühe gegeben, aber meiner Meinung nach macht man sich doch mit diesem ganzen Begriffskarussell selbst etwas vor. Das ist so, als würde man sich trotz Konfektionsgröße 40 in Kleidergröße 38 zwängen, nur um zu sagen, dass man 38 trägt. Aber die Wahrheit ist nun mal, dass man Konfektionsgröße 40 hat…

Indem ich mich selbst dafür verurteile, dass ich nicht der Norm entspreche, trage ich selbst dazu bei, dass diese Stigmatisierung weiter aufrechtgehalten wird. Irgendwann muss man sich der Realität stellen und das sollte man zu einem Zeitpunkt tun, wenn man noch die Chance hat, das Beste daraus zu machen und nicht erst dann, wenn man nur noch reagieren kann.

Man kann die Gesellschaft nicht dafür verurteilen, dass sie Normabweichungen stigmatisiert und es dann selbst tun.

Das habe ich auch gar nicht behauptet, sondern lediglich bemerkt, dass die Forderung nach medizinischer Hilfe ohne Krankheitsstempel absolut unrealistisch ist.
Wenn du so sehr auf die Feinheiten achtest, dann tue das bitte auch bei meinen Kommentaren.

EDIT: Sorry, ich hatte deinen Hinweis auf Tebartz van Elst falsch interpretiert, aber auch in diesem Zusammenhang muss ich widersprechen, denn die WHO definiert den Begriff der Gesundheit eindeutig:
Laut Weltgesundheitsorganisation ist die Gesundheit eines Menschen ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens

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@Andromache Danke für deine begründete Antwort.:blush: Ich finde es sehr schön, wenn man unterschiedlicher Meinung sein und trotzdem respektvoll und sachlich diskutieren kann. Das wollte ich mal kurz als positiven Punkt anmerken.

Da ich nichts falsch wiedergeben möchte, zitiere ich jetzt viel. Das Buch („Autismus und ADHS. Zwischen Normvariante, Persönlichkeitsstörung und neuropsychiatrischer Krankheit“ von Tebartz van Elst 2018) habe ich gerade gut zugänglich im Regal stehen. Es gibt aber natürlich noch weitere Quellen dazu. Sei mir bitte nicht böse, wenn ich die heute nicht mehr raussuche und benenne.:confused: Wenn du Interesse haben solltest, hole ich das aber gerne nach.

Der ICD10 und DSM5 orientieren sich an einer medizinisch ausgerichteten Normalität. Tebartz van Elst führt beispielsweise eine Studie von Hess und Haas aus dem Jahr 2015 an, die zu dem Ergebnis kommt, dass Gesundheit und Krankheit „immer notwendig relationale Begriffe bleiben werden, welche sich in Hinblick auf ein Bezugssystem definieren. Solche Bezugssysteme können unterschiedlicher Natur sein … Sie können statistischer Natur sein, sie können funktionaler Natur sein oder aber als sozial-normative, moralische Systeme von der Bezugsgruppe vorgegeben werden. Hess und Herr betonen, dass der Begriff Krankheit immer und notwendig auch auf sozial-normative Bezugssysteme ausgerichtet ist“ (Tebartz Van Elst 2018, S. 31f.). Es spielen also bei der Beurteilung immer auch gesellschaftliche Normerwartungen eine Rolle. Auch statistisch bleibt ja die Frage, an welcher Stelle etwas noch als normal gilt und ab wo nicht mehr? In Bezug auf Gesundheit ist diese Aufteilung von Standardabweichung und Krankheit/Störung unter anderem eben auch geprägt von subjektiven Bewertungen und nicht nur auf Grundlage rein objektiver Statistik.

Was ist denn „vollständiges Wohlergehen“? Kein Mensch wird 24/7 100% gesund sein nach dieser Definition. Ab wann hat es also Krankheits-/Störungswert? Das festzulegen ist wieder der gesellschaftlich geprägte, nicht eindeutige (weil nicht objektiv messbare) Aspekt.

