Diagnostischer Albtraum: "Nur" ADHS – aber es fühlt sich so falsch an! Ist das üblich?

Hallo zusammen! :bat:

Ich stecke in einer diagnostischen Grauzone und brauche eine Realitätsprüfung durch Euch:

  • Universitätsklinik: ADHS mit autistischen Zügen (man gab dort an, dass man bei Autismus-Diagnosen sehr konservativ ist).
  • Facharzt: Definitiv kein Autismus, “nur” ADHS – dieser zweite Diagnostiker stimmte zu, dass ich sehr viele autistische Merkmale aufweise, meinte aber (Zitat): „Die Überschneidungen zwischen ADHS und Autismus sind enorm. Deshalb ist es Unsinn, überhaupt von „autistischen Zügen” zu sprechen.” Viele meiner Probleme wurden in die Schnittmenge von ADHS und Autismus geschoben.
  • Vor etwa 5 Jahren: Test auf ADHS in einer Klinik. Ergebnis: Kein ADHS. :face_with_spiral_eyes:

Für mich fühlt sich das alles völlig falsch an. Seit über einem Jahr beschäftige ich mich in Vollzeit mit Autismus (was, wie ich jetzt weiß, ein Spezialinteresse wurde). Die Diagnose ADHS erklärt viele meiner Herausforderungen nicht:

  • Kindheit: Ich habe meine Spielsachen immer perfekt aufgereiht und den Sandkasten sofort verlassen, wenn sich ein anderes Kind näherte. In der Pause bin ich, sofern erlaubt, alleine im Klassensimmer geblieben und so weiter.
  • Augenkontakt: Ich habe große Schwierigkeiten mit Augenkontakt; er fühlt sich körperlich schmerzhaft an und stört meine Konzentration.
  • Soziales Burnout: Nach anregenden sozialen Interaktionen kann ich nicht schlafen. Meine Schlafmittel (Trimipramin, Melatonin und Magnesium) wirken nicht mehr.
  • Routinen: Ich bin nicht chaotisch. Ich bin hyperorganisiert und auf starre Routinen angewiesen; Veränderungen bereiten mir seit der Kindheit (lt. meiner Mutter) Probleme. Beim Zähneputzen überlege ich mir, wie ich diesen Prozess optimieren kann.
  • Meine sozialen Probleme sind nicht durch Impulsivität gekennzeichnet. Es ist ein grundlegendes, logisches Missverständnis der sozialen Pragmatik (ich verstehe Small Talk, „Wie geht es dir?“ oder – für mich – unlogische soziale Rituale nicht).
  • Sensorische Probleme: Ich habe seit meiner Kindheit schwere sensorische Probleme (Lärm, Texturen …).
  • Medikamente: Ich nehme seit Monaten Elvanse und profitiere davon nicht wirklich.

Mein ehemaliger Therapeut beschreibt mich als „hochbegabt” (seine Einschätzung, nicht meine). Meine Test-Ergebnisse deuten eindeutig auf Autismus hin.

AQ: 40 | RAADS-R: 184 | EQ: 11 | CAT-Q: 120 (starkes Maskieren) und so weiter (ich habe in den letzten zwölf Monaten wirklich jeden Test gemacht, den ich finden konnte :see_no_evil_monkey:). Auch die Fremdbefragungen (SRS über einen Freund, FSK über meine Mutter) ergeben:

Autismus! :joy:

Aber, und hier scheint mir der Ziegenbock :goat: seinen Honig :honey_pot: zu haben: ADOS-2, Modul 4: 3 Punkte. Mit anderen Worten: Die sehen mich und denken “So sieht kein Autist aus!” – und in gewisserlei Hinsicht kann ich das sogar verstehen! :man_beard:t2: Zuhause analysiere ich dann krankhaft einfache, soziale Interaktionen auf hunderten von Seiten…

Ich habe also das Gefühl, dass meine Maskierung (die 120 im CAT-Q!), meine nicht monotone Stimme und meine ausdrucksstarken Mimik und Gestik (allesamt durch meine ADHS-Seite bedingt?), als Beweis gegen Autismus herangezogen werden. Es handelt sich wahrscheinlich um die klassische diagnostische Falle des „weiblichen Phänotyps”, obwohl ich ein Mann in den Vierzigern bin.

Ist das eine häufige Erfahrung? Dass einem der ASS-Teil von AuDHS verweigert wird, weil man zu gut maskiert und einen niedrigen ADOS-Wert hat? Oder habe ich ein völlig falsches Bild von ADHS?

Habt ein schönes Wochenende
Der Flughund

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Hallo!

