Das ist ein interessantes Thema, das du da anschneidest, über das ich viel nachgedacht hatte. Auch wegen Zweifeln, ob ich überhaupt wirklich ADHS habe oder es mir nur wünsche.
Tätsächlich erkläre ich mir meinen damaligen „Diagnosedruck“ als von ADHS symptombedingt und fand das für mich erst einmal nicht ungewöhnlich.
Ich bin grundsätzlich extrem ungeduldig, „Projekte“, die längere Zeit mit Zwischenetappen dauern, bereiten mir größte Probleme. Ich habe beispielsweise viermal den Führerschein angefangen und nicht zu Ende gemacht und eine 90 % fertige Bachelorarbeit hin geschmissen, obwohl ich noch genug Zeit gehabt hätte. Aber eben keine Motivation mehr dafür.
Zusätzlich zweifelt man ja zwangsläufig an dem Verdacht, ob man ADHS hat oder nicht, ob es nun nur eine Modediagnose ist und überhaupt existiert, ob man einfach nur faul ist.
Man mach sich viele Sorgen und Gedanken, die man gerne so schnell wie möglich nich mehr haben will.
Deshalb will man eben erst einmal die Klarheit, ob die Diagnose denn überhaupt positiv ist oder man das Thema einfach wieder vergessen kann.
Aber um von mir selbst im Bezug auf ADHS und selbst auferlegten Zeitdruck zu sprechen:
Wenn ich ein neues „Hyperfokus-Ziel“ entdecke, dann bin ich darauf Tage, manchmal Wochen lang extrem fixiert, muss alles dazu möglichst sofort erfahren, bauen, kaufen und perfektionieren und bin top motiviert in allem, was damit zu tun hat. Es hat absolute Prioriät vor allem anderen.
Andererseits habe ich aber auch einen enormen Druck, das Projekt dann so schnell wie möglich abzuschließen, was sich aus dem Hyperfokus alleine nicht erklären lässt:
Das liegt meiner Meinung nach an der Angst bzw. Selbsterkenntnis, dass man nur ein begrenztes Zeitfenster hat:
Wenn die Motivation schwindet (und das wird sie irgendwann wie wir alle wissen), dann ist das Projekt halbfertig beendet, ohne eine Möglichkeit es abzuschließen.
Meine Masterarbeit habe ich so in einer Session über drei Tage und Nächte geschrieben, vor kurzem bin ich morgens aufgestanden, hatte plötzlich die Idee, dass ich mir einen neuen Kleiderschrank bauen könnte und am Abend, als meine Freundin nach Hause gekommen ist, stand er zu Ihrer großen Überraschung fertig gebeizt im Schlafzimmer.
Denn hätte ich das in normalen Tempo gemacht und dazwischen zwangsläufig etwas anderes machen müssen (z.B. Essen, Schlafen): Der Hyperfoku wäre weg gewesen und nicht zurück gekommen.
So ist mein Keller ist voller Kisten mit diversen Ersatzteilen und Materialien aus einem vergangenen Hyperfokus-Zielen, die unwiederbringlich vorzeitig beendet wurden:
DIe alte Kaffeemaschine, die ich halb restauriert habe, wo dann ein Ersatzteil auf sich warten lies, bis es darum geschehen war, die bereits fertig zugeschnittenen Leisten für das Hochbeet, das ich nicht im Regen draussen aufbauen wollte. Dutzende Projekte, für immer verlohren in den komplizierten Tiefen des ADHS-Gedächtnisses, vergraben unter unzähligen neuen Zielen, wie Tränen im Regen.
So bin ich auch an meine ADHS Diagnose heran gegangen:
Anfangs habe ich den Verdacht der Psychologin, den sie mir schon vor fünf Jahren genannt hatte nicht ernst genommen und vergessen, ADHS konnte es nicht sein.
Erst als ich das mit dem Hyperfokus mal recherchiert habe, wegen etwas völlig anderen und merkte, dass es doch sehr gut passt, bin ich voll in den ADHS-Fokus gekomen.
Es folgte eine wochenlange Recherche, ich habe alle Bücher und Fachartikel gelesen und Selbsttests gemacht, mir auch die HAASE Testunterlagen besorgt und wusst haargenau wie man diagnostiziert. Als ich mir also zu 100 % sicher war, dass es ADHS sein muss, war schon so viel Zeit vergangen und die Diagnose musste so schnell wie möglich her.
Und der Hyperfokus ist dann schließlich wieder verschwunden, als es frustrierend wurde und ich nirgendwo einen Termin bekommen habe.
Tatsächlich hat es bei mir dann erst nach zwei Jahren beim dritten Anlauf geklappt, das bis zum Ende durch zu ziehen, schließlich mit einer selbst bezahlten Diagnostik.
ADHS ist auch ein Spektrum, erst wenn es das Leben beeinträchtigt, wird es zum Syndrom, das man behandeln kann und sollte.
Ungeduld ist zunächst „normal“, aber wenn sie krankhaft wird, wie bei mir, dann wünscht man sich tatsächlich eine ADHS Diagnose, denn dann kann man das behandeln. Nicht weil es jetzt cool ist und man dann TikTok Videos machen kann, sondern es heilen.
Die Leute, die du hier triffst haben mitunter lange Odysseen hinter sich, um den Verdacht zu akzeptieren, die Informationen zu sammeln, um zu wissen, dass die Diagnose der nächste wichtige Schritt ist, endlose Suchen nach Diagnostikern und Zeiten auf der Warteliste hinter sich.
Darum wollen sie jetzt endlich Gewissheit und das möglichst sofort, das ist doch nicht verwunderlich.
Zudem haben sie unter Umständen eben ADHS und da sehe ich Ungeduld eben auch als Symptom an.
Warum aber der „Wunsch“ nach einer Diagnose den Zeitdruck erklären sollte, kann ich nicht nachvollziehen. Umgekehrt, wenn ich einen AIDS-Test mache, dann will ich das Ergebnis eher möglichst bald haben, nicht weil ich gerne AIDS hätte, sondern damit ich mir keine Sorgen mehr machen muss es zu haben.
Hätte ich dagegen eine Diagnose gerne und habe jetzt mein ganzes Leben damit gelebt, ohne es sicher zu wissen, wär es nicht so schlimm noch ein bisschen länger zu warten.
So jedenfalls meine Auffassung, ich kann in der Ungeduld von Menschen, eine ADHS-Diagnostik schnellstmöglich abzuschließen absolut nichts sehen, was dann gegen die positive Diagnose spricht, sondern eher dafür.
Keinesfalls aber erkenne ich hier einen „Wunsch“.