Du hast Recht damit, dass ICD-10 und DSM 5 sowie die von dir zitierte Definition zunächst erst mal eindeutig klingen. Sind sie aber genauer betrachtet nicht. Zumindest nicht in Bezug auf die zugrundeliegende Gesundheitsdefinition. Eben weil sie einen allgemeingültigen, objektiv messbaren Krankheitsbegriff suggerieren, den es aber so nicht gibt.

Der Störungsbegriff im DSM5 spricht bei der Definition einer Störung beispielsweise von einer klinischen Relevanz, einer Störung von Verhalten, Emotion oder Kognition, einer Dysfunktion als verursachenden Faktor, einem signifikanten Leidensdruck und dem Ausschluss sozial abweichenden Verhaltens, das nicht direkt aus der Störung resultiert.

  • Klinische Relevanz ist sozial-gesellschaftlich abhängig, da diese quasi entscheidet, ab welcher Ausprägung etwas überhaupt als wichtig und ausgeprägt genug, als klinisch relevant zählt.
  • Bezüglich einer Störung spielen vor allem eine biologische und eine statistische Norm eine Rolle. Beides sind nicht zwangsläufig starre Werte.
  • Leidensdruck: „Ob diese Eigenschaften aber überhaupt eine Bedeutung im Alltag der Betroffenen haben, hängt von der Gesellschaft und der Referenzgruppe ab, in der sie ihr Leben verbringen. Und wie sie mit solchen Vorteilen oder Nachteilen umgehen, bestimmt, ob daraus Stärken oder Schwächen werden. Wie sehr solche Stärken und Schwächen schließlich mit einem Leidensdruck verbunden sind, hängt wiederum mit der Bewertung der Betroffenen und ihrer Umwelt zusammen. Der Punkt des signifikanten Leids … ist also offensichtlich einer, der sich an einer sozialen oder gesellschaftlichen Realität bzw. Norm orientiert“ (ebd., S. 41).
  • sozial abweichendes Verhalten bezieht sich auf explizite und implizite gesellschaftliche Verhaltenserwartungen.

Der psychische Störungsbegriff ist also orientiert an sozialen und gesellschaftlichen Normalitätsvorstellungen. Wendet man die aktuellen an, dann ist ADHS laut ICD10 und DSM5 eindeutig eine Störung, da es dort ja darunter klassifiziert wird. Ich glaube, diesbezüglich sind wir uns sogar einig?
Diese Klassifizierung erfolgt aber nicht auf einer objektiven, eindeutigen Grundlage, sondern auf Basis eines gesellschaftlich veränderbaren Normalitätsverständnisses. Und an dem Punkt sind wir unterschiedlicher Meinung, glaube ich.
Ich widerspreche dir nicht bezüglich der Eindeutigkeit, dass der ICD10 sagt: „ADHS=Störung“. Sondern ich möchte darauf hinaus, dass diese Definition nicht auf eindeutigen, objektiv messbaren Kriterien beruht und daher durchaus auch hinterfragt werden darf.

Durch das Hinterfragen stigmatisiere ich mich meiner Meinung nach aber nicht selbst. Da verstehe ich deinen Gedankengang ehrlich gesagt nicht? Ich hinterfrage ja nur die Definitionsauslegung. Und auch da sage ich ganz klar: Ist komplex, teilweise auch individuell und kontrovers. Und die Auslegung kann ich hinterfragen, ohne ADHS für mich selbst negativ zu konnotieren.

Meine Definition hat ihre Legitimation, ist aber nicht definitiv richtig. Die aktuelle medizinische Definition hat auch ihre Legitimation. Aber auch sie ist nicht definitiv richtig. Eben da zu viel Spielraum im Auslegen und Bewerten zentraler Begriffe besteht, um im Sinne der Definition selbst von einer Eindeutigkeit zu sprechen. Verstehst du, was ich meine? Es ist eine Interpretationssache, plakativ gesagt.