Nach deinem Post in meinem Thread war ich neugierig und habe mir deine Erfahrungen durchgelesen. Spannend, so als Vergleich auch zu meinen doch sehr starken ADHS-Zügen an vielen Stellen.

Ich bin Laie und habe keine medizinische Ausbildung, ich habe nur sehr viel recherchiert und gelesen über die Unterschiede zwischen ADHS und Autismus. Äußeres Verhalten kann bei beiden “Störungen” sehr gleich bis genauso aussehen, z.B. “hört selten/gar nicht wenn angesprochen”. Die Motivation hinter dem Verhalten scheint mir ein sehr entscheidends Merkmal, also in diesem Beispiel: warum hört dir Person nicht zu? Tut sie das weil sie von tausend Reizen abgelenkt ist, die Stimme der Person aber prinzipiell schon aus den übrigen Geräuschen filtern kann? Oder hört die Person nicht zu, weil sie die Stimme erst gar nicht aus den Geräuschen ziehen kann und sowieso wenig Interesse daran hat überhaupt menschlichen Kontakt aufzubauen?

Achtung, das war jetzt sehr überspritzt und vereinfacht dargestellt. Aber ich denke, du verstehst die Idee dahinter. Natürlich gibt es Überschneidungen, keine Frage, und sowieso sind Menschen individuell. Die Motivation ist auch nur ein Faktor, den man berücksichtigen sollte während der Diagnostik.

So wie ich die verschiedenen Erfahrungen jedenfalls in meinem Thread gelesen habe, kommt es durchaus öfter vor, dass ADHS und/oder Autismus aufgrund des jeweils anderen übersehen werden. Maskierung spielt in jedem Fall eine Rolle. Mir hat man zwei mal die ADHS-Diagnose verweigert aufgrund von extrem gutem Masking. Du hast in deinem Beitrag bei mir ja selbst geschrieben, dass es wenige Fachmenschen in DE gibt, die beides wirklich sauber trennen können. Wenn dann noch Masking hinzukommt, wird es noch schwerer.

Für mich persönlich klingen deine Erfahrungen eindeutig nach Autismus. Wie gesagt, ich bin kein Fachmensch.

Ausdrucksstarke Mimik und Gestik als einzigen Kontrapunkt gegen Autismus zu nehmen, erscheint mir ziemlich unprofessionell. Beides kann antrainiert sein durch Masking oder aber - Überraschung - nicht jeder autistische Mensch erfüllt absolut jedes einzelne Merkmal.

ADHS allein kennzeichnet sich nicht durch zwanghafte Ordnung, Angst vor Veränderung (eher das Gegenteil) oder die Analyse von sozialen Situationen. Sowas kann man durch Komorbiditäten wie Zwangsstörung oder Sozialphobie erklären, aber eben nur wenn man diese auch wirklich hat. ADHS allein würde zu Impulsivität und Ungeduld in sozialen Situationen führen, z.B. unterbrechen der Gesprächspartner, immer etwas in den Fingern haben müssen oder impulsive Bemerkungen, die einem danach peinlich sind. Es gibt wohl Hinweise, dass auch bei ADHS die Theory of Mind leicht eingeschränkt sein kann, aber meines Wissens nach nicht auf der Sprachpragmatik-Ebene.

So, bevor das hier in einen Roman ausartet, wünsche ich dir alles Gute (: Ich könnte Stunden darüber referieren, weil ich das Thema so spannend finde.

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Ja, ich verstehe dein Dilemma. Ich persönlich habe mit der “Fragebogen” Diagnostik generell so meine Probleme, muss ich gestehen. Aber so arbeiten halt die Psychologen. Da gibt’s keine handfesten Testverfahren in meinen Augen. Es hängt vermutlich auch viel davon ab, wie der Diagnostiker die Beschreibung der Person einordnet…

Aber ehrlich gesagt, was bringt es jetzt genau? Wir schlagen uns hier eben mit definierten “Symptomkomplexen” herum. Aber ändert es etwas an deiner Situation?

Ich selber hänge da auch total fest. Aber bei mir gibt es dann doch andere Erklärungen. Ich denke ich habe wirklich eine Persönlichkeitsstörung oder gar -störungen. Da bin ich gerade dabei beim Auseinanderdröseln. Bei mir passt Autismus einfach nich

Es gibt sicher Menschen, die einfach grenzlagig sind. Insgesamt erreichen sie aber keine Diagnose.

