Hallo,
schwieriges Thema und der Eröffnungspost des Threads weckt in mir Assoziationen mit Schwurbeln und Trolling. Ob eines davon zutrifft kann ich nicht sagen, aber … oh boy…
Auch wegen des guten Beitrags von @SneedleDeeDoo mag ich von meinem Blickwinkel kommentieren. Als jemand der mit 50 diagnostiziert wurde und bei dem langsam ein Medikament beginnt zu wirken.
Vollste Zustimmung! Als jemand der nach 50 Jahren und durch die Diagnose vieles versteht kann ich sagen: Das ich ein brauchbares Selbstbewusstsein entwickelt habe hatte viel mit Zufall und Glück tu tun:
Es war Glück, das mein Elternhaus geordnet, liebevoll und (halbwegs) verständnisvoll war und meine Entwicklung bis schon recht Fortgeschritten war als die hässliche Trennung meiner Eltern begann.
Ich hatte Glück, dass ich meinen Schulabschluss geschafft habe, die Noten in den meisten Fächern waren zum Schluss grenzwertig. Auch weil mein ADHS Hirn anders funktioniert und Frontal-Unterricht sowie stupides Auswendiglernen bei mir nicht funktioniert.
Ich hatte sehr viel Glück, dass ich bereits 1982 begann mich sehr für Computer zu interessieren, ich mit Geld von Eltern und Verwandtschaft mir einen kaufen konnte und ich offenbar durch starke und länger dauernde Phasen von Hyper-Fokus alles selbst lernen konnte.
Es war viel Glück dabei, dass ich irgendwann ab einem Alter von ca 15 wegen des vorherigen Punktes auf engl. Fachbücher angewiesen war und so mein sehr beschränktes Englisch auch wegen des Antriebs durch den Hyperfokus über die Jahre verbessern konnte.
Zu der Zeit fing die Technik zur digitalen Kommunikation für Privatleute erreichbar zu werden. Ich hatte viel Glück das ich ab ca 16 Jahren zugriff zu dieser Technik hatte und mir so Kontakt mit anderen mit ähnlichen Interessen möglich war und ich auch Zugang zu mehr „Fachinformationen“ bekam. Denn ich bin in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Mein Interesse entwickelte sich in diese Richtung und der Hyperfokus half mir dabei. Das ADHS das damals schon bestand aber niemand dort kannte hatte aber auch negative Auswirkungen, vor allem auf meine Schulbildung.
Glück half mir nicht nur meine Interessen zu finden, mein Wissen in diesem Bereich auszubauen und durch (digitalen) Kontakt mit gleichgesinnten auch weiter auszubauen.
Es war auch Glück, dass als ich auf der Suche nach einem Job war, digitale Kommunikation gerade für Unternehmen interessant wurde, aber alles noch so neu war das weder eine Ausbildung noch ein Studium das nötige Wissen vermittelt haben. Auch waren in dieser frühen Phase kleine Unternehmen am entstehen die Menschen wie mir, ohne Studium und ohne Abi eine Chance gaben da es kaum Menschen mit entsprechenden Kenntnissen und Erfahrung gab und ich beides schon in öffentlich einsehbaren Bereichen zu Beweis gestellt habe.
Es war Glück, dass ich früh dabei war und nach einigen Jahren Berufserfahrung wollte niemand mehr Schulzeugnisse oder ähnliches von mir sehen und ich war weiter vorne bei der fortschreitenden technischen Entwicklung in dem Bereich.
Das viele nicht so viel Glück haben sehe ich hier bei den Berichten anderer ADHS Betroffener, genau so wie die Tatsache das sich ADHS bei vielen doch recht verschieden auswirkt.
Das ich selbst weit mehr Glück hatte als ich bis dato schon dachte wurde mir erst bewusst als ich begann mich letztes Jahr ausführlicher mit ADHS zu beschäftigen. Es war die Erkenntnis das ich unverschämt viel Glück hatte.
Dieses Glück hatte mich 2020 verlassen als mich mein letzter und heftigster Burnout traf. Ein Burnout von dem ich heute weiss das er direkt oder indirekt durch mein ADHS verursacht wurde. Meine unterbewusst entwickelten ADHS Coping Mechanismen funktionierten nicht mehr und ich bekam ernste Probleme.
Wäre mein ADHS lange vorher diagnostiziert und medikamentös behandelt worden hätte ich vermutlich weder diese Probleme noch den heftigen Burnout bekommen.
Auch weil ich bisher sehr sehr viel Glück hatte spüre ich beim Reflektieren über meine Vergangenheit und mein nicht diagnostiziertes ADHS keine negativen Gefühle bei mir.
Was negative Gefühle bei mir erzeugt: Schwurbler die Unsinn verbreiten und wissenschaftliche Erkenntnisse oder gleich die Wissenschaft als solche in Frage stellen. Im ADHS Kontext: die generelle Sinnhaftigkeit von ADHS Medikamenten in Abrede stellen, die Wirkung und Sinnhaftigkeit von Medikamenten in Abrede stellen, Probleme durch ADHS als Quatsch bezeichnen usw.
Uff, doch wieder viel mehr Text geworden als gewollt. Aber das Thema Schwurbeln und Wissenschafts-Leugnung triggert mich heftig, nicht nur bei ADHS.
VG
SD