Das ist deine Meinung und auch völlig in Ordnung und legitim.:slightly_smiling_face: Meiner Meinung nach spiegelt Sprache gesellschaftliche Diskurse wider und kann diese aber auch mit prägen / forcieren. Daher achte ich sehr darauf und versuche, mich sprachsensibel auszudrücken.

Aber ich verurteile mich doch nicht dafür, nur weil ich die Definition von gesellschaftlichen Normen als Maßstab für Normalität kritisiere? Oder verstehe ich da deinen Gedankengang falsch? Nicht ich als Individuum bewerte anders als schlecht. Das ist gesellschaftlich geprägt, so werden wir sozialisiert und diese internalisierten Denkmuster kann man meiner Meinung nach nur durch Sensibilisierung, Hinterfragen und Reflektieren aufarbeiten und gegebenenfalls überwinden.

Bitte entschuldige. Das war keine Absicht. Ich habe es scheinbar falsch verstanden.

Die ganzen Ausführungen sind nicht böse, überheblich oder sonst was gemeint. Hoffentlich kommt das nicht so rüber.:confused: Es sind halt einfach genau die Themen, mit denen ich mich wissenschaftlich auseinandersetze und die ich super spannend finde. Gerade auch aufgrund der gesellschaftlichen Kontroverse. Ich empfinde den Austausch mit dir daher als sehr anregend. Denn ich verstehe zwar einige deiner Gedankengänge nach wie vor nicht und/oder teile sie nicht. Aber trotzdem regt es mich natürlich zum Nachdenken/Überdenken an und hilft mir dabei, meine eigene Haltung immer weiter differenzieren zu können.:slightly_smiling_face:

Liebe @anon39980665,

ich schätze deine dezidierte Beschäftigung mit dem Thema sehr, aber bei so viel Sprachsensibilität bin ich ganz klar der Meinung, dass man so jedes Thema auch vollkommen zerreden kann.

Jedes Thema kann man unter ethischen, sprachwissenschaftlichen, soziologischen, gesellschaftspolitischen, kulturellen, historischen und strukturellen Aspekten betrachten. Aber das wird immer dazu führen, dass man dieses Thema vollkommen zerredet und nie auf einen gemeinsamen Nenner kommen wird.

Meiner Meinung nach vermischt du hier zu viele Bereiche und Aspekte miteinander und ziehst daher auch den Schluss der fehlenden Eindeutigkeit.

Wenn du wissenschaftlich arbeitest, dann musst du auch zur Kenntnis nehmen, dass eine Studie nicht der Wahrheit letzter Schluss ist und es bei Studien auch immer auf die Methodik ankommt. Man kann sich immer auf eine Studie berufen, aber meistens gibt es mindestens eine Studie, die zu einem anderen Ergebnis kommt. Die zweite Frage ist dann die nach der herrschenden Meinung und nach der Mindermeinung.

Die Frage, ob eine Hirnfunktionsstörung, die medizinisch und psychologisch mehr oder weniger behandelbar ist, eine Störung, eine Erkrankung oder doch nur ein „Problem“ darstellt, kann doch nicht soziologisch oder mit Blick auf gesellschaftliche Aspekte beantwortet werden. Diese Diskussionen führt man bei Krebs oder Diabetes doch auch nicht…warum dann aber bei ADHS?

Wie gesagt: Man kann alles zerreden, wenn man es von allen Seiten beleuchtet. Daher man sollte begreifen, dass nicht alle Strahler auf alle Themen passen und Meinungen sowie Emotionen immer von Fakten trennen!

Ich halte mich an die Fakten und die passenden Strahler und daher kommen für mich ausschließlich die Medizin, die Neurobiologie und die Psychologie als die passenden Strahler für die Bewertung von ADHS in Frage.