Mein Sohn z.B. hat ADHS, erfüllt 3 Kriterien für Autismus und hat damit klarerweise kein ASS. Und wenn ich ehrlich bin, wenn dann habe ich mit genau diesen 3 Symptomen so meine Probleme, vermute ich, wenn ich mal von der Schule und den Problemen dort absehe. Aber diese 3 Symptome sind evt. auch seiner ADHS geschuldet in Wahrheit.

Ich persönlich bin gespannt, ob das ganze nicht irgendwann auch ganz anders definiert wird. Manches erscheint mir nämlich etwas konstruiert… so werden gleiche Symptome anders erklärt, aber mir erschließt sich das nicht ganz.

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ADOS-2 ist ein komplexes Ding. Das muss der Diagnostiker gut beherrschen.
Eine der Spezialistinnen auf dem Gebiet in Deutschland ist Manon Mannherz. Vielleicht ist sie ja in deinem Einzugsbereich…

Ich finde Herr Lachenmaier hat das mal super beschrieben. Er sagte sowas wie: Nur weil es vier Reifen hat, flach ist und ein Auto ist, ist es kein Ferrari.

Wir schauen derzeit in der Diagnostik auf Symptome und nicht auf die Ursachen und Zusammenhänge im Lebensverlauf. Das führt häufig dann zu Fehldiagnosen, wenn man auf der Symptomebene bleibt.

Etwa ist eine depressive Symptomatik nicht gleich eine Depression, sondern kann auch mit Trauma, Angststörungen, ADHS, ASS, Persönlichkeitsstörungen usw. auftreten. Wenn man dann aber auf Depression behandelt und das ursächliche Ignoriert wird man wenig Chancen auf Verbesserung haben, leider….

Also JA, gleiche Symptome sollten auch verschiedene Erklärungen und Behandlungen zulassen, korrekt!

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Ich habe keinerlei Zweifel an der Kompetenz der Diagnostikerin. Es geht, meiner Meinung nach, hier eher um Masking – aber eben auch darum, wie man was wertet. Wie soll ich das ausdrücken? Zwei sehr kompetente Experten können trotzdem zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.

Ist die ADHS C mit Medis runtergedämpft und man hat unter der vollen Wirkung auf einmal nur ADS und oder ADHS HI ähnliche Symptome die weiterhin das Leben stark beeinträchtigen und alles andere wurde ausgeschlossen, könnte es vielleicht Autismus sein. :grin: :+1:

@fify_none
Klar kann ein Symptom verschiedene Ursachen und damit Erklärungen und im weiteren Diagnosen bedingen. Nur manches ist für mich gerade bei ASS und ADHS echt schwierig. Darüber diskutieren aber wohl auch die Gelehrten, was ich als Laie so lese. Und Diagnosen sind ja auch einer gewissen Wandlung unterlegen - dazu muss man sich ja nur anschauen, wie sie sich historisch entwickeln…

Egal, hauptsächlich geht’s mir ja um die Fragebogen-Wissenschaft. Davon gibt’s mehrere und ich muss gestehen, die liegen mir sehr fern, um es mal so auszudrücken. Auch, wenn die validiert werden etc., für mich ist so ein Fragenbogendings sehr unbefriedigend als Idee an sich. Ich hoffe, es kommt raus, was ich meine.

Die Diagnostik von Neurodivergenz läuft nicht ausschließlich mit Hilfe Fragebögen ab. Je nachdem, wo Du hingest, stellen sie sogar nur einen kleinen Teil der Diagnostik dar.

ja, das war etwas verkürzt dargestellt (ich kenne die Diagnostik auch von meinem Sohn). Sorry. Ich denke, weiter ausführen muss man meine „Vorbehalte“ jetzt ohnehin nicht. :wink:

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An sich wollte ich ja nur rausstreichen, warum ich konkret dein Problem mit der Diagnostik verstehe. :wink:

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In dem Zusammenhang muss ich sagen: meine Diagnostik der ADHS basierte ausschließlich auf zwei Fragebögen (Selbstauskunft) und einem EEG. Anschließend gab es ein kurzes Gespräch von vielleicht zehn Minuten, in dem mir das Ergebnis mitgeteilt wurde und ich einen Medikationsplan in die Hand gedrückt bekommen habe. Das wars. Im Nachhinein eine sehr schnelle und sehr verkürzte Diagnostik.

Ich halte von meiner Diagnostik-Stelle unter anderem deshalb auch wirklich wenig. Da kann ich beinahe von Glück reden, dass die Diagnose ADHS bei mir stimmt, wie ich allerdings erst durch Selbstrecherche für mich beweisen konnte. Zu der Zeit war ich zugegebenermaßen allerdings auch dankbar um die schnelle Abhandlung, weil man andernorts von jahrelangen Wartezeiten hört.

Also ja, Fragebögen können/müssen Teil der Diagnostik sein, aber absolut nicht ausschließlich.

Trotzdem können zwei Expert:innen zu verschiedenen Ergebnissen kommen, was es wirklich nicht einfacher macht. Da sind wir wieder beim alten Dilemma, dass sich psychiatrische Diagnosen selten durch tatsächlich greifbare oder sichtbare Fakten beweisen lassen, also z.B. ein Ergebnis eines Bluttests oder sowas. Da bleiben nur Beobachtung und Analyse von Verhalten und Beschreibungen des Innenlebens.

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@Flughund : Deine Aufzählung liest sich für mich wirklich ganz typisch für Autismus.

Ich selbst bin hier nicht betroffen, aber ja einige andere im Forum. Und viele Fachleute haben ja bis heute ein Problem damit eine Kombi von ADHS und Autismus überhaupt für möglich zu halten und zu diagnostizieren. In vielen Köpfen herrscht immer noch die Entweder-Oder-Vorstellung.

Du brauchst einen Arzt, der da wirklich vernetzt denken kann. Da ich sonst noch nichts von dir gelesen habe: Was ist denn überhaupt ADHS-typisch bei dir bzw. worauf beruht die Diagnose? Die Aufzählung oben liest sich ja wirklich mehr nach Autismus.

  • Es ist mir schier unmöglich, einen Roman zu lesen oder einem Hörbuch zu folgen – Podcasts zu bestimmten Themen sind kein Problem. Sachbücher gehen zumindest leichter.
  • Ähnlich ist bei Serien: Es fällt mir schwer, der Handlung zu folgen. Ich muss mich schon sehr konzentrieren und mich zwingen, beispielsweise mein Handy wegzulegen. Das liegt aber auch daran, dass ich mir keine Gesichter (okay, ich weiß, dass der Hauptdarsteller von Top Gun Tom Cruise ist und wie der aussieht – darum geht es nicht) und auch keine Namen merken kann. Ich kann ganze Staffeln ansehen und Dir hinterher keinen einzigen Namen eines Protagnisten nennen.
  • Ich neige zu Flüchtigkeitsfehlern und kann mich nicht konzentrieren, wenn irgendwo zu viel Betrieb ist. Ob es sich hierbei um ADHS oder Autismus handelt, oder beides, weiß ich nicht.
  • Es fällt mir schwer, Menschen aussprechen zu lassen und zuzuhören.
  • Ich habe eine schlimme Form der “Zeit-Blindheit”: Dies jetzt aber auszuführen, würde zu lange dauern. Viele aus der ADHS-Community können sich damit identifizieren, es scheint aber auch bei Autismus vorzukommen. Vermutlich daraus folgt: Das Leben ist für mich eine Liste von Tasks, welche abgearbeitet werden wollen. Dies ist auch dann so, wenn ich am Strand liege. Ich kann dabei nicht einschätzen, wie lange ich für Aufgaben benötige.
  • Ich bin super organisiert, ordentlich und sauber. Wenn es irgendwo unordentlich ist, gehe ich da nicht hin, da es mich sensorisch überfordert – bis hin zu Schlaflosigkeit. Wenn bei Euch also viel Krimskrams in der Wohnung steht, komme ich nicht zum Kaffee trinken vorbei. Ist aber wahrscheinlich auch so ein Autismus-Ding, keine Ahnung.
  • Wenn ich (früher) in der Schule oder im Wartezimmer wirklich machen würde, was ich will, würde ich keine zehn Minuten sitzen bleiben. Ich muss mich also dazu zwingen.

Frage: Tritt dieses Nicht-Sitzen-Bleiben-Können nur in Situationen auf, die für dich (sehr) unangenehm sind, weil zu laut, zu hektisch etc.? Oder auch wenn du in einer für dich sehr angenehmen, schönen Situation mit tollen Bedingungen bist, wie immer die aussehen mag?

Ich frage deshalb, weil diese Hyperaktivität bei ADHS auch dann auftritt, wenn jemand in einer Situation ist, die er oder sie eigentlich toll findet und genießt. So kenne ich das von mir. In unangenehmen Situationen hab ich das auch, klar. Aber eben auch dann wenn ich Dinge in einer super Umgebung machen möchte, die mir eigentlich Spaß machen. Selbst dann spüre ich mindestens diese innere Unruhe und man merkt mir die auch nach außen an (falls jemand anwesend wäre).

So etwas kommt eigentlich nicht vor, auch wenn das vielleicht traurig klingen mag. Oder anders ausgedrückt: Es ist schwer für mich zu beantworten.

Ich sitze also am Tisch mit drei anderen Leuten und wir spielen ein Brettspiel – eigentlich meine Lieblingsbeschäftigung. Trotzdem stehe ich auf, um der Situation zu entkommen, weil ich reizüberflutet bin, das ist Grund a). Grund b) weil in mir – trotzdem – ein Programm abläuft, welches ich abarbeiten möchte. Sei es die Spülmaschine ausräumen oder Getränke nachfüllen. Die Katzen müssen natürlich auch versorgt werden, aber das ist Pflicht.

Ist das Abarbeiten der Aufgaben aufgrund deiner oben beschriebenen Zeiblindheit?

Wenn ich reizüberflutet bin, suche ich jede Entschuldigung, um die Situation verlassen zu dürfen. Den Punkt kenne ich also sehr gut. Oft habe ich aber auch Angst, die Zeit reicht für Aufgaben nicht, weil ich quasi kein Zeitgefühl besitze.

Der Punkt ist für mich, dass bei ADHS diese Unruhe irgendwie nichts mit Aufgaben, die man noch zu erfüllen hat, zutun hat. Zumindest ist das bei mir so. Sondern dieser ständige Bewegungsdrang ist bei mir Teil meiner Körpersprache, mehr oder weniger. Ich hab selbst jetzt, da ich alleine in einem dunklen Raum sitze, immer Fidget Toys in der Hand.

Es gibt einen Artikel zu den Unterscheidungsmerkmalen anhand der Motivationen hinter dem Verhalten (ADHS vs. Autismus), den ich grade nicht wiederfinde. Der hat mir sehr bei der Einordnung meines Verhaltens geholfen.

Ich glaube, dass das Abarbeiten von Aufgaben mit Zeitblindheit zu tun hat. Der zugrundeliegende Mechanismus soll hierbei dann die Exekutive Dysfunktion sein. Ich weiß leider nicht mehr, wo ich das gelesen habe. Und allgemein gibt es nur wenig gute Literatur zum Thema Zeitblindheit.

Dieses Phänomen ist auf jeden Fall eines, mit welchem sich viele, reine ADHSler identifizieren können!

Du meinst wahrscheinlich diese Tabelle: https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/pdf/10.1055/a-0959-2034.pdf – bei mir überwiegt Autismus klar, der Wert bei ADHS ist aber auch sehr hoch.

Ich weiß nicht, ob die Wahrnehmung von Zeit per se zu den Exekutivfunktionen gehört, aber die Planung, Priorisierung und Abschätzung der Dauer von Aufgaben auf jeden Fall. Ich habe bisher nur einige Abschnitte dazu in Fachbüchern zu ADHS gelesen, und von Betroffenen gehört.

Ja, das ist definitiv ein Phänomen, das viele Nur-ADHS-ler kennen. Mir helfen Sanduhren sehr, die gibt es bei Amazon für Kinder zu kaufen. Die machen keine Geräusche und keine Lichter, was für mich sehr angenehm ist. Dass ich der Zeit beim Rieseln zusehen kann, macht sie für mich greifbarer. Eventuell hilft dir sowas auch. Ich fühle mich dadurch auf jeden Fall weniger gehetzt.

Ja, genau, die meinte ich. Bei mir überwiegt das ADHS eindeutig, der Wert für Autismus ist etwas geringer.

Was das Abarbeiten der Aufgaben betrifft: treibt dich auch die Angst, eine Aufgabe zu vergessen, dazu, beim Brettspiel (um mal bei deinem Beispiel zu bleiben) aufzustehen und diese Aufgabe sofort zu erledigen? Bei mir ist das eindeutig so.

Ich nutze sowas seit wenigen Wochen elektronisch.

Vollständig korrekt. Beispiel: Während ich Haare föhne, kann es passieren, dass mir fünf bis zehn Sachen einfallen. Ich unterbreche das Föhnen dann mehrere Male. Die Angst, etwas zu vergessen, spielt dabei eine große Rolle. Am Ende habe ich zwei neue Einträge in meinem Kalender, einen in Liste 1, drei in Liste 4 – und dann gibt es auch noch Sachen, die ich sofort erledigen kann.

Übrigens: Ich zweifle meine ADHS-Diagnose nicht an. Sie greift lediglich zu kurz. Und zwar deutlich. Meiner Meinung nach bin ich ein relativ typischer AuDHS-Fall.