Es ist soziokulturell und biologisch begründet, dass Abweichungen von der Norm von der Gesellschaft mehr oder weniger als Bedrohung und als falsch empfunden werden. Diese Tatsache als Bewertungsmaßstab dafür zu nehmen, ob ADHS pathologisch ist oder nicht, kann ich nachvollzehen, aber trotzdem nicht verstehen.

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Ich persönlich erkläre anderen Adhs als Krankheit, ganz einfach deshalb weil Adhs in der ICD Liste der Who offiziell aufgeführt ist, und das wäre nicht so wenn Adhs’ler* nicht beeinträchtigt wären.

Ausserdem weil nur Menschen die krank sind regelmässig Medikamente einnehmen müssen damit sie ihren Tag überstehen.

Man muss sich ja nur z.B. mal hier kreuz und quer durch das Forum lesen und sieht Hauptsächlich nur Beiträge in denen es entweder um die verschiedensten Adhs Medikamente und oder die richtige Dosierung geht, meiner Meinung nach brauchen gesunde Menschen keine Medikamente und Psychotherapien.

Ausserdem kommt Adhs ja selten allein, da hängt meistens ein ganzer Rattenschwanz dran, heisst Depressionen, Angststörungen, Süchte, usw., usw. gehören meistens dazu, ausserdem lässt sich Adhs oft auch nicht „sauber“ von Autismus „abgrenzen“.

Und wenn man sich hier mal z.B. durch das Forum durchliest, dann sticht einem eigentlich vor allem eines ins Auge, nämlich seeehr viele „Leidensgeschichten“.

Das hier mal jemand geschrieben hätte: „Mir geht es trotz meines Adhs Super“, habe ich glaube ich hier im Forum noch nie gelesen.

Was mir persönlich auffällt, ist das viele trotzdem das wahre Ausmass ihrer Beeinträchtigung nicht wahr haben wollen, selbst dann nicht wenn sie bereits einen Burnout hinter sich haben und/oder in psychologischer Behandlung waren, oder wenn sie seit Jahren, oder sogar Jahrzehnten, bereits Adhs Medikamente einnehmen müssen das sie ihren Alltag einigermassen geregelt kriegen, oder es in der Schule, Uni oder am Arbeitsplatz besser klappt, oder ihre Beziehungen länger halten, oder es im Familienleben weniger Probleme gibt, usw. .

Aber klar, wer möchte sich selbst schon gerne eingestehen das er psychisch nicht wirklich gesund ist?, da redet man sich lieber ein das man eben „nur anders und sehr speziell sei“, denn dieser Gedanke ist schöner und auch sehr viel angenehmer, ausserdem entspricht auch das wieder der Vermeidungsstrathegie die bei Adhs’lern auch wieder mal nichts neues wäre.

Aber das wirklich traurige dabei ist eigentlich, dass man anderen Adhs’lern die durch ihr Adhs wirklich sehr stark beeinträchtigt sind, heisst z.B. nicht voll arbeitsfähig sind, durch seine eigene Ablehnung Adhs als Krankheit anzuerkennen, dadurch erschwert, oder sogar verunmöglicht, dass diese z.B. dann begründet IV Rente beziehen dürfen.

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@Andromache Ich habe der Einfachheit eine Studie angeführt. Es gibt aber noch mehr. Es wird aber natürlich auch Studien geben, die eine pathologische Betrachtung bestätigen. Da hast du Recht und das habe ich nie in Frage gestellt.

Ich glaube, wir werden uns nicht einig. Ich danke dir für den anregenden Austausch.:slightly_smiling_face:

Ja, so sehe ich das auch. Man wird immer einen für sich passenden Ansatz finden, um der Realität nicht ins Auge blicken zu müssen.

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@Andromache Ich habe deine Aussagen nie diffamiert und bin sachlich und argumentativ geblieben. Und das ist unabhängig davon, ob du diese Argumentationsgrundlage nun teilst oder nicht.

Diesen Satz empfinde ich als unnötig provokant und unsachlich. Schade